![]() |
||
| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil
vom 21.7.2009 (X R 2/09) BStBl. 2009 II S. 963 Der
Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG wird personenbezogen gewährt;
er steht dem Steuerpflichtigen für alle Gewinneinkunftsarten nur einmal zu. EStG
§ 16 Abs. 4. Vorinstanz:
FG Düsseldorf vom 16. Dezember 2008 8 K 4495/07 E (EFG
2009, 469) Sachverhalt I. Die
Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden im
Streitjahr 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Arzt
und war an einer Praxisgemeinschaft beteiligt. Aus dieser Beteiligung
erzielte er im Veranlagungszeitraum 1997 neben laufenden Einkünften einen
Veräußerungsgewinn in Höhe von 50.000 DM. In der Einkommensteuererklärung
1997 gab er die laufenden Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit 288.278 DM
an und trug in der Anlage GSE zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb in der
Zeile "Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG wird nicht
beantragt oder ist nicht zu gewähren" (Zeile 14) einen Betrag in Höhe
von 50.000 DM ein. In der Anlage GSE wies er zudem auf eine Beteiligung
an einem Gewerbebetrieb hin. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA -) zog bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger
Arbeit im Einkommensteuerbescheid 1997 vom 1. Oktober 1998 von dem Veräußerungsgewinn
einen Freibetrag von 50.000 DM ab, sodass der Veräußerungsgewinn im
Ergebnis unberücksichtigt blieb. In der Folgezeit änderte das FA den
Einkommensteuerbescheid 1997 wegen geänderter Feststellungsbescheide
mehrmals. Im Änderungsbescheid vom 19. Mai 1999 erfasste es einen um
50.000 DM höheren Gewinn aus der Praxisbeteiligung des Klägers. Das
FA gab dem hiergegen eingelegten Einspruch statt, in dem die Kläger die
"Doppelerfassung" des Veräußerungsgewinns geltend machten. In
der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 wiesen die Kläger in
der Anlage GSE auf eine gewerbliche Beteiligung des Klägers hin, machten
aber keine Angaben zur Höhe der Einkünfte. Aufgrund des
Feststellungsbescheids 2003 vom 14. März 2005, in dem neben laufenden
Einkünften und Sonderbetriebsausgaben auch ein "anzusetzendes Veräußerungsergebnis"
von 71.928,52 € festgestellt wurde, änderte das FA den
Einkommensteuerbescheid 2003 am 11. Mai 2005. Der hiergegen eingelegte
Einspruch, mit dem die Kläger den Ansatz eines Freibetrags nach § 16
Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beantragten, hatte keinen
Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte
2009, 469 veröffentlichtem Urteil ab. Der Freibetrag sei dem Kläger
bereits im Veranlagungszeitraum 1997 gewährt worden. Er sei verbraucht,
selbst wenn er in der Vergangenheit zu Unrecht angesetzt worden sei und die
Steuervergünstigung nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Zudem
wirke der Verbrauch einkünfteübergreifend. Er könne nicht für jede der
drei Gewinneinkunftsarten je einmal gewährt werden. Er sei personen- und
nicht einkunftsbezogen. Mit
ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne der Freibetrag nach
§ 16 Abs. 4 EStG nur gewährt werden, wenn der Veräußerer im
Zeitpunkt der Veräußerung das 55. Lebensjahr vollendet habe. Zwar
habe das FA im Einkommensteuerbescheid für 1997 einen Freibetrag gewährt;
hierbei könne es sich jedoch nicht um den Freibetrag nach § 16 Abs. 4
EStG handeln, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt das 55. Lebensjahr
noch nicht vollendet hatte und der Freibetrag zudem nicht beantragt worden
sei. Im Übrigen sei der Freibetrag für jede der drei Gewinneinkunftsarten
einmal zu gewähren. Die
Kläger beantragen, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober
2007 aufzuheben und die Einkommensteuer 2003 unter Berücksichtigung eines
Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden
Fassung in Höhe von 51.200 € festzusetzen. Das
FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Entscheidungsgründe II. Die
Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Recht ist das FG davon ausgegangen,
dass dem Kläger der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG nicht
erneut zu gewähren ist. 1.
