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BFH-Urteil vom 17.7.2008 (I R 12/08) BStBl. 2009 II S. 160

Hat eine in Liquidation befindliche Kapitalgesellschaft im Jahr 2001 Gewinn für ein vor dem Beginn der Liquidation im Jahr 2000 endendes Wirtschaftsjahr ausgeschüttet und entspricht der Ausschüttungsbeschluss den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, so ist für den Veranlagungszeitraum 2000 die Ausschüttungsbelastung herzustellen (entgegen BMF-Schreiben vom 26. August 2003, BStBl I 2003, 434, Tz. 1).

KStG 1999 § 7 Abs. 3 und 4, § 11, § 27; KStG 1999 i.d.F. des StSenkG § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 37 Abs. 1 Satz 1, § 38 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 11. Dezember 2007 6 K 1416/05 K,F (EFG 2008, 559)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Gewinnausschüttung zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung gemäß § 27 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 (KStG 1999) führt.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine AG. Ihre Hauptversammlung beschloss am 20. Juni 2000 die Auflösung der Gesellschaft; der Abwicklungszeitraum sollte am 1. Juli 2000 beginnen. Zugleich wurde ein Rumpfwirtschaftsjahr für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2000 gebildet. Das erste Abwicklungsgeschäftsjahr sollte ebenfalls ein Rumpfwirtschaftsjahr mit dem Ende zum 31. Dezember 2000 sein.

Am 12. Juni 2001 beschloss die Hauptversammlung der Klägerin eine Gewinnausschüttung für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2000. Der Ausschüttungsbetrag in Höhe von 28.229.673 DM wurde - nach Ablauf des Sperrjahres - am 17. August 2001 ausgezahlt. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr (2000) machte die Klägerin daraufhin die Herstellung einer entsprechenden Ausschüttungsbelastung geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst. Im weiteren Verlauf erließ er jedoch geänderte Steuerbescheide, in denen er die Herstellung der Ausschüttungsbelastung für die Gewinnausschüttung nicht mehr berücksichtigte. Der gegen diese Bescheide gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben (FG Düsseldorf, Urteil vom 11. Dezember 2007 6 K 1416/05 K,F); sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 559 abgedruckt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat die angefochtenen Bescheide zu Recht dahin geändert, dass es bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr und bei den streitgegenständlichen gesonderten Feststellungen die Herstellung der Ausschüttungsbelastung berücksichtigt hat.

1. Nach § 27 Abs. 1 KStG 1999 mindert oder erhöht sich die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft um den Unterschiedsbetrag zwischen der bei ihr eingetretenen Belastung des Eigenkapitals, das als für die Ausschüttung verwendet gilt (Tarifbelastung), und der sich hierfür bei Anwendung eines Steuersatzes von 30 % ergebenden Steuer (Ausschüttungsbelastung). Beruht die Ausschüttung auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr, so tritt die Minderung oder Erhöhung für den Veranlagungszeitraum ein, in dem das Wirtschaftsjahr endet, für das die Ausschüttung erfolgt (§ 27 Abs. 3 Satz 1 KStG 1999). Eine Anwendung dieser Regelung führt, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, zu der von der Klägerin begehrten Minderung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr: Nach den Feststellungen des FG hat das dafür zuständige Organ der Klägerin im Jahr 2001 einen den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Beschluss über eine Gewinnausschüttung gefasst. Die beschlossene Ausschüttung sollte für ein vom 1. Januar 2000 bis zum 30. Juni 2000 laufendes Rumpfwirtschaftsjahr und damit für ein im Zeitpunkt des Beschlusses abgelaufenes Wirtschaftsjahr erfolgen. Damit sind auf der Basis des § 27 KStG 1999 die Voraussetzungen für eine im Streitjahr wirkende Herstellung der Ausschüttungsbelastung erfüllt, die zu einer Minderung der Körperschaftsteuer führt.

2. Das FA hält § 27 KStG 1999 indessen für aus zeitlichen Gründen nicht anwendbar. Es verweist dazu auf § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) - KStG 1999 n.F. -, der inhaltlich dem heutigen § 34 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 KStG entspricht. Danach sind die Vorschriften des Vierten Teils des KStG 1999 letztmals für Gewinnausschüttungen anwendbar, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnausschüttungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen und in dem ersten Wirtschaftsjahr erfolgen, das in dem Veranlagungszeitraum endet, für den das KStG 1999 n.F. erstmals anzuwenden ist. Unter diese Regelung fällt die von der Klägerin vorgenommene Ausschüttung nach Ansicht des FA nicht, da sie nach dem Beginn der Liquidation der Klägerin erfolgt sei und es in der Liquidationsphase keine "Wirtschaftsjahre" im Sinne der genannten Vorschrift gebe (ebenso Bundesministerium der Finanzen - BMF -, Schreiben vom 26. August 2003, BStBl I 2003, 434, Tz. 1; Pung/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rz 214g, m.w.N.). Dem schließt sich der Senat nicht an.

