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BFH-Urteil vom 17.6.2005 (VI R 109/00) BStBl. 2006 II S. 17

Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse für eine Ersatzkraft im Rahmen der Haushaltshilfe an nahe Angehörige (§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V) unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt.

EStG § 32b Abs. 1 Nr. 1b; SGB V § 38 Abs. 4 Satz 2.

Vorinstanz: FG Münster vom 21. Oktober 1999 14 K 4736/97 E (EFG 2000, 1005)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (1996) als Eheleute zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger erzielte als Dreher Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit; die Klägerin war Hausfrau. Die Kläger waren mit ihren vier minderjährigen Kindern bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) krankenversichert.

Im Frühjahr 1996 war die Klägerin sechs Wochen lang erkrankt. Der Kläger ließ sich in dieser Zeit unbezahlten Urlaub geben und übernahm anstelle der Klägerin die Führung des Familienhaushalts. Im Rahmen der Haushaltshilfe (§ 38 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V -) zahlte die AOK daraufhin 4.309 DM an den Kläger aus. Diesen Betrag erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger im Wege des Progressionsvorbehalts. Den Einspruch, mit dem die Kläger vortrugen, es habe sich bei der Leistung der AOK um einen "Aufwandsersatz" an die selbst krankenversicherte Klägerin und nicht um eine Lohnersatzleistung an den Kläger gehandelt, wies das FA zurück.

Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Kläger habe mit dem von der AOK erstatteten Verdienstausfall eine Lohnersatzleistung i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 1 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) bezogen. Die Einnahme sei dem Kläger selbst als Steuersubjekt zuzuordnen, zumal die AOK auch unmittelbar an ihn gezahlt habe. Die Leistung der AOK habe keine Aufwendungen der Klägerin betroffen. Vielmehr habe die AOK einen Schaden ersetzt, den der Kläger selbst erlitten habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1005 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, das angefochtene Urteil verletze § 32b Abs. 1 Nr. 1 b EStG. Leistungsempfänger des Erstattungsbetrages sei nicht der Kläger gewesen, sondern die Klägerin, weil nur sie in ihrer Person die Anspruchsvoraussetzungen des § 38 Abs. 4 SGB V für die Haushaltshilfe erfüllt habe. Da sie (die Klägerin) als Hausfrau im Streitjahr keinen Arbeitslohn bezogen habe, könne der Erstattungsbetrag der AOK bei ihr auch keine Lohnersatzleistung sein.

Die Kläger beantragen, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA tritt der Revision unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben; der Klage ist stattzugeben. Entgegen der Auffassung des FG unterliegen Leistungen der Krankenkasse zur Erstattung des Verdienstausfalls naher Angehöriger im Rahmen der Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V) nicht dem Progressionsvorbehalt.

1. Nach der Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 1 b EStG ist auf das zu versteuernde Einkommen u.a. dann ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Übergangsgeld oder vergleichbare Lohnersatzleistungen nach dem SGB V oder nach bestimmten anderen Gesetzen bezogen hat (sog. Progressionsvorbehalt). Der besondere Steuersatz ergibt sich nach § 32b Abs. 2 Nr. 1 EStG dadurch, dass bei der Berechnung der Einkommensteuer das zu versteuernde Einkommen um die Summe der genannten Leistungen - gegebenenfalls nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags - vermehrt wird. Dem Ausdruck "bezogen" in § 32b Abs. 1 EStG kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, Einnahmen einem bestimmten Steuersubjekt einerseits und einem bestimmten Veranlagungszeitraum andererseits zuzuordnen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Oktober 1995 I R 153/94, BFHE 179, 262, BStBl II 1996, 201).

