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BFH-Urteil vom 25.11.2008 (II R 11/07) BStBl. 2009 II S. 287

1. Ist ein Feststellungsbescheid nach Ablauf der für ihn geltenden Feststellungsfrist ohne den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO ergangen und bestandskräftig geworden, entfaltet der (rechtswidrige) Bescheid im Rahmen seiner Bestandskraft uneingeschränkte Bindungswirkung.

2. War nach der freigebigen Zuwendung von Grundbesitz eine Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 138 BewG zunächst unterblieben und wird die Feststellung zum Zwecke der Zusammenrechnung des Werts dieses Erwerbs mit einem späteren Erwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG erforderlich, beginnt keine neue Feststellungsfrist.

AO § 124 Abs. 1 Satz 2, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 181, § 182 Abs. 1 Satz 1; BewG § 138 a.F.; ErbStG § 11, § 12 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Nürnberg vom 4. Mai 2006 IV 354/2004

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres am 23. März 2003 verstorbenen Ehemannes (S). Dieser hatte von seiner Mutter (M) am 11. Juli 1996 ein Erbbaurecht geschenkt erhalten. Der Aufforderung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung durch den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) war S 1998 nachgekommen. Mit Bescheid vom 23. August 2000 hatte das FA die Schenkungsteuer auf 0 DM festgesetzt, ohne eine Bedarfswertfeststellung angefordert zu haben.

Im Zuge der Bearbeitung des Erbfalls nach der am 1. November 2000 verstorbenen M forderte das FA beim Lagefinanzamt (FA-R) die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 11. Juli 1996 an. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 stellte das FA-R den Grundstückswert für das Erbbaurecht auf diesen Stichtag "für Zwecke der Erbschaftsteuer" in Höhe von 2.319.000 DM fest und gab dabei die Steuernummer an, unter der die Schenkungsteuersache beim FA geführt wurde. Der Bescheid ist bestandskräftig.

Aufgrund dieses Bescheids änderte das FA den Schenkungsteuerbescheid vom 23. August 2000 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und setzte durch Bescheid vom 25. September 2003 gegen die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin des S Schenkungsteuer in Höhe von 364.610 DM = 186.422,13 € fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage mit der Begründung statt, der Feststellungsbescheid vom 11. Dezember 2002 entfalte deswegen keine Bindungswirkung für die Änderung des Schenkungsteuerbescheids vom 23. August 2000, weil er ausdrücklich für Zwecke der Erbschaftsteuer erlassen worden sei und deshalb der Festsetzung von Schenkungsteuer nicht zugrunde gelegt werden könne. Außerdem sei bei Erlass des Änderungsbescheids im Jahr 2003 die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), § 138 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes in der für 1996 geltenden Fassung (BewG) und von § 182 Abs. 1 AO.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat den angefochtenen Schenkungsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung zu Recht aufgehoben.

1. Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid ist rechtswidrig. Für seinen Erlass gab es keine Rechtsgrundlage. Er konnte weder auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO noch auf eine andere Änderungsvorschrift gestützt werden. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der Feststellungsbescheid vom 11. Dezember 2002 stellt keinen solchen Grundlagenbescheid für die Schenkungsteuer dar. Der Bindungswirkung dieses Bescheids steht zwar seine Rechtswidrigkeit nicht entgegen. Er kann aber nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er Bindungswirkung auch für die Schenkungsteuer entfalten sollte.

a) Der Feststellungsbescheid vom 11. Dezember 2002 ist rechtswidrig, da er nach Ablauf der für die Feststellung des Grundstückswerts geltenden Feststellungsfrist ergangen ist und den deshalb nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO erforderlichen Hinweis nicht enthält, aber dennoch nach Maßgabe seines bestandskräftig gewordenen Inhalts bindend ist.

aa) Für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gelten nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO). Die Feststellungsfrist ist unabhängig von der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer(n) zu ermitteln (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3).

Gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG gelten für die Feststellung von Grundbesitzwerten die Vorschriften der AO über die Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes sinngemäß. Die Frist für die gesonderte Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes beginnt nach § 181 Abs. 3 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, auf dessen Beginn die Hauptfeststellung, die Fortschreibung, die Nachfeststellung oder die Aufhebung eines Einheitswerts vorzunehmen ist. Die Feststellungsfrist für die Feststellung eines Grundbesitzwerts nach § 138 BewG beginnt somit mit Ablauf des Kalenderjahrs, in das der Bewertungsstichtag fällt. Auf den Beginn der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer(n) kommt es nicht an.

Hat das Lagefinanzamt nach § 138 Abs. 6 BewG eine Feststellungserklärung angefordert, führt dies nach Maßgabe des § 181 Abs. 3 Satz 2 AO zu einer Anlaufhemmung der Feststellungsfrist. Die Anforderung einer Schenkungsteuer- oder Erbschaftsteuererklärung durch das für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzamt bewirkt demgegenüber keine Anlaufhemmung der Feststellungsfrist, und zwar wegen der fehlenden Zuständigkeit für die Feststellung auch dann nicht, wenn es zugleich Wertangaben zu dem zu bewertenden Grundbesitz erbeten hat.

