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BFH-Beschluss vom 15.2.2006 (I B 87/05) BStBl. 2006 II S. 616

1. Eine Spontanauskunft an die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats der EU setzt tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung voraus, dass Steuern gerade dieses Mitgliedstaats verkürzt worden sind oder werden könnten.

2. Wenn im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Spontanauskunft (§ 2 Abs. 2 EGAHiG) nicht erfüllt sind, ist wegen der Gefahr einer nicht mehr rückgängig zu machenden Verletzung des subjektiven Rechts auf Wahrung des Steuergeheimnisses auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

AO 1977 §§ 30, 117; EGAHiG § 2 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln vom 27. April 2005 2 V 1095/05 (EFG 2005, 1322)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner), das gemäß Art. 1 und Art. 6 des Gesetzes zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom 22. September 2005 (BGBl I 2005, 2809) mit Wirkung vom 1. Januar 2006 an die Stelle des bisherigen Bundesamts für Finanzen (BfF) getretene Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), berechtigt ist, im Rahmen des zwischenstaatlichen Auskunftsaustauschs in Steuersachen der finnischen Steuerverwaltung eine Auskunft zu erteilen. Außerhalb dieses Verfahrens streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit von weiteren - mit der beabsichtigten Auskunft an Finnland im Zusammenhang stehenden - Auskunftsersuchen an die tschechische und die russische Steuerverwaltung.

Unternehmensgegenstand der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), einer GmbH, ist u.a. der Handel mit industriellen Ausrüstungen und Maschinen (Vermittlung bzw. Verkauf von Produkten dritter Herstellerfirmen). Der Alleingesellschafter der Antragstellerin ist zugleich als Geschäftsführer bestellt. Zur Herstellung und Abwicklung von Geschäftskontakten in Russland ist - auf der Grundlage eines Beratervertrages mit einer in Panama ansässigen Firma B - vertreten durch den russischen Staatsbürger K - ein selbständiges russisches Unternehmen eingeschaltet (auch als "Moskauer Repräsentanz" der Antragstellerin bezeichnet, ohne aber Betriebsstätte oder Niederlassung der Antragstellerin zu sein). Als Gegenleistung schuldet die Antragstellerin der B - die nach Erkenntnissen des Antragsgegners (Informationszentrale Ausland beim BfF) eine Domizilgesellschaft ohne eigenen Geschäftsbetrieb ist - 70 v.H. der Nettoerlöse (Gewinne) der in Russland betriebenen Geschäfte. Das Moskauer Büro wird von den Herren K und G - dieser ist ebenfalls russischer Staatsbürger - betrieben. Die Antragstellerin hat mit K und G darüber hinaus personenbezogene Beraterverträge geschlossen. K soll nach Auskunft der Antragstellerin als Bevollmächtigter "mehrerer Offshore-Firmen" auftreten.

Die N-Corporation mit Sitz in Finnland (N) ist Herstellerin u.a. von industriellen Ausrüstungsgegenständen. Diese Firma hatte Beratungsverträge mit der B - vertreten durch K - und mit G abgeschlossen; es sollten Geschäftsmöglichkeiten in Russland eröffnet werden. Die Vermittlung von Lieferungen erfolgte über die "Moskauer Repräsentanz" der Antragstellerin. Von 1999 bis 2000 zahlte die N Provisionen in Höhe von 6.792.730 DM. Auf Anweisung des K sowohl an die N als auch an die Antragstellerin erfolgten die einzelnen Zahlungen jedoch nicht nach Russland, sondern auf zwei Konten bei einer inländischen Sparkasse, über welche die Antragstellerin jeweils verfügungsberechtigt war. Zum einen hatte die Antragstellerin ein "Fremdgeldkonto" auf eigenen Namen, aber "für" die B angelegt ("Konto 1"); zum zweiten existierte ein Konto, das als Ausgleich von Belastungen durch die Verwendung von Kreditkarten für die Mitarbeiter der "Moskauer Repräsentanz" der Antragstellerin diente ("Konto 2"). Nach dem Eingang von Zahlungen auf dem "Konto 1" wurden durch die Antragstellerin Beträge von diesem Konto auf ein Konto des K in der Schweiz (auch insoweit bestand eine Bankvollmacht zugunsten der Antragstellerin) weitergeleitet. Von den insgesamt angefallenen Provisionszahlungen verblieb ein Betrag von 211.423 DM bei der Antragstellerin (offenbar als "Inkasso"-Provision).

Das Finanzamt S formulierte unter dem 1. September 2004 eine "Mitteilung nach Artikel 4 der EG-Amtshilfe-Richtlinie" an Finnland, der eine Zusammenstellung der Zahlungen beigefügt war; ebenfalls lagen Kopien von einigen Provisionsabrechnungen bei. Nachdem das BfF Einwendungen der Antragstellerin gegen die Übermittlung dieser Mitteilung entgegengetreten war, beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung der Auskunft zu untersagen. Das FG Köln erließ mit Beschluss vom 27. April 2005 2 V 1095/05 antragsgemäß eine einstweilige Anordnung (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005, 1322).

Mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde macht der Antragsgegner geltend, dass die Erteilung der Auskunft durch die Bestimmungen zur europäischen Amtshilfe abgedeckt sei.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des FG Köln aufzuheben und den Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprochen. Die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 und 3 FGO sind erfüllt.

