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BFH-Beschluss vom 14.1.2009 (I R 5/08) BStBl. 2009 II S. 457

Wurde infolge eines Berechnungsfehlers eine Pensionsrückstellung in einer früheren Bilanz mit einem Wert angesetzt, der dem Betrag nach unterhalb des Teilwerts liegt, so greift das in § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte sog. Nachholverbot ein.

EStG § 6a Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 12. Dezember 2007 3 K 1327/07

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Streitfall das in § 6a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verankerte "Nachholverbot" für Pensionsrückstellungen eingreift.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Wirtschaftsjahr das Kalenderjahr ist. Sie hatte ihrer Arbeitnehmerin T im Jahr 1989 eine Pensionszusage erteilt. Diese wurde im Jahr 1992 geändert und lautete nunmehr auszugsweise wie folgt:

"1. Sie erhalten ein lebenslängliches Ruhegeld in Höhe von 70 % des zuletzt bezogenen Grundgehalts, wenn Sie nach vollendetem 65. Lebensjahr aus unseren Diensten ausscheiden.

Scheiden Sie nach Vollendung des 60., aber vor Vollendung des 65. Lebensjahrs aus unseren Diensten aus, um in den Ruhestand zu treten, so können Sie die betriebliche Altersrente bereits von diesem Zeitpunkt an begehren (vorgezogenes Altersruhegeld). Aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme ermäßigt sich in diesem Fall die erdiente Altersrente (s. Ziffer 4.) um je 0,6 % pro Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme.

2. Scheiden Sie vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus unseren Diensten aus, so erhalten Sie eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von DM 5.000, - monatlich für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Dauert die Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres an, so wird die Altersrente (Ziffer 1.) gezahlt. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn ...

3. ...

4. Scheiden Sie vor Eintritt des Versorgungsfalles aus unseren Diensten aus, dann bleiben die erdienten Ruhegeldansprüche erhalten. Als erdient gilt der Teil der Versorgungsleistungen, der dem Verhältnis der Dauer Ihrer Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Eintritt in die Firma bis zum Erreichen der vorgesehenen Altersgrenze, also der Vollendung des 65. Lebensjahres, entspricht. Ziffer 1. Sätze 2 und 3 gelten entsprechend."

Noch im Jahr 1992 wurde ergänzend geregelt, dass die laufenden Renten sich jährlich um 3,5 % erhöhen sollten. Zur Abdeckung ihrer Versorgungsverpflichtung schloss die Klägerin Rückdeckungsversicherungen ab.

In ihren Jahresabschlüssen bildete die Klägerin Rückstellungen für ihre Pensionsverpflichtung gegenüber T, deren Höhe von einem Sachverständigen (S) nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet wurde. Dabei ging S für den Fall vorzeitiger Berufsunfähigkeit der T von einer lebenslänglichen Rentenverpflichtung in Höhe von 60.000 DM pro Jahr aus; er berücksichtigte nicht, dass T auch bei Berufsunfähigkeit von der Vollendung des 65. Lebensjahres an die (höhere) dynamisierte Altersrente (70 % des letzten Festgehalts) erhalten sollte (Nr. 2 Satz 2 der Pensionszusage). Die auf diese Weise berechnete Rückstellung beläuft sich in der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1997 auf 815.701 DM.

In ihrem Jahresabschluss auf den 31. Dezember 1998 (Streitjahr) bildete die Klägerin eine Pensionsrückstellung in Höhe von 946.081 DM. Ihre Steuerbilanz weist die Rückstellung mit 879.081 DM aus; die Abweichung beruht darauf, dass in der Handelsbilanz die geänderte Sterbetafel 1998 berücksichtigt ist, die steuerrechtlich erstmals für das nach dem 3l. Dezember 1998 endende Wirtschaftsjahr angewendet werden darf (§ 52 Abs. 7a Satz 2 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1998 vom 19. Dezember 1998, BGBl I 1998, 3816, BStBl I 1999, 117). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte der auf dieser Basis abgegebenen Steuererklärung in einem Gewerbesteuermessbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging.

Während einer nachfolgenden Außenprüfung wies der Prüfer die Klägerin darauf hin, dass die von ihr angesetzten Teilwerte der Pensionsrückstellung unter den zulässigen Soll-Teilwerten lagen, da für den Fall der Berufsunfähigkeit der Übergang zur höheren Altersrente ab Vollendung des 65. Lebensjahres nicht berücksichtigt war. Daraufhin legte die Klägerin eine geänderte Berechnung vor; sie begehrte nunmehr für die Steuerbilanz zum 31. Dezember 1998 den Ansatz einer Pensionsrückstellung in Höhe von 1.314.559 DM. Dem folgte der Prüfer nicht. Vielmehr nahm er an, dass - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - der zutreffende Teilwert (Soll-Teilwert) der Pensionsverpflichtung zum 1. Januar 1998 sich auf 1.196.294 DM belaufen habe und dass deshalb die Rückstellung zum 31. Dezember 1998 wie folgt zu berechnen sei:

1998

1. Januar

31. Dezember

 

 

 

Soll-Teilwert

1.196.294 DM

1.314.559 DM

Ist-Teilwert

./. 815.701 DM

 

Fehlbetrag

380.593 DM

./. 380.593 DM

Prüferbilanzwert

 

933.966 DM

Das FA folgte der Ansicht des Prüfers und erließ einen entsprechend geänderten Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 12. Dezember 2007 3 K 1327/07).

