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BFH-Urteil vom 26.9.2006 (X R 39/05) BStBl. 2007 II S. 222

Ein gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kraft Gesetzes ruhendes Einspruchsverfahren kann nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 fortgesetzt werden. Eine solche Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Diese muss daher ihre Ermessenserwägungen offenlegen.

AO 1977 § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 363 Abs. 2; FGO § 102 Satz 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 20. Oktober 2005 15 K 4546/03 E (EFG 2006, 240)

Sachverhalt

I.

Die verheiratete Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Streitjahr 2001 getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Sie legte gegen den für dieses Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 2002 Einspruch ein und beantragte, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Zur Begründung ihres Einspruchs trug sie vor, dieser richte sich gegen die Struktur der Einkommensteuer und der damit verbundenen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen sowie der Steuerlast. Die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung sei nicht mehr gegeben.

Der Einspruch richte sich gegen die Höhe der Abzugsfähigkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Diese seien in voller Höhe entweder als Werbungskosten oder aber nach § 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Ferner sei bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und den sonstigen Einkünften ein dem Sparerfreibetrag vergleichbarer Freibetrag zu berücksichtigen. Auch widerspreche die Kürzung des Vorwegabzugs im Rahmen von § 10 Abs. 3 Satz 2 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) dem System der Rentenversicherung und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und sei daher verfassungswidrig. Zudem richte sich der Einspruch gegen die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen, die zum Teil durch das Arbeitsverhältnis veranlasst seien, aber den sog. gemischten Aufwendungen zugeordnet würden. Gerügt werde auch die Besteuerungspraxis hinsichtlich der Zinseinnahmen. Diese Praxis habe zur Folge, dass auch die Besteuerung der Arbeitnehmer verfassungswidrig sei. Der Überprüfung bedürfe auch die gesetzliche Regelung über die Zusammenveranlagung, weil in bestimmten Fällen bei einem Steuerpflichtigen mit Kindern die Einzelveranlagung günstiger sei. Schließlich richte sich der Einspruch auch gegen die Höhe des Grundfreibetrags gemäß § 32a EStG.

Unter Hinweis auf zahlreiche in ihrem Einspruchsschreiben näher bezeichnete anhängige Verfahren vor verschiedenen Finanzgerichten (FG), dem Bundesfinanzhof (BFH) und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragte die Klägerin, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Ein Ruhen des Verfahrens sei auch deshalb geboten, weil derzeit unklar sei, wie der Gesetzgeber die aufgrund des Urteils des BVerfG vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73) ab dem 1. Januar 2005 gebotene Neuregelung der Rentenbesteuerung umsetzen werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Einspruchsschreiben der Klägerin vom 29. Oktober 2002 Bezug genommen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte in dieser Angelegenheit mit der Klägerin keine weitere Korrespondenz. Durch die Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 wies er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. In den Gründen dieser Entscheidung legte er dar, ein Ruhen des Verfahrens komme nicht in Betracht. Die von der Klägerin benannten, bei Bundesgerichten anhängigen Verfahren seien bereits abgeschlossen oder beträfen Fragen, die für die Steuerfestsetzung bei der Klägerin nicht relevant seien. Da der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des lediglich begrenzten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen vorläufig ergangen sei, komme ein Ruhen des Einspruchsverfahrens wegen dieses Punkts gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht in Betracht. Auch soweit die Klägerin geltend mache, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften gemäß § 22 Nr. 1 EStG, scheide ein Ruhen des Einspruchsverfahrens aus. Die hierzu beim BFH anhängigen Verfahren beträfen die Streitjahre 1986 bis 1992. Diese Verfahren seien deshalb im Streitfall ohne Bedeutung.

In dem sich anschließenden Klageverfahren machte die Klägerin mit ihrem Hauptantrag geltend, die Einspruchsentscheidung sei isoliert aufzuheben. Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Hauptantrags sei der angefochtene Bescheid in der Weise abzuändern, dass ihre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften berücksichtigt werden.