Hat der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet oder ist er im
sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig, so wird der Veräußerungsgewinn
auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er den Freibetrag
gemäß § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG übersteigt. Der Freibetrag
ist dem Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren (§ 16 Abs. 4
Satz 2 EStG). Das bedeutet, dass der Freibetrag dem Steuerpflichtigen
nur einmal im Leben zugute kommt, allerdings stets in voller Höhe; es kommt
nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige einen ganzen Gewerbebetrieb, einen
Teilbetrieb oder einen Mitunternehmeranteil veräußert (Reiß in Kirchhof,
EStG, 8. Aufl., § 16 Rz 508). Veräußerungen und
Betriebsaufgaben vor dem 1. Januar 1996 werden nicht angerechnet (§ 52
Abs. 34 Satz 3 EStG 1999; Blümich/Stuhrmann, § 16 EStG Rz 451). 2.
Im Streitfall ist der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 EStG dem Kläger
bereits im Einkommensteuerbescheid 1997 gewährt worden. Der erkennende
Senat folgt dem FG darin, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut von § 16
Abs. 4 EStG nicht darauf ankommt, ob der Freibetrag zu Recht gewährt
worden ist oder nicht. Entscheidend ist allein, dass sich der Freibetrag auf
die Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und die Steuervergünstigung nicht mehr
rückgängig gemacht werden kann (vgl. hierzu auch die BFH-Urteile vom 8. März
1994 IX R 12/90, BFH/NV 1994, 785, bzw. vom 15. Mai 2002 X R 97/98,
BFH/NV 2002, 1428, zur vergleichbaren Problematik bei § 7b EStG bzw.
§ 10e Abs. 4 EStG). Soll der Freibetrag erst für einen späteren
Veräußerungsgewinn in Anspruch genommen werden, muss der Steuerpflichtige
die Steuerfestsetzung anfechten, in dem ihm die Steuervergünstigung trotz
Fehlens eines entsprechenden Antrags (bzw. weiterer gesetzlicher
Voraussetzungen) gewährt wurde. Nach Treu und Glauben könnte sich der
Steuerpflichtige den Verbrauch des Freibetrags nach § 16 Abs. 4
EStG allenfalls dann nicht entgegenhalten lassen müssen, wenn für ihn
angesichts der geringen Höhe des Freibetrags und des fehlenden Hinweises in
den Erläuterungen nicht erkennbar gewesen wäre, dass das FA den Freibetrag
nach § 16 Abs. 4 EStG ohne Antrag angesetzt hat (vgl. hierzu auch
Senatsurteil in BFH/NV 2002, 1428). Bei
der Einkommensteuerfestsetzung 1997 wurde dem Kläger ein Freibetrag nach
§ 16 Abs. 4 EStG in Höhe von 50.000 DM gewährt. Er hat den
Bescheid nicht angefochten, obwohl die Tatsache, dass das FA den Freibetrag
ohne Antrag angesetzt hat, aus der Berechnung der Einkünfte aus selbständiger
Arbeit und dem Einspruchsverfahren wegen der "Doppelerfassung" des
Veräußerungsgewinns erkennbar war. Zudem konnte die Berücksichtigung des
Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG im Veranlagungszeitraum 1997
nach den Feststellungen des FG im Zeitpunkt, als die Kläger den Freibetrag
in Zusammenhang mit der Einkommensteuerveranlagung 2003 beantragt haben,
nicht mehr rückgängig gemacht werden, da bereits Festsetzungsverjährung
eingetreten war. 3.
Zutreffend hat das FG auch erkannt, dass der Freibetrag nach § 16 Abs. 4
EStG dem Kläger im Streitjahr 2003 nicht deshalb zu gewähren ist, weil er
ihn für einen Veräußerungsgewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb
begehrt und der Freibetrag im Veranlagungszeitraum 1997 für einen Veräußerungsgewinn
bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit gewährt wurde. Der Grundsatz,
dass der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG einem Steuerpflichtigen
nur einmal gewährt werden kann, gilt absolut und damit einkünfteübergreifend.
