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BFH-Urteil vom 11.5.2006 (V R 33/03) BStBl. 2006 II S. 699

Eine Minderung des Kaufpreises einer Ware liegt nicht vor, wenn der Käufer vom Verkäufer zur Ware einen Chip erhält, der zum verbilligten Bezug von Leistungen eines Dritten berechtigt, und der Kunde den vereinbarten Kaufpreis für die Ware unabhängig davon, ob er den Chip annimmt, zu zahlen hat und die Rechnung über den Warenkauf diesen Kaufpreis ausweist.

UStG 1991/1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1, § 17 Abs. 1; Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 6.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 11. April 2003 9 K 550/98 (EFG 2004, 68)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob sich der Kaufpreis einer Ware mindert, wenn der Käufer zur Ware einen Chip erhält, der ihn zum verbilligten Bezug von Leistungen Dritter berechtigt.

Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1991 bis 1995 in R ein Kaufhaus. Sie wurde Mitglied der "Gemeinschaft Handelsstadt R e.V.", die Trägerin des "R Chip-Systems" war. Zweck dieses Systems war die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und der Parkmöglichkeiten in den Parkhäusern der Stadt. Hierzu wurde die "Fachgruppe Chip-System in der Gemeinschaft Handelsstadt R e.V." gegründet. Nach deren Geschäftsordnung gaben die Beteiligten, zu denen auch die Klägerin gehörte, an ihre Kunden bei einem Kauf- oder Dienstleistungsgeschäft mit einem Mindestumsatz von 25 DM einen Chip aus. Der Chip wurde an die Beteiligten des Chip-Systems zu einem Betrag von 0,55 DM ausgegeben, von dem 0,05 DM auf die Werbung und Verwaltung des Systems entfielen; jeder zurücklaufende Chip wurde von der Stadt R mit 0,20 DM bezuschusst, so dass die Beteiligten für den Chip im Ergebnis 0,35 DM (zuzüglich Umsatzsteuer auf die Kosten für Werbung und Verwaltung von 0,05 DM) zu zahlen hatten.

Der Wert des Chips war nach § 9 der Geschäftsordnung auf 0,50 DM festgelegt; zu diesem Wert konnten die Kunden den Chip bei Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs und verschiedenen Parkhausbetreibern einlösen. Die Unternehmen, bei denen die Chips in Zahlung genommen wurden, reichten diese bei der Kreissparkasse zu Lasten des Kontos der Gemeinschaft Handelsstadt R e.V. zum Wert von 0,50 DM ein.

Im Streitjahr 1994 wurde eine GmbH gegründet, welche fortan die Abwicklung des Chip-Systems übernahm.

Die Klägerin sah in der Ausgabe der Chips an ihre Kunden eine Entgeltminderung für ihre Warenlieferungen. Die Umsatzsteuer auf die Kosten für Verwaltung und Werbung (0,05 DM pro Chip) machte sie als Vorsteuer geltend.

Im Anschluss an eine Außenprüfung verneinte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) eine Entgeltminderung.

Die nach erfolglosen Einsprüchen erhobene Klage, mit der die Klägerin eine Entgeltminderung in Höhe von 0,50 DM pro ausgegebenem Chip geltend machte, hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte eine Entgeltminderung in Höhe von 0,30 DM pro ausgegebenem Chip an.

Gegen dieses Urteil haben das FA und die Klägerin Revision eingelegt.

Das FA meint, es liege keine Entgeltminderung vor, die Klägerin gebe den Chip nur aus Anlass der Warenlieferung zur übergreifenden Kundenpflege als Zugabe im Sinne einer freigebigen Leistung hin.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verfolgt ihr ursprüngliches Klageziel weiter. Sie meint, die Chips seien entsprechend den Grundsätzen der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 15. Oktober 2002 Rs. C-427/98, Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland (Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328) und vom 16. Januar 2003 Rs. C-398/99, Yorkshire Cooperatives Ltd. (Slg. 2003, I-427, BStBl II 2004, 335) in Höhe ihres Wertes als Zahlungsmittel zu behandeln und führten zu einer entsprechenden Entgeltminderung.

Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 1991 bis 1995 dahin gehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer im Verhältnis zur Vorentscheidung

für das Jahr 1991 um weitere 1.743,90 DM (891,64 €)

für das Jahr 1992 um weitere 2.117,60 DM (1.082,71 €)

für das Jahr 1993 um weitere 3.155,68 DM (1.613,47 €)

für das Jahr 1994 um weitere 2.399,36 DM (1.226,77 €)

und

für das Jahr 1995 um weitere 2.336,67 DM (1.194,72 €)

niedriger festgesetzt wird.

Entscheidungsgründe

II.

A. Revision des FA

Die Revision des FA ist begründet. Die Chips, die die Klägerin ihren Kunden ausgegeben hat, führen zu keinen Minderungen des Entgelts für die Warenlieferungen der Klägerin.

1. Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Umsatzsteuergesetzes 1991/1993 (UStG) geändert, so haben

- der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag und

- der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG).

Bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) wird der Umsatz nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG). Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG).

