| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil
vom 25.8.2009 (IX R 60/07) BStBl. 2009 II S. 999 Werden
Wertpapiere, die innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG mit Verlust veräußert werden, am selben Tage in gleicher Art und
Anzahl, aber zu unterschiedlichem Kurs wieder gekauft, so liegt hierin kein
Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO. AO
§ 42: EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Vorinstanz:
FG Baden-Württemberg vom 1. August 2007 1 K 51/06 (EFG 2008, 54) Sachverhalt I. Die
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erzielten als Beteiligte einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) neben Einkünften aus Vermietung und
Verpachtung auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach §
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In ihrer Erklärung
über die einheitliche und gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen für 2000 (Streitjahr) machten sie Verluste aus
privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 104.957 DM geltend. Die
Verluste ergaben sich u.a. aus dem An- und Verkauf von Aktien der S-Bank
sowie der XY-Inc., die mit entsprechenden Veräußerungsgewinnen aus dem
gleichen Jahr verrechnet wurden. Die
Kläger hatten im Februar und März 2000 sukzessive 50 Aktien der S-Bank zum
Kurswert von insgesamt 115.784 DM erworben. Aufgrund eines im April 2000
durchgeführten Aktiensplits erhielten sie weitere 100 Stück in ihr Depot
eingebucht. Diese insgesamt 150 Aktien verkauften sie im Dezember 2000 zum
Kurswert (pro Aktie: 71,38 DM) von insgesamt 10.708 DM; am selben Tag
kauften sie die gleiche Anzahl dieser Bank-Aktien zum Kurswert (pro Aktie:
72,75 DM) von 10.913 DM wieder an. Zudem
hatten die Kläger im Februar 2000 100 Aktien der XY-Inc. zum Kurswert
(pro Aktie: 239,58 DM) von insgesamt 23.958 DM gekauft und ebenso im
Dezember 2000 für insgesamt 1.329 DM (Kurswert pro Aktie: 13,29 DM)
verkauft; am selben Tag kauften sie die gleiche Anzahl von XY-Aktien zum
Kurswert (pro Aktie: 14,86 DM) von insgesamt 1.486 DM wieder an. Im
Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr erkannte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Verluste aus dem Verkauf der
Anteile der S-Bank und der XY-Inc. nicht an. Verkauf und anschließender
Wiederkauf der gleichen Wertpapiere an demselben Tag und in gleicher Zahl
zur Realisierung von Spekulationsverlusten innerhalb der einjährigen
Spekulationsfrist sei ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der
Abgabenordnung i.d.F. des Streitjahres (AO). Nach
erfolglosem Einspruchsverfahren hatte die Klage Erfolg (Urteil in
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2008, 54). Nach Ansicht des
Finanzgerichts (FG) könne die (Wieder-)Anschaffung der gleichen Aktien an
demselben Tag und in gleicher Stückzahl nicht dazu führen, einer
tatbestandsmäßigen Verlustrealisierung über § 42 AO die steuerliche
Anerkennung zu versagen. Der mit dem Verkauf der Aktien abgeschlossene
Steuertatbestand entfalte Zäsurwirkung. Für eine wirtschaftliche
Betrachtungsweise sei insofern kein Raum. Auf Motivation und Absichten der
Kläger komme es nicht an. Zudem würden die vom Gesetzgeber dem
Steuerpflichtigen eingeräumten Dispositionsmöglichkeiten durch eine beschränkte
Verlustberücksichtigung ausgeglichen. Mit
der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 EStG, § 42 AO). Der durch den Verkauf der Wertpapiere
eingetretene Verlust mit anschließendem Wiederkauf sei wegen
Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO steuerlich nicht anzuerkennen. Maßgebend
sei auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Für ihre Vorgehensweise
(Verkauf und Wiederkauf von Wertpapieren gleicher Art, an demselben Tag und
in gleicher Anzahl) und ihre Erwartungshaltung auf steigende Kurse hätten
die Kläger keinerlei wirtschaftliche Gründe vorgetragen. Daher habe
angesichts der Besonderheit des umgehenden Wiederkaufs der Wertpapiere -
wirtschaftlich betrachtet - bewusst keine echte Verlustrealisation
stattgefunden. Das
FA beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen. Die
Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe II. Die
Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Recht hat das FG im nachfolgenden
Wiederkauf der zuvor mit Verlust veräußerten Aktien keinen
Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO gesehen. 1.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 EStG unterliegen private Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern
(als den in Nr. 1 der Vorschrift genannten Grundstücken und grundstücksgleichen
Rechten), insbesondere bei Wertpapieren, als sonstige Einkünfte der
Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung -
unter Beachtung des auch insoweit geltenden Grundsatzes der Nämlichkeit
(vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November 1993 X R 49/90,
BFHE 173, 107, BStBl II 1994, 591; vom 22. Mai 2003 IX R 9/00, BFHE 202,
309, BStBl II 2003, 712) - nicht mehr als ein Jahr beträgt (sog.
gestreckter oder zweiaktiger Tatbestand; vgl. BFH-Beschluss vom 16. Dezember
2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.1.b). Das
gilt auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt (§ 23 Abs. 3
Satz 1 EStG; vgl. auch BFH-Beschluss vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160,
466, BStBl II 1990, 830, unter III.2.d bb). Veräußerungsverluste sind nach
§ 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG indes nur eingeschränkt zu berücksichtigen.
