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BFH-Urteil vom 9.8.2006 (I R 10/06) BStBl. 2007 II S. 82

Ein Steueranspruch ist auch dann gemäß § 233a AO 1977 zu verzinsen, wenn sich infolge der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags keine Abweichung zwischen der neu festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer ergibt.

AO 1977 § 233a.

Vorinstanz: FG München, Außensenate Augsburg, vom 17. Januar 2006 6 K 4421/05 (EFG 2006, 863)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977).

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Verein, gab für das Streitjahr (2000) zunächst keine Körperschaftsteuererklärung ab. Daraufhin erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen geschätzt waren. Er ging darin von einem Einkommen in Höhe von 7.500 DM aus und setzte die Steuer auf 0 € fest.

Im Oktober 2003 gab der Kläger eine Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2001 ab. Daraufhin setzte das FA im Mai 2004 die Körperschaftsteuer 2001 auf 0 € fest, wobei es von Einkünften in Höhe von ./. 126.662 DM ausging.

Im März 2004 ging beim FA eine Körperschaftsteuererklärung des Klägers für das Streitjahr ein, in der ein zu versteuerndes Einkommen von 42.963 DM erklärt wurde. Daraufhin erließ das FA am 11. Mai 2004 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid, in dem bei einer Summe der positiven Einkünfte von 23.962 DM und einem Verlustrücktrag in Höhe von ebenfalls 23.962 DM die Steuer erneut auf 0 € festgesetzt wurde. Ferner erging am 18. April 2005 ein Bescheid, in dem für den Zeitraum vom 1. April 2002 bis zum 1. April 2003 Zinsen zur Körperschaftsteuer 2000 in Höhe von 201 € festgesetzt wurden. Dieser Zinsberechnung wurde eine fiktive Steuer in Höhe von 3 350 € zu Grunde gelegt; dabei handelt es sich um denjenigen (abgerundeten) Betrag, der sich für das Streitjahr ohne Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus 2001 ergeben hätte.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) München, Außensenate Augsburg, hob den Bescheid auf. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 863 abgedruckt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 233a AO 1977. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Der angefochtene Zinsbescheid ist rechtmäßig.

1. Nach § 233a Abs. 1 AO 1977 ist, wenn die Festsetzung der Körperschaftsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3 AO 1977 führt, dieser zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Der für die Verzinsung maßgebliche Unterschiedsbetrag bemisst sich nach der festgesetzten Steuer abzüglich der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und der bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977); wird die Steuerfestsetzung später geändert, so ist für die Zinsberechnung der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer - jeweils vermindert um anzurechnende Steuerabzugsbeträge und anzurechnende Körperschaftsteuer - maßgeblich (§ 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Auf dieser Basis ergibt sich im Streitfall, in dem sowohl im Bescheid vom 11. Mai 2004 als auch in dem vorausgegangenen Bescheid die Steuer auf 0 € festgesetzt worden ist, ein Unterschiedsbetrag in Höhe von 0 €. Daraus hat das FG abgeleitet, dass Zinsen nicht entstanden sein können.

2. Jedoch enthält § 233a AO 1977 in Abs. 2a und Abs. 7 Sonderregelungen, die u.a. die hier vorliegende Fallgestaltung betreffen, in der die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines Verlustabzugs nach § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes beruht. In einem solchen Fall beginnt zum einen der Zinslauf - abweichend von der in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 getroffenen Regelung - 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verlust entstanden ist (§ 233a Abs. 2a AO 1977). Zum anderen ist dann der in § 233a Abs. 3 AO 1977 definierte Unterschiedsbetrag in Teil-Unterschiedsbeträge aufzuteilen, für die jeweils gesonderte Zinsläufe anzusetzen und auf dieser Grundlage gesonderte Zinsen zu berechnen sind (§ 233a Abs. 7 Satz 1 AO 1977). Diese Vorschriften greifen im Streitfall ein.

Sie führen hier dazu, dass der sich für das Streitjahr ergebende Unterschiedsbetrag von 0 € in einen positiven Teil-Unterschiedsbetrag einerseits und einen gleich hohen negativen Teil-Unterschiedsbetrag andererseits aufzuteilen ist. Für den positiven Betrag beginnt der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 am 1. April 2002; der durch den Verlustrücktrag ausgelöste negative Betrag kann dagegen gemäß § 233a Abs. 2a AO 1977 erst zum 1. April 2003 berücksichtigt werden, so dass sich für die Zwischenzeit eine Verzinsung nach Maßgabe des positiven Betrags ergibt. Dieser Rechtslage entsprechend ist das FA in dem angefochtenen Bescheid verfahren.

