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BFH-Urteil vom 16.11.2005 (VI R 23/02) BStBl. 2006 II S. 210

Hat der Arbeitgeber eine Anrufungsauskunft eingeholt und ist er danach verfahren, ist das Betriebsstätten-FA im Lohnsteuer-Abzugsverfahren daran gebunden. Eine Nacherhebung der Lohnsteuer ist auch dann nicht zulässig, wenn der Arbeitgeber nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung einer Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugestimmt hat.

EStG § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 42e Satz 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 24. Januar 2002 14 K 871/97 L (EFG 2002, 540)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berechtigt war, Lohnsteuer bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) als Arbeitgeberin abweichend von einer Anrufungsauskunft mit einem Pauschsteuersatz i.S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nachzuerheben.

Die Klägerin ist ein Flugunternehmen, das in den Streitjahren Urlaubsziele anflog und Sitzplatz-Kontingente für Reiseveranstalter in Voll- bzw. Teilcharter bereitstellte. Daneben wurden auch Plätze an Einzelkunden vertrieben. Arbeitnehmer der Klägerin konnten außerhalb von Sperrzeiten, die in der Regel der Hauptsaison entsprachen, Freiflüge und verbilligte Flüge für sich und ihre Familienangehörigen buchen.

Die Klägerin hatte beim FA beantragt, den geldwerten Vorteil für die Arbeitnehmer-Freiflüge mit 50 v.H. der von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder jeweils festgesetzten Durchschnittswerte je Flugkilometer ansetzen zu dürfen, weil sie als Charterfluggesellschaft keinen öffentlichen Fluglinienverkehr betreibe und ihre Arbeitnehmer bestimmten Reisebeschränkungen unterlägen. Diesem Antrag hatte das FA mit Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG entsprochen, die zuletzt bis zum 31. Dezember 1989 verlängert wurde. Die Klägerin behielt die Lohnsteuer entsprechend ein.

Nachdem der Bundesrechnungshof u.a. die Bewertung der Urlaubsflüge mit 50 v.H. des Sachbezugswertes beanstandet hatte, führte die Zentrale Außenprüfung Lohnsteuer (ZALSt) eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1991 bei der Klägerin durch. Die ZALSt war der Auffassung, dass die Klägerin nach der bis zum 31. Dezember 1989 gültigen Anrufungsauskunft zwar nicht als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden dürfe. Dem FA bleibe es jedoch unbenommen, Kontrollmitteilungen an die Wohnsitz-FÄ der Arbeitnehmer zu versenden und entsprechende Nachbesteuerungen zu veranlassen. Die Klägerin habe aber erklärt, dass sie an einer derartigen Handhabung nicht interessiert sei und die Mehrsteuern der Arbeitnehmer übernähme. Im Interesse des Rechtsfriedens und der Vermeidung von unnötigem Verwaltungsaufwand habe die Klägerin deshalb einen Antrag auf Pauschalierung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gestellt, dem das FA entsprochen habe.

Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 1992 mit, sie habe sich entschlossen, die Mehrsteuern der Arbeitnehmer-Flüge in den Jahren 1988 und 1989 für die am Stichtag 1. November 1992 in einem aktiven Dienstverhältnis stehenden Arbeitnehmer zu übernehmen, jedoch ohne Anerkennung der in den vorläufigen Prüfungsfeststellungen gezogenen Schlussfolgerungen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 540 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der dagegen gerichteten Revision macht das FA im Wesentlichen geltend, es widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes, die Einbehaltung der Lohnsteuer auch dann als i.S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG "vorschriftsmäßig" anzusehen, wenn sie zwar objektiv nicht dem geltenden Recht entspreche, aber von einer (falschen) Anrufungsauskunft nach § 42e EStG gedeckt werde. Die Vertrauensschutzwirkung der Anrufungsauskunft könne den Fall der Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht mit umfassen, weil die Pauschalierung wegen des gesetzlichen Antragserfordernisses nicht gegen den Willen des Arbeitgebers möglich sei. Die Rechtsansicht des FG widerspreche auch dem Sinn und Zweck des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Denn sie hätte zur Folge, dass der Weg der Pauschalierung nach einer rechtlich angezweifelten Anrufungsauskunft kaum noch gangbar wäre. Im Übrigen werde der Ausdruck "vorschriftsmäßig" in § 50a Abs. 5 Satz 6 EStG in dem verwaltungsseitig vertretenen Sinn verstanden (Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Juli 1995 I B 200/94, BFH/NV 1996, 311, und das BFH-Urteil vom 11. Oktober 2000 I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291).