Die Einspruchsentscheidung sei rechtswidrig. Das FA habe sie nicht vor Erlass dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass es das Einspruchsverfahren nicht ruhen lasse. Es habe nicht berücksichtigt, dass die Finanzämter verwaltungsintern gehalten seien, Steuerpflichtige anzuhören, wenn beabsichtigt sei, eine Entscheidung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 zu treffen. Dadurch habe das FA ihr die Möglichkeit genommen, den Einspruch zurückzunehmen oder näher zu begründen. Allerdings sei es ihr nicht zumutbar, derzeit zu Besteuerungsgrundlagen Stellung zu nehmen, die wie z.B. die Behandlung sog. gemischter Aufwendungen Gegenstand von beim BFH anhängigen Verfahren seien. Das FA habe über den Ruhensantrag auch nicht abschlägig in der Einspruchsentscheidung entschieden. Es habe zudem nicht bedacht, dass zum Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung drei Revisionsverfahren anhängig gewesen seien, die u.a. die Rechtsfrage betroffen hätten, ob Beiträge zur Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten abzugsfähig seien. Hiervon sei derzeit noch das zuletzt unter dem Az. X R 45/02 geführte Verfahren offen.

Für den Fall der Abweisung des Hauptantrags sei dem Hilfsantrag zu entsprechen. Es entspreche der zwingenden Logik, von einem Arbeitnehmer geleistete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten zu berücksichtigen. Dies folge insbesondere auch daraus, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427, BStBl I 2004, 554) zur nachgelagerten Besteuerung übergangen sei.

Das FA ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin habe durch die Aneinanderreihung bundesweit bekannter Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit zahlreicher Normen des EStG keinen konkreten Streitgegenstand benannt. Es komme der Klägerin nur darauf an, den Streitfall offenzuhalten. Der Einspruch sei aber kein Instrument zum bloßen Offenhalten eines Besteuerungsverfahrens wegen möglicher zukünftiger Entwicklungen der Rechtsprechung in Verfahren anderer Steuerpflichtiger. Gemäß § 363 Abs. 2 AO 1977 könne zwar die Finanzbehörde das Einspruchsverfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheine. Das bloße Interesse, den Steuerfall offenzuhalten, sei aber kein wichtiger Grund. Der Einspruch diene dazu, möglichst zügig eine Entscheidung in der eigenen Sache herbeizuführen. Das FA handele deshalb nicht fehlerhaft, wenn es in einem derartigen Fall den Einspruch nicht ruhen lasse, sondern über ihn entscheide. Das FA habe auch nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ohne nochmalige Erörterung über den Einspruch entschieden habe. Weder aus § 91 AO 1977 noch aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folge die Verpflichtung, ein Rechtsgespräch zu führen.

Das FG hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 240 wiedergegebenen Gründen abgewiesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin im Hauptantrag die Verletzung von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sowie von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Die Voraussetzungen der sog. Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens hätten vorgelegen.

Mit ihrem Hilfsantrag macht die Klägerin geltend, ihre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien in voller Höhe entweder als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften oder in unbeschränktem Umfang als Sonderausgaben abziehbar. Sofern über den Hilfsantrag zu entscheiden sei, werde angeregt, das Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ruhen zu lassen, bis eine Entscheidung des BVerfG vorliege.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 10. Juli 2003 aufzuheben, hilfsweise für den Fall der Abweisung des Hauptantrags das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2001 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 in der Weise zu ändern, dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in vollem Umfang als Werbungskosten oder alternativ als Sonderausgaben berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist im Hauptantrag begründet. Das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 werden aufgehoben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Einspruchsentscheidung beruht auf einem Verfahrensfehler und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 insgesamt geruht hat. Das FA war im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens zwar berechtigt, eine Entscheidung über die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gemäß Abs. 2 Satz 4 dieser Vorschrift zu treffen. Dieses Ermessen hat es aber im Streitfall nicht ausgeübt.

1. Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht das Einspruchsverfahren insoweit; dies gilt nicht, soweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 die Steuer vorläufig festgesetzt wurde (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

a) Voraussetzung dieser sog. gesetzlichen Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ist mithin, dass sich ein Einspruchsführer zur Begründung seines Einspruchs auf ein bei einem der oben genannten Gerichte anhängiges Verfahren beruft, das noch nicht abgeschlossen ist (BFH-Beschluss vom 25. November 2003 II B 68/02, BFH/NV 2004, 462). Ferner muss dieses anhängige Musterverfahren für das Einspruchsverfahren von präjudizieller Bedeutung sein. Es muss daher eine auch in dem Einspruchsverfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffen (Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 363 Rz. 14; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung § 363 Rz. 46).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedenfalls insoweit gegeben, als die Klägerin geltend gemacht hat, die von ihr geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien in vollem Umfang als vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften gemäß § 22 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Diese Beiträge wurden in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid nur als beschränkt abziehbare Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 EStG) berücksichtigt. Sie haben sich auch nicht in vollem Umfang steuermindernd ausgewirkt.

