| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 13.5.2009 (XI R 63/07) BStBl. 2010 II S. 11
Das
FA ist berechtigt, in einem laufenden Insolvenzverfahren einen
Umsatzsteuerbescheid zu erlassen, in dem eine negative Umsatzsteuer für
einen Besteuerungszeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
festgesetzt wird, wenn sich daraus keine Zahllast ergibt.
AO § 251 Abs. 2 Satz 1; InsO § 87, § 89;
ZPO § 240.
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 23. April
2007 3 K 90/07 (EFG 2008, 99)
Sachverhalt
I.
Zwischen den Beteiligten ist
streitig, ob nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Bescheid mit der
Festsetzung einer negativen Umsatzsteuer für den Zeitraum vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ergehen durfte.
Die T GmbH
(Gemeinschuldnerin) war als Generalauftragnehmerin für Neubau und Sanierung
von Gebäuden tätig. Aus ihren für 2005 eingereichten
Umsatzsteuer-Voranmeldungen ergab sich eine als Vorsteuer abziehbare
Umsatzsteuer von 1.052,61 €. Mit Beschluss vom 29. Juni 2006 eröffnete das
Amtsgericht D - Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der Gemeinschuldnerin und bestellte die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) zur Insolvenzverwalterin.
Mit Bescheid vom 26. Juli
2006 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die
Umsatzsteuer 2005 gegen die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das
Vermögen der Gemeinschuldnerin auf ./. 1.052,61 € fest. Das FA schätzte die
steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und unentgeltlichen
Wertabgaben auf 0 € und die Vorsteuern auf 1.052,61 €. In der Erläuterung
führte es aus, die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei wegen Eröffnung
des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Den hiergegen eingelegten
Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2006 als
unbegründet zurück.
Die Klage hatte Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) war der Auffassung, dass nach § 251 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) der Erlass von Steuerbescheiden, mit denen
Insolvenzforderungen festgesetzt würden, unzulässig sei. Dies gelte
gleichermaßen für die Festsetzung einer negativen Umsatzsteuer. Mit
Insolvenzeröffnung werde das Festsetzungsverfahren analog § 240 der
Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen. Es sei daher auch der Erlass eines
Steuerbescheids unzulässig, wenn darin ein Erstattungsbetrag festgesetzt
werde. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte
2008, 99.
Das FA führt zur Begründung
seiner Revision im Wesentlichen aus, gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m.
§ 89 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) trete mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ein Vollstreckungsverbot ein. Nur aus diesem Grund sei
der Erlass von Steuerverwaltungsakten, die Steueransprüche gegen den
Insolvenzschuldner festsetzten oder Besteuerungsgrundlagen feststellten,
welche die festzusetzenden Steuerforderungen beeinflussen könnten, nicht
mehr zulässig.
Aus dem im Streitfall
angefochtenen Bescheid ergebe sich jedoch keine Zahllast mit daraus
folgendem Leistungsgebot, sondern eine Zahllast in Höhe von 0 €. Somit
könnte das FA aus diesem Bescheid auch keinen Steueranspruch gegen die
Gemeinschuldnerin ableiten und sich keinen vollstreckbaren Titel schaffen,
der dem Vollstreckungsverbot unterläge und demzufolge zur Tabelle anzumelden
wäre.
Die Urteile des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Dezember 2002 I R 33/01 (BFHE 201, 392, BStBl
II 2003, 630) und vom 24. August 2004 VIII R 14/02 (BFHE 207, 10, BStBl II
2005, 246) seien auf den Streitfall nicht anwendbar. Das FA habe lediglich
einen Umsatzsteuerbescheid erlassen, der keinen Grundlagenbescheid darstelle
und somit auch nicht abstrakt dazu geeignet sei, die Höhe von
Steuerforderungen zu beeinflussen, die nicht durch ihn selbst festgesetzt
würden. Hierzu könne das FG auch nicht ins Feld führen, dass die Klägerin
eine zur Tabelle angemeldete Steuerforderung mit Steuererstattungsansprüchen
aufrechnen könne.
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die Klägerin meint, die
Revision sei unzulässig, weil die Revisionsbegründung die Voraussetzungen
des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht
erfülle.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist begründet.
1. Die Revision ist zulässig.
Die Revisionsbegründung muss u.a. die
bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die
Rechtsverletzung ergibt (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO). Hierzu wird von
der Rechtsprechung des BFH gefordert, dass die erhobene Rüge eindeutig
erkennen lässt, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält, und dass
der Revisionskläger ferner die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art
angibt, die seiner Auffassung nach das angefochtene Urteil als unrichtig
erscheinen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 2005 X R 47/03, BFHE
211, 227, BStBl II 2006, 504, m.w.N.).
Das FA hat in seiner
Revisionsbegründungsschrift zum Ausdruck gebracht, dass es entgegen der
Beurteilung des FG berechtigt war, einen Steuerbescheid zu erlassen, und
dass es die von ihm auf Seite 2 seiner Revisionsbegründungsschrift genannten
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 89 InsO für verletzt hält. Die
Revisionsbegründungsschrift genügt damit oben genannten Anforderungen.
