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BFH-Urteil vom 10.7.2008 (IX R 90/07) BStBl. 2009 II S. 816

1. Der Beginn der Feststellungsfrist für einen Verlustfeststellungsbescheid nach § 10d EStG bestimmt sich nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO.

2. § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG gilt nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG nicht, wenn die Feststellungsfrist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des JStG 2007 bereits abgelaufen war; § 181 Abs. 5 AO hemmt nicht den Ablauf der Feststellungsfrist.

AO § 181 Abs. 5; EStG § 10d Abs. 3 i.d.F. des StandOG, § 10d Abs. 4 Satz 6, § 52 Abs. 25 Satz 5.

Vorinstanz: Hessisches FG vom 14. September 2007 13 K 3578/06

Sachverhalt

I.

Dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) entstanden in den Streitjahren 1996 und 1997 Aufwendungen für seine Ausbildung zum Piloten in Höhe von 91.331 DM und in Höhe von 82.289 DM. Am 10. November 2003 reichte der Kläger beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) seine Einkommensteuererklärungen und Erklärungen zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs für die Streitjahre ein. Das FA lehnte die Bearbeitung der Erklärungen jeweils mit Bescheid vom 8. Januar 2004 ab, weil diese erst nach Ablauf der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) eingegangen seien.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) stehe einer gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs entgegen, da diese Vorschrift die Anwendung des § 181 Abs. 5 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ausschließe.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 10d EStG und des § 181 Abs. 5 Satz 1 AO.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Bescheide vom 8. Januar 2004, soweit darin die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs für die Streitjahre abgelehnt wird, sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1996 mit 91.331,83 DM und den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1997 mit 173.621,51 DM gesondert festzustellen.

Das FA hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die begehrten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs sind entgegen der Auffassung des FG nicht durch § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 ausgeschlossen; die Vorschrift ist im Streitfall nicht anwendbar.

1. Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug ist auch dann gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn - wie im Streitfall - eine Einkommensteuerveranlagung für das Verlustentstehungsjahr nicht durchgeführt wurde und wegen Ablaufs der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nicht mehr durchgeführt werden darf (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 2006 XI R 33/04, BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919).

2. Im Streitfall sind die begehrten Feststellungen gemäß § 10d Abs. 3 EStG nicht wegen des Ablaufs der Feststellungsfristen unzulässig.

a) Für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1997 verbleibenden Verlustabzugs ist die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen.

aa) Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO gelten für die gesonderte Feststellung die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine gesonderte Feststellung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist abgelaufen ist. Die Feststellungsfrist beträgt bei der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Ihr Beginn bestimmt sich nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO.

Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO später beginnt. Steuererklärung i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist auch die Erklärung zur gesonderten Feststellung (§ 181 Abs. 1 Satz 2 AO). Für die gesonderte Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG besteht gemäß § 181 Abs. 2 Satz 1 AO eine Erklärungspflicht. Danach hat eine Erklärung zur gesonderten Feststellung abzugeben, wem der Gegenstand der Feststellung ganz oder teilweise zuzurechnen ist. Unerheblich ist, dass die gesonderte Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG nicht in § 181 Abs. 2 Satz 2 AO erwähnt wird. § 181 Abs. 2 Satz 2 AO enthält - wie sich aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - keine abschließende Konkretisierung der Erklärungspflicht, sondern führt zur Klarstellung die wichtigsten Anwendungsfälle auf (vgl. BTDrucks 10/1636, 46). Die sinngemäße Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO hat zur Folge, dass die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG spätestens nach Ablauf des dritten Kalenderjahres beginnt, das auf das Kalenderjahr folgt, auf dessen Schluss der Verlustabzug verbleibt.

bb) Danach begann die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung des verleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1997 mit Ablauf des Kalenderjahres 2000; der Kläger hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Feststellungserklärung eingereicht. Ihr Ablauf ist gemäß § 171 Abs. 3a AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung über die Klage gehemmt, da der Kläger innerhalb der - frühestens mit Ablauf des Jahres 2004 endenden - Feststellungsfrist den Ablehnungsbescheid vom 8. Januar 2004 mit einem Einspruch angefochten hat.

b) Für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs endete die Feststellungsfrist zwar mit Ablauf des Jahres 2003 (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Einreichung der Feststellungserklärung für das Jahr 1996 hat keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO bewirkt. Eine gesetzlich vorgeschriebene Feststellungserklärung ist kein Antrag i.S. dieser Vorschrift; die Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts von Feststellungserklärungen auf die Feststellungsfrist sind in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abschließend geregelt (zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juni 1991 VIII R 54/89, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124). Die Feststellung kann jedoch gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO erfolgen.

aa) Gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO außer Betracht. Das Gleiche gilt, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist; dies ergibt sich aus § 181 Abs. 1 Satz 1 AO (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681, m.w.N.).

bb) Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1996 ist jedenfalls für diejenige zum 31. Dezember 1997 von Bedeutung; der Feststellungsbescheid nach § 10d Abs. 3 EStG ist Grundlagenbescheid (vgl. § 171 Abs. 10 AO) für den Feststellungsbescheid nach § 10d Abs. 3 EStG des Folgejahres (BFH-Beschluss vom 4. Februar 2000 XI B 119/98, BFH/NV 2000, 948, m.w.N., sowie R 10d Abs. 8 Satz 4 EStR 2007). Auch ist die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1997 verbleibenden Verlustabzugs - wie ausgeführt - noch nicht abgelaufen.

c) Entgegen der Auffassung des FG kommt die einschränkende Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2007, wonach § 181 Abs. 5 AO nur anzuwenden ist, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat, im Streitfall nicht zum Zuge. Gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 gilt § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 für alle bei Inkrafttreten des JStG 2007 noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen; das JStG 2007 ist am 19. Dezember 2006 in Kraft getreten (vgl. Art. 20 Abs. 1 JStG 2007).

aa) Für die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1997 ist § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 schon deshalb nicht einschlägig, weil § 181 Abs. 5 Satz 1 AO mangels Ablaufs der Feststellungsfrist nicht anwendbar ist.

bb) Für die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1996 gilt § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht, weil die Feststellungsfrist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Jahressteuergesetzes 2007 bereits abgelaufen war. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO bewirkt nach seinem Wortlaut - anders als die in § 171 AO getroffenen Regelungen - keine Ablaufhemmung der Festsetzungs- oder Feststellungsfrist, sondern ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen den Erlass eines Feststellungsbescheides mit eingeschränktem Regelungsgehalt, obwohl die Feststellungsfrist bereits abgelaufen ist (BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156; a.A. offenbar Bundesministerium der Finanzen vom 30. November 2007, BStBl I 2007, 825, unter II.).

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Sache nicht spruchreif. Das FG hat nur die Höhe der dem Kläger in den Streitjahren für seine Ausbildung zum Piloten entstandenen Aufwendungen festgestellt. Es fehlt aber an tatsächlichen Feststellungen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob es sich bei diesen Aufwendungen auch um Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) handelt, die bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers nach § 19 EStG in den Streitjahren zu berücksichtigen sind. Auch hat das FG nicht festgestellt, ob der Kläger in den Streitjahren Einnahmen oder andere Einkünfte erzielt hat. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.