Ihren Einspruch hat die Klägerin u.a. auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren XI R 20/02 (derzeitiges Az. beim BFH: X R 45/02) gestützt. Gegenstand dieser Revision, über die der BFH bisher nicht entschieden hat, ist u.a. die Rechtsfrage, ob (vor dem Jahr 2005 geleistete) Beiträge zur Rentenversicherung im Hinblick auf die (damals zu erwartende) gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte als Werbungskosten (bei den sonstigen Einkünften) zu berücksichtigen sind.

Entgegen der Auffassung des FA in der angefochtenen Einspruchsentscheidung ist die Rechtsfrage auch im Streitfall einschlägig. Dem steht nicht entgegen, dass das von der Klägerin angesprochene Verfahren die Einkommensteuer der Jahre 1986 bis 1989 betrifft.

Für die in der Zeit vor 2005 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wird die Frage gestellt, ob sie abweichend von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung deshalb als in vollem Umfang abziehbare Werbungskosten zu beurteilen sind, weil die Renten voraussichtlich in der Zeit ab dem Jahr 2005 zufließen werden und damit im Rahmen der sog. nachgelagerten Besteuerung nicht nur mit dem Ertragsanteil, sondern mit einem vom Jahr des jeweiligen Rentenbeginns abhängigen, wesentlich höheren Anteil der Besteuerung unterliegen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a, Doppelbuchst. aa EStG i.d.F. des AltEinkG). Denn die Rechtsprechung hatte die Abziehbarkeit dieser Aufwendungen als Werbungskosten mit der Begründung verneint, es handele sich um Aufwendungen auf der Vermögensebene, weil die zufließende Rente nur mit einem pauschalierten Zinsanteil, nicht aber hinsichtlich des Vermögensstamms der Besteuerung unterworfen werde (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 14. Mai 1998 X R 38/93, BFH/NV 1999, 163, m.w.N.).

c) Die mithin auch im Streitfall einschlägige Rechtsfrage ist auch nicht Gegenstand eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977. Zwar enthält der angefochtene Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 2002 die Nebenbestimmung, die Steuerfestsetzung sei im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG). In einem solchen Fall erstreckt sich die Vorläufigkeit jedoch nur auf die verfassungsrechtliche Frage, ob die beschränkte Abziehbarkeit existenznotwendiger Aufwendungen verfassungsgemäß ist, nicht aber auf Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung einfachen Rechts (Senatsurteil vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791).

d) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der erkennende Senat inzwischen durch sein Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01 (BFH/NV 2005, 513) entschieden hat, dass in der Zeit vor 2005 geleistete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht deshalb als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften zu behandeln sind, weil der Gesetzgeber durch das AltEinkG die Besteuerung der Altersbezüge neu geordnet hat. Zwar zielt die Vorschrift des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in erster Linie darauf ab, dass Einspruchsverfahren ruhen sollen, bis eines der in dieser Vorschrift genannten Gerichte in einem Musterverfahren die im Einspruchsverfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage geklärt hat. Der Wortlaut der Vorschrift geht indessen darüber hinaus. Danach genügt es, dass sich ein Einspruchsführer auf ein zu einer solchen Rechtsfrage noch anhängiges Parallelverfahren beruft. Der Senat sieht auch keinen Grund, die Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend zu interpretieren. Denn die Finanzbehörde kann in einem Fall, in dem die Rechtsfrage in einem Musterverfahren bereits höchstrichterlich geklärt ist und nur noch Parallelverfahren anhängig sind, im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens, welches es aber darzulegen hat (vgl. hierzu unter 4.), durch rechtsgestaltenden Verwaltungsakt entscheiden, dass das Einspruchsverfahren fortgesetzt wird (zutreffend Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 22 a.E.).

