![]() |
||
| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 29.8.2007 (IX R 4/07) BStBl. 2010 II S. 145
Die
nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann
Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn sich das
Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die
Steuerpflicht aber noch andauert (Bestätigung des BFH-Urteils vom
18. Dezember 1953 II 190/52 U, BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49).
KraftStG § 5 Abs. 5; InsO § 55 Abs. 1
Nr. 1.
Vorinstanz: FG München vom 31. Mai 2006
4 K 2665/05 (EFG 2006, 1367)
Sachverhalt
I.
Die Zulassungsstelle ließ im
Jahr 2000 auf den Namen einer Service-GmbH (GmbH) ein Fahrzeug mit dem
amtlichen Kennzeichen ... zum Verkehr zu, das - jedenfalls bis zum Jahr 2005
- weder abgemeldet noch auf einen anderen Halter umgeschrieben war. Nach
einem Schreiben der GmbH an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt
- FA -) verkaufte sie das Fahrzeug im Juni 2001. Über ihr Vermögen wurde ...
2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt.
Wegen der Änderung der
Steuersätze zum 1. Januar 2005 erließ das FA am 31. Mai 2005 nach § 12
Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) einen
Steuerbescheid, den es an den Kläger richtete.
Mit seinem Einspruch machte
der Kläger geltend, er sei nicht Steuerschuldner, da sich das Fahrzeug nicht
in seinem Besitze befinde und nicht durch die Insolvenzmasse genutzt werde.
Einspruch und Klage blieben in diesem Punkt erfolglos. Das Finanzgericht
(FG) vertrat in seinem in Entscheidung der Finanzgerichte 2006, 1367,
veröffentlichtem Urteil die Auffassung, die Steuerpflicht dauere nach § 5
Abs. 1 Nr. 1 KraftStG ab der Insolvenzeröffnung solange an, als das Fahrzeug
nicht abgemeldet werde. Es sei Aufgabe des Insolvenzverwalters und nicht des
FA oder der Zulassungsstelle, das Ende der Kraftfahrzeugsteuerpflicht
herbeizuführen, und zwar selbst dann, wenn das Fahrzeug nicht mehr
Bestandteil der Masse sei.
Hiergegen richtet sich die
Revision des Klägers, die er auf die Verletzung von § 34 Abs. 1 und Abs. 3
der Abgabenordnung (AO) und von § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Fallgruppe der
Insolvenzordnung (InsO) stützt. Die aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG
abzuleitende Halterfiktion, von der das FG in Anwendung des Urteils des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Dezember 1953 II 190/52 U (BFHE 58, 358,
BStBl III 1954, 49) ausgehe, gelte allenfalls steuerrechtlich, nicht aber
insolvenzrechtlich. Das Insolvenzrecht gehe dem Steuerrecht vor; der Fiskus
dürfe nicht bevorzugt werden. Einen solchen Vorrang bewirke aber im Ergebnis
die Fiktion. Tatsächlich sei das hier streitige Fahrzeug nie Bestandteil der
Insolvenzmasse geworden. Deshalb sei die Festsetzung der Steuer als
Masseverbindlichkeit unzutreffend.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 14. Juni
2005 und den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 31. Mai 2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Während des
Revisionsverfahrens hat das FA am 20. Juli 2007 hinsichtlich des gesetzlich
vorgeschriebenen Tarifwechsels einen geänderten Kraftfahrzeugsteuerbescheid
erlassen.
Entscheidungsgründe
II.
Das angefochtene Urteil ist bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen Bestand haben; denn
es hat über den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 31. Mai 2005 und damit über
einen nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu BFH-Urteile vom
27. Juli 2004 IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188, und vom 28. August 2003
IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).
III.
Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 der
Finanzgerichtsordnung auf der Grundlage der bestehen bleibenden
Feststellungen in der Sache und weist die Klage ab.
Zutreffend hat das FG das FA als berechtigt
angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung entstehende
Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass des angefochtenen
Kraftfahrzeugsteuerbescheids in Anspruch zu nehmen (2.).
1. Kraftfahrzeugsteuer ist für das
Fahrzeug, um das es hier geht, auch für die Zeit ab der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entstanden. Die Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1
Nr. 1 KraftStG bei einem - wie hier - inländischen Fahrzeug, solange das
Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, wobei die GmbH als die Person, für die
das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, Steuerschuldnerin ist (§ 7 Nr. 1
KraftStG). Diese Steuerpflicht der GmbH endet selbst dann nicht, wenn sie -
wie behauptet - das Fahrzeug vor Insolvenzeröffnung, nämlich bereits im Jahr
2001, verkauft hätte. Gemäß § 5 Abs. 5 KraftStG endet die Steuerpflicht für
den Veräußerer - hier die GmbH - erst in dem Zeitpunkt, in dem die
verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der
Zulassungsstelle eingeht, spätestens mit der Aushändigung des neuen
Fahrzeugscheins an den Erwerber. Da diese Voraussetzungen im Streitfall nach
den Feststellungen des FG nicht vorlagen, dauerte die Steuerpflicht der GmbH
an.
