| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil
vom 25.6.2009 (III R 2/07) BStBl. 2009 II S. 968 Ist
ein Kind getrennt lebender Eltern auf eigenen Entschluss von dem Haushalt
eines Elternteils in den Haushalt des anderen Elternteils umgezogen, kann in
der Regel davon ausgegangen werden, dass der andere Elternteil - auch wenn
er nicht sorgeberechtigt ist - das Kind i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1
EStG in seinen Haushalt aufgenommen und damit Anspruch auf Auszahlung des
Kindergeldes hat, wenn das Kind seit mehr als drei Monaten dort lebt und
eine Rückkehr in den Haushalt des sorgeberechtigten Elternteils nicht von
vornherein feststeht. EStG
§ 64 Abs. 2 Satz 1. Vorinstanz:
FG Münster vom 1. Dezember 2005 3 K 1715/04 Kg (EFG
2007, 1176) Sachverhalt I. Die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt für ihre im Januar
1988 geborene Tochter (T) Kindergeld. Im August 2003 zog T zu ihrem Vater,
dem geschiedenen Ehemann der Klägerin (Beigeladener). Im Januar 2004 kehrte
sie in den Haushalt der Klägerin zurück. Im
Februar 2004 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die
Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von September 2003 bis Januar 2004
auf. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 1. Dezember 2005 3 K 1715/04 Kg
(Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1176) ab. Mit
ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das
FG habe den Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2
Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verkannt. Wegen ihres
alleinigen Sorgerechts sei durch das Überwechseln von T in den Haushalt des
Beigeladenen, dem sie, die Klägerin, ausdrücklich widersprochen habe, ein
einer Kindesentziehung vergleichbarer widerrechtlicher Zustand hergestellt
worden, der auch durch den Willen der erst 15-jährigen T nicht habe
legalisiert werden können. Bei Geltendmachung des Rückführungsanspruchs könne
der andere Elternteil - wie der Kindesentzieher im Fall eines Kindesentzugs
- kein auf Dauer angelegtes Obhutsverhältnis zu dem Kind begründen. Eine
gerichtliche Geltendmachung könne jedoch bei einem 15-jährigen Kind nicht
verlangt werden. Die
Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Bescheid der
Familienkasse vom 24. Februar 2004 und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung vom 25. März 2004 aufzuheben. Die
Familienkasse und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe II. Die
Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im
Ergebnis zu Recht hat das FG entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch
auf Kindergeld für den Streitzeitraum zusteht, weil T nicht mehr in ihrem
Haushalt aufgenommen war. 1.
Erfüllen mehrere Personen - wie hier die Klägerin und der Beigeladene -
die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld, so wird dieses gemäß
§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an die Person gezahlt, die das Kind
in ihren Haushalt aufgenommen hat. a)
Ein Kind ist in den Haushalt des Elternteils aufgenommen, bei dem es wohnt,
versorgt und betreut wird, sodass es sich in der Obhut dieses Elternteils
befindet (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 2001 VI R 224/98,
BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Das Merkmal der Haushaltsaufnahme wird
in erster Linie durch den tatsächlichen Umstand bestimmt, dass das Kind
nicht nur vorübergehend in dem betreffenden Haushalt lebt (z.B. BFH-Urteil
vom 24. Oktober 2000 VI R 21/99, BFH/NV 2001, 444). Formale
Gesichtspunkte, z.B. die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein
Melderegister, können bei der Beurteilung, in welchen Haushalt das Kind
aufgenommen ist, allenfalls unterstützend herangezogen werden (z.B.
BFH-Urteil in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). b)
Wohnt ein Kind getrennt lebender Eltern nur für einen von vornherein
begrenzten, kurzfristigen Zeitraum - etwa zu Besuchszwecken oder in den
Ferien - bei dem anderen Elternteil, ist es nicht in dessen Haushalt
aufgenommen, weil kein Obhutsverhältnis in dem geschilderten Sinne besteht.
Steht zum Zeitpunkt des Einzugs noch nicht endgültig fest, ob das Kind auf
Dauer bei dem anderen Elternteil wohnen wird, kann der Wohnungswechsel
dagegen als Aufnahme in den Haushalt des anderen Ehegatten zu werten sein,
wenn sich das Kind dort für einen längeren Zeitraum aufhält. Denn in
einem solchen Fall wird das Kind nach dem Umzug von dem anderen Elternteil
betreut, versorgt und unterhalten, sodass ein neues Obhutsverhältnis begründet
wird (z.B. BFH-Urteil in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Dem
Zeitmoment kommt besondere Bedeutung zu. Je länger ein Kind auf eigenen
Entschluss und mit Willen des anderen Elternteils in dessen Haushalt lebt,
desto mehr spricht dafür, dass dort ein neues Obhutsverhältnis begründet
worden ist. Von einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt kann dabei
jedenfalls dann regelmäßig ausgegangen werden, wenn das Kind seit mehr als
drei Monaten bei dem anderen Elternteil lebt und eine Rückkehr nicht von
vornherein feststeht. c)
Nicht anwendbar sind hingegen die Grundsätze, die der BFH für Kindesentführungen
in das Ausland aufgestellt hat (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 2002
VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 und VIII R 52/01, BFH/NV
2002, 1148; vom 30. Oktober 2002 VIII R 86/00, BFH/NV 2003,
464). Denn der auf einem Entschluss des Kindes beruhende Umzug von einem zu
dem anderen Elternteil kann mit einer Entführung des Kindes nicht
gleichgesetzt werden. 2.
Danach durfte die Familienkasse davon ausgehen, dass T, die aus eigenem
Streben heraus von August 2003 bis Januar 2004, mithin deutlich mehr als
drei Monate, bei dem Beigeladenen lebte, in dieser Zeit nicht mehr in den
Haushalt der Klägerin, sondern in den des Beigeladenen aufgenommen war. Die
Familienkasse hat für den Streitzeitraum die Kindergeldfestsetzung gegenüber
der Klägerin daher zu Recht aufgehoben (§ 70 Abs. 2 EStG). 3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135
Abs. 2 und § 139 Abs. 4 FGO. Es entspricht der Billigkeit,
der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im
Revisionsverfahren aufzuerlegen, da er dieses Verfahren dadurch wesentlich
gefördert hat, dass er auf mündliche Verhandlung verzichtet und so eine
Entscheidung des Revisionsgerichts ohne mündliche Verhandlung ermöglicht
hat (z.B. BFH-Urteil vom 20. Juni 2001 VI R 169/97, BFH/NV
2001, 1443, m.w.N.).
|