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BFH-Urteil vom 18.2.2009 (V R 81/07) BStBl. 2010 II S. 109
Ein
Dritter ist am Verfahren über die Aufhebung oder Änderung eines
Steuerbescheides beteiligt (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO), wenn er hinzugezogen
worden ist und wenn das Verfahren durch Erlass einer ihm, dem Dritten,
bekanntgegebenen Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 1 Satz 1 AO) endet, in
der dem Einspruch stattgegeben wird.
AO § 174 Abs. 4 und 5; FGO § 40 Abs. 2.
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 11. Oktober
2007 2 K 1086/06 (EFG 2008, 1471)
Sachverhalt
I.
Streitig ist, ob der
Beigeladene oder die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) aus den für
die Sanierung eines Wohngebäudes in den Streitjahren 1995 und 1996 von
Unternehmern bezogenen Leistungen zum Vorsteuerabzug nach § 15 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 berechtigt ist.
Der Beigeladene erwarb 1994 ein
mit einem Wohngebäude bebautes Grundstück. Den Werkvertrag zur Sanierung des
Gebäudes schloss er im eigenen Namen ab. Die Sanierungsleistungen wurden in
den Streitjahren gegenüber dem Beigeladenen erbracht und abgerechnet. Nach
Abschluss der Sanierungsarbeiten vermietete der Beigeladene mehrere
Ladenlokale im eigenen Namen. Ein zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin
1994 mündlich abgeschlossener Treuhandvertrag wurde im März 2002 schriftlich
bestätigt. Die Klägerin wurde nach den Streitjahren als Eigentümerin im
Grundbuch eingetragen.
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ gegenüber dem Beigeladenen die
Umsatzsteuerbescheide vom 14. Januar 1998 für beide Streitjahre, in denen
die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus den Sanierungsleistungen
berücksichtigt waren.
Demgegenüber ging das FA später
davon aus, dass nicht der Beigeladene, sondern die Klägerin zum
Vorsteuerabzug aus den Sanierungsleistungen berechtigt sei, und erließ am
10. Mai 2005 entsprechende Umsatzsteuerbescheide für beide Streitjahre
gegenüber der Klägerin. Diese beruhten auf den von der Klägerin am
11. September 2002 abgegebenen und am 8. Juni 2004 berichtigten
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die beiden Streitjahre, in denen die
streitigen Vorsteuerbeträge aus den Sanierungsleistungen geltend gemacht
waren.
Im Anschluss hieran hob das FA
durch die Bescheide vom 10. Juni 2005 die gegenüber dem Beigeladenen
ergangenen Erstbescheide vom 14. Januar 1998 auf. Hiergegen legte der
Beigeladene Einspruch ein. Die Klägerin wurde zum Einspruchsverfahren durch
Verfügung vom 16. Dezember 2005 hinzugezogen. Mit der Einspruchsentscheidung
vom 9. Mai 2006 hob das FA die gegen den Beigeladenen ergangenen
Aufhebungsbescheide vom 10. Juni 2005 auf mit der Begründung, dem
Beigeladenen und nicht der Klägerin stehe der Vorsteuerabzug aus den
bezogenen Sanierungsleistungen zu. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt
folgenden Zusatz: "Der Hinzugezogene erhält als Beteiligter am Verfahren
eine Ausfertigung der Einspruchsentscheidung. Einwendungen gegen die
steuerlichen Folgerungen bei seiner Veranlagung kann der Hinzugezogene nur
mit einer Klage gegen diese Einspruchsentscheidung geltend machen."