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Da die Klägerin als Arbeitgeberin die Lohnsteuer in Übereinstimmung mit einer ihr wirksam erteilten Anrufungsauskunft einbehalten und abgeführt hatte, war eine Nacherhebung mit einem Pauschsteuersatz i.S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht zulässig.

1. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kann das Betriebsstätten-FA auf Antrag des Arbeitgebers die Erhebung der Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz zulassen, soweit in einer größeren Zahl von Fällen Lohnsteuer nachzuerheben ist, weil der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat. Vorliegend hatte das FA der Klägerin eine Anrufungsauskunft nach § 42e Satz 1 EStG erteilt. Die Klägerin ist danach verfahren.

2. Wenn der Arbeitgeber eine Anrufungsauskunft eingeholt hat und danach verfahren ist, kann ihm nicht entgegengehalten werden, er habe die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig i.S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG einbehalten. Das gilt unabhängig davon, ob die Anrufungsauskunft materiell richtig ist (Schmidt/ Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 24. Aufl., § 42e Rz. 8; weiter gehend Blümich/Heuermann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 42e EStG Rz. 30 ff., der von einer Bindung des Arbeitgebers ausgeht; a.A. Eisgruber in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 42e Rz. 6).

a) Nach § 42e Satz 1 EStG hat das Betriebsstätten-FA auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind (Anrufungsauskunft). An die Anrufungsauskunft ist das FA im Lohnsteuer-Abzugsverfahren gebunden, wie sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166; vgl. auch Urteile vom 16. Dezember 1996 VI R 51/96, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222; vom 14. Mai 2003 XI R 16/02, BFHE 202, 486, BStBl II 2003, 881).

aa) Früher war der BFH von einer weiter gehenden Bindungswirkung der Anrufungsauskunft ausgegangen. Der damaligen Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen folgend hatte er entschieden, dass der durch die Anrufungsauskunft gewährte Vertrauensschutz auch im Lohnsteuer-Jahresausgleich und im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers gelten müsse, weil sonst die im Lohnsteuer-Abzugsverfahren erteilten Auskünfte weitgehend bedeutungslos wären (BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 185/76, BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451).

bb) Daran hat der Senat im Urteil in BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166 nicht festgehalten. Maßgebend für die Beschränkung der Bindungswirkung auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren war zum einen der Zweck der Anrufungsauskunft, die Haftungsrisiken des Arbeitgebers aus der Verpflichtung zur Einbehaltung der Lohnsteuer durch eine verbindliche Auskunft des FA zu mindern. Hinzu kam, dass sich auch der Zweck einer dem Arbeitnehmer erteilten Anrufungsauskunft auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren beschränkt, weil ihm damit die Möglichkeit eröffnet werden soll, bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber auf schnellem Wege und ohne arbeitsgerichtliches Verfahren einen evtl. zu hohen Lohnsteuerabzug durch eine günstige Auskunft zu verringern. Des Weiteren sprach nach Auffassung des Senats auch der Umstand, dass die Auskunft vom Betriebsstätten-FA zu erteilen ist, für eine Beschränkung der Bindung auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren. Schließlich kam die systematische Einordnung der Vorschrift in dem Abschnitt VI. "Steuererhebung" unter 2. "Steuerabzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer)" hinzu.