2. Der erkennende Senat kann offenlassen, ob bzw. bezüglich welcher anderen im Einspruchsverfahren geltend gemachten Streitpunkte § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 einschlägig ist. Liegen die Voraussetzungen der gesetzlichen Zwangsruhe auch nur hinsichtlich eines von mehreren Streitpunkten vor, dann ruht das Einspruchsverfahren insgesamt.

a) Ob ein Einspruchsverfahren nur insoweit ruht, als sich der Einspruchsführer auf ein anhängiges Verfahren bezieht, es aber bezüglich anderer Streitpunkte fortgeführt und durch eine Teileinspruchsentscheidung abgeschlossen werden kann, ist umstritten. Von der Zulässigkeit einer solchen Teileinspruchsentscheidung geht ein Teil der Literatur aus (Birkenfeld in Hübschmann/ Hepp/Spitaler - HHSp -, § 363 AO Rz. 178; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 20; M. Söffing, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1995, 1489; von Wedel in Beermann/Gosch AO § 363 Rz. 56; von Wedelstädt, Der Betrieb - DB - 1994, 1260). Demgegenüber vertreten die Finanzverwaltung und andere Stimmen in der Literatur die Auffassung, das Einspruchsverfahren könne, solange die Zwangsruhe nicht beendigt sei, insgesamt nicht abgeschlossen werden (Anwendungserlass zur Abgabenordnung - AEAO - zu § 363 Nr. 2; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, 2. Aufl., S. 131 Rz. 211; Kühn/Hofmann, 17. Aufl., § 363 AO n.F. Anm. 4; Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 363 Rz. 51; Szymczak, DB 1994, 2254, 2260; derselbe in Koch/ Scholtz, AO, 5. Aufl., § 363 Rz. 10/5; Tiedchen, Betriebs-Berater - BB - 1996, 1033; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 363 AO Tz. 21).

b) Der erkennende Senat schließt sich letzterer Auffassung an. Aus dem Wortlaut von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, wonach das Einspruchsverfahren insoweit ruht, folgt nicht zwingend, dass es im Übrigen fortzusetzen und ggf. durch eine Teileinspruchsentscheidung abzuschließen ist. Mit dem Wortlaut ist auch eine Auslegung zu vereinbaren, wonach Satz 2 dieser Norm lediglich eine positive Entscheidung über die Reichweite des Ruhens enthält, aber keine Aussage getroffen wird, was mit dem Verfahren im Übrigen zu geschehen hat (so zutreffend Jesse, a.a.O., Rz. 211).

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen hat. Diese Vorschrift lässt daher grundsätzlich Teileinspruchsentscheidungen über einzelne entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfragen oder über Teile des Streitgegenstands nicht zu (BFH-Urteil vom 27. September 1994 VIII R 36/89, BFHE 176, 289, BStBl II 1995, 353, m.w.N.).

Dem steht nicht entgegen, dass die §§ 354 Abs. 1a und 362 Abs. 1a AO 1977 die Möglichkeit vorsehen, auf einen Einspruch, soweit er sich auf Besteuerungsgrundlagen bezieht, die für ein Verständigungs- oder ein Schiedsverfahren nach einem Vertrag i.S. des § 2 AO 1977 von Bedeutung sein können, zu verzichten oder diesen insoweit zurückzunehmen. Die dadurch eintretende Teilbestandskraft ist indessen die Folge der vom Steuerpflichtigen abgegebenen und auch genau bezeichneten verfahrensrechtlichen Verzichtserklärung.

Demgegenüber begehrt ein Einspruchsführer, der seinen Rechtsbehelf auf ein Musterverfahren und auf andere Streitpunkte stützt, die vollständige Überprüfung seines Begehrens, die aber, solange das Verfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ruht, nicht möglich ist.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass § 363 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO 1977 die Einschränkung "insoweit" nicht enthält. Hieraus folgt, dass jedenfalls in den Fällen der Aussetzung des Einspruchsverfahrens (§ 363 Abs. 1 AO 1977) und des Ruhens des Verfahrens mit Zustimmung des Einspruchsführers aus Gründen der Zweckmäßigkeit (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) eine Teileinspruchsentscheidung nicht möglich ist. Dies belegt, dass der Gesetzgeber den Vorschlag der vom Bundesministerium der Finanzen eingesetzten Arbeitsgruppe "Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren nach der AO" nicht gefolgt ist, die vorgeschlagen hatte, im Einspruchsverfahren Vorabentscheidungen über entscheidungsreife Teile bzw. entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfragen zu treffen (zum Inhalt des nicht amtlich veröffentlichten Berichts dieser Kommission vgl. Szymczak, DB 1989, 2092 und derselbe in Koch/Scholtz, a.a.O. , Vor § 347 Rz. 16). Auch dies belegt, dass aus dem Wortlaut des Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift nicht auf die Zulässigkeit einer solchen Teileinspruchsentscheidung geschlossen werden kann.

