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BFH-Urteil vom 23.5.2006 (VI R 21/03) BStBl. 2006 II S. 600

1. Ob und in welchem Umfang die Aufwendungen für das Herrichten eines häuslichen Arbeitszimmers für eine nachfolgende berufliche Tätigkeit als Werbungskosten abziehbar sind, bestimmt sich nach den zu erwartenden Umständen der späteren beruflichen Tätigkeit. Nicht entscheidend ist, ob die beabsichtigte berufliche Nutzung im Jahr des Aufwands bereits begonnen hat.

2. Bei einem Steuerpflichtigen, der eine in qualitativer Hinsicht gleichwertige Arbeitsleistung wöchentlich an drei Tagen an einem häuslichen Telearbeitsplatz und an zwei Tagen im Betrieb seines Arbeitgebers zu erbringen hat, liegt der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer.

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5.

Vorinstanz: FG München vom 23. Oktober 2002 10 K 2741/01 (EFG 2003, 928)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, inwieweit Aufwendungen im Zusammenhang mit der Einrichtung eines häuslichen Telearbeitsplatzes als Werbungskosten berücksichtigt werden können.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Versicherungsmathematiker bei einem Unternehmen der Versicherungswirtschaft (Arbeitgeber) beschäftigt. Im Frühjahr des Streitjahres 1998 teilte der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern in einem Rundschreiben mit, dass zukünftig die Möglichkeit zur Telearbeit bestehe und entsprechende Anträge ab Oktober 1998 eingereicht werden könnten. Grundsätzlich sollten sich dabei die zu Hause und die im Büro zu verbringenden Arbeitstage nach bestimmten, in der Mitteilung näher bezeichneten Modellen richten. Der Arbeitgeber koppelte die Einrichtung der Telearbeitsplätze an die Reduzierung betrieblicher Büroflächen und Schreibtische. Zum Schutz und zur Sicherheit gespeicherter personenbezogener und unternehmensinterner Daten hatte der Kläger zu Hause verschiedene Schutzmaßnahmen zu treffen. Ferner musste der häusliche Arbeitsraum bzw. Arbeitsplatz den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung gerecht werden. Die Technik stellte der Arbeitgeber zur Verfügung. Eine Aufwandsentschädigung für das Bereitstellen des häuslichen Arbeitszimmers wurde nicht gezahlt.

In seiner Einkommensteuer-Erklärung für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen in Höhe von 25.244 DM für das Einrichten des Telearbeitsplatzes bzw. die Renovierung eines Raumes in seinem Wohnhaus als Werbungskosten geltend. Dazu brachte der Kläger vor, der betreffende Raum werde von ihm seit dem Februar des Folgejahres 1999 im Rahmen der Telearbeit als häusliches Arbeitszimmer genutzt. Zu diesem Zweck habe der Raum vollständig renoviert werden müssen; die Renovierung sei Ende Oktober 1998 abgeschlossen worden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den beantragten Werbungskostenabzug zunächst in voller Höhe, weil dem Kläger im Streitjahr bei seinem Arbeitgeber ein Büro als betrieblicher Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe. Nachdem der Kläger im Klageverfahren eine Bescheinigung des Arbeitgebers des Inhalts vorgelegt hatte, dass der Kläger seit Februar 1999 wöchentlich an zwei Tagen im Unternehmen und an drei Tagen zu Hause gearbeitet hatte, erklärte sich das FA zu einer teilweisen Berücksichtigung der Aufwendungen in Höhe von 2.400 DM bereit und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid.