1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Begehren der Antragstellerin, die Erteilung der Auskunft auf Dauer oder zumindest vorläufig zu unterlassen, im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO zu verfolgen ist (z.B. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2005 I B 218/04, BFH/NV 2005, 1503; Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Oktober 1997 VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424).

2. Die Antragstellerin hat einen Rechtsanspruch auf ein Unterlassen der Auskunft (§ 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches analog i.V.m. § 30 der Abgabenordnung - AO 1977 -; allgemein zu dieser Rechtsgrundlage Senatsbeschlüsse vom 29. April 1992 I B 12/92, BFHE 167, 11, BStBl II 1992, 645; vom 17. Mai 1995 I B 118/94, BFHE 177, 242, BStBl II 1995, 497) in ausreichender Weise glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

a) Die Informationen, die der Antragsgegner im Zuge der Ermittlungen des Finanzamts über die Geschäftstätigkeit der Antragstellerin erhielt, unterliegen gemäß § 30 AO 1977 dem Steuergeheimnis. Die Antragstellerin kann daher vom Antragsgegner verlangen, dass die dort tätigen Amtsträger (§ 7 AO 1977) und für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteten Personen (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977) dieses Geheimnis wahren (§ 30 Abs. 1 AO 1977) bzw. dass ihre Verhältnisse nicht unbefugt offenbart oder verwertet werden (§ 30 Abs. 2 und 4 AO 1977).

b) Die vom Antragsgegner beabsichtigte Auskunft wäre eine unbefugte Offenbarung der Verhältnisse der Antragstellerin, da sie durch Gesetz nicht ausdrücklich zugelassen ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Auskunft ohne besonderes Ersuchen (sog. Spontanauskunft) - § 117 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. dem Gesetz zur Durchführung der EG-Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten Steuern und der Mehrwertsteuer (EGAHiG - Art. 2 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735, mit späteren Änderungen) - sind nicht erfüllt.

aa) Das EGAHiG findet zwar Anwendung auf die Amtshilfe, die sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften gegenseitig u.a. bei der Festsetzung der Steuern vom Einkommen durch den Austausch von Auskünften leisten (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EGAHiG). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG können Auskünfte aber nur erteilt werden, wenn "tatsächliche Anhaltspunkte die Vermutung rechtfertigen", dass "Steuern dieses Mitgliedstaats verkürzt worden sind oder werden könnten".

bb) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist insoweit ausreichend, dass objektive Anhaltspunkte für eine tatsächliche oder mögliche Steuerverkürzung vorliegen (Senatsbeschluss in BFHE 177, 242, BStBl II 1995, 497; s. auch die Gesetzesbegründung in BTDrucks 12/3432, S. 98; Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 3. Februar 1999, BStBl I 1999, 228 Tz. 4.2.1; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 117 AO Rz. 264, m.w.N.).

cc) Für den Streitfall hat der Antragsgegner darauf verwiesen, dass für das Finanzamt die Vermutung bestehe, "dass Provisionen des Moskauer Büros über die Firma B. in das 'Steueroasenland' Panama geleitet werden und dass noch andere Personen Teile der Provisionszahlungen tatsächlich erhalten haben". Diese auf den Umstand "'verschlungener' Zahlungswege" gegründete Vermutung bezieht sich letztlich auf die Besteuerung der Provisionsempfänger in Russland oder Deutschland, nicht aber auf die Besteuerung der provisionszahlenden Firma in Finnland. Auch wenn es - wie der Antragsgegner hervorhebt - nicht darauf ankommt, dass eine Steuerfestsetzung im anderen Vertragsstaat wahrscheinlich ist (Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 1995 I B 92/94, BFHE 177, 25, BStBl II 1995, 358; in BFH/NV 2005, 1503), muss doch ein konkreter Bezugspunkt zu einer dortigen Steuerfestsetzung erkennbar sein. Dass es zu einem Rückfluss (eines Teils) der Provisionen zur zahlenden Firma gekommen sein könnte, ist aber nicht Gegenstand der Vermutung. Soweit die Auskunft den finnischen Fiskus in die Lage versetzen könnte, in einer Parallelwertung zu § 160 AO 1977 den Empfängernachweis für die formell der B geschuldeten Provisionen zu verlangen, bzw. nach der Einschätzung des Antragsgegners "je nach tatsächlichem Empfänger der Provisionsleistungen bzw. bei verbleibenden Zweifeln oder nicht aufzuklärendem tatsächlichem Empfänger der Provisionsleistungen gegebenenfalls ein steuerliches Abzugsverbot der entsprechenden Ausgaben in Finnland eintreten könne", ist dies jedenfalls nicht dem in § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG angesprochenen Bereich der "Steuerverkürzung" unterzuordnen (zur begrifflichen Gleichstellung mit §§ 370, 378 AO 1977 s. z.B. Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 264, m.w.N.).

3. Die Antragstellerin hat auch den notwendigen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Im Streitfall droht eine Verletzung des subjektiven Rechts der Antragstellerin auf Wahrung des Steuergeheimnisses durch eine nicht durch eine Rechtsgrundlage abgedeckte Auskunft; diese Verletzung könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden (s. insoweit BFH-Urteil vom 29. Juli 2003 VII R 39, 43/02, BFHE 202, 411, BStBl II 2003, 828) und kann nur durch den Erlass der einstweiligen Anordnung aufgehalten werden.