2. Der Kläger muss als Insolvenzverwalter
nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die Steuer aus der Insolvenzmasse
bezahlen.
a) Nach diesen Vorschriften hat der
Insolvenzverwalter die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, soweit seine
Verwaltung reicht. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ... 2004
ging das Recht der GmbH, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu
verwalten, auf den Kläger als Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).
Das Insolvenzverfahren erfasst nach § 35 InsO u.a. das gesamte Vermögen, das
dem Schuldner (der GmbH) zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört.
b) Zu dieser Insolvenzmasse gehört auch die
Rechtsposition als Halter des Fahrzeugs, so dass der Kläger die Steuer als
Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO schuldet. Da die
Kraftfahrzeugsteuer weder durch eine Handlung noch durch ein Unterlassen des
Insolvenzverwalters entsteht, sondern kraft Gesetzes begründet wird (siehe
1.), ist sie eine Verbindlichkeit, die durch die Verwaltung der
Insolvenzmasse begründet wurde (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative InsO).
aa) Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in
BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49, muss der Insolvenzverwalter auch solche
Gegenstände verwalten, die zwar nicht rechtlich zur Insolvenzmasse gehören,
sich aber in der Masse befinden, weil sie z.B. zur Verwendung im Geschäft
des Schuldners bestimmt sind (vgl. zum Umfang der Insolvenzmasse bei einem
Untermnehmen auch Henckel in Jaeger, Insolvenzordnung (2004), § 35 Rz 9).
Dasselbe gilt für ein Kraftfahrzeug, das zwar tatsächlich von einem anderen
gehalten wird, aber aufgrund einer unwiderlegbaren Rechtsvermutung noch als
vom Schuldner gehalten gilt. Eine derartige Haltervermutung enthält das
Kraftfahrzeugsteuergesetz. Es stellt die unwiderlegbare Vermutung auf, dass
das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen ist, bis zum Eingang der
Anzeige über den Übergang bei der Zulassungsstelle (siehe die Ausführungen
zu 1.) gehalten wird.
bb) An dieser vom BFH im Urteil in BFHE 58,
358, BStBl III 1954, 49, zur Konkursordnung herausgearbeiteten
Rechtsvermutung hält der erkennende Senat auch unter Geltung der
Insolvenzordnung fest. Zunächst hat sich die Rechtslage gegenüber
derjenigen, die Grundlage der Entscheidung von 1953 war, nicht wesentlich
geändert. Dies gilt für das Kraftfahrzeugsteuergesetz (vgl. das BFH-Urteil
in BFHE 58, 358, BStBl II 1954, 49, zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift
§ 8 KraftStG 1935; vgl. zu § 5 Abs. 5 KraftStG auch Strodthoff,
Kraftfahrzeugsteuer, § 5 Rz 44) ebenso wie für die Insolvenzrechtslage: Die
insoweit maßgebenden Bestimmungen der Konkursordnung (§§ 1, 6, 59, 117)
unterscheiden sich - jedenfalls soweit hier von Interesse - nur unwesentlich
von denjenigen der Insolvenzordnung (§§ 35, 55, 80, 148), so dass die
Entscheidung von 1953 auf den Streitfall übertragen werden kann.
cc) Steuergegenstand des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG neben
weiteren hier nicht bedeutsamen Tatbeständen (wie z.B. die widerrechtliche
Benutzung von Fahrzeugen) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr
auf öffentlichen Straßen. Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz sich in seinen
Begriffsbestimmungen an den jeweils geltenden verkehrsrechtlichen
Vorschriften orientiert (§ 2 Abs. 2 KraftStG) und die Dauer der
(subjektiven) Steuerpflicht davon abhängig macht, wer Adressat der
verkehrsrechtlichen Zulassung (vgl. § 1 des Straßenverkehrsgesetzes) ist,
geht es davon aus, dass derjenige, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, auch
Halter des Fahrzeuges ist und damit das Kraftfahrzeug für eigene Rechnung in
Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt (vgl. grundlegend zum
Halterbegriff Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 29. Mai 1954
VI ZR 111/53, BGHZ 13, 351). Es kommt für das Kraftfahrzeugsteuergesetz also
nicht darauf an, ob das Fahrzeug veräußert wurde, solange nicht eine
verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der
Zulassungsstelle eingeht. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der Veräußerer
das Fahrzeug noch nutzt. Das Gesetz stellt mithin eine Haltervermutung auf,
die nicht durch den Vortrag widerlegt werden kann, ein anderer als der
Zulassungsempfänger nutze das Fahrzeug oder sei dessen Eigentümer.
dd) Dieses unwiderlegbar rechtsvermutete
Halten des Fahrzeugs gilt nicht nur für die Anwendung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes, sondern auch bei der Auslegung der
insolvenzrechtlichen Normen mit der Folge, dass das Fahrzeug zur
Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehört und die nach Insolvenzeröffnung
entstehende Kraftfahrzeugsteuer Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1
Nr. 1 InsO ist.