Der Freibetrag auch für den Gewerbebetreibenden wird verbraucht, wenn ihn
der Steuerpflichtige bei der Aufgabe oder Veräußerung seines land- und
forstwirtschaftlichen Betriebs oder einer freiberuflichen Praxis in Anspruch
nimmt (so auch Kanzler, Finanz-Rundschau - FR - 2000, 1245, 1254; Reiß in
Kirchhof, a.a.O., § 16 Rz 508; Kauffmann in Frotscher, EStG, 6. Aufl.,
§ 16 Rz 257; R 139 Abs. 13 Satz 5 der
Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 2003, und R 16 Abs. 13 Satz 5
EStR 2007; a.A. Paus, Die Information über Steuer und Wirtschaft, 1995,
577, 586; Wendt, FR 2000, 1199 Fn. 5; Schmidt/Wacker, EStG, 28. Aufl.,
§ 16 Rz 581; Kobor in Hermann/Heuer/Raupach, § 16 EStG Rz 530;
Gänger in Bordewin/Brandt, § 16 EStG Rz 258; Stahl in Korn,
§ 16 EStG Rz 418). Zu
Recht hat das FG darauf abgestellt, dass sowohl § 14 Satz 2 EStG
(mit Einschränkung) als auch § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG
§ 16 Abs. 4 EStG für entsprechend anwendbar erklären. Dabei
handelt es sich nicht um eine Rechtsfolgen-, sondern um eine
Rechtsgrundverweisung (Kanzler, FR 2000, 1245, 1254), mit der Folge, dass
der Freibetrag nur unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 4 EStG
zu gewähren ist. Dass
sowohl § 14 Satz 2 EStG als auch § 18 Abs. 3 Satz 2
EStG Rechtsgrundverweisungen beinhalten und § 16 Abs. 4 Satz 2
EStG einkünfteüberschreitend zu beachten ist, ergibt sich aus dem Sinn und
Zweck der gesetzlichen Regelung. Vor Änderung des § 16 Abs. 4
EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995
(BGBl I 1995, 1250) gewährte die Vorschrift eine betriebsbezogene
Steuerbefreiung in Form eines Freibetrags, der abhängig von der Höhe des
jeweils erzielten Gewinns (ggf. bis auf 0 DM) abgeschmolzen wurde. Der
Freibetrag wurde bei Veräußerung oder Aufgabe jeder betrieblichen
(gewerblichen, freiberuflichen oder land- und forstwirtschaftlichen) Einheit
berücksichtigt; wurden allerdings ein Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil
veräußert oder aufgegeben, wurde der Freibetrag nur anteilig bezogen auf
den gesamten Betrieb oder die Summe der Mitunternehmeranteile angesetzt. Bei
der Veräußerung oder Aufgabe mehrerer betrieblicher Einheiten (gleichgültig,
ob es sich um mehrere Gewerbebetriebe und/oder Betriebe selbständig Tätiger
oder von Land- und Forstwirten handelte), konnte der Freibetrag nach
§ 16 Abs. 4 EStG mehrfach zur Anwendung kommen. Bei Einführung
von § 16 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 hat der
Gesetzgeber offensichtlich berücksichtigt, dass eine mehrfache Gewährung
des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG Inhaber mehrerer Betriebe
oder betrieblicher Teileinheiten gegenüber solchen Betriebsinhabern
privilegiert, die ihre betrieblichen Aktivitäten in einer betrieblichen
Einheit bündeln (müssen). Da in ertragsteuerlicher Hinsicht jeder
Steuerpflichtige nur eine betriebliche Sphäre hat, sollte der Freibetrag
nach § 16 Abs. 4 EStG personenbezogen und damit einkünfteübergreifend
gewährt werden. Nur "einmal im Leben" sollte ein
Steuerpflichtiger bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (Vollendung des 55.
Lebensjahres bzw. dauernde Berufsunfähigkeit im
sozialversicherungsrechtlichen Sinn) den Freibetrag nach § 16 Abs. 4
EStG in Anspruch nehmen können. Im Gegenzug dazu hat der Gesetzgeber die
Veräußerung bzw. Aufgabe eines Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils der
Veräußerung bzw. Aufgabe eines ganzen Gewerbebetriebs gleichgestellt.
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber Steuerpflichtigen durch das Antragsrecht
die Wahl gelassen, selbst zu entscheiden, für welchen Gewinn sie den
Freibetrag beanspruchen wollen. Ausgehend
von diesem gesetzlichen Regelungszweck ist es folgerichtig, § 16 Abs. 4
EStG einkunftsartenübergreifend und damit personenbezogen zu betrachten.
§ 16 Abs. 4 Satz 2 EStG erkennt den Freibetrag "dem
Steuerpflichtigen" nur einmal für alle Gewinneinkunftsarten zu
(Kauffmann in Frotscher, a.a.O., § 16 Rz 257). Es wäre
sinnwidrig, einem Steuerpflichtigen, der mehrere gewerbliche betriebliche
Einheiten veräußert oder aufgibt, die mehrfache Gewährung des Freibetrags
unter Hinweis auf § 16 Abs. 4 Satz 2 EStG zu versagen, einem
anderen Steuerpflichtigen, dessen verschiedene betriebliche Einheiten aber
unterschiedlichen Einkunftsarten zuzuordnen sind, im Veräußerungs- oder
Aufgabefall den Freibetrag mehrfach zu gewähren.
|