3. Ein nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ruhendes Einspruchsverfahren ist (nur) fortzusetzen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 dieser Vorschrift vorliegen.

a) Der erkennende Senat folgt der herrschenden Meinung, wonach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 auch in den Fällen der gesetzlichen Zwangsruhe zum Tragen kommt (so bereits beiläufig BFH-Beschluss vom 6. Juli 1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587; AEAO zu § 363 Nr. 3; Birkenfeld in HHSp, a.a.O., § 363 AO Rz. 202; Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 25; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 363 AO Tz. 27; a.A. FG Niedersachsen, Urteil vom 2. März 1999 I 36/98, juris Nr: STRE997097070; Löhlein, DStR 1998, 282; Tiedchen, BB 1996, 1033; Thouet/Thouet, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 87).

Dass sich § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 unmittelbar an die Regelung über das Anordnungsruhen aufgrund einer Allgemeinverfügung in Satz 3 anschließt, führt nicht zu dem Auslegungsergebnis, dass Satz 4 nur in den Fällen des Satzes 3 einschlägig wäre. Denn der Gesetzgeber hat die Regelung in Satz 4 deshalb vorgesehen, weil entweder der Einspruchsführer oder aber die Finanzbehörde ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Einspruchsverfahrens haben kann (BTDrucks 12/7427, S. 37). Ein solches Fortsetzungsinteresse kann aber in allen in § 363 Abs. 2 AO 1977 geregelten Fallgruppen der Verfahrensruhe bestehen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Zweck der gesetzlichen Zwangsruhe, wonach der Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten sei, werde unterlaufen, wenn die Finanzbehörde jederzeit durch bloße Mitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 diese Zwangsruhe beenden könne (so Löhlein, DStR 1998, 282). Denn die Finanzbehörde darf die Entscheidung, ob sie von der in Satz 4 gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, nur nach pflichtgemäßem Ermessen treffen (siehe dazu unter 4.).

b) Entgegen der Auffassung des FA folgt aus dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 462 nicht, dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Satzes 4 nicht ankäme. Dieser BFH-Beschluss betraf einen Streitfall, bei dem im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung das Verfahren, weswegen das Einspruchsverfahren ruhte, bereits abgeschlossen war. In einem solchen Fall endet aber die gesetzliche Zwangsruhe automatisch, weil es am Tatbestandsmerkmal der Anhängigkeit des Verfahrens fehlt. Demgegenüber ist die Mitteilung der Finanzbehörde über die Fortsetzung eines noch von der gesetzlichen Zwangsruhe betroffenen Einspruchsverfahrens ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt. Denn die Mitteilung entfaltet deshalb Rechtswirkungen gegenüber dem Einspruchsführer, weil sie die gesetzliche Zwangsruhe beendet (so zutreffend Birkenfeld in HHSp, a.a.O., § 363 AO Rz. 204).

4. Dieser rechtsgestaltende Verwaltungsakt ist eine Ermessensentscheidung. Der Einspruchsführer hat zwar kein subjektives Recht darauf, dass die Finanzbehörde von einer Fortsetzung des Einspruchsverfahrens vor Beendigung der gesetzlichen Zwangsruhe absieht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1587). Er hat aber einen Anspruch auf rechtmäßige Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 28. November 2005 VII 126/02, EFG 2006, 786; FG Münster, Urteil vom 4. Mai 2000 3 K 8622/97 VSt, EFG 2000, 911; FG Niedersachsen, Beschluss vom 20. August 1998 I 76/98, juris Nr: STRE997058970; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 23; Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 363 Rz. 54; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 363 AO Tz. 28; a.A. FG München, Urteil vom 12. Dezember 2002 15 K 4395/00, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 2003, 202; von Wedelstädt, DB 1994, 1260).

