| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 18.8.2005 (V R 42/02) BStBl. 2007 II S. 137

1. Die Besteuerungsgrundlage für Umsätze aus der Veranstaltung eines Wettbewerbs ist der Gesamtbetrag der vom Veranstalter eingenommenen Teilnahmegebühren, wenn der Veranstalter über diese Beträge frei verfügen kann (Anschluss an EuGH-Urteil vom 17. September 2002 Rs. C-498/99, Town & County Factors Ltd., Slg. 2002, I-71/73).

2. Eine Brieftaubenvereinigung hat die Wettumsätze, die sie an die Wett-Teilnehmer ausführt, mit den vollen Wetteinsätzen (ohne Abzug der wieder ausgeschütteten Gewinne) zu versteuern.

UStG 1993/1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1; Richtlinie 77/388/EWG Art. 2 Nr. 1 und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Münster vom 14. Mai 2002 15 K 6731/01 U (EFG 2003, 126)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Er veranstaltet Wettbewerbsflüge mit Brieftauben, und bietet Züchtern, die Tauben bei den Flügen starten lassen, die Möglichkeit, in verschiedenen Gewinnklassen auf die jeweils von ihnen selbst zu dem Wettbewerbsflug mitgegebenen Vögel Geldwetten abzuschließen. Der Kläger schüttet die Wetteinsätze in den verschiedenen Gewinnklassen unter den sich an der Wette beteiligenden Züchtern der jeweils am schnellsten heimkehrenden Tauben als Gewinn aus. Nach den Spielbedingungen verbleiben dem Kläger nur die nicht als Gewinn ausgeschütteten Einsätze, nämlich dann, wenn ein Drittel aller gestarteten Tauben nicht binnen der Wettbewerbsdauer das Flugziel, ihren Heimatschlag, erreichen.

In seinen Umsatzsteuer-Erklärungen für 1996 bis 1999 erfasste der Kläger alle Spieleinsätze ohne Rücksicht auf die Quote der jeweiligen Gewinnausschüttung als steuerpflichtigen Bruttoumsatz.

Im März 2001 beantragte der Kläger eine Änderung der Bescheide für 1996 bis 1999 mit der Begründung, Bruttobemessungsgrundlage für die Spielumsätze seien nur die nicht als Gewinn ausgeschütteten Wetteinsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Änderungsantrag ab (Bescheid vom 11. April 2001).

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es vertrat unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 27. März 1990 Rs. C-126/88, Boots Company (Slg. 1990, I-1235) und die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Januar 1997 V R 20/95 (BFHE 182, 409), vom 30. Januar 1997 V R 27/95 (BFHE 182, 416) und vom 15. April 1998 V B 148/97 (BFH/NV 1998, 1274) die Auffassung, die Einsätze, die wieder als Gewinn ausgeschüttet würden, könnten nicht als Entgelt für die an die Wetter erbrachten Leistungen angesehen werden, sofern die Gewinnausschüttung von vornherein zwingend feststehe. Im Streitfall habe aufgrund der Wettbedingungen von vornherein zwingend festgestanden, dass die Wetteinsätze mit Ausnahme derjenigen in den Gewinnklassen, in denen ein Drittel aller gestarteten Tauben nicht innerhalb der Wettbewerbsdauer ihren Heimatschlag erreichten, als Gewinn ausgeschüttet würden. Nach den Wettbewerbsbedingungen, deren Einhaltung die Wetter unmittelbar vor Ort kontrollierten, verblieben dem Kläger - wie vorgesehen - nur die nicht als Gewinn ausgeschütteten Einsätze als Gegenleistung für seine Dienste gegenüber den Wettern.

Hiergegen wendet sich das FA mit der - vom BFH zugelassenen - Revision. Es rügt Verletzung von § 10 des Umsatzsteuergesetzes 1993 und 1999 (UStG). In diesem Zusammenhang verweist es auf das EuGH-Urteil vom 17. September 2002 Rs. C-498/99, Town & County Factors Ltd. (Slg. 2002, I-7173, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht - UVR - 2002, 352 mit Anm. Wagner), nach dem der Gesamtbetrag der vom Veranstalter eines Wettbewerbs eingenommenen Teilnahmegebühren die Besteuerungsgrundlage für diesen Wettbewerb bilde, wenn der Veranstalter über diesen Betrag frei verfügen könne.

Es beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er meint, er habe über die Wettgelder nicht frei verfügen können; die Wettgelder seien getrennt aufbewahrt worden und grundsätzlich für Gewinnausschüttungen zu verwenden gewesen. Er habe die Wetteinsätze nur treuhänderisch entgegengenommen. Er habe nicht gegen die Wett-Teilnehmer gespielt, vielmehr hätten diese das Spiel unter sich ausgemacht; er habe lediglich die Wetten für die Teilnehmer organisiert.

Der Senat hat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 24. Juli 2003 bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-462/02 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Begründung ausgesetzt, die Entscheidung des EuGH könne - was die Bemessung der Umsätze anbelangt - auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung sein.

Der EuGH hat die Rechtssache C-462/02 mit der Rechtssache C-453/02 verbunden und mit Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02, Edith Linneweber, und C-462/02, Savvas Akritidis (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2005, 194) entschieden:

"1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG ... ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388 hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern."

