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BFH-Urteil vom 28.3.2007 (II R 25/05) BStBl. 2007 II S. 461

1. Anerkennen und beachten der Belastete und der Begünstigte den Willen des Erblassers und führen sie dessen formunwirksam angeordnetes Verschaffungsvermächtnis aus, entsteht die Erbschaftsteuer nicht - auch nicht rückwirkend - mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des Vermächtnisses.

2. Der vermächtnisweise erworbene Anspruch auf Verschaffung einer Sache, die sich der Belastete mit Geldern aus dem Nachlass besorgen muss, ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuer vor 1996 oder nach 1995 entstanden ist.

AO § 38, § 41 Abs. 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; BewG § 9; ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln vom 5. April 2005 9 K 7416/01 (EFG 2005, 1133)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Gesamtrechtsnachfolger ihres während des Rechtsstreits verstorbenen Sohnes W. Ein am 15. Mai 1998 verstorbener Vetter (E) eines der Kläger hatte drei Wochen vor seinem Tod ein privatschriftliches Testament gefertigt, in dem er u.a. verfügte, sein Geld- und Wertpapiervermögen solle bis auf einen Betrag von 50.000 DM seiner Schwester (S) zufallen; die 50.000 DM solle W bekommen. Dementsprechend gab S in ihrer Erbschaftsteuererklärung vom September 1998 an, mit einem Vermächtnis zugunsten des W in Höhe von 50.000 DM beschwert zu sein. Anfang Oktober ging beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein Schreiben der S ein, wonach E ihr wenige Tage vor seinem Tod bei einem Besuch im Krankenhaus aufgetragen habe, dem W aus dem ihr testamentarisch zugedachten Kapitalvermögen eine Eigentumswohnung im Wert von 250.000 DM bis 300.000 DM zu kaufen. E habe dies noch in sein Testament aufnehmen wollen, dies aber nicht mehr geschafft. Allerdings habe er den W noch davon unterrichten können. Sie, die S, habe erst nach Erklärungsabgabe erfahren, dass einer derartigen mündlichen Verfügung gemäß § 41 der Abgabenordnung (AO) doch Bedeutung zukommen könne. Sie habe noch keine geeignete Eigentumswohnung gefunden, beantrage aber, bei Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen sie eine weitere Verpflichtung aus Vermächtnis in Höhe von 300.000 DM zu berücksichtigen.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 5. Oktober 1999 übertrug S dem W unentgeltlich eine Eigentumswohnung. In der Urkunde hieß es, die Übergabe erfolge in Vollzug des letzten Willens des E.

Ungeachtet des im Oktober 1998 eingegangenen Schreibens setzte das FA gegen W - lediglich ausgehend von der Erbschaftsteuererklärung der S - mit Bescheid vom 4. Dezember 1998 wegen des vermächtnisweisen Erwerbs des W in Höhe von 50.000 DM eine Steuer von 3.600 DM fest. Erst nach Eingang einer Erbschaftsteuererklärung auch des W, in der dieser als weiteren Erwerb neben den 50.000 DM auch die mittlerweile erhaltene Eigentumswohnung angegeben hatte, erließ das FA am 16. August 2000 einen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid, mit dem es die Erbschaftsteuer auf 47.226 DM heraufsetzte. Dabei war das erklärte Verschaffungsvermächtnis mit 247.858 DM (Erwerbskosten der S ./. Nebenkosten der Übertragung auf W) angesetzt.

Einspruch und Klage, mit denen sich zunächst W und später die Kläger gegen die Bewertung des geltend gemachten Verschaffungsvermächtnisses mit dem Verkehrswert der Eigentumswohnung gewandt und statt dessen verlangt hatten, es mit dem von ihnen in Anlehnung an § 146 des Bewertungsgesetzes (BewG) ermittelten Grundstückswert in Höhe von 108.000 DM zu bewerten, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1133 veröffentlichten Urteil der Ansicht, das FA sei gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zum Erlass des Änderungsbescheides berechtigt gewesen. Der Erwerb der Eigentumswohnung durch W sei ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift. Erst mit dem Vollzug der formunwirksamen Vermächtnisanordnung sei insoweit der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) erfüllt worden. Der Änderungsbescheid entspreche auch der materiellen Rechtslage. Es, das FG, sei davon überzeugt, dass E kurz vor seinem Tod den Willen kundgetan habe, S solle dem W eine Eigentumswohnung verschaffen, und dass S diesen Willen umgesetzt habe. Dieses Verschaffungsvermächtnis sei mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Das ergebe sich aus dem Korrespondenzprinzip. Der Gegenstand des Vermächtnisses habe sich zunächst nicht im Nachlass befunden. W habe zunächst keinen Herausgabeanspruch, sondern einen Anspruch gegen S erworben, sich die Sache zu beschaffen. Darin liege ein wesentlicher Unterschied zum reinen Sachvermächtnis, der es ausschließe, dem Verschaffungsvermächtnis dieselbe Sonderbehandlung angedeihen zu lassen wie einem reinen Sachvermächtnis.

Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 12 Abs. 1 ErbStG sowie des § 9 BewG. Die Ansprüche aus Verschaffungsvermächtnissen seien wie die Rechte aus reinen Sachvermächtnissen zu bewerten, nämlich mit dem Steuerwert der Sache, auf die die Ansprüche gerichtet seien. Die Ansprüche aus Verschaffungsvermächtnissen seien nämlich nicht Teil eines Gegenseitigkeitsverhältnisses. Daran ändere die Tatsache, dass der Beschwerte die Sache mit Mitteln aus dem Nachlass erst erwerben müsse, nichts.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Erbschaftsteuerbescheid vom 16. August 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. November 2001 dahin zu ändern, dass die Steuer nach einem steuerpflichtigen Erwerb von 134.800 DM bemessen wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Die Sachverhaltswürdigung des FG, S habe ein unwirksames Vermächtnis des E, dem W eine Eigentumswohnung zu verschaffen, erfüllt, ist zwar möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Sachverhalt ist daher materiell-rechtlich so zu besteuern, als habe E ein wirksames Verschaffungsvermächtnis angeordnet. Die Erfüllung dieses Vermächtnisses hat aber zu einem weiteren Erwerb des W nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG geführt, für den die Steuer erst mit der Erfüllung entstanden ist. Die Steuer war daher nicht im Wege einer Änderung desjenigen Bescheides festzusetzen, der bereits bezüglich des Geldvermächtnisses ergangen war, sondern durch einen weiteren, selbständigen Bescheid. Da der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Auch der angefochtene Änderungsbescheid konnte keinen Bestand haben.

1. Wird eine Verfügung von Todes wegen ausgeführt, obwohl sie unwirksam ist, und beruht die Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des erblasserischen Willens, den Begünstigter und Belasteter anerkennen, ist gemäß § 41 Abs. 1 AO das wirtschaftliche Ergebnis dieses Vollzugs erbschaftsteuerrechtlich von Bedeutung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. März 2000 II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588, sowie vom 2. Dezember 1969 II 120/64, BFHE 91, 311, BStBl II 1970, 119). Ein formunwirksames Vermächtnis ist danach erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn feststeht, dass der Beschwerte die Rechtshandlungen, die sich als Erfüllung dieses Vermächtnisses darstellen, mit dem Willen vorgenommen hat, dem (formunwirksam) geäußerten letzten Willen des Erblassers zu entsprechen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine Tatfrage. Im Streitfall hat das FG das Vorliegen der Voraussetzungen bejaht. Daran ist das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Die Schlussfolgerungen des FG sind möglich und verstoßen weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze.

2. Die nach § 41 Abs. 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG festzusetzende Steuer für den vermächtnisweisen Erwerb eines formunwirksam Bedachten entsteht entgegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG nicht - auch nicht rückwirkend - mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des formunwirksam geäußerten letzten Erblasserwillens. Erst zu diesem Zeitpunkt ist der um § 41 Abs. 1 Satz 1 AO zu ergänzende Erwerbstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.S. des § 38 AO verwirklicht (so auch Gebel in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht - UVR - 1995, 239, 243, sowie Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 3 Rz 57). Die Frage, ob der Erfüllung die Bedeutung eines rückwirkenden Ereignisses i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zukommt, kann sich nur auf Seiten des Erfüllenden stellen, und zwar dann, wenn gegen diesen bereits ein Erbschaftsteuerbescheid ergangen ist, ohne das nunmehr vollzogene unwirksame Vermächtnis zu berücksichtigen. Verschiedene Zeitpunkte der Tatbestandsverwirklichung und damit zusammenhängend der Entstehung der Steuer bedeuten nämlich, dass selbständige Erwerbsvorgänge vorliegen, für die die Steuer jeweils gesondert festzusetzen ist (BFH-Urteil vom 2. März 2006 II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480, unter II.3.a). Da das FG demgegenüber einen einzigen, beide Vermächtnisse umfassenden Erwerb des W von Todes wegen angenommen hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.

3. Die Sache ist spruchreif. Mit dem Vollzug des zivilrechtlich unwirksamen Verschaffungsvermächtnisses ist kein Änderungstatbestand erfüllt worden. Der gegenüber W ergangene Änderungsbescheid vom 16. August 2000 war daher rechtswidrig. Er hätte nicht ergehen dürfen. Die Kläger haben allerdings nicht seine Aufhebung verlangt, sondern nur beantragt, die Änderung im Umfang zu beschränken. Gleichwohl war der Änderungsbescheid aufzuheben. Die §§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, wonach das Gericht nicht mehr zusprechen darf, als die Kläger begehren, stehen dem nicht entgegen. Die Begrenzung durch das Begehren der Kläger gilt dann nicht, wenn nur eine Herabsetzung der Steuer begehrt wird, aber der angefochtene Bescheid als solcher nicht hätte ergehen dürfen (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474, sowie vom 20. Oktober 1970 II 167/64, BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826, 830; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Stand November 2006, § 96 FGO Rz 100). So verhält es sich im Streitfall. Der angefochtene Änderungsbescheid ist zwar hinsichtlich der festgesetzten Steuer teilbar, nicht aber hinsichtlich des Grundes, der zur Aufhebung der Vorentscheidung geführt hat, nämlich hinsichtlich der fehlenden Änderungsbefugnis. Durch die Aufhebung des Änderungsbescheides lebt der ursprüngliche Erbschaftsteuerbescheid vom 4. Dezember 1998 wieder auf (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, unter III.3.).

4. Für den Fall einer erstmaligen Steuerfestsetzung wegen des formunwirksamen, aber vollzogenen Verschaffungsvermächtnisses weist der Senat auf folgendes hin: Der Besteuerung unterliegt der nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO anzunehmende Erwerb eines Verschaffungsanspruchs auf eine Eigentumswohnung. Dieser Anspruch ist wie ein Sachleistungsanspruch zu bewerten. Sachleistungsansprüche werden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG grundsätzlich mit dem gemeinen Wert und nicht mit dem Steuerwert der Sache, auf die sie gerichtet sind, bewertet (BFH-Entscheidungen vom 15. Oktober 1997 II R 68/95, BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820, sowie vom 22. Mai 2002 II R 61/99, BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598, 615). Eine Ausnahme davon hat die Rechtsprechung zum ErbStG in der Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2049, 2055) lediglich für einseitige Sachleistungsansprüche und -verpflichtungen gemacht, die - wie diejenigen aus Sachvermächtnissen - zu keiner Zeit Teil eines Gegenseitigkeitsverhältnisses waren (BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820, 823). Ob an ihr auch für Sachvermächtnisse festzuhalten ist, für die die Steuer nach 1995 entstanden ist, kann im Streitfall ebenso auf sich beruhen wie in der Entscheidung des Senats vom 2. Juli 2004 II R 9/02 (BFHE 207, 42, BStBl II 2004, 1039).

a) Die Ausnahme erfolgte nicht im Hinblick auf den Vermächtnisnehmer als Berechtigten, sondern wegen der Verhältnisse auf Seiten des Beschwerten - also zumeist des Erben - als Verpflichteten. Beim Vermächtnisnehmer musste nur deshalb eine mit der Erbenseite korrespondierende Bewertung vorgenommen werden, weil ein auf denselben Gegenstand bezogener Anspruch nicht anders bewertet werden sollte als die ihm gegenüberstehende Verpflichtung. Die Erben aber erwerben bei einem Sachvermächtnis neben der Verpflichtung, den vermachten Gegenstand auf den Vermächtnisnehmer zu übertragen, diesen Gegenstand selbst. Per Saldo gleichen sich Aktiv- und Passivposten aus. Werden aber der Gegenstand und die ihn betreffende Sachleistungsverpflichtung unterschiedlich bewertet, nämlich die Verpflichtung mit dem gemeinen Wert und der Gegenstand selbst mit einem davon abweichenden Steuerwert, beeinflusst der abweichende Steuerwert auf Seiten der Erben die Höhe der Bereicherung im Übrigen.

b) Diese Erwägungen, die zu der Ausnahme für die Ansprüche und Verpflichtungen aus Sachvermächtnissen geführt haben, treffen auf Verschaffungsvermächtnisse, die der Erbe mit Geldern aus dem Nachlass erfüllen soll, nicht zu. In derartigen Fällen steht der Verpflichtung des Erben, das Verschaffungsvermächtnis zu erfüllen, der Erwerb des mit dem Nennwert zu bewertenden Kapitalvermögens gegenüber. Der Sachleistungsanspruch aus einem Verschaffungsvermächtnis, das mit Geldern des Nachlasses erfüllt werden soll, ist daher mit dem gemeinen Wert zu bewerten (so auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Rz 174; a.A. Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 3 Rz 42; unentschieden: Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz 176; eine Sonderstellung nimmt Hübner in Viskorf/ Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 2004, § 3 ErbStG Rz 130 ein, der auch betont, dass die Verschaffungsverpflichtung des beschwerten Erben mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist, aber die Notwendigkeit leugnet, den Verschaffungsanspruch des Vermächtnisnehmers ebenso zu bewerten wie die Verschaffungsverpflichtung des Erben - eingeschränktes Korrespondenzprinzip -).