Die gegen die
Einspruchsentscheidung von der Klägerin erhobene Klage hat das Finanzgericht
(FG) als unzulässig abgewiesen, da die Klägerin durch die
Einspruchsentscheidung nicht beschwert sei. Werde das Einspruchsverfahren
ohne entsprechenden Antrag oder ohne Zustimmung des Hinzugezogenen durch
Abhilfebescheid oder durch einen Abhilfebescheid in Gestalt einer
Einspruchsentscheidung abgeschlossen, fehle es an der nach § 174 Abs. 5
Satz 1 der Abgabenordnung (AO) erforderlichen Beteiligung. Die Abhilfe
entfalte keine materielle Wirkung gegen die Klägerin. Der Hinzugezogene -
wie hier die Klägerin - habe keine Möglichkeit, die Einspruchsentscheidung
anzufechten. Klagebefugt sei die Klägerin daher nur im Verfahren gegen die
ihr gegenüber zu erlassenden Umsatzsteuerbescheide.
Das Urteil des FG ist in
"Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2008, 1471 veröffentlicht.
Hiergegen wendet sich das FA
mit seiner Revision, mit der es als Verfahrensmangel Verletzung von § 40 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) und von § 174 AO geltend macht. Die
Finanzbehörde müsse in den Fällen, in denen sie dem Einspruch eines
Steuerpflichtigen abhelfen und damit den Antrag des hinzugezogenen Dritten
ablehnen wolle, eine Einspruchsentscheidung erlassen, mit der dem Einspruch
stattgegeben und der Antrag des Hinzugezogenen auf Abweisung des Einspruchs
als unbegründet zurückgewiesen werde. Die Einspruchsentscheidung sei dem
Steuerpflichtigen und dem hinzugezogenen Dritten bekannt zu geben, um den
Dritten nach § 174 Abs. 5 AO zu beteiligen und so die Korrektur nach § 174
Abs. 4 AO gegenüber dem Dritten zu ermöglichen. Die im Einspruchsverfahren
getroffene Entscheidung sei für die sich anschließende Änderung nach § 174
Abs. 4 AO gegenüber dem Dritten verbindlich. Dies müsse auch gelten, wenn
gegenüber dem Steuerpflichtigen eine abhelfende Entscheidung im Rahmen einer
Einspruchsentscheidung erfolge, da nur so über § 174 Abs. 4 und 5 AO eine
einheitliche und für alle Beteiligten verbindliche Entscheidung
herbeigeführt werden könne.
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Sie habe die Klage gegen die
Einspruchsentscheidung aufgrund der ihr erteilten Rechtsbehelfsbelehrung
erhoben, so dass dem FA trotz der Klageabweisung die Kosten aufzuerlegen
seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist zulässig, obwohl das
FG die Klage der Klägerin als unzulässig verworfen hat.
1. Die Zulässigkeit der Revision erfordert,
dass der Revisionskläger durch das angefochtene Urteil des FG beschwert ist.
Maßgeblich für die Beschwer ist nach der Rechtsprechung (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. April 2008 IV R 91/06, BFH/NV 2008, 1298)
nur der Entscheidungssatz und damit der Tenor des angefochtenen Urteils.
Beim Beklagten kommt es dabei nicht auf die formelle, sondern auf die
materielle Beschwer an. Maßgebend ist, dass der rechtskraftfähige Inhalt der
angefochtenen Entscheidung für den Beteiligten nachteilig ist. Eine Beschwer
des Beklagten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG, wie im Streitfall,
die Klage statt durch Sachurteil durch Prozessurteil als unzulässig abweist
(BFH-Urteil vom 28. November 2007 I R 7/07, BFH/NV 2008, 986).
2. Die Revision ist unbegründet. Zwar hat
das FG die Klage zu Unrecht mangels Beschwer als unzulässig abgewiesen;
seine Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig, so
dass die Revision gemäß § 126 Abs. 4 FGO mit der Maßgabe zurückzuweisen ist,
dass die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet war.
a) Das FG hat zu Unrecht entschieden, die
Klägerin sei nicht klagebefugt.
Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine
Anfechtungsklage, um die es sich hier handelt, nur zulässig, wenn der Kläger
geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.