Durch dieses in sich geschlossene und aufeinander abgestimmte System der
Verlustnutzung und -begrenzung sollen u.a. Spekulationen auf Kosten der
Allgemeinheit und insbesondere missbräuchliche Gestaltungen i.S. des § 42
AO verhindert werden (vgl. Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG
§ 23 Rz F 27, 29). b)
Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind im Streitfall -
unstreitig - erfüllt. Denn die Wertpapiere wurden innerhalb der maßgeblichen
Jahresfrist (Erwerb im Februar/März 2000 und Verkauf im Dezember 2000)
angeschafft und wieder - wenn auch mit Verlust - veräußert. Der zweiaktige
Tatbestand ist damit verwirklicht, und zwar unabhängig vom nachfolgenden
Wiederkauf von Wertpapieren gleicher Art als erstem Teilakt eines eventuell
erneut in Gang gesetzten Steuertatbestandes. Die
Kläger haben den aus der Veräußerung der Wertpapiere erwirtschafteten
Verlust auch i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG "erzielt"; sie
haben mit Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt. Dieses Merkmal des
Steuertatbestandes wird durch die verhältnismäßig kurze (Jahres-)Frist in
typisierender Weise objektiviert (dazu BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R
74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom 22. April 2008 IX R 29/06, BFHE
221, 97, BStBl II 2009, 296, unter II.1.c). 2.
Das Tatbestandsmerkmal "Veräußerungsgeschäft" wird auch nicht
gemäß § 42 Satz 2 AO beseitigt. a)
Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO
ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die - gemessen
an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll
und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe
nicht zu rechtfertigen ist (BFH-Urteile vom 29. Mai 2008 IX R 77/06, BFHE
221, 231, BStBl II 2008, 789; vom 29. August 2007 IX R 17/07, BFH/NV 2008,
426, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche
Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann
unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte
Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht
gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den
Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteile
in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, und vom 17. Dezember 2003 IX R 56/03,
BFHE 205, 70, BStBl II 2004, 648, m.w.N.). b)
Entspricht es aber Sinn und Zweck des § 23 EStG, (nur) realisierte Wertänderungen
(in Gestalt von Veräußerungsgewinnen und -verlusten) aus verhältnismäßig
kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des
Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen (s. BFH-Urteil vom 18.
Oktober 2006 IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259), stellt es
keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar, wenn der
Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere unmittelbar anschließend oder
zumindest kurzfristig nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen
wiedererwirbt (gl.A. Wernsmann, a.a.O., § 23 EStG Rz A 72, F 29; s.a. FG
Hamburg, Urteil vom 9. Juli 2004 VII 52/02, EFG 2004, 1775; a.A.
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 14. September 2006 5 K
286/03, EFG 2007, 192). Insoweit bewegt er sich mit seinen Dispositionen
angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus
resultierenden Kursrisikos (Volatilität) im Rahmen der
gesetzlichen Vorgaben. Denn es steht in seinem Belieben (vgl. BFH-Beschluss
in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.2.; BFH-Urteil in BFHE
215, 202, BStBl II 2007, 259, unter II.2.b(1)), ob, wann und mit welchem
Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder
kauft und ggf. wieder verkauft. Insoweit handelt es sich bei dem Verkauf von
Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu
unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen um eigenständige und damit
separat zu beurteilende Vorgänge, so dass der Veräußerungsvorgang nicht
i.S. des § 42 Satz 2 AO eliminiert wird (s.a. BFH-Urteile vom 24. Juni 2003
IX R 2/02, BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752, unter II.1.b bb, betr.
Optionsgeschäfte; vom 15. Dezember 1999 I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II
2000, 527, unter B.II.1.b bb, r.Sp., zum sog. Dividenden-Stripping bei
taggleichem An- und Verkauf). 3.
Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung. Die Revision ist daher
zurückzuweisen. Entgegen der Ansicht des FG schließt allerdings der mit
der Veräußerung bereits verwirk-lichte Steuertatbestand ("Zäsurwirkung")
eine wirtschaftliche Gesamtbeurteilung nach § 42 AO unter Einschluss des
nachfolgenden Wiederkaufs derselben oder gleichartiger Wertpapiere nicht
generell aus. Die
Kläger haben mit dem An- und Verkauf der Wertpapiere innerhalb der
Jahresfrist den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt (s.
oben unter II.1.b). Vorliegend hat das FG zutreffend im nachfolgenden
Wiederkauf der am selben Tag zuvor mit Verlust veräußerten gleichartigen
Wertpapiere angesichts des von den Klägern eingegangenen erkennbaren
Kursrisikos (s. oben unter I.) keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42
AO gesehen.
|