Die Klage, mit der der Kläger den Abzug sämtlicher Aufwendungen (mit Ausnahme bestimmter betragsmäßiger Einschränkungen) begehrt hatte, blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat unter Hinweis auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer seien schon deswegen nicht gegeben, weil der Kläger das betreffende Zimmer im streitigen Veranlagungszeitraum beruflich nicht genutzt habe. Auch wenn auf die künftige tatsächliche Nutzung des Arbeitszimmers abgestellt werde, sei der Abzug der streitigen Aufwendungen jedenfalls der Höhe nach auf den bereits anerkannten Betrag beschränkt. Aus den beim Arbeitgeber des Klägers praktizierten Modellen und aus der mit dem Kläger getroffenen Arbeitsvereinbarung ergebe sich, dass zwischen der zu Hause und der im Büro ausgeübten Telearbeit kein qualitativer Unterschied bestehe. Hinzu komme, dass der Kläger in zeitlicher Hinsicht etwa 40 v.H. der gesamten Kerntätigkeit im betrieblichen Büro ableisten müsse. Ein Mittelpunkt der gesamten künftigen beruflichen Tätigkeit des Klägers im häuslichen Arbeitszimmer sei somit nicht erkennbar. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 928 abgedruckt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Es lägen vorab entstandene Werbungskosten vor. Da der Schwerpunkt der künftigen Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer liege, seien die streitigen Aufwendungen in unbeschränkter Höhe abziehbar.

Der Kläger beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz waren die - der Höhe nach bisher nicht festgestellten - Aufwendungen für das Herrichten des zur Telearbeit bestimmten Arbeitszimmers unbeschränkt als Werbungskosten zu berücksichtigen.

1. Seit dem Veranlagungszeitraum 1996 sind die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht mehr als Werbungskosten abziehbar (§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Ein auf höchstens 2.400 DM (im Streitjahr; jetzt: 1.250 €) beschränkter Abzug ist nach Satz 2 i.V.m. Satz 3 Halbsatz 1 der letztgenannten Vorschrift u.a. dann möglich, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt. Die Beschränkung der Höhe nach gilt dann nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (Satz 3 Halbsatz 2 der Vorschrift).

2. Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob (ggf. in welchen Fällen) die genannten Abzugsbeschränkungen ohne weiteres auf Aufwendungen eines Arbeitnehmers für einen häuslichen Telearbeitsplatz übertragen werden können. Die Finanzverwaltung (vgl. Oberfinanzdirektion - OFD - Kiel, Rundverfügung vom 13. Dezember 1999, S 2145 A -St 233/S 2253 A- St 235, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2000, 632) geht offenbar selbst davon aus, dass bei den unterschiedlichsten Formen der Telearbeit - als Tätigkeit an einem dezentralisierten, externen bzw. örtlich ausgelagerten Arbeitsplatz - betriebliche Interessen des Arbeitgebers eine maßgebliche Rolle spielen. Insoweit könnten Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für einen Telearbeitsplatz auch derart zwangsläufig durch die Erwerbstätigkeit veranlasst sein, dass bereits der Anwendungsbereich der vorgenannten Vorschrift in Zweifel stehen kann (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 19 Rz. 60 Stichwort "Arbeitszimmer", unter 2. mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BVerfGE 107, 27, 46 ff., BStBl II 2003, 534, 540; Heuermann/ Wagner, Das gesamte Lohnsteuerrecht, Teil F Rz. 487; Drenseck, Finanz-Rundschau - FR - 2006, 1, 7).

3. Im Streitfall sind die Kosten für das Herrichten des künftigen Arbeitszimmers in einen Telearbeitsplatz auch unter Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 2 EStG in unbeschränkter Höhe abziehbar.

a) Ob und in welchem Umfang die Aufwendungen für das Herrichten eines häuslichen Arbeitszimmers für eine nachfolgende berufliche Tätigkeit als Werbungskosten abziehbar sind, bestimmt sich im Hinblick auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nach den zu erwartenden Umständen der späteren beruflichen Tätigkeit (zuletzt Senatsurteile vom 2. Dezember 2005 VI R 63/03, BStBl II 2006, 329, BFH/NV 2006, 871; vom 9. November 2005 VI R 19/04, BStBl II 2006, 328, BFH/NV 2006, 666). Darauf, ob die beabsichtigte berufliche Nutzung im Jahr des Aufwands bereits begonnen hat, kommt es dabei nicht an.

