| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 25.9.2008 (III R 91/07) BStBl. 2010 II S. 47
1.
Der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der daran anknüpfenden
Bescheinigung der Agentur für Arbeit kommt keine (echte) Tatbestandswirkung
für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG zu.
2.
Entscheidend für den Kindergeldanspruch ist vielmehr, ob sich das Kind im
konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender
gemeldet hat bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat.
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1.
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 11. April 2007
V 130/2006
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte für ihre im Juli 1985 geborene Tochter
(T) Kindergeld bezogen. Nach der Ausbildung an der Staatlichen
Berufsfachschule für Hauswirtschaft bis Juli 2004 war T ab Juli 2004 bei der
Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. In den Monaten November und
Dezember 2005 nahm T eine geringfügige Nebentätigkeit in einem
Privathaushalt für monatlich 400 € auf. Sie arbeitete unter 15 Stunden pro
Woche. Ab 1. Januar 2006 gründete T einen eigenen Betrieb für
Hauswirtschafts- und Reinigungsarbeiten.
Nach Aktenlage war T bis
26. September 2005 bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet.
Laut einem Computerausdruck der Arbeitsverwaltung hatte T letztmalig am
24. Juni 2005 bei der Arbeitsvermittlung vorgesprochen. Anlässlich dieser
Vorsprache wurde sie auf den Drei-Monats-Termin hingewiesen. Nach einer
Aktennotiz vom 29. September 2005 erschien T zum vereinbarten Termin nicht.
Da sie ihr Arbeitsgesuch nicht spätestens nach drei Monaten erneuert hatte,
wurde sie am 27. September 2005 bei der Arbeitsvermittlung abgemeldet und
dort nicht mehr als Arbeitsuchende geführt.
Nachdem die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) im März 2006 erfahren hatte, dass T seit
27. September 2005 nicht mehr als Arbeitsuchende bei der Agentur für Arbeit
gemeldet war, hob sie mit Bescheid vom 25. April 2006 die
Kindergeldfestsetzung von Oktober 2005 bis März 2006 auf und forderte den
überzahlten Betrag von der Klägerin zurück. Der Einspruch vom 5. Mai 2006
war erfolglos.
Die Klägerin beantragte in
der Vorinstanz die Einspruchsentscheidung bezüglich der Monate Oktober bis
Dezember 2005 aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage statt. Die Familienkasse habe zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung
für die Monate Oktober bis Dezember 2005 aufgehoben. Im Streitfall habe T in
diesem Zeitraum in keinem schädlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden.
Die geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB IV) stehe dem nicht entgegen. Nach Überzeugung des Gerichts sei T in
den streitigen Monaten auch arbeitsuchend i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewesen. Die automatische Löschung als
Arbeitsuchender bei der Agentur für Arbeit führe nicht zwingend zum Wegfall
des Kindergeldanspruchs.
Hinzu kämen im Streitfall
die Einlassung der Klägerin und die in der Sache übereinstimmenden Aussagen
der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung. Alle befragten Personen hätten
übereinstimmend geäußert, dass sich T im maßgeblichen Zeitraum September
2005 telefonisch mit der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt habe. Nach
ebenfalls übereinstimmender Aussage habe man T telefonisch den Kontakt zum
Sachbearbeiter verweigert, ihr andererseits aber versichert, dass sie
weiterhin als arbeitsuchend geführt werde. Nach Überzeugung des Gerichts
habe sich T rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der gesetzlich verankerten
Drei-Monats-Frist, mit der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt und sich
um einen Vorsprachetermin bemüht.
Mit ihrer Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Nach dem
Wortlaut des im Streitfall anzuwendenden § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei
ein Kind dann zu berücksichtigen, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr
vollendet habe, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe und als
Arbeitsuchender bei der Arbeitsagentur im Inland gemeldet sei. Der
Gesetzgeber knüpfe dabei an die in den Arbeitsagenturen geltenden
Gesetzesregelungen in Bezug auf die Arbeitsuchendmeldung an. Wenn keine
Leistung zum Ersatz des Arbeitsentgelts beansprucht werde, sei nach § 38
Abs. 4 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) die
Arbeitsvermittlung nach drei Monaten einzustellen. Die von der Vorinstanz
vertretene Ansicht, dass die Löschung als Arbeitsuchender bei der Agentur
für Arbeit nicht zwingend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führe,
widerspreche dem Wortlaut des Gesetzes. Jedenfalls ergebe sich weder aus dem
Wortlaut noch aus dem Sinngehalt der Vorschrift, dass die Familienkasse eine
eigene Entscheidung über den Meldestatus des Kindes zu treffen habe. Sie
habe vielmehr den bei der Agentur für Arbeit bestehenden Meldestatus bei
ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Die entsprechende Feststellung durch
die Agentur für Arbeit entfalte gegenüber der Familienkasse
Tatbestandswirkung.
