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BFH-Urteil vom 7.11.2006 (VIII R 30/05) BStBl. 2007 II S. 723

Schließt ein Franchisenehmer sein bisheriges Einzelhandelsgeschäft und eröffnet er an einem anderen Ort ein neues Einzelhandelsgeschäft, so führt allein der Umstand, dass das neue Geschäft zur gleichen Unternehmensgruppe gehört und der neue Franchisevertrag weitgehend dem bisherigen entspricht, noch nicht zur Unternehmensidentität i.S. von § 10a GewStG.

GewStG § 10a.

Vorinstanz: FG Köln vom 15. Februar 2006 6 K 5076/01 (EFG 2005, 1630)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. Ihr Unternehmen ist Franchisenehmer der A GmbH & Co. Franchise Center KG und gehört zur A-Gruppe. Die Klägerin betrieb bis zum Ablauf des Wirtschaftsjahres 1992/93 ihren Markt in X und erzielte dort einen zum 31. Dezember 1993 festgestellten Gewerbeverlust in Höhe von 872.790 DM, resultierend zum großen Teil aus Rückstellungen für die Nichterfüllung des Mietvertrages in X sowie den Kosten der Sitzverlegung. Der Markt in X wurde mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 1992/93 geschlossen, wofür der gesamte Warenbestand in einem Ausverkauf veräußert und fast das gesamte Anlagevermögen verschrottet wurde. Die Klägerin eröffnete rd. 600 km entfernt in Y einen neuen Markt und schloss mit der A KG Systemzentrale am 26. Juli 1993 einen neuen Franchisevertrag (Laufzeit 20 Jahre). Der Franchisegeber übernimmt danach für die Klägerin insbesondere den Auftritt des Marktes nach außen, dessen Gestaltung innen, die Warenbestückung und Preisfestlegung, die Datenverarbeitung sowie Gehalts- und Finanzbuchhaltung. Der Marktleiter ist für den Einkauf der Klägerin zuständig, wobei er ausschließlich aus den bei A gelisteten Lieferanten und Produkten auswählen kann. Wesentliche Entscheidungen werden bei allen Franchisenehmern im sog. Entscheidungs- bzw. Führungsdreieck getroffen, bestehend aus dem Franchise Center, der Partnerfirma als Kapitalgeber sowie dem Marktleiter. Diese Entscheidungsträger vereinbaren eine Geschäftsordnung. Hieran hat sich durch die Marktverlegung nichts geändert. Von den Mitarbeitern des Marktes in X übernahm die Klägerin bis auf den Marktleiter niemanden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte im Rahmen einer Betriebsprüfung den Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1993 aufgrund fehlender Unternehmensidentität nicht als vortragsfähig an und korrigierte die Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1994 bis 31. Dezember 1996 entsprechend. Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben erfolglos.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, die geänderten Bescheide vom 10. Juli 2000 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1994, 1995 und 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2001 aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1630 veröffentlichten Urteil vom 15. Februar 2005 6 K 5076/01 im Wesentlichen statt. Es entschied, der Klägerin stehe ein Anspruch gegen das FA auf Feststellung des bis zum 31. Dezember 1993 erzielten Verlustes als vortragsfähiger Gewerbeverlust gemäß § 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1999 zu.

Da die Betriebsprüfung weitere Feststellungen zu Lasten der Klägerin getroffen habe, die durch die Klage nicht angefochten worden seien, komme eine antragsgemäße Aufhebung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2001 nicht in Betracht. Insoweit hat das FG die Klage abgewiesen.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 10a i.V.m. § 2 GewStG).

Das FA beantragt, das Urteil des FG vom 15. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat zu Unrecht die Abzugsfähigkeit des streitigen Verlustes der Klägerin aus dem Jahr 1993 bei dem Gewerbeertrag der Klägerin in dem Folgejahr bejaht.

Nach § 10a Satz 1 GewStG wird der Gewerbeertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berichtigt worden sind. Voraussetzung der Kürzung des Gewerbeertrags gemäß § 10a GewStG sind nach ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. April 2002 VIII R 16/01, BFH/NV 2003, 81, unter II. der Gründe, m.w.N.) Unternehmer- und Unternehmensidentität.

a) Unternehmeridentität ist im Streitfall, wovon auch die Beteiligten und das FG ausgegangen sind, gegeben. Der Gesellschafterbestand der Klägerin hat sich in den Streitjahren nicht verändert (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 81, unter II.a der Gründe, m.w.N.).

b) Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der im Jahr der Entstehung des Verlustes bestanden hat (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 81, unter II.b der Gründe, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung). Dieses Merkmal ergibt sich daraus, dass die Gewerbesteuer den Ertrag erfasst, den der jeweilige Gewerbebetrieb an sich abwirft. Unterhält ein Unternehmer gleichzeitig mehrere sachlich selbständige Gewerbebetriebe, unterliegt jeder dieser Gewerbebetriebe für sich der Gewerbesteuer. Entsprechendes gilt, wenn ein und derselbe Unternehmer nacheinander mehrere sachlich selbständige Gewerbebetriebe unterhält; die bisherige sachliche Steuerpflicht endet und eine neue Steuerpflicht beginnt (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 81, unter II.b der Gründe, m.w.N.). Es gelten gleichartige Beurteilungsmaßstäbe für die Entscheidung der Frage, ob mehrere gewerbliche Betätigungen, die ein und derselbe Unternehmer gleichzeitig oder nacheinander ausübt, je für sich einen sachlich selbständigen Gewerbebetrieb oder zusammen einen einheitlichen Gewerbebetrieb darstellen. Stets kommt es für die Frage der Identität der Betätigungen auf das Gesamtbild an, das sich aus den wesentlichen Merkmalen des Gewerbebetriebs ergibt, so insbesondere der Art der Betätigung, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der Arbeitnehmerschaft, der Geschäftsleitung, den Betriebsstätten sowie dem Umfang und der Zusammensetzung des Aktivvermögens. Unter Berücksichtigung dieser Merkmale muss ein wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang zwischen den Betätigungen bestehen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 81, unter II.b der Gründe, m.w.N.).

c) Ein solcher Zusammenhang liegt im Streitfall nicht vor. Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich die Unternehmensidentität nicht maßgeblich aus der Nutzung der gleichen Franchisestruktur im Rahmen des neuen Marktes.

aa) Eine bloße Betriebsverlegung ist anzunehmen, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung wirtschaftlich identisch sind (Senatsurteil in BFH/NV 2003, 81, unter II.c aa der Gründe, m.w.N.). Das ist dann der Fall, wenn die zur Fortführung des Unternehmens benötigten sachlichen und personellen Mittel weiter genutzt werden, soweit die durch die Verlegung des Betriebs veränderten Verhältnisse es zulassen. Der Einsatz der personellen Mittel setzt voraus, dass zumindest ein Teil der Arbeitnehmerschaft weiter beschäftigt wird oder jedenfalls versucht wird, die Arbeitnehmerschaft am neuen Betriebsstandort weiter zu beschäftigen. Die fortgesetzte Nutzung der sachlichen Mittel erfordert, dass die zur Erwirtschaftung des Ertrags eingesetzten Betriebsmittel im Wesentlichen dieselben bleiben. Betriebsbedingte, auch strukturelle Anpassungen der gewerblichen Betätigung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse stehen der Annahme einer identischen Tätigkeit dabei nicht entgegen.

bb) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Vielmehr führte die Eröffnung des zweiten Marktes in Y angesichts der großen Entfernung vom ersten Markt in X dazu, dass eine Weiternutzung personeller Mittel - abgesehen vom Marktleiter - typischerweise nicht in Betracht kam. Entsprechendes gilt hinsichtlich der sachlichen Mittel, insbesondere der Ausstattung des Marktes. Hieraus ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass es auf eine Kontinuität der sachlichen und personellen Mittel nicht ankommen kann, sondern vielmehr, dass der Standortwechsel typischerweise nicht in Gestalt einer bloßen Betriebsverlegung durchführbar war.

Auch kann von einer Beibehaltung des Kundenkreises nicht gesprochen werden, da insoweit auf die konkreten Kunden des Marktes X und die konkreten Kunden des Marktes Y abzustellen ist. Denn der Gewerbebetrieb, der die sachliche Gewerbesteuerpflicht bestimmt, ist durch die ihn prägenden Merkmale als konkreter Gewerbebetrieb zu erfassen. Auch das Warensortiment ist trotz gleicher Lieferanten nicht zwangsläufig identisch.

Dass der neue Franchisevertrag inhaltlich weitgehend dem für den Markt in X entspricht, bedeutet lediglich, dass der neue Betrieb in Y eine gleiche äußere Organisationsstruktur erhielt wie der in X. Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme eines organisatorischen Zusammenhangs. Vielmehr wird dieser Zusammenhang durch die vertragliche Diskontinuität gerade unterbrochen.