Keine neue Feststellungsfrist beginnt, wenn nach der freigebigen Zuwendung von Grundbesitz eine Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 138 BewG zunächst unterblieben war und die Feststellung auf den ursprünglichen Bewertungsstichtag zum Zwecke der Zusammenrechnung des Werts dieses Erwerbs mit einem späteren Erwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG erforderlich wird. Wie bereits ausgeführt, kommt es für den Beginn der Feststellungsfrist nicht auf den Beginn der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer(n) an. Ist die Feststellungsfrist in solchen Fällen bereits abgelaufen, ermöglicht § 181 Abs. 5 Satz 1 AO die Feststellung des Grundbesitzwerts, solange die Festsetzungsfrist für die Besteuerung des Letzterwerbs noch nicht abgelaufen ist (vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 153 Rz 26; Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 138 BewG Rz 92 f.; R 124 Abs. 7 Satz 4 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003). Allerdings ist dann der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO erforderlich.

Der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO hat nicht bloße Begründungsfunktion, sondern Regelungscharakter, weil mit ihm der zeitliche Geltungsbereich der getroffenen Regelung abweichend von § 182 Abs. 1 AO bestimmt und dadurch rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis eingewirkt wird (BFH-Urteile vom 18. März 1998 II R 45/96, BFHE 185, 348, BStBl II 1998, 426, und vom 12. Juli 2005 II R 10/04, BFH/NV 2006, 228, je m.w.N.). Fehlt der Hinweis, ist der Feststellungsbescheid rechtswidrig (BFH-Urteile vom 17. August 1989 IX R 76/88, BFHE 159, 398, BStBl II 1990, 411, und vom 14. Juni 2007 XI R 37/05, BFH/NV 2007, 2227, je m.w.N.), aber nicht nichtig. Wird der Bescheid nicht angefochten, entfaltet er Bindungswirkung im Rahmen seiner Bestandskraft (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 228; BFH-Beschluss vom 7. Juni 2006 II B 129/05, BFH/NV 2006, 1616, je m.w.N.). Es bleibt dann bei der zeitlich uneingeschränkten Bindungswirkung des Feststellungsbescheids gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO. Der Hinweis ist nicht Voraussetzung dafür, dass dem Feststellungsbescheid bindende Wirkung zukommt.

bb) Der Bescheid vom 11. Dezember 2002 ist danach rechtswidrig, da bei seinem Erlass die Feststellungsfrist bereits abgelaufen war und der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO fehlt.

Die Feststellungsfrist begann gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG i.V.m. § 181 Abs. 3 Satz 1 AO mit Ablauf des Jahres 1996, an dessen 11. Juli die freigebige Zuwendung ausgeführt wurde und die Schenkungsteuer demgemäß mit der Folge entstand (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), dass die Grundstücksbewertung auf diesen Stichtag vorzunehmen war (§§ 11, 12 Abs. 3 ErbStG). Der Anlauf der Feststellungsfrist war nicht nach § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG i.V.m. § 181 Abs. 3 Satz 2 AO gehemmt. Das FA-R hat nämlich von der Möglichkeit, eine Feststellungserklärung anzufordern (§ 138 Abs. 6 BewG), keinen Gebrauch gemacht. Dass das FA eine Schenkungsteuererklärung und dabei auch Wertangaben zu dem Erbbaurecht angefordert hatte, spielt keine Rolle, da es für die Feststellung des Grundstückswerts und somit auch für die Anforderung der Feststellungserklärung nicht zuständig war.

cc) Die Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheids steht seiner zeitlich uneingeschränkten Bindungswirkung nach Maßgabe seines bestandskräftig gewordenen Inhalts nicht entgegen.

b) Der Bescheid vom 11. Dezember 2002 kann aber nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er Bindungswirkung nicht nur für die Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Erbfall M, sondern darüber hinaus auch für die Schenkungsteuer entfalten soll.

aa) Ein Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Hierbei ist der Regelungsinhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln und § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als eine auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregel zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 15. November 2005 VII R 55/04, BFHE 212, 297; vom 30. November 1999 IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678; vom 16. Februar 1990 VI R 40/86, BFHE 160, 120, BStBl II 1990, 565, jeweils m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, was die Finanzbehörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Entscheidend ist nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile in BFHE 212, 297; vom 27. November 1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, m.w.N.) vielmehr, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Dabei gehen Unklarheiten zulasten der Behörde (BFH-Urteil vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293); im Zweifel ist das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen (BFH-Beschlüsse vom 28. Juni 2005 X R 54/04, BFH/NV 2005, 1749; vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34).

Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, ist vom BFH als Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten (BFH-Urteil vom 24. März 1998 I R 83/97, BFHE 186, 67, BStBl II 1998, 601, m.w.N.).

bb) Dem Bescheid vom 11. Dezember 2002 lässt sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, dass dem für das Erbbaurecht auf den 11. Juli 1996 festgestellten Grundstückswert entgegen dem in dem Bescheid angegebenen Verwendungszweck Bindungswirkung nicht nur für Zwecke der Erbschaftsteuer, nämlich die Festsetzung der Erbschaftsteuer im Erbfall M, bei der dieser Grundstückswert im Rahmen der Zusammenrechnung des Erwerbs von Todes wegen mit Vorerwerben gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG anzusetzen ist, sondern auch für die Schenkungsteuer zukommen soll.

Aus der Angabe der Steuernummer, unter der die Schenkungsteuersache beim FA geführt wurde, lässt sich nicht ausreichend klar entnehmen, dass die Feststellung auch das erneute Aufrollen der bereits durch einen bestandskräftigen Schenkungsteuerbescheid abgeschlossenen Steuerfestsetzung für die freigebige Zuwendung des Erbbaurechts ermöglichen sollte; denn diese Zuwendung ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als Vorerwerb bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer im Erbfall M zu berücksichtigen, und zwar mit ihrem früheren Wert, also dem Wert zum 11. Juli 1996. Die Angabe der o.g. Steuernummer kann auch in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Diese Unklarheiten gehen zulasten des FA.