Maßgebend für die Höhe des Entgelts ist, was der Leistungsempfänger vereinbarungsgemäß für die Leistung aufwendet. Dem entspricht, dass die zunächst maßgebende vereinbarte Bemessungsgrundlage durch eine nachträgliche Vereinbarung mit umsatzsteuerrechtlicher Wirkung verändert (erhöht oder ermäßigt) werden kann, und dass diese die endgültige Bemessungsgrundlage für die Besteuerung ergibt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 2003 V R 72/01, BFHE 201, 335, BStBl II 2003, 620; vom 30. November 1995 V R 57/94, BFHE 179, 453, BStBl II 1996, 206, m.w.N.; vom 12. Januar 2006 V R 3/04, BFH/NV 2006, 1029).

2. Die Kunden der Klägerin haben für die von ihr gelieferten Waren den vereinbarten Kaufpreis aufgewendet. Soweit sie zusätzlich zur Ware noch einen Chip bekamen, haben sie weder zusätzlich zur Ware auch noch den Chip (zu einem Gesamtkaufpreis) gekauft noch einen Teil des in der Rechnung ausgewiesenen Kaufpreises für die Ware in Form des Chips zurückerstattet bekommen.

Legt der Unternehmer der verkauften Ware ein Werbegeschenk oder einen sonstigen Gegenstand von geringem Wert bei, so berührt dies den vereinbarten Kaufpreis regelmäßig nicht; vielmehr ist das Werbegeschenk eine zusätzliche unentgeltliche Leistung. Eine Minderung des Entgelts für den Warenbezug liegt insoweit nicht vor. Dasselbe gilt, wenn der Ware im allgemeinen Werbeinteresse ein Gutschein oder ein Chip beigelegt wird, der für Leistungen eines Dritten eingelöst werden kann (vgl. EuGH-Urteil vom 27. April 1999 Rs. C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg. 1999, I-2323, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1999, 278 und Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 2005 Abschn. 224 Abs. 1 Beispiel 2).

Dies gilt nicht nur für unentgeltliche Zuwendungen, die nach Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) - ab 1999 § 3 Abs. 1 b Nr. 3 UStG - besteuert werden, sondern für alle unentgeltlichen Leistungen, die mit einem Kauf verbunden sind, gleichgültig, ob die unentgeltliche Leistung der Besteuerung unterliegt oder nicht. Entscheidend ist, dass die Kunden den vereinbarten Endverkaufspreis für die Ware unabhängig davon, ob sie den Gutschein oder Chip annehmen, zu zahlen haben und die Rechnungen über den Warenkauf diesen Endverkaufspreis ausweisen; die Rechnungen berechtigen dann unter den Voraussetzungen des § 15 UStG auch insoweit zum Vorsteuerabzug (vgl. RandNr. 31 des EuGH-Urteils Kuwait Petroleum in Slg. 1999, I-2323, UR 1999, 278 und RandNr. 75 des EuGH-Urteils Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland in Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328). Dementsprechend liegt auch keine Minderung des Kaufpreises einer Ware vor, wenn der Verkäufer der Ware einen Gutschein oder Chip beilegt, der zum verbilligten Bezug von Leistungen eines Dritten berechtigt, und der Kunde den vereinbarten Kaufpreis für die Ware unabhängig davon, ob er den Gutschein oder Chip annimmt, zu zahlen hat und die Rechnung über den Warenkauf diesen Kaufpreis ausweist.

So lagen die Dinge auch im Streitfall. Insbesondere können die Chips nicht als allgemeines Zahlungsmittel - und damit als "Bargeld" - angesehen werden. Denn sie berechtigten nur dazu, bestimmte Leistungen Dritter (Parkhäuser und öffentlicher Nahverkehr) verbilligt zu beziehen.

3. Die streitigen Chips können nicht mit den Preisnachlassgutscheinen gleichgesetzt werden, die Gegenstand des EuGH-Urteils vom 24. Oktober 1996 Rs. C-317/94, Elida Gibbs (Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324) sowie der Urteile Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland in Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328 und Yorkshire Cooperatives Ltd. in Slg. 2003, I-427, BStBl II 2004, 335 waren. Ein derartiger Preisnachlassgutschein scheidet bereits deshalb aus, weil die Chips nicht von den Kunden der Klägerin bei dieser beim Kauf von Waren eingelöst werden können, die Kunden vielmehr den vollen Warenpreis zahlen müssen (s. dazu auch BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1029).

Ebenso wenig können die Chips mit Preiserstattungsgutscheinen i.S. des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324 gleichgesetzt werden. Unter derartigen Preiserstattungsgutscheinen sind Gutscheine zu verstehen, die der gekauften Ware beiliegen, und in denen der Hersteller der Ware (oder sein Vertreter) dem Käufer verspricht, gegen Einsendung des Gutscheins einen Teil des an den Einzelhändler gezahlten Kaufpreises in bar zu erstatten (vgl. RandNr. 11 des Urteils Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland in Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324). Ein derartiger Preiserstattungsgutschein scheidet aus, weil der Kunde der Klägerin den Chip weder bei der Klägerin noch bei einem vorgeschalteten Warenlieferanten (oder sonstigen Unternehmen in der Unternehmerkette) einlösen kann, die Einlösung nicht in Geld erfolgt und mit ihm nicht der bezahlte Kaufpreis zum Teil zurückerstattet wird, sondern lediglich das Recht erworben wird, Leistungen Dritter kostenlos oder verbilligt zu beziehen.

B. Revision der Klägerin

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Da eine Entgeltminderung nicht vorliegt, ist die Frage, ob diese mit dem Wert des Chips oder mit den Aufwendungen der Klägerin zu bemessen ist, gegenstandslos.