Wer zu dem Verfahren hinzugezogen worden ist, kann - innerhalb des
Verfahrens, d.h. hier innerhalb des Einspruchsverfahrens, zu dem er
hinzugezogen worden ist (vgl. z.B. BFH-Entscheidung vom 1. Februar 2000
VII B 202/99, BFH/NV 2000, 960) - dieselben Rechte geltend machen wie
derjenige, der den Einspruch eingelegt hat. Gegen die
Rechtsbehelfsentscheidung (Einspruchsentscheidung) kann auch ein
Hinzugezogener nur dann Klage erheben, wenn er die dafür in der FGO
aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, insbesondere eigene Rechte gemäß § 40
Abs. 2 FGO geltend machen kann. Die Klägerin ist durch die
Einspruchsentscheidung beschwert, da die Entscheidung über den
Vorsteuerabzug aus den Sanierungsleistungen eigene Rechte der Klägerin i.S.
des § 40 Abs. 2 FGO berührt.
aa) Ist auf Grund irriger Beurteilung eines
bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines
Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die
Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, können nach
§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder
Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen
gezogen werden. Gegenüber Dritten gilt diese Regelung gemäß § 174 Abs. 5
Satz 1 AO, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des
fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren.
bb) Als "bestimmter Sachverhalt" i.S. des
§ 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO ist ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen,
aus dem steuerrechtliche Folgerungen sowohl bei dem Steuerpflichtigen als
auch bei dem Dritten zu ziehen sind. Es genügt, dass derselbe Sachverhalt
bei mehreren Steuerpflichtigen erfasst und irrig beurteilt worden ist
(BFH-Urteil vom 18. September 2003 X R 152/97, BFHE 203, 337, BStBl II 2007,
749). Ist die rechtliche Beurteilung zugunsten des einen Steuerpflichtigen
richtiggestellt worden, kann im Rahmen des § 174 Abs. 4 AO i.V.m. § 174
Abs. 5 AO grundsätzlich auch bei dem anderen Steuerpflichtigen durch Erlass
oder Änderung eines Steuerbescheids die entsprechende, richtige steuerliche
Folgerung gezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749).
Nach einer Richtigstellung der rechtlichen Beurteilung zugunsten des einen
Steuerpflichtigen kann damit korrespondierend aus dem einheitlichen
Lebenssachverhalt die richtige Folgerung auch bei dem anderen
Steuerpflichtigen im Wege der Änderung seiner bestandskräftigen
Steuerfestsetzung gezogen werden. § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO gewährleisten
somit, dass ein und derselbe Sachverhalt, der sich bei zwei verschiedenen
Steuerpflichtigen auswirkt, auch bei beiden gleich beurteilt werden kann
(BFH-Urteil in BFHE 203, 337, BStBl II 2007, 749).
cc) Als "bestimmter Sachverhalt" kann auch
die Berechtigung zum Vorsteuerabzug angesehen werden. Wurde - wie im
Streitfall - die Berechtigung zum Vorsteuerabzug beim Treuhänder oder beim
Treugeber irrig beurteilt, lässt sich ein hieraus ergebender Widerspruch
unter den besonderen Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO
beseitigen, so dass aus einer vom Steuerpflichtigen, hier dem Beigeladenen,
erstrittenen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auch gegenüber
dem Dritten, hier der Klägerin, die "richtigen steuerlichen Folgerungen"
gezogen werden können. Im Hinblick auf die der Klägerin drohende
Folgeänderung nach § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO war sie durch die
Einspruchsentscheidung, in der antragsgemäß die streitigen Vorsteuerbeträge
zugunsten des Beigeladenen berücksichtigt worden sind, beschwert.