2. Die Revision ist begründet. Sie führt
zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass das FA den
Umsatzsteuerbescheid 2005 gemäß § 251 Abs. 2 AO, § 240 ZPO analog nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erlassen durfte.
a) Das FA war nicht aufgrund von § 251
Abs. 2 AO i.V.m. § 87 InsO gehindert, den Umsatzsteuerbescheid zu erlassen.
aa) Nach § 87 InsO, der über die Verweisung
in § 251 Abs. 2 AO auch im Steuerrecht zu beachten ist, können die
Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das
Insolvenzverfahren verfolgen. Daraus hat der BFH in ständiger Rechtsprechung
abgeleitet, dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
nicht mehr ergehen dürfen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt
werden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246, zur Rechtslage
nach der Konkursordnung; vom 10. Dezember 2008 I R 41/07, BFH/NV 2009, 719,
m.w.N.). Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine
Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt
werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen
beeinflussen könnten (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 11/97, BFHE 183,
365, BStBl II 1998, 428).
bb) Mit dem angefochtenen
Umsatzsteuerbescheid hat das FA eine negative Umsatzsteuer festgesetzt.
Diesem Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende
Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit hat das FA keine
Insolvenzforderung, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das
Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag
festgesetzt, der nicht zur Tabelle anzumelden war. Da sich auch nach
Abrechnung mit den bereits ausgezahlten 1.052,61 € keine Zahllast ergibt,
kann sich aus dem Bescheid unter keinen Umständen eine zur Tabelle
anzumeldende Forderung ergeben. Auch hat der Umsatzsteuerbescheid - anders
als ein Grundlagenbescheid - keine Auswirkungen auf Folgebescheide. Die
angesetzten Besteuerungsgrundlagen (Umsätze, Vorsteuern) sind vielmehr
unselbständige Teile nur dieses Bescheids (§ 157 Abs. 2 AO).
cc) Soweit das FG meint, ein
Steuererstattungsanspruch könnte sich deshalb auf die Insolvenzmasse
auswirken, weil ein Insolvenzverwalter damit gegen Steuerforderungen
aufrechnen könnte, trifft dies zwar grundsätzlich zu. Die Aufrechnung würde
in diesem Fall jedoch auf einer freiwillig abgegebenen Willenserklärung des
Insolvenzverwalters beruhen. Es ist nicht erkennbar, wieso die
Insolvenzmasse insofern schutzbedürftig sein sollte.
b) Das Festsetzungsverfahren wurde nicht
mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.
Nach § 240 Satz 1 ZPO wird im Falle der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das
Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach
den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das
Insolvenzverfahren beendet wird.
Soweit der BFH diese Norm analog auf das
Steuerfestsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren angewandt hat (vgl. z.B.
BFH-Urteile in BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428; in BFH/NV 2009, 719; zum
Gesamtvollstreckungsverfahren vgl. BFH-Beschluss vom 21. November 2001
VII B 108/01, BFH/NV 2002, 315), betraf dies entweder Steuerbescheide oder
Grundlagenbescheide, die abstrakt dazu geeignet waren, sich auf anzumeldende
Steuerforderungen auszuwirken. Dies ist hier - wie oben ausgeführt - jedoch
nicht der Fall.
Die vom Senat vertretene Auffassung
entspricht der in der Literatur ganz herrschenden Meinung, nach der nach
Insolvenzeröffnung Erstattungsbescheide für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung
ergehen dürfen (vgl. Heißenberg, Kölner Steuerdialog 1999, 12128, 12129;
Welzel, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 559, 560; Hagen, Die steuerliche
Betriebsprüfung 2004, 217, 219; Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der
Insolvenz, 3. Aufl., Rz 78; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, Rz 128;
Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl., Rz 367; a.A.
Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 80 Rz 20).
c) Der Umsatzsteuerbescheid 2005 ist nicht
deshalb aufzuheben, weil er auf einer Schätzung nach § 162 AO beruht. Soweit
die Klägerin sinngemäß meint, der Bescheid sei rechtswidrig, da die
Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen hätten, führt dies nicht
zum Erfolg der Klage. Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung war am
31. Mai 2006 abgelaufen (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO, § 18 Abs. 3 Satz 1 des
Umsatzsteuergesetzes 2005 - UStG -). Die Voraussetzungen für eine allgemeine
Fristverlängerung gemäß § 109 AO i.V.m. den gleich lautenden Erlassen der
obersten Finanzbehörden der Länder vom 23. Februar 2006 über
Steuererklärungsfristen (BStBl I 2006, 234) lagen nicht vor. Denn die
Klägerin war nicht steuerlich vertreten, da durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens der Beratungsvertrag mit dem Steuerberater der
Gemeinschuldnerin beendet war (vgl. §§ 115, 116, 117 InsO; siehe auch
Uhlenbruck, a.a.O., §§ 115, 116 Rz 8, 11).
3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht
spruchreif. Denn das FG hat - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht
- noch nicht geprüft, ob die Schätzung im Hinblick auf eine von der Klägerin
in der Klagebegründung begehrte Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17
UStG der Höhe nach rechtmäßig war.
|