a) Der Begriff "Wirtschaftsjahr" ist gesetzlich nicht definiert. Er wird vor allem im Zusammenhang mit der zeitlichen Zuordnung von Besteuerungsgrundlagen zu einem bestimmten Kalenderjahr und damit zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum verwendet. Dazu enthalten § 7 Abs. 4 KStG 1999 und § 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) Regelungen, nach denen bei nach Handelsrecht buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln ist, für das sie regelmäßig Abschlüsse machen. Zudem bestimmt § 8b Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) ergänzend, dass das Wirtschaftsjahr einen Zeitraum von zwölf Monaten umfasst (Satz 1) und in bestimmten Fällen einen kürzeren Zeitraum umfassen darf (Satz 2). Aus diesen normativen Vorgaben ist abzuleiten, dass "Wirtschaftsjahr" ein Zeitraum ist, dessen Beginn und dessen Ende bei Bestehen einer handelsrechtlichen Buchführungspflicht vom Abschlussverhalten des Steuerpflichtigen bestimmt werden und der insgesamt die Dauer eines Zeitjahres nicht überschreiten darf.

b) Wird eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft nach der Auflösung abgewickelt, so ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 der Besteuerung der im Zeitraum der Abwicklung erzielte Gewinn zugrunde zu legen. Dabei soll der Besteuerungszeitraum drei Jahre nicht übersteigen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 KStG 1999). Diese Vorschriften beinhalten eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, nach der die Grundlagen für die Festsetzung der Körperschaftsteuer jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln sind (§ 7 Abs. 3 Satz 2 KStG 1999). Sie besagen aber nicht, dass es für eine Kapitalgesellschaft in der Abwicklungsphase keine "Wirtschaftsjahre" gebe oder dass eine solche Kapitalgesellschaft keine "Abschlüsse" i.S. des § 7 Abs. 4 KStG 1999 erstelle. Im Gegenteil besteht speziell die Abschlusspflicht in der Abwicklungsphase fort (§ 270 Abs. 1 des Aktiengesetzes; § 71 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Die in dieser Phase erstellten Abschlüsse werden zwar wegen § 11 Abs. 2 KStG 1999 der steuerlichen Gewinnermittlung nicht zu Grunde gelegt; sie haben daher nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur den Charakter von "Vermögensermittlungsbilanzen" (BFH-Urteil vom 27. März 2007 VIII R 25/05, BFHE 217, 467, BStBl II 2008, 298, 301, m.w.N.). Darauf stellt § 7 Abs. 4 KStG 1999, der nur von "Abschlüssen" spricht, aber nicht ab. Deshalb kann § 11 KStG 1999 nicht entnommen werden, dass es während der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft keine "Wirtschaftsjahre" i.S. des § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG 1999 n.F. gebe (ebenso BFH-Urteil in BFHE 217, 467, BStBl II 2008, 298, 301; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 37 KStG Rz 27b; Gold, GmbH-Rundschau - GmbHR -2007, 682, 684 f.). Falls der Gesetzgeber von einem anderen Verständnis ausgegangen sein sollte, kommt das im Wortlaut des Gesetzes nicht zum Ausdruck (ebenso Gold, GmbHR 2007, 682, 685).

c) Allerdings knüpft nicht nur § 7 Abs. 4 KStG 1999 an das Bestehen eines "Wirtschaftsjahres" an. Dasselbe gilt vielmehr im Hinblick auf § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F., wonach bestimmte Einlagen am Schluss eines Wirtschaftsjahres auf einem besonderen Konto auszuweisen sind. In ähnlicher Weise bestimmen § 37 Abs. 1 Satz 1 und § 38 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F., dass auf den Schluss eines Wirtschaftsjahres ein Körperschaftsteuerguthaben zu ermitteln ist. Diese Vorschriften gehen erkennbar von der Vorstellung aus, dass es alljährlich zu einer Veranlagung zur Körperschaftsteuer kommt. Daran fehlt es indessen in Abwicklungsfällen, für die § 11 Abs. 1 KStG 1999 eine Festsetzung der Steuer erst nach Ablauf eines Besteuerungszeitraums ermöglicht, der ggf. mehrjährig sein kann (vgl. dazu Senatsurteil vom 22. Februar 2006 I R 67/05, BFHE 213, 301, BStBl II 2008, 312). Vor diesem Hintergrund sind die genannten Normen nach Ansicht der Finanzverwaltung dahin zu lesen, dass in Abwicklungsfällen an die Stelle des Wirtschaftsjahres der Besteuerungszeitraum tritt (BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 434, Tz. 1 Satz 2). Ob dem zu folgen ist, hat der Senat in der Vergangenheit offen gelassen (Senatsurteil in BFHE 213, 301, 305, BStBl II 2008, 312, 313). Im Streitfall muss diese Frage erneut nicht beantwortet werden.