b) Die Lohnsteuer-Nacherhebung findet im Lohnsteuer-Abzugsverfahren statt. Zu den dieses Verfahren regelnden Vorschriften gehört auch § 40 EStG; dies kommt sowohl in der systematischen Einordnung unter "Steuerabzug vom Arbeitslohn", als auch im Bezugspunkt für die Pauschalierung der Lohnsteuer - der Pflicht des Arbeitgebers zum Lohnsteuer-Einbehalt (vgl. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 40 Rdnr. A 4) - zum Ausdruck. Es handelt sich mit dem Betriebsstätten-FA auf der einen Seite und dem Arbeitgeber auf der anderen Seite um dieselben Beteiligten wie bei der Anrufungsauskunft. Die Gründe, die den Senat bewogen haben, die Bindungswirkung der Anrufungsauskunft unter Abkehr von der früheren Rechtsprechung auf das Lohnsteuer-Abzugsverfahren zu beschränken, rechtfertigen eine darüber hinaus gehende Einschränkung daher nicht.

c) Bei einer anderen Auslegung könnte der Sinn und Zweck des § 42e EStG, den Arbeitgeber vor finanziellen Risiken zu schützen, die sich aus seiner Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug ergeben, unterlaufen werden. Denn zum einen kann sich - wie auch der Streitfall zeigt - ein erheblicher faktischer Druck auf den Arbeitgeber ergeben, einen Pauschalierungsantrag nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu stellen; zum anderen kann das FA unter bestimmten Voraussetzungen zwischen Lohnsteuer-Haftung und Lohnsteuer-Nachforderung wählen (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 2004 VI R 168/01, BFH/NV 2005, 357).

d) Auch der Umstand, dass nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die Nacherhebung nicht vorschriftsmäßig einbehaltener Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz einen Antrag des Arbeitgebers voraussetzt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn in dem Antrag liegt eine Zustimmung zu dem vereinfachten Verfahren. Der mit der Anrufungsauskunft bewirkte Vertrauenstatbestand wird dadurch nicht berührt.

e) Die vom FA zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidungen führen zu keinem anderen Ergebnis, weil sie mit dem Streitfall nicht vergleichbar sind.

Zwar hat der BFH im Urteil vom 11. Oktober 2000 I R 34/99 (BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291 unter II. 2. b dd) zwischen einer Freistellungsbescheinigung und einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft Ähnlichkeiten hinsichtlich des Antragsrechts des materiell betroffenen Steuerschuldners gesehen. Außerdem hat er es im Beschluss vom 26. Juli 1995 I B 200/94 (BFH/NV 1996, 311) bei summarischer Betrachtung für unvertretbar gehalten, die Inanspruchnahme des Steuerschuldners abzulehnen, wenn dieser aufgrund einer unrichtigen Sachverhaltsdarstellung eine Freistellungsbescheinigung erwirkt hat. Dabei ging es aber um die Frage, ob der Steuerschuldner gemäß § 50a Abs. 5 Satz 6 EStG in Anspruch genommen werden konnte, weil der Vergütungsschuldner die Vergütung nicht vorschriftsmäßig gekürzt hatte.

Zu entscheiden ist demgegenüber im Streitfall über die Nacherhebung der Lohnsteuer beim Arbeitgeber, der als Schuldner des Arbeitslohns dem Vergütungsschuldner in der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1996, 311 entspricht. Anders als dort geht es vorliegend weder um die Inanspruchnahme der Steuerschuldner - hier der Arbeitnehmer -, noch haben diese die Anrufungsauskunft - erst recht nicht durch eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung - erwirkt. Die für den Beschluss des BFH in BFH/NV 1996, 311 maßgeblichen Überlegungen lassen sich daher auf den Streitfall nicht übertragen.

3. Die Entscheidung des FG stimmt mit den dargelegten Grundsätzen überein. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).