dd) Das FG beruft sich für seine Auffassung,
die Klägerin sei nicht klagebefugt gewesen, zu Unrecht auf die
Rechtsprechung des BFH, wonach es an einer Beschwer des zu einem
Einspruchsverfahren hinzugezogenen Dritten fehlt, wenn das
Einspruchsverfahren nicht durch eine Einspruchsentscheidung, sondern durch
einen ohne seine Zustimmung oder seinen entsprechenden Antrag ergangenen
Abhilfebescheid beendet wird (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 367 Abs. 2
Satz 3 AO) und in diesem Fall keine Beteiligung i.S. von § 174 Abs. 5 Satz 1
AO vorliegt (BFH-Urteile vom 11. April 1991 V R 40/86, BFHE 164, 176, BStBl
II 1991, 605; vom 20. Mai 1992 III R 176/90, BFH/NV 1993, 74; vom 5. Mai
1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, und BFH-Beschluss vom
4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729). Denn im
Streitfall wurde das Einspruchsverfahren durch eine Einspruchsentscheidung
beendet, die der Klägerin als Hinzugezogener auch bekannt gegeben worden
ist. Bei Erlass einer für den Hinzugezogenen nachteiligen und ihm
bekanntgegebenen Einspruchsentscheidung kommt es entgegen dem Urteil des FG
München vom 22. Juni 2005 10 K 4445/03 (EFG 2005, 1509, nicht rechtskräftig,
Az. des BFH: X R 16/06) nicht darauf an, ob die Einspruchsentscheidung einem
Antrag des Hinzugezogenen entspricht oder ob der Hinzugezogene der
Einspruchsentscheidung zustimmt.
b) Die Klage ist aufgrund der vom FG
getroffenen Feststellungen als unbegründet abzuweisen, da das FA die
gegenüber dem Beigeladenen ergangenen Aufhebungsbescheide vom 10. Juni 2005
im Ergebnis zu Recht durch die Einspruchsentscheidung aufgehoben hat. Denn
die Bescheide waren aufgrund der bereits eingetretenen
Festsetzungsverjährung rechtswidrig.
aa) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine
Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig,
wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt im
Streitfall nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1
AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die
Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt
geworden ist. Ist eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung
einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist
abweichend hiervon nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs,
in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht
wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das
Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
bb) Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO begann die
Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1997, da die
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre, die den gegenüber dem
Beigeladenen ergangenen Erstbescheiden vom 14. Januar 1998 zugrunde lagen,
am 8. Dezember 1997 beim FA eingereicht wurden. Dementsprechend endete die
Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für beide Streitjahre
mit Ablauf des 31. Dezember 2001. Daher ergingen die gegenüber dem
Beigeladenen erlassenen Aufhebungsbescheide vom 10. Juni 2005 erst nach
Eintritt der Festsetzungsverjährung. Das FA hat deshalb zu Recht diese
Bescheide aufgrund des durch den Beigeladenen eingelegten Einspruchs durch
die Einspruchsentscheidung aufgehoben.
c) Ist die Sache spruchreif, so kann der BFH
in der Sache selbst entscheiden, auch wenn der Revisionskläger nur die
Zurückverweisung der Sache beantragt hat (BFH-Urteil vom 27. September 1988
VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229).
3. Das FG hat die Kosten des Klageverfahrens
zu Unrecht abweichend von § 135 Abs. 1 FGO nicht der unterlegenen Klägerin,
sondern nach § 137 Satz 2 FGO dem FA auferlegt. Die Voraussetzungen des
§ 137 Satz 2 FGO lagen indes nicht vor, denn entgegen der Auffassung des FG
war die Klage gegen die der Klägerin als Hinzugezogener bekanntgegebene
Einspruchsentscheidung nicht unzulässig, sondern unbegründet, und die
Rechtsbehelfsbelehrung des FA deshalb entgegen der Auffassung des FG nicht
unzutreffend. Die Kosten des Verfahrens sind der Klägerin daher nicht i.S.
des § 137 Satz 2 FGO durch Verschulden des FA entstanden. Die
Kostenentscheidung des FG war deshalb entsprechend zu ändern.
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