Der Werbungskostencharakter derartiger Aufwendungen ergibt sich erst aus der - anhand objektiver Indizien erkennbaren - Absicht des Steuerpflichtigen, das Arbeitszimmer nach Abschluss der Herrichtung zu beruflichen Zwecken verwenden zu wollen (vgl. Wüllenkemper, Anmerkung in EFG 2004, 1754). Die zu erwartenden Umstände dieser künftigen Nutzung sind daher auch dafür maßgeblich, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Vorbereitungsaufwendungen den bestehenden gesetzlichen Abzugsbeschränkungen unterliegen (gleicher Ansicht: Niedersächsisches FG, Urteil vom 20. August 2003 3 K 292/99, EFG 2004, 97; FG Düsseldorf, Urteil vom 14. Oktober 2004 10 K 4057/04 E, EFG 2005, 779; FG Nürnberg, Urteil vom 8. März 2001 IV 343/98, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst - DStRE - 2001, 681; Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 19 Rz. 60 Stichwort "Arbeitszimmer" unter 1.; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz. 567e; zustimmend Siegers, Anmerkung in EFG 2005, 781).

Dieser Auffassung steht auch nicht - wie das FG meint - das Prinzip der Abschnittsbesteuerung entgegen. Dieses verlangt nicht, außerhalb des Steuerabschnitts liegende Tatsachen und Umstände bei der periodischen Festsetzung der Einkommensteuer außer Acht zu lassen (vgl. Schmidt/Seeger, a.a.O., § 2 Rz. 68).

b) Im Streitfall unterliegen die Aufwendungen des Klägers nicht den gesetzlichen Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Denn es war abzusehen, dass sich der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers nach Aufnahme der Telearbeit im häuslichen Arbeitszimmer befinden würde.

aa) Ob das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Betätigung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 2 EStG) bildet, bestimmt sich nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) danach, ob der Steuerpflichtige dort diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind (qualitativer Mittelpunkt). Dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers kommt im Rahmen dieser Würdigung lediglich eine indizielle Bedeutung zu (z.B. Senatsurteile vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFHE 201, 106, BStBl II 2004, 59; VI R 82/01, BFHE 201, 93, BStBl II 2004, 62, und VI R 104/01, BFHE 201, 100, BStBl II 2004, 65; BFH-Urteile vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43; vom 16. Dezember 2004 IV R 19/03, BFHE 208, 263, BStBl II 2005, 212).

Auf der Grundlage dieses Verständnisses sind die gesetzlichen Voraussetzungen für einen unbeschränkten Werbungskostenabzug dann nicht erfüllt, wenn der qualitative Schwerpunkt einer Betätigung außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers liegt oder wenn der Aufgabenbereich eines Steuerpflichtigen so vielfältig und gestreut ist, dass seine Betätigung keinem konkreten Mittelpunkt zugeordnet werden kann (Senatsurteil vom 21. Februar 2003 VI R 14/02, BFHE 201, 305, BStBl II 2004, 68).

bb) Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG hat der Kläger an sämtlichen Wochentagen Arbeitsleistungen erbracht, die in qualitativer Hinsicht gleichwertig waren. Die daran anknüpfende Würdigung des FG, ein Betätigungsmittelpunkt des Klägers im häuslichen Arbeitszimmer sei jedoch nicht erkennbar, begegnet indessen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Im Streitfall wurde durch Einrichtung eines Telearbeitsplatzes - unter gleichzeitiger Reduzierung betrieblicher Büroflächen und Schreibtische - der betriebliche Arbeitsplatz zeitweise örtlich ausgelagert bzw. das betriebliche Büro ersetzt. Werden in einem solchen Falle gleichartige und damit in qualitativer Hinsicht gleichwertige Arbeitsleistungen (alternierend) an drei Tagen an einem häuslichen Arbeitsplatz und an zwei Tagen im Betrieb des Arbeitgebers erbracht, so kann sich der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung nur im häuslichen Arbeitszimmer befinden. Angesichts dieser qualitativen Wertung kommt - entgegen der Auffassung des FA - die Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 Halbsatz 1 EStG, die sich nur an quantitativen Merkmalen (mehr als 50 v.H. der Gesamttätigkeit) orientiert, nicht zur Anwendung.

Dass unter den gegebenen Umständen bereits im Streitjahr zu erwarten war, dass der häusliche Telearbeitsplatz zukünftig den Betätigungsmittelpunkt bilden würde, steht außer Frage.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Ob die Voraussetzungen für eine Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen im Übrigen (insbesondere der Höhe nach) vorliegen, hat das FG im ersten Rechtsgang offen gelassen. Die Sache geht daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.