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BFH-Beschluss vom 20.10.2005 (VII B 207/05) BStBl. 2006 II S. 41

1. Die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Spruchkörpers, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung. Dementsprechend muss ggf. die Gerichtsverwaltung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewährt werden soll.

2. Das Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO dient allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist.

3. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, Einsicht in die Akte eines abgeschlossenen Verfahrens zu verweigern, ist jedenfalls dann nicht unzulässig, sondern unbegründet, wenn einziger Streitpunkt ist, ob wegen des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens das Recht auf Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 FGO erloschen ist.

FGO §§ 78, 128, 155; ZPO § 299 Abs. 2; GKG § 21.

Vorinstanz: FG München vom 28. Juli 2005 14 K 1401/01

Sachverhalt

I.

In dem inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren des Finanzgerichts (FG) hat der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) mit dem Beklagten (Finanzamt - FA -) über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides gestritten. Er ist dabei von der Steuerberaterin X vertreten worden. Nach Abschluss des Verfahrens hat sich der Kläger durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten unter Benennung vorgenannten Aktenzeichens und des Rubrums jenes Verfahrens an das FG gewandt und gebeten, Akteneinsicht zu gewähren; der Kläger habe den Auftrag erteilt, die Angelegenheit zu prüfen, insbesondere im Hinblick auf Schadensersatzansprüche gegen seine frühere Prozessbevollmächtigte.

Hierüber hat das FG mit Beschluss vom 28. Juli 2005 entschieden. Es hat den Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt, weil die Streitsache rechtskräftig abgeschlossen sei. Dagegen richtet sich die entsprechend der Rechtsmittelbelehrung des FG vom Kläger eingelegte Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), jedoch nicht begründet.

§ 78 Abs. 1 Satz 1 FGO gewährt den Beteiligten ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakten und dem Gericht vorgelegte (Behörden-)Akten. Die Entscheidung über ein diesbezügliches Begehren kann, sofern nicht die Übersendung der Akten verlangt wird, in der Regel der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle treffen; anderenfalls entscheidet über einen solchen Antrag der Spruchkörper oder sein Vorsitzender (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 78 Rz. 13 und 14). Dementsprechend ist das FG verfahren. Es hat ein Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO auch zutreffend verneint. Denn § 78 Abs. 1 FGO gewährt den Beteiligten ein Recht auf Akteneinsicht nur im Rahmen eines anhängigen, noch nicht abgeschlossenen Streitverfahrens, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich von den dem Gericht vorliegenden Entscheidungsgrundlagen Kenntnis zu verschaffen und aufgrund dieser Kenntnis zu ihnen in Wahrnehmung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör Stellung zu nehmen (vgl. Lang in Sodan/ Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, § 100 Rdnr. 3). Dies verdeutlicht die systematische Stellung der Vorschrift innerhalb des mit "Verfahren im ersten Rechtszug" überschriebenen Abschnitts III des Zweiten Teils der FGO. Das Akteneinsichtsrecht dient mithin allein der Prozessführung und erlischt dementsprechend, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist (vgl. Lang in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 100 Rdnr. 26; Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 100 Rdnr. 8). Dem begegnet, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde wegen Gewährung von Akteneinsicht verneint hat, wenn der Kläger Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens begehrt (Beschlüsse vom 7. Oktober 1987 II B 55/87, BFH/NV 1988, 646, und vom 30. Juni 1998 IX B 130/97, BFH/NV 1999, 60), und zwar auch dann, wenn das Bedürfnis nach Akteneinsicht auch damit begründet wird, dass die Kenntnis des Inhaltes der Akten für andere Verfahren bzw. wegen einer möglichen Regressforderung gegenüber dem Steuerberater erforderlich oder zumindest hilfreich sei.

Der beschließende Senat folgt dieser Rechtsprechung, die im Schrifttum, soweit erkennbar, nicht auf Widerspruch gestoßen ist (vgl. statt aller Gräber/Koch, a.a.O., § 78 Rz. 5) und von der der Senat nur unter Beachtung des § 11 FGO abrücken könnte. Er folgt ihr allerdings mit der Maßgabe, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung, die Einsicht in die Akte eines bei dem Senat anhängig gewesenen, jedoch inzwischen abgeschlossenen Verfahrens zu verweigern, jedenfalls dann nicht unzulässig, sondern unbegründet ist, wenn einziger Streitpunkt ist, ob wegen des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens das Recht auf Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 FGO erloschen ist. So ist es hier; denn wenn auch das FG eine Rechtsgrundlage für seine Entscheidung nicht benannt hat, ergeben doch die Umstände, dass es über das Akteneinsichtsrecht des Klägers gemäß § 78 FGO entscheiden wollte und allein dieses vermeintliche Recht des Klägers - und nicht etwa ein sogleich zu erörternder, sich möglicherweise anderweit ergebender Anspruch desselben auf Akteneinsicht - mithin Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist.

Der zur Reichweite des § 78 FGO, der § 100 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht, abweichenden Auffassung von Lang (in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 100 Rdnr. 27), wonach das Gericht (gemeint offenbar: der Vorsitzende bzw. der Spruchkörper, der die rechtskräftige Entscheidung in jenem Verfahren erlassen hat) nach seinem Ermessen auch nach Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewähren könne, vermag der beschließende Senat nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass es für diese Ansicht an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, ist die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht Aufgabe des Spruchkörpers, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung. Dementsprechend muss auch ggf. die Gerichtsverwaltung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewährt werden soll. Das entspricht der nach § 155 FGO sinngemäß anzuwendenden Regelung des § 299 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), die den Anspruch eines Dritten auf Akteneinsicht betrifft, jedoch auf den nunmehr in einer ähnlichen Lage befindlichen früheren Beteiligten des Verfahrens entsprechend anzuwenden ist. Ein solcher Anspruch folgt jedenfalls aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, aus denen sich bei Vorliegen eines entsprechenden berechtigten Interesses ein ungeschriebenes subjektives Recht zumindest auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Einsicht in die Akten eines Gerichtsverfahrens ergibt (vgl. Lang in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 100 Rdnr. 12; siehe auch Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 100 Rdnr. 12).

Der beschließende Senat hält es jedoch für geboten, von der Erhebung von Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 21 des Gerichtskostengesetzes abzusehen. Der Kläger hat mit seinem an das FG gerichteten Antrag auf Akteneinsicht lediglich sein materielles Begehren, in die Verfahrensakte Einsicht nehmen zu dürfen, vorgebracht, ohne ausdrücklich oder auch nur dem Sinne nach damit ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 78 FGO zu beanspruchen oder auch nur eine Entscheidung des Senats bzw. seines Vorsitzenden über sein Begehren zu verlangen. Über einen hier in erster Linie in Betracht kommenden Anspruch aus entsprechender Anwendung des § 299 Abs. 2 ZPO hatte jedoch weder der FG-Senat noch hat darüber der beschließende Senat in diesem Verfahren zu entscheiden. Es hätte folglich einer zutreffenden Sachbehandlung entsprochen, das Begehren nicht gemäß § 78 Abs. 1 FGO durch Gerichtsbeschluss zurückzuweisen und den Kläger auf den Beschwerdeweg zu verweisen, sondern um einer dem Ziele des Klägers dienlichen Behandlung willen dem zur Entscheidung berufenen Präsidenten des Gerichts vorzulegen.