2. Nach § 38 Abs. 1 SGB V erhalten erkrankte Versicherte als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkasse unter bestimmten Voraussetzungen Haushaltshilfe für die Weiterführung ihres Haushalts. Kann die Krankenkasse keine Haushaltshilfe stellen, sind den Versicherten nach § 38 Abs. 4 Satz 1 SGB V die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe in angemessener Höhe zu erstatten. Für bestimmte nahe Angehörige (Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad) werden keine Kosten erstattet; die Krankenkasse kann jedoch die erforderlichen Fahrkosten und den Verdienstausfall erstatten, wenn die Erstattung in einem angemessenen Verhältnis zu den sonst für eine Ersatzkraft entstehenden Kosten steht (§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Der Ausschluss der Kostenerstattung für Verwandte und Verschwägerte gilt in analoger Anwendung auch für Ehegatten (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 16. November 1999 B 1 KR 16/98 R, Sozialrecht - SozR - 3-2500 § 38 Nr. 2; Heinze in Bley/Gitter/Heinze u.a., Die neue Krankenversicherung, Gesamtkommentar zur Sozialversicherung, § 38 SGB V Anm. 11).

Versicherter im Sinne dieser Regelung ist nur, wer selbst an der Weiterführung seines Haushalts gehindert ist und deshalb Haushaltshilfe in Anspruch nimmt. Nur diesem Versicherten gegenüber erbringt die gesetzliche Krankenkasse ihre Leistungen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V). Auch die Erstattung des Verdienstausfalls hilfeleistender naher Angehöriger erfolgt daher sozialversicherungsrechtlich ausschließlich gegenüber dem Versicherten, an den die Hilfeleistung erbracht worden ist (vgl. BSG-Urteile vom 23. November 1995 1 RK 11/95, BSGE 77, 102; vom 7. November 2000 B 1 KR 15/99 R, BSGE 87, 149; und in SozR 3-2500 § 38 SGB V Nr. 2).

3. Aus der gesetzlichen Regelung folgt, dass die Erstattung des Verdienstausfalls durch die Krankenkasse weder beim Versicherten (im Streitfall die Klägerin) noch beim hilfeleistenden Angehörigen (im Streitfall der Kläger) zum Bezug einer Lohnersatzleistung i.S. des § 32b Abs. 1 Nr. 1 b EStG führt. Dem Angehörigen kann die aufgrund des Versicherungsverhältnisses erbrachte Leistung nicht als eigene Einnahme zugeordnet werden. Für den Versicherten als Zahlungsempfänger stellt die Erstattungsleistung keinen Lohnersatz dar, weil sie nicht an die Stelle eines eigenen Lohnanspruchs aus einem Arbeitsverhältnis tritt (gleicher Ansicht: Probst in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 32b EStG Anm. 67; anderer Auffassung: Kirchhof/Lambrecht, KompaktKommentar zum Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 32b Rn. 10; Korn/Schiffers, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 32b Rz. 24; Oberfinanzdirektion Frankfurt/ Main, Verfügung vom 15. Januar 2004 S 2295 A - 6 St II 2.06, Der Betrieb - DB - 2004, 407; differenzierend: Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 32b Rz. 17).

4. Im Streitfall hat die AOK die strittige Erstattungsleistung zwar nach den Feststellungen des FG an den Kläger (und nicht an die Klägerin) überwiesen. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei möglicherweise um eine Zahlung auf ein gemeinsames Konto der Eheleute gehandelt hat. Da zwischen der AOK und dem Kläger - wie dargelegt - im Hinblick auf die Haushaltshilfe sozialversicherungsrechtlich keine Leistungsbeziehung bestand, hätte eine Zahlung der AOK allein an den Kläger nur für Rechnung der Klägerin erfolgen können. Eine solche (abgekürzte) Weitergabe der empfangenen Versicherungsleistung aber würde ihrerseits ebenfalls nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

5. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann durcherkennen, auch wenn die Kläger lediglich die Zurückverweisung des Rechtsstreits beantragt haben (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 1996 I R 5/96, BFHE 181, 100, BStBl II 1997, 5, m.w.N.).