Aus dem Wortlaut von § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977, wonach das Einspruchsverfahren (u.a.) fortzusetzen ist, wenn die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt, folgt nicht, dass diese Entscheidung im freien Belieben der Finanzbehörde stünde. Denn das Gesetz beschreibt insoweit nur die Rechtsfolgen der Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden. Die Vorschrift kann auch nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Finanzbehörde aus Gründen der "Waffengleichheit" ohne weiteres die Zwangsruhe beenden kann, weil auch der Einspruchsführer dies durch einen bloßen Antrag erreichen kann.

Dies zeigt ein Vergleich mit der in § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 getroffenen Regelung. Danach kann die Finanzbehörde das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Hierzu ist anerkannt, dass die Entscheidung der Finanzbehörde eine Ermessensentscheidung darstellt. Diese ist nur rechtmäßig, wenn das Ermessen sachgerecht ausgeübt wird, insbesondere, wenn sie auf die Besonderheiten eingeht und nicht nur Standardformulierungen benutzt, die auf den Fall nicht zutreffen (BFH-Urteil vom 27. November 1998 VI R 161-162/90, BFH/NV 1999, 659).

Ist in diesem Fall die Entscheidung der Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, muss dies erst recht gelten, wenn die Finanzbehörde eine bestehende gesetzliche Zwangsruhe beenden will. Denn der Einspruchsführer hat in einem solchen Fall kraft der gesetzlichen Anordnung in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen Status erlangt, den ein Einspruchsführer im Fall des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 erst anstrebt.

Die gesetzliche Zwangsruhe hat der Gesetzgeber eingeführt, weil er davon ausgeht, es entspreche in der Regel den Interessen des Einspruchsführers und der Finanzbehörde, den Ausgang des Musterverfahrens abzuwarten (BTDrucks 12/7427, S. 37). Hieraus ist zu schließen, dass die gesetzliche Zwangsruhe nicht allein der Entlastung des Verwaltungsverfahrens dient und die Finanzbehörde deshalb bei ihrer Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden, die Belange des Einspruchsführers mit berücksichtigen muss (a.A. FG München, Urteil in Inf 2003, 202). Soweit in der Gesetzesbegründung zu § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 darauf abgestellt wird, dass (auch) die Finanzbehörde ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens haben kann, ist dieses an der Grundentscheidung über die gesetzliche Zwangsruhe auszurichten. Insbesondere muss die Finanzbehörde zum Ausdruck bringen, weshalb sie im Rahmen ihres Ermessens im konkreten Einzelfall die gesetzliche Zwangsruhe beendet, in anderen Fällen aber den Ausgang des Musterverfahrens abwartet. Denn auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht müssen staatliche Einrichtungen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. August 1998 1 BvR 472/98, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1999, 207).

Der erkennende Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1587 ab. Im dort entschiedenen Streitfall war kein Verfahren i.S. von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anhängig. Die Aussage in dem BFH-Beschluss, wonach kein Anspruch auf das Ruhen des Verfahrens bestehe, war deshalb nicht entscheidungserheblich.

5. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Einspruchsentscheidung als rechtsfehlerhaft.

a) Mit dieser hat das FA erstmals auf das Einspruchsbegehren der Klägerin und ihren Antrag, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, reagiert. Das FA hat daher mit dieser Einspruchsentscheidung zugleich die gesetzliche Zwangsruhe beendet. Hierbei hat es jedoch ausweislich der Begründung sein pflichtgemäßes Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Das FA hat lediglich ausgeführt, die von der Klägerin genannten Ruhensgründe lägen nicht vor. Denn die von der Klägerin benannten Verfahren seien zum Teil bereits abgeschlossen. Die anderen von ihr benannten Verfahren seien für den Streitfall nicht rechtserheblich. Diese Begründung trifft, wie oben bei II.1.b dargelegt, hinsichtlich der Streitfrage, ob Rentenversicherungsbeiträge vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften darstellen, nicht zu. Da mithin aus diesem Grund das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ruhte, hätte das FA begründen müssen, weshalb ein das Interesse der Klägerin überwiegendes Interesse des FA an der Fortsetzung des Einspruchsverfahrens bestand.