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 6a Abs. 4 EStG. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags ein um 380.593 DM erhöhter Aufwand berücksichtigt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

1. Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gewerbeertrags der Klägerin, der nach § 6 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist, ist deren nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zu ermittelnder Gewinn (§ 7 Satz 1 GewStG). Dieser wiederum ist durch Vermögensvergleich zu ermitteln (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG), wobei auf den Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen ist, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu diesen Grundsätzen gehört u.a., dass für Verpflichtungen aus einer Pensionszusage eine Rückstellung zu bilden ist (Senatsurteil vom 13. Februar 2008 I R 44/07, BFHE 220, 429, BStBl II 2008, 673, m.w.N.). Eine solche Pensionsrückstellung darf für Zwecke der Besteuerung höchstens mit dem Teilwert angesetzt werden (§ 6a Abs. 3 Satz 1 EStG), der sich nach § 6a Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG bestimmt.

2. Im Streitfall hat die Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1997 die - dem Grunde nach unstreitig berechtigte - Pensionsrückstellung mit einem Wert gebildet, dessen Betrag den nach Maßgabe des § 6a Abs. 3 EStG berechneten Teilwert unterschreitet. Sie will nunmehr den Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem - der Höhe nach ebenfalls unstreitigen - Teilwert zum 31. Dezember 1998 der Rückstellung zuführen, und zwar in der Steuerbilanz für das Streitjahr. Dem steht indessen das in § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG verankerte "Nachholverbot" entgegen.

a) Nach § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG darf eine Pensionsrückstellung in einem Wirtschaftsjahr höchstens um den Unterschied zwischen dem Teilwert der Pensionsverpflichtung am Schluss des Wirtschaftsjahres und am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres erhöht werden. Die im Gesetz bestimmten Ausnahmen von diesem Grundsatz (§ 6a Abs. 4 Sätze 2 bis 5 EStG) greifen im Streitfall nicht ein. Die genannten Teilwerte belaufen sich nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), auf 1.314.559 DM (31. Dezember 1998) und 1.196.294 DM (31. Dezember 1997); die Differenz zwischen beiden Werten beträgt 118.265 DM. Nur um diesen Differenzbetrag darf nach § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG die in der Bilanz auf den 31. Dezember 1997 gebildete Pensionsrückstellung, die sich nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des FG auf 815.701 DM beläuft, in der Steuerbilanz des Streitjahres aufgestockt werden. Dem entspricht die vom FA angestellte Berechnung, die deshalb zutreffend ist.

b) Mit ihrem Einwand, dass die Bemessung der Rückstellung in der Bilanz auf den 31. Dezember 1997 auf einem Fehler des S beruhe und dass dieser Fehler für sie nicht erkennbar gewesen sei, kann die Klägerin keinen Erfolg haben. Nach den Feststellungen des FG ist zwar davon auszugehen, dass die Klägerin in den Vorjahresbilanzen die Pensionsrückstellung jeweils mit ihrem vollen Teilwert ansetzen wollte und dass es zum Ansatz niedrigerer Werte nur deshalb gekommen ist, weil S die Teilwerte unrichtig berechnet hat. Dessen ungeachtet greift das Nachholverbot aber im Streitfall ein:

Seinem Wortlaut nach sieht § 6a Abs. 4 EStG für eine solche Fallgestaltung keine Ausnahme vom Nachholverbot vor. Dieser Umstand hat umso mehr Gewicht, als die Vorschrift durchaus Ausnahmeregelungen enthält, von denen die hier interessierende Situation indessen nicht erfasst wird. Denn zum einen hat ausweislich der Gesetzesmaterialien der Gesetzgeber den Katalog der gesetzlichen Ausnahmetatbestände als abschließend verstanden (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 7/1281, S. 40). Zum anderen kann ihm nicht verborgen geblieben sein, dass es in der Praxis - aus unterschiedlichen Gründen - zu Fehlern bei der Berechnung des Teilwerts einer Pensionsverpflichtung kommen kann, in deren Folge eine Steuerbilanz die Pensionsrückstellung nicht mit dem höchsten zulässigen Wert (§ 6a Abs. 3 Satz 1 EStG) ausweist. Wenn dennoch für diesen Sachverhalt keine Ausnahme vom Nachholverbot vorgesehen worden ist, lässt sich daraus ableiten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers hier das Nachholverbot uneingeschränkt gelten soll (ebenso FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, Urteil vom 15. Dezember 2000 9 K 301/96, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 349; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. September 2005 6 K 1613/04, EFG 2005, 1848; Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 27. Aufl., § 6a Rz 61; Kauffmann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 6a Rz 886). Angesichts dessen teilt der Senat die Einschätzung der Vorinstanz, dass im Streitfall das Nachholverbot nicht zuletzt deshalb durchgreifen muss, weil anderenfalls der erkennbare und im Gesetzestext zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ohne zwingenden Grund konterkariert würde.