(1) Der von der Revisionsbegründung
herausgestellte Vorrang des Insolvenzrechts gegenüber dem Steuerrecht
bedeutet - wie zur Zeit der Konkursordnung - nicht, das Insolvenzrecht ginge
dem Steuerrecht schlechthin vor, sondern nur, dass Steuerforderungen gegen
den Insolvenzschuldner oder die Insolvenzmasse nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens lediglich nach den Regeln der Insolvenzordnung geltend
gemacht werden können (siehe § 251 Abs. 2 Satz 1 AO; vgl. dazu
Bringewat/Waza, Insolvenz und Steuern, 6. Aufl., 2004, Rz 143, m.w.N.).
Allein nach Steuerrecht richtet sich aber, wann die Steuer (als Rechtsgrund
i.S. der Insolvenzordnung) entsteht: Entsteht sie nach Verfahrenseröffnung,
so ist die Steuerverbindlichkeit Masseverbindlichkeit (einhellige
Auffassung, vgl. z.B. MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz 70, 78;
Braun/Bäuerle, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz 16; Uhlenbruck/Berscheid in
Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 55 Rz 37).
(2) Zwar werden die Vorschriften des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes durch die Vorschriften der Insolvenzordnung
überlagert und modifiziert: Der Steuerfiskus darf nach dem Rechtsgedanken,
der dem Insolvenzrecht zugrunde liegt, aufgrund der steuerrechtlichen
Regelungen keinen Vorteil gegenüber anderen Insolvenzgläubigern erlangen -
aber auch keinen Nachteil. Deshalb ist die nach Verfahrenseröffnung
entstandene Kraftfahrzeugsteuer aus der Masse zu befriedigen, wenn das
Fahrzeug für die Masse genutzt wird, anderenfalls bei Nutzung außerhalb der
Masse aus dem insolvenzfreien Vermögen (so BFH-Urteil vom 16. November 2004
VII R 62/03, BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309, m.w.N.). Das unwiderlegbar
rechtsvermutete Halten des Fahrzeugs führt zu einer gesetzlich unterstellten
Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs "im Geschäft" des Schuldners (so
BFH-Urteil in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49) und damit im Rahmen der
Insolvenzmasse.
(3) Wollte man die unwiderlegbare Vermutung
nicht auch im Insolvenzrecht gelten lassen, würde der Steuerfiskus gegenüber
anderen Insolvenzgläubigern schlechter gestellt. Denn er darf dem Einwand
des Steuerschuldners nicht nachgehen, er habe das Fahrzeug verkauft und/oder
halte es nicht mehr. Das FA kann von sich aus - abgesehen von den Fällen des
§ 14 KraftStG - die Dauer der Steuerpflicht nicht beeinflussen und den
Übergang der Steuerpflicht auf den Erwerber nicht herbeiführen. Damit steht
der Steuerfiskus so, wie er stünde, wenn er aufgrund eines
Dauerschuldverhältnisses berechtigt und verpflichtet wäre. Auch in diesem
Fall sind die für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu
erfüllenden Verbindlichkeiten bis zur - gegebenenfalls nach § 109 InsO -
ausgesprochenen Kündigung durch den Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeit
(§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), selbst wenn die Gegenleistung vom
Insolvenzverwalter nicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. dazu
MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz 140). Es ist mithin Aufgabe des
Insolvenzverwalters, durch Abgabe einer verkehrsrechtlich vorgeschriebenen
Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle die Dauer der Steuerpflicht zu
beenden. Lediglich eine Freigabe reicht dazu nicht aus. Unbeschadet ihrer
insolvenzrechtlichen Zulässigkeit (vgl. dazu BGH-Urteil vom 21. April 2005
IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl.,
Rz 13.14 ff., m.w.N.) änderte sie an der rechtsvermuteten Halterzuordnung
nichts. Dies geschieht erst, wenn der Insolvenzverwalter der Meldepflicht
des § 27 Abs. 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ( -StVZO -; ab dem
1. März 2007 gelten entsprechende Mitteilungspflichten nach §§ 13, 14
Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV - vom 25. April 2006, BGBl I 2006, 988,
z.B. § 13 Abs. 4 FZV beim Halterwechsel oder § 14 FZV bei
Außerbetriebsetzung) nachkommt (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht,
§ 27 StVZO Rz 24 ff.).
3. Nach diesen Grundsätzen ist die
angefochtene Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FA
durfte den Kläger für die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene
Kraftfahrzeugsteuer durch den angefochtenen Steuerbescheid unabhängig davon
in Anspruch nehmen, ob die GmbH das Fahrzeug bereits vor der Eröffnung
veräußerte und/oder weiterhin dessen Halterin war.
|