Denn selbst wenn man sie bejaht, ist daraus nicht abzuleiten, dass die von der Klägerin vorgenommene Ausschüttung nicht zur Anwendung des § 27 KStG 1999 führt. Insbesondere könnte eine solche Handhabung nicht auf den Gedanken gestützt werden, dass konsequenterweise im Zusammenhang mit § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 n.F. in Liquidationsfällen ebenfalls der Begriff "Wirtschaftsjahr" durch "Besteuerungszeitraum" zu ersetzen sei und dass im Streitfall der Besteuerungszeitraum der Ausschüttung nicht in dem in der Vorschrift genannten Veranlagungszeitraum geendet habe. Denn während eine solche Handhabung im Zusammenhang mit § 27, § 36 und § 37 KStG 1999 n.F. sinnvoll sein mag, würde sie hier zu sachwidrigen Ergebnissen führen. Sie würde den Eintritt der Rechtsfolge des § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 n.F. davon abhängig machen, ob die Finanzbehörde im Fall einer nach dem 1. Januar 1999 begonnenen Liquidation erst nach Ablauf des regelmäßigen Besteuerungszeitraums eine erste Zwischenveranlagung durchführt oder ob - aus welchen Gründen auch immer - diese schon auf einen vor dem 1. Januar 2002 liegenden Zeitpunkt erfolgt. Eine solche Differenzierung würde dem Grundgedanken des § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 n.F. widerstreiten, der darin liegt, die Anwendung des früheren Rechts allein von der zeitlichen Nähe der Ausschüttung zum körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel abhängig zu machen und speziell für im Jahr 2001 erfolgende Ausschüttungen die Herstellung der Ausschüttungsbelastung nach Maßgabe des § 27 KStG 1999 zu ermöglichen (vgl. dazu Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks 14/2683, S. 126, Einzelbegründung zu § 34 Abs. 10a KStG). Auch wenn im Hinblick auf § 27, § 36 und § 37 KStG 1999 n.F. der genannten Verwaltungsansicht zu folgen sein sollte, kann es deshalb im Bereich des § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 n.F. nur darauf ankommen, ob die Ausschüttung innerhalb des dort genannten Wirtschaftsjahres erfolgt ist. Diese Voraussetzung ist nach den Feststellungen des FG im Streitfall erfüllt.

d) Das FG weist zu Recht darauf hin, dass die von ihm vertretene Ansicht zusätzlich durch § 11 Abs. 4 Satz 3 KStG 1999 gestützt wird. Danach ist bei der Berechnung des Abwicklungsgewinns (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999) das Abwicklungs-Anfangsvermögen um den Gewinn eines vorangegangenen Wirtschaftsjahrs zu kürzen, der im Abwicklungszeitraum ausgeschüttet worden ist. Hierbei mag es sich, wie das FA meint, um eine "rein technische Einkommensermittlungsvorschrift" handeln. Ebenso ist richtig, dass jene Regelung darauf abzielt, eine Minderung des Abwicklungsgewinns durch Ausschüttungen von vor der Abwicklungsphase erzielten Gewinnen zu verhindern (vgl. dazu Lambrecht in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 11 Rz 66). Dennoch zeigt sie, dass das Gesetz die Ausschüttung eines vor der Abwicklung erzielten Gewinns systematisch nicht der Abwicklungsphase, sondern den Vorjahren zuordnet. Es ist nur konsequent, diesen Gedanken auf die zeitliche Zuordnung im Zusammenhang mit dem körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel zu übertragen. Dem entspricht es, wenn Gewinnausschüttungen für im Jahr 2000 endende Wirtschaftsjahre den für dieses Jahr geltenden Rechtsfolgen unterstellt werden.

e) Im Ergebnis liegen deshalb im Streitfall die Voraussetzungen für eine Minderung der Körperschaftsteuer nach Maßgabe des § 27 KStG 1999 vor. Dass das FG diese Minderung unrichtig berechnet hat, ist weder vom FA geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Das angefochtene Urteil entspricht daher der Rechtslage, weshalb die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist.

3. Dieser Entscheidung steht nicht der Umstand entgegen, dass die - nicht durch einen Bevollmächtigten vertretene - Klägerin im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt hat. Denn nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, der gemäß § 121 Satz 1 FGO auch im Revisionsverfahren gilt, darf das Gericht zwar nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Es ist in diesem Sinne aber nur an den Antrag des Klägers, nicht an denjenigen des Beklagten gebunden. Der Antrag des Beklagten ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nur eine Anregung an das Gericht, bei der Beurteilung der Rechtslage auf bestimmte Punkte besonders Wert zu legen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 15. November 1971 GrS 7/70, BFHE 103, 456, 462, BStBl II 1972, 120, 123; Fu in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 96 Rz 10). Das gilt im Revisionsverfahren gleichermaßen. Deshalb darf der BFH eine vom FA eingelegte Revision auch dann zurückweisen, wenn der Revisionsbeklagte dies nicht beantragt hat. Dieser Grundsatz greift im Streitfall durch.