3. Das FG ist davon ausgegangen, dass § 233a Abs. 2a und Abs. 7 AO 1977 im Streitfall nicht eingriffen. Denn nach § 233a Abs. 1 AO 1977 scheide die Zinspflicht schon dem Grunde nach aus, wenn die Differenz zwischen der neu festgesetzten und der zuvor festgesetzten Steuer Null betrage; § 233a Abs. 2a und Abs. 7 AO 1977 regelten nur die Höhe der anfallenden Zinsen, auf die es aber in einer solchen Situation nicht ankomme. Der Senat hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes diese Sicht für nicht zweifelsfrei verfehlt erachtet (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2005 I B 115/05, BFH/NV 2006, 475). Bei abschließender Prüfung der Rechtslage vermag er ihr jedoch nicht zu folgen:

a) Nach § 233a Abs. 7 Satz 2 AO 1977 sind, wenn einem sich zunächst ergebenden Teil-Unterschiedsbetrag später ein gegenläufiger anderer Teil-Unterschiedsbetrag nachfolgt, beide Beträge für Zwecke der Zinsberechnung getrennt voneinander zu betrachten. Dass dies nur dann gelten soll, wenn die Beträge des positiven und des negativen Teil-Unterschiedsbetrags ungleich sind, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Deshalb ist davon auszugehen, dass die in § 233a Abs. 7 AO 1977 getroffene Regelung auch diejenige Situation erfassen soll, in der ein positiver mit einem gleich hohen negativen Teil-Unterschiedsbetrag zusammentrifft.

b) Angesichts dessen spricht schon der Gesetzeswortlaut dafür, dass es auch in dieser Situation zu einer Verzinsung kommen kann. Denn § 233a Abs. 1 AO 1977 spricht von "einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3", nimmt also u.a. Bezug auf die in § 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 enthaltene Definition dieses Begriffs. Diese Definition wird jedoch in der hier zu beurteilenden Situation durch § 233a Abs. 7 Satz 1 AO 1977 überlagert, nach dem Abs. 3 "mit der Maßgabe" anzuwenden ist, dass der Unterschiedsbetrag in den Fällen des § 233a Abs. 2a AO 1977 in verschiedene Teil-Unterschiedsbeträge aufgeteilt wird. Hierdurch wird der Begriff "Unterschiedsbetrag" für bestimmte Gestaltungen speziell definiert, was auf dem Weg über § 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 auf Abs. 1 der Vorschrift durchschlägt. Angesichts dessen ist § 233a Abs. 1 AO 1977 so zu lesen, dass der dort genannte "Unterschiedsbetrag" ggf. aus mehreren Teil-Unterschiedsbeträgen bestehen kann, die schon bei der Frage nach der Zinspflicht dem Grunde nach getrennt voneinander zu betrachten sind. Mithin wird allein dadurch, dass das Zusammentreffen jener Teil-Unterschiedsbeträge zu einem Gesamt-Unterschiedsbetrag von Null führt, die Zinspflicht nicht ausgeschlossen.

c) Eine hiervon abweichende Auslegung des § 233a AO 1977 würde zudem zu kaum verständlichen Folgen führen. So greift § 233a Abs. 7 AO 1977 - unter Beachtung von § 238 Abs. 2 AO 1977 - zweifelsfrei ein, wenn ein positiver und ein negativer Teil-Unterschiedsbetrag zusammentreffen und die sich aus ihnen ergebende Differenz 1 € beträgt; in einer solchen Situation kann mithin dadurch, dass hinsichtlich der einzelnen Teil-Unterschiedsbeträge der Zinslauf zu unterschiedlichen Zeiten beginnt, eine Verzinsung ausgelöst werden. Ebenso ist für die Anwendung des § 233a Abs. 7 AO 1977 unerheblich, ob der positive oder der negative Unterschiedsbetrag überwiegt. Dass der Gesetzgeber allein den Sonderfall, in dem beide betragsmäßig gleich sind, nach gänzlich abweichenden Regeln behandelt wissen will, ist nicht anzunehmen. Ferner weist das FA zu Recht darauf hin, dass bei einer dahin gehenden Gesetzesauslegung die Zinspflicht davon abhängen könnte, in welcher zeitlichen Reihenfolge die einzelnen Veranlagungen erfolgen. Und schließlich würden Zinsen auch dann anfallen, wenn die Bescheidlage derjenigen im Streitfall entspräche, die zunächst entstandene Steuer für das Streitjahr aber zum Teil durch Vorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträge abgedeckt worden wäre; die Handhabung seitens des FG bevorzugt den Kläger mithin insoweit allein deshalb, weil er auf seine ursprüngliche Steuerschuld keinerlei Zahlungen geleistet hat. Das widerspricht dem Gedanken einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung, der bei der Auslegung des § 233a AO 1977 ebenfalls zu berücksichtigen ist.

d) Im Ergebnis muss die Auslegung deshalb dahin gehen, dass sich nach Maßgabe des § 233a Abs. 2a und Abs. 7 AO 1977 eine Zinspflicht auch dann ergeben kann, wenn in einem Steuerbescheid einerseits höhere Einkünfte als zuvor und andererseits ein bislang nicht berücksichtigter Verlustrücktrag angesetzt werden und dies per saldo nicht zu einer Änderung der festgesetzten Steuer führt. Hiernach sind im Streitfall Zinsen angefallen. Dass die Berechnung dieser Zinsen durch das FA fehlerhaft sei, ist weder vom Kläger geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Damit erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig.