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BFH-Beschluss vom 8.12.2006 (VII B 243/05) BStBl. 2008 II S. 436

1. Der Leiter der Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins ist wegen der Schließung der Beratungsstelle nicht klagebefugt.

2. Eine Anfechtungsklage ist, wenn dem Kläger die Klagebefugnis fehlt, auch dann als unzulässig abzuweisen, wenn dessen Einspruch mangels Beschwer verworfen worden ist.

3. Ist eine Klage offensichtlich unzulässig, bedarf es keiner notwendigen Beiladung Dritter, die von dem angefochtenen Verwaltungsakt betroffen sind.

FGO § 40 Abs. 2, § 60 Abs. 3 Satz 1, § 119 Nr. 6; StBerG § 26 Abs. 2, § 28 Abs. 3.

Vorinstanz: Thüringer FG vom 23. August 2005 III 660/05

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt und Leiter einer Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins. Mit Bescheid vom Dezember 2004 ordnete die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion - OFD -) gegenüber dem Verein die Schließung der vom Kläger geleiteten Beratungsstelle an, weil zu vermuten sei, dass dieser in den Räumen der Beratungsstelle auch seine Rechtsanwaltskanzlei unterhalte, was dem Verbot einer anderweitigen wirtschaftlichen Tätigkeit in Verbindung mit der Hilfeleistung in Steuersachen durch einen Lohnsteuerhilfeverein zuwiderlaufe. Den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers verwarf die OFD als unzulässig, weil er durch die Schließungsanordnung nicht beschwert sei.

Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab, wobei es den Antrag des Klägers, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, in den Gründen des angefochtenen Urteils ablehnte. Von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sah das FG ab und bezog sich stattdessen auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, welche er auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und auf Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) stützt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 FGO) ist unbegründet.

1. Der Lohnsteuerhilfeverein war zu dem Verfahren nicht beizuladen (§ 60 Abs. 3 FGO).

Eine Beiladung ist notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber einheitlich ergehen muss. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (BFH-Beschlüsse vom 11. Januar 1994 VII B 100/93, BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405; vom 8. Oktober 2002 III B 74/02, BFH/NV 2003, 195). Die Erfolgsaussichten der Klage haben bei der Entscheidung über die Beiladung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben; denn maßgeblich ist nicht, wie, sondern ob das Gericht über eine einheitlich zu entscheidende Frage zu befinden hat (BFH-Urteil vom 27. November 1990 VIII R 206/84, BFH/NV 1991, 692; BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 195). Ist allerdings eine Klage offensichtlich unzulässig, etwa weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 I R 42/04, BFH/NV 2005, 1073), kann eine Beiladung im Allgemeinen unterbleiben (BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 I R 100/77, BFHE 128, 142, BStBl II 1979, 632).

So liegt es hier. Die Klage ist unzulässig, weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt (§ 40 Abs. 2 FGO). Nach dieser Vorschrift ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt, gegen den die Klage gerichtet ist, in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Rechtsschutzbehauptung reicht für die Zulässigkeit einer Klage allerdings nur aus, wenn sie nicht in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht in dem Sinne unschlüssig ist, dass die vom Kläger als verletzt behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen können (Senatsurteil vom 3. Februar 1987 VII R 116/82, BFHE 149, 362, BStBl II 1987, 346, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 21. Oktober 1970 I R 81, 82, 92-94/68, BFHE 100, 295, 297, BStBl II 1971, 30). Die Vorschrift bezweckt u.a. den Ausschluss von sog. Interessentenklagen, d.h. der Klagen von Personen, die zwar ein gewisses Interesse an den durch den Verwaltungsakt geregelten Rechtsbeziehungen haben, selbst durch den Verwaltungsakt aber nicht in einer Weise betroffen sind, die sich als eine Verletzung eigener Rechte darstellen könnte (vgl. Senatsurteile in BFHE 149, 362, BStBl II 1987, 346; vom 19. Oktober 1982 VII R 45/80, BFHE 136, 449, 451, BStBl II 1983, 51).

Um eine solche (unzulässige) Interessentenklage handelt es sich im Streitfall. § 26 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) und die auf diese Vorschrift i.V.m. § 28 Abs. 3 StBerG gestützte Schließungsanordnung der OFD richten sich ausschließlich an den Lohnsteuerhilfeverein und betreffen allein dessen Befugnis zur Leistung von Hilfe in Steuersachen gemäß § 4 Nr. 11 StBerG. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die gegenüber dem Lohnsteuerhilfeverein ergangene Schließungsanordnung in einer Weise betroffen ist, die sich als Verletzung eigener Rechte darstellen könnte. Durch die Schließungsanordnung wird - anders als der Kläger meint - nicht ihm die Tätigkeit als Beratungsstellenleiter oder Rechtsanwalt untersagt oder ihm die Vorlage einer anwaltlichen Versicherung eines bestimmten Inhalts aufgegeben, sondern dem Verein verboten, eine Beratungsstelle in den Räumen zu unterhalten, in denen der Kläger auch seine Rechtsanwaltskanzlei unterhält. Dass der Kläger möglicherweise ein Interesse daran hat, seine Tätigkeiten als Rechtsanwalt und Leiter einer Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins in den gleichen Räumen auszuüben, ändert nichts daran, dass ihn die Schließungsanordnung allenfalls mittelbar betrifft. Insoweit befindet er sich in keiner anderen Lage als ggf. sonstige Vertragspartner oder Arbeitnehmer des Vereins, denen die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes in einer von einer Schließung bedrohten Beratungsstelle ebenfalls keine Klagebefugnis gegen die Schließungsanordnung vermittelt.

Hieran ändert auch die gegenüber dem Kläger ergangene Einspruchsentscheidung nichts. Die lediglich formelle Beschwer des Klägers, die sich daraus ergibt, dass sein Einspruch erfolglos war, reicht für die Bejahung der Klagebefugnis nicht aus, weil sie nicht zur Folge hat, dass der Kläger durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt sein könnte. Die Rechtsschutzmöglichkeiten eines Bürgers, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, werden dadurch nicht verkürzt. Derjenige, dessen Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen wurde, erhält - nicht anders als wenn sein Einspruch als unbegründet zurückgewiesen worden wäre - eine Sachentscheidung des Gerichts, wenn er geltend machen kann, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Es gibt daher keinen Grund, die zu Streitigkeiten über die Sachurteilsvoraussetzungen der Beteiligten- oder Prozessfähigkeit, der Postulationsfähigkeit bzw. Prozessvollmacht ergangene Rechtsprechung, nach der in bestimmten Konstellationen die streitige Prozessvoraussetzung für ein Rechtsmittelverfahren als gegeben unterstellt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. Juli 1969 I R 190/67, BFHE 96, 335, BStBl II 1969, 656; vom 3. Dezember 1971 III R 44/68, BFHE 105, 230, BStBl II 1972, 541; vom 10. August 1989 V R 36/84, BFH/NV 1990, 386), auf den Fall der fehlenden Klagebefugnis zu übertragen (a.A. FG Hamburg, Urteil vom 6. April 1994 I 28/92, Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 842).

Sofern das FG die Klage, wie sein Urteil den Anschein erweckt ("Die Klage ist unbegründet. ..."), als zulässig angesehen haben sollte und es sich bei jener Wendung nicht lediglich um einen Schreib- oder Diktatfehler handelt, wäre das angefochtene Urteil in dem angestrebten Revisionsverfahren folglich mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Von einer solchen Abweisung der Klage durch Prozessurteil aber ist der Verein unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt betroffen, so dass eine Nachholung der Beiladung nur noch ein überflüssiger, durch ihren Zweck nicht gerechtfertigter Formalismus wäre (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 2001 VIII R 44/99, BFH/NV 2001, 1133).

2. Die weiteren Verfahrensrügen hat der Kläger nicht schlüssig erhoben, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt.

a) Der Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, dass das FG eine Überraschungsentscheidung getroffen und insbesondere seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt oder ihm die Gelegenheit zur Stellung seiner Anträge (§ 92 Abs. 3 FGO) vorenthalten hat.

Aus der Sitzungsniederschrift geht hervor, dass in der mündlichen Verhandlung beim FG u.a. die Frage erörtert worden ist, ob der Kläger im eigenen Namen gegen die Schließungsanordnung der OFD vorgehen kann. Danach hat er Gelegenheit zur Stellung seiner Anträge erhalten, welche er jedoch nur dazu genutzt hat, das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Spätestens nachdem die OFD sich seinem Antrag nicht angeschlossen und die Abweisung der Klage beantragt hatte, musste er damit rechnen, dass das FG über seine Klage befinden würde, ohne zuvor gesondert über das Ruhen des Verfahrens zu entscheiden und ihm sodann erneut Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag und zur Stellung eines Sachantrages zu geben. Denn eine Anordnung des Ruhens eines Verfahrens ist nach § 155 FGO i.V.m. § 251 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung nur möglich, wenn beide Parteien sie beantragen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. März 2002 I B 48/01, BFH/NV 2002, 1163). Überdies ist nicht angegeben, was der Kläger sonst noch hätte vortragen wollen und inwiefern dies zu einer ihm günstigeren Sachentscheidung hätte führen können. Der floskelhafte Hinweis, er habe zu seinem "Feststellungsinteresse" Stellung nehmen wollen (auf welches es im Übrigen nicht ankommt), genügt hierfür nicht.

b) Nicht schlüssig gerügt hat der Kläger auch, dass es der Entscheidung an Gründen fehle, die die Abweisung der Klage tragen. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 6 FGO, d.h. ein Verstoß gegen § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO, liegt nur dann vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht und den Beteiligten daher die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Hingegen fehlt es an einem Verfahrensmangel, wenn die Begründung zwar lückenhaft und widersprüchlich sein mag, aber zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. August 2004 II B 159/02, BFH/NV 2004, 1665; vom 2. Februar 1999 II R 91/97, BFH/NV 1999, 1106, jeweils m.w.N.). Die gemäß § 105 Abs. 5 FGO grundsätzlich zulässige Bezugnahme des FG auf die Gründe der Einspruchsentscheidung lässt im Streitfall - auch wenn § 350 der Abgabenordnung (AO 1977) im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar ist - erkennen, dass das FG die Klage deshalb abgewiesen hat, weil es der Auffassung war, dass der Kläger unabhängig von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Schließungsanordnung jedenfalls durch diese nicht in seinen Rechten verletzt ist.

3. Auch die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger nicht in ausreichender Weise dargelegt. Abgesehen davon wäre die vom Kläger offenbar als grundsätzlich bedeutsam angesehene Rechtsfrage, ob ein Lohnsteuerhilfeverein eine Beratungsstelle in den gleichen Räumen unterhalten darf, in denen der Beratungsstellenleiter seine Rechtsanwaltskanzlei unterhält, im Streitfall nicht klärungsfähig, da die Klage - wie ausgeführt - als unzulässig abzuweisen wäre und eine Sachentscheidung über das Klagebegehren daher nicht ergehen könnte.