Die Familienkasse beantragt,
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Die Vorinstanz sei zu Recht
zu dem Ergebnis gekommen, dass sich T im September 2005 nochmals bei der
Agentur für Arbeit gemeldet habe. Für den Kindergeldanspruch nach § 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei neben der Altersgrenze nur noch die Meldung des
Arbeitsuchenden bei der Agentur für Arbeit Voraussetzung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Familienkasse ist
unbegründet, sie wird nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend einen Kindergeldanspruch für den
streitigen Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 bejaht.
1. Zwar hat das FG rechtsfehlerhaft
angenommen, dass die letztmalige Meldung von T als arbeitslos bei der
Agentur für Arbeit am 24. Juni 2005 länger als drei Monate fortwirkte (bis
Ende des Streitraumes Dezember 2005), da die Löschung als Arbeitsuchender
bei der Agentur für Arbeit nicht zwingend zum Wegfall des
Kindergeldanspruchs führe. Diese Auffassung widerspricht dem Senatsurteil
vom 19. Juni 2008 III R 68/05 (BFH/NV 2008, 1610), wonach nach Ablauf von
drei Monaten die Meldung erneuert werden muss, wenn der Kindergeldanspruch
erhalten bleiben soll. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das
Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1610 Bezug genommen.
2. Die Vorinstanz hat aber das Urteil auf
eine zweite Begründung gestützt. Danach ist das FG nach einer
Gesamtwürdigung des Einzelfalles unter Einbeziehung der Zeugeneinvernahmen
der Tochter der Klägerin sowie ihrer Großmutter zu dem Ergebnis gelangt,
dass sich T nochmals im September 2005 telefonisch mit der
Arbeitsvermittlung der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt hat, wobei
man ihr zwar den Kontakt zum zuständigen Sachbearbeiter verweigert, ihr
andererseits aber versichert habe, dass sie weiterhin als arbeitsuchend
geführt werde. Nach dem Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1610 genügt eine
fernmündliche Kontaktaufnahme, da keine besondere Form der Erneuerung der
Meldung vorgeschrieben ist.
Die Würdigung des FG, dass T tatsächlich
Kontakt aufgenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Da die
Würdigung nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt,
ist sie für den Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2
FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern
lediglich möglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 VI B 113/04,
BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488).
3. Entgegen der Auffassung der
Familienkasse kommt der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der
daran anknüpfenden Bescheinigung der Arbeitsvermittlung der Agentur für
Arbeit keine (echte) Tatbestandswirkung zu (a.A. Dienstanweisung zur
Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem
X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 63.3.1 Abs. 3, BStBl I 2004, 743,
761). Eine positive Bescheinigung der Agentur für Arbeit reicht zwar in
aller Regel als Nachweis der Registrierung als Arbeitsuchender aus. Der
Kindergeldanspruch kann aber nicht allein von einer Bescheinigung der
Agentur für Arbeit über die Meldung des Kindes abhängig gemacht werden.
Entscheidend abzustellen ist vielmehr
darauf, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der
Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet bzw. diese Meldung alle drei
Monate erneuert hat und damit seine kindergeldrechtlichen
Mitwirkungspflichten wahrgenommen hat. Die Bezugnahme auf die
Drei-Monats-Frist in § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III gibt insoweit (lediglich)
einen Anhalt für die zeitliche Konkretisierung der kindergeldrechtlichen
Mitwirkungspflichten, bei deren Verletzung der Kindergeldanspruch entfällt
(vgl. auch Senatsurteil vom 17. Juli 2008 III R 106/07 zu dem insoweit
vergleichbaren Fall eines ausbildungsuchenden Kindes, nicht veröffentlicht).
|