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Mit Ergehen des EuGH-Urteils Linneweber/Akritidis (UR 2005, 194) endete die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens. Es war wieder aufzunehmen.

2. Die Vorentscheidung ist bereits deshalb aufzuheben, weil das FG nicht geprüft hat, ob die abgabenrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Änderung der Steuerfestsetzungen vorlagen. Nach den dem Senat vorliegenden Akten ist der Vorbehalt der Nachprüfung in dem Umsatzsteuerbescheid für 1996 am 14. September 1998 aufgehoben worden.

3. Das Urteil verletzt auch materielles Umsatzsteuerrecht.

a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG). Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG).

b) Dem entsprechen die Bestimmungen der Art. 2 Nr. 1 und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer (Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG). Besteuerungsgrundlage ist "alles was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger ... erhält oder erhalten soll" (Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG).

Nach dem EuGH-Urteil Town & County Factors Ltd. (Slg. 2002, I-7173, UVR 2002, 352) ist Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass der Gesamtbetrag der vom Veranstalter eines Wettbewerbs eingenommenen Teilnahmegebühren die Besteuerungsgrundlage für diesen Wettbewerb bildet, wenn der Veranstalter über diesen Betrag frei verfügen kann.

Der EuGH hatte zwar im Urteil vom 5. Mai 1994 Rs. C-38/93, Glawe (Slg. 1994, I-1697) entschieden, dass bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze besteht, über den er effektiv selbst verfügen kann. Nach diesem Urteil ist Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass bei solchen Automaten der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört. Wie der EuGH im Urteil Town & County Factors Ltd. in Slg. 2002, I-7173, UVR 2002, 352 (RandNr. 30) klargestellt hat, war für jene Geldautomaten kennzeichnend, dass sie im Einklang mit durch Gesetz zwingend vorgeschriebenen Verpflichtungen so konzipiert waren, dass ein bestimmter Mindestprozentsatz, nämlich 60 %, der von den Spielern geleisteten Einsätze als Gewinn an die Spieler ausgeschüttet wurde und dass diese Einsätze technisch und gegenständlich von den Einsätzen getrennt waren, die der Betreiber tatsächlich für sich verbuchen konnte. Die Grundsätze des Urteils Glawe können deshalb nicht auf andere Spiele ausgedehnt werden, bei denen eine Mindestausschüttung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist und die wieder ausgeschütteten Einsätze nicht technisch und gegenständlich von den Einsätzen getrennt sind, die der Betreiber tatsächlich für sich verbuchen kann.

c) Diese Rechtsprechung des EuGH ist auch bei der Anwendung der Vorschriften des UStG zu beachten. Soweit die in der Vorentscheidung zitierte BFH-Rechtsprechung den Grundsätzen des Urteils in UVR 2002, 352 nicht entspricht, hält der Senat hieran nicht mehr fest.

d) Aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts ist davon auszugehen, dass der Kläger an die Wett-Teilnehmer steuerpflichtige Wettumsätze ausgeführt hat. Es mag zwar sein, dass die - vom FG erwähnte - Auszahlung der Gewinne an und für sich keine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne ist, sie kann aber Teil einer steuerpflichtigen Dienstleistung sein, die auf die Befriedigung der Spiellust der Wett-Teilnehmer gerichtet ist.

Um diese Leistungen zu erhalten, haben die Wett-Teilnehmer die Wetteinsätze aufgewendet; für diese Umsätze hat der Kläger die Wetteinsätze erhalten. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt. Demnach sind die Wettumsätze, die der Kläger an die Wett-Teilnehmer ausgeführt hat, mit den vollen Wetteinsätzen (ohne Abzug der wieder ausgeschütteten Gewinne) zu versteuern.

Entgegen der Auffassung des Klägers lassen die Feststellungen des FG keinen Raum für die Annahme, er (der Kläger) habe über die Wettgelder nicht frei verfügen können; er habe die Wetteinsätze nur treuhänderisch entgegengenommen. In der Vorentscheidung (Seite 5 unten) ist von den "eingenommenen Wetteinsätzen" die Rede. Der Kläger selbst hat die Wetteinsätze ursprünglich als Entgelt versteuert; erst aufgrund des EuGH-Urteils Glawe hat er geglaubt, die wiederausgeschütteten Wetteinsätze nicht versteuern zu müssen. Diese Rechtsauffassung hat sich aber - wie dargelegt - als unzutreffend erwiesen.

Unerheblich ist, ob der Kläger die Wettgelder getrennt - von seinen sonstigen Geldern - aufbewahrte. Entscheidend ist, dass die wieder ausgeschütteten Einsätze nicht technisch und gegenständlich von den bei dem Kläger endgültig verbleibenden Einsätzen getrennt wurden und eine Mindestausschüttung nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben war.

Da der Kläger (und nicht eine neben dem Kläger bestehende Gemeinschaft der Mitspieler) die Wetteinsätze vereinnahmt hat, hat auch der Kläger die Wettumsätze an die Wett-Teilnehmer ausgeführt; entgegen der Ansicht des Klägers haben nicht die Spieler untereinander gewettet.