c) Nach Ansicht der Klägerin ist § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG seinem Sinn und Zweck nach dahin zu verstehen, dass er sich nur auf Pensionszusagen bezieht, die vor dem 1. Januar 1987 erteilt wurden und für die deshalb nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch keine Rückstellung gebildet werden muss. Dem ist nicht zu folgen. Es ist zwar richtig, dass die Anwendung des Nachholverbots unter bestimmten - auch im Streitfall vorliegenden - Umständen zu Ergebnissen führen kann, die der für "Neuzusagen" geltenden Passivierungspflicht (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 220, 429, BStBl II 2008, 673, 674 f.) zuwiderlaufen. Es besteht jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass das von der Klägerin befürwortete Verständnis dem Willen des Gesetzgebers entsprechen könnte; das gilt umso mehr, als § 6a EStG inzwischen durch das Steueränderungsgesetz 1998 vom 19. Dezember 1998 (BGBl I 1998, 3816, BStBl I 1999, 117) geändert, dabei das Nachholverbot aber nicht berührt worden ist. Insbesondere verbietet sich angesichts dieses Umstands die Annahme, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Bilanzrichtliniengesetzes schlicht vergessen habe, die nunmehr bestehende Passivierungspflicht mit der Regelung in § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG zu harmonisieren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nicht nur nach dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch nach dem Willen des Gesetzgebers das Nachholverbot der Passivierungspflicht vorgeht. An seiner dahin gehenden Rechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 220, 429, BStBl II 2008, 673) hält der Senat deshalb fest.

d) Allerdings hat der Bundesfinanzhof (BFH) in anderen Zusammenhängen wiederholt Ausnahmen von der Anwendung des Nachholverbots zugelassen, die in § 6a EStG nicht benannt sind. Diese Ausnahmen betreffen Sachverhalte, in denen die Rechtsprechung eine Pensionsrückstellung zunächst nicht für zulässig erachtet und diese Auffassung später revidiert (BFH-Urteile vom 24. Juli 1990 VIII R 39/84, BFHE 161, 504, BStBl II 1992, 229; vom 7. April 1994 IV R 56/92, BFHE 174, 163, BStBl II 1994, 740) oder in denen die Finanzbehörde dem Versorgungsschuldner einen bestimmten Bilanzansatz aufgedrängt hatte (BFH-Urteil vom 9. November 1995 IV R 2/93, BFHE 179, 106, BStBl II 1996, 589). Dabei beruhte das Absehen von der Anwendung des Nachholverbots u.a. auf der Erwägung, dass § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG willkürliche Gewinnverschiebungen verhindern solle und dass diese Zielsetzung bei der Auslegung der Norm zu berücksichtigen sei (BFH-Urteil in BFHE 179, 106, 111, BStBl II 1996, 589, 591). Daraus folgt aber nicht, dass das Nachholverbot nur dann eingreift, wenn der Versorgungsschuldner bei der Bildung der Pensionsrückstellung den Teilwert bewusst unterschritten hat. Vielmehr hat der Senat bereits entschieden, dass § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG auch Fälle erfasst, in denen der Steuerpflichtige infolge eines Rechtsirrtums die Rückstellung entweder gar nicht oder nicht in der zulässigen Höhe gebildet hatte (Senatsurteile vom 10. Juli 2002 I R 88/01, BFHE 199, 437, BStBl II 2003, 936, und in BFHE 220, 429, BStBl II 2008, 673; ebenso Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 11. Dezember 2003, BStBl I 2003, 746). Eine Abweichung von § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG ist hiernach nur dann angezeigt, wenn die Unterschreitung des Teilwerts in der Vergangenheit durch staatliche Stellen veranlasst worden ist. Daran fehlt es, wenn der Versorgungsschuldner oder ein von ihm Beauftragter den Teilwert der Pensionsverpflichtung unrichtig berechnet hat. In einem solchen Fall - und damit auch im Streitfall - greift das Nachholverbot daher ein.

3. Sonstige Fehler des angefochtenen Bescheids sind weder von der Klägerin geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Das FG hat die gegen den Bescheid gerichtete Klage daher zu Recht abgewiesen, weshalb die Revision gegen sein Urteil unbegründet ist.