b) Dieser Begründungsmangel ist auch nicht im finanzgerichtlichen Verfahren geheilt worden. Zwar kann die Finanzbehörde gemäß § 102 Satz 2 FGO ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Eine zulässige Ergänzung einer Ermessensentscheidung kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn das Ermessen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erstmals ausgeübt wird (BFH-Beschlüsse vom 2. Juni 2004 IV B 56/02, BFH/NV 2004, 1536, und vom 9. November 2004 VI B 39/02, BFH/NV 2005, 378). Überdies hat das FA im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens lediglich Ausführungen zu § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 gemacht und ausgeführt, das Interesse daran, den Steuerfall "offen zu halten", sei kein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift. Das FA hat mithin auch im finanzgerichtlichen Verfahren nicht erkannt, dass § 363 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 4 AO 1977 einschlägig ist.

c) Der Klägerin kann auch nicht das erforderliche besondere Rechtschutzinteresse an der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung abgesprochen werden (zu diesem Erfordernis vgl. BFH-Urteile vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21, und vom 19. Dezember 1995 III R 100/90, NJW 1996, 1560).

Die Rechtswidrigkeit des Widerrufs eines Ruhens des Verfahrens kann gemäß § 363 Abs. 3 AO 1977 nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend gemacht werden. Der Zulässigkeit einer solchen Klage steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin die vollständige Berücksichtigung der von ihr geleisteten Rentenversicherungsbeiträge begehrt. Denn dieses Begehren hat sie nur für den Fall der Abweisung ihres Antrags auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung geltend gemacht (BFH-Urteil vom 14. Juli 2004 IX R 13/01, BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125).

d) Angesichts dieser Sachlage kann offenbleiben, ob die Einspruchsentscheidung auch deshalb aufzuheben war, weil das FA die Klägerin vor der Entscheidung, das Einspruchsverfahren fortzusetzen, hierzu nicht angehört hat (vgl. AEAO zu § 363 Nr. 3 Satz 1).

6. Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat - ohne allerdings die Beteiligten binden zu wollen - darauf hin, dass sich aus Sinn und Zweck der Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht die grundsätzliche Pflicht der Finanzbehörde ergibt, den Ausgang des Musterverfahrens abzuwarten (so aber FG Münster in EFG 2000, 911). Zwar dient diese Vorschrift der Verfahrensvereinfachung. Jedoch räumt der Gesetzgeber neben dem Einspruchsführer ausdrücklich auch der Finanzbehörde die Möglichkeit ein, das Einspruchsverfahren trotz bestehender gesetzlicher Zwangsruhe fortsetzen zu können (BTDrucks 12/7427, S. 37).

Es geht mithin nicht um die grundsätzliche Befugnis der Finanzbehörde zur Verfahrensfortsetzung, sondern um die Frage, ob sie sachgerechte und dem Grundrecht auf Gleichbehandlung Rechnung tragende Gesichtspunkte benennen kann, weshalb sie abweichend von der Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in einem konkreten Einzelfall unter Abwägung der gegenseitigen Belange zu dem Ergebnis gelangt, das Einspruchsverfahren fortzusetzen.

Hierbei kann neben dem Gesichtspunkt, ein weiteres Musterverfahren zu schaffen, im Einzelfall auch die Würdigung des Verhaltens des Einspruchsführers von Bedeutung sein. Zielt dessen Begehren letztlich darauf ab, das Einspruchsverfahren nicht allein wegen einer ihn betreffenden Streitfrage, die Gegenstand eines Musterverfahrens ist, ruhen zu lassen, sondern bezweckt er, auf diese Weise von künftigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu derzeit nicht streitigen Fragen zu profitieren, kann dies ein ausreichender Grund sein, nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 zu verfahren. Denn auch die Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 dient nicht dem Zweck, den Steuerfall möglichst lange offenzulassen (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1995 III R 52/90, BFHE 178, 559, BStBl II 1996, 20). Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Aus dieser Norm lässt sich kein Gebot herleiten, Einspruchsverfahren zwecks Vermeidung eines Prozesses ruhen zu lassen. Ein solches "Entschleunigungsgebot" existiert nicht.

In diesem Zusammenhang kann die Finanzbehörde das Verhalten des Einspruchsführers würdigen. Es kann hierbei aus dem Umstand, dass sich ein Einspruchsführer (auch) auf zahlreiche nicht einschlägige Musterverfahren stützt, entsprechende Schlüsse ziehen.