![]() |
||
| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 25.8.2009 (I R 33/08) BStBl. 2010 II S. 150
Bei
der Berechnung der Lohnsteuer für einen "sonstigen Bezug", der einem
(ehemaligen) Arbeitnehmer nach einem Wechsel von der unbeschränkten in die
beschränkte Steuerpflicht in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der während
der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht gezahlte Arbeitslohn im
"Jahresarbeitslohn" (§ 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 3 Satz 7 EStG
2002) zu berücksichtigen.
EStG 2002 § 2 Abs. 7 Satz 3, § 39b Abs. 3
Satz 7, § 39d Abs. 3 Satz 4.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 4. März 2008
17 K 3874/07 H(L) (EFG 2008, 929)
Sachverhalt
I.
Streitig ist die
Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Tochtergesellschaft eines japanischen
Unternehmens, beschäftigte Arbeitnehmer, die von der Muttergesellschaft nach
Deutschland entsandt worden waren (sog. Expatriates). Zwischen der Klägerin
als Arbeitgeberin und diesen Arbeitnehmern bestand eine
Nettolohnvereinbarung, die die Übernahme etwa anfallender
Steuernachforderungen durch die Klägerin einschloss. Die Arbeitnehmer
erhielten neben ihren Gehaltszahlungen auch Bonuszahlungen. Im Jahr 2002 und
im Jahr 2004 schied jeweils ein Arbeitnehmer aus und kehrte nach Japan
zurück. Die auf die Tätigkeit in Deutschland im Rückkehrjahr entfallenden
Bonuszahlungen wurden jeweils im Jahr der Ausreise nachgezahlt.
Bei der Berechnung der
Lohnsteuer auf diese Zahlungen berücksichtigte die Klägerin den während der
Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in demselben Kalenderjahr in
Deutschland bezogenen Arbeitslohn nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA -) vertrat hingegen die Ansicht, bei der Berechnung der
Lohnsteuer auf die Bonuszahlungen sei der im jeweiligen Kalenderjahr während
der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht bezogene Arbeitslohn
einzubeziehen, wobei aus Billigkeitsgründen die zuletzt für den jeweiligen
Arbeitnehmer maßgebende Steuerklasse (Zeitraum der unbeschränkten
Steuerpflicht) zugrunde gelegt werden müsse. Das FA nahm die Klägerin auf
dieser Grundlage mit einem Lohnsteuer-Haftungsbescheid in Anspruch,
beschränkte die Haftung aber später auf den die Bonuszahlung 2004
betreffenden Lohnsteuerbetrag. Die Klage blieb erfolglos (Finanzgericht - FG
- Düsseldorf, Urteil vom 4. März 2008 17 K 3874/07 H(L), Entscheidungen der
Finanzgerichte - EFG - 2008, 929).
Mit der Revision macht die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Lohnsteuer-Haftungsbescheid
vom 2. Januar 2006, geändert durch Bescheid vom 22. März 2007, in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. September 2007 aufzuheben.
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet und
wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG
hat zu Recht entschieden, dass der Haftungsbescheid, mit dem die Klägerin
vom FA als Haftende auf der Grundlage des § 42d Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) in Anspruch genommen wird,
rechtmäßig ist.
1. Die Revision ist zulässig. Das FG hat
die Revision in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich unter Hinweis
auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Diese Zulassung eröffnet den Weg in
das Revisionsverfahren, auch wenn der Tenor des FG-Urteils einen
entsprechenden Ausspruch nicht enthält und auch die Rechtsmittelbelehrung
des Urteils ("Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde
angefochten werden. ...") einer Belehrung bei einem Urteil ohne
Revisionszulassung entspricht (s. insoweit Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 107; Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 115 FGO Rz 280; Seer in Tipke/Kruse,
AO/FGO, § 115 FGO Rz 124; Beermann in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 115 FGO Rz
46, 49, je m.w.N.).
2. Der Haftungsbescheid ist rechtmäßig; die
Klägerin hat die Lohnsteuer unzutreffend ermittelt. Bei der Berechnung der
Lohnsteuer für einen sonstigen Bezug, der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer
nach einem Wechsel von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht
in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der während der Zeit der unbeschränkten
Steuerpflicht gezahlte Arbeitslohn im "Jahresarbeitslohn" zu
berücksichtigen.
a) Durch die Aufgabe des inländischen
Wohnsitzes nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin
endete die unbeschränkte Steuerpflicht des Arbeitnehmers. Die Nachzahlung
des Bonusbetrages führte zur beschränkten Steuerpflicht dieses Arbeitnehmers
i.S. des § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002. Die
Klägerin hatte für diesen "sonstigen Bezug" (i.S. des § 38a Abs. 1 Satz 3
EStG 2002) einen Lohnsteuerabzug nach Maßgabe des § 39d EStG 2002
vorzunehmen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
b) § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 verweist
für den Lohnsteuerabzug "im Übrigen" - also soweit (wie im Streitfall) § 39d
EStG 2002 keine Sonderregelungen enthält - auf den Lohnsteuerabzug nach
(u.a.) § 39b Abs. 2 ff. EStG 2002, damit auf den Lohnsteuerabzug für
unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer. Daraus folgt, dass der
Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug anhand der auf der Bescheinigung des § 39d
Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 eingetragenen Besteuerungsmerkmale nach denselben
Grundsätzen vorzunehmen hat wie bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen
Arbeitnehmer anhand der Lohnsteuerkarte (z.B. Blümich/Thürmer, § 39d EStG Rz
50 und § 39b EStG Rz 14).
c) § 39b Abs. 3 Satz 7 (für 2004: Satz 8)
EStG 2002 sieht vor, dass die Lohnsteuer auf einen sonstigen Bezug -
vereinfacht dargestellt - dem Differenzbetrag zwischen der dem
voraussichtlichen Jahresarbeitslohn (laufender Arbeitslohn zzgl. bereits
gezahlter sonstiger Bezüge) entsprechenden Jahreslohnsteuer einerseits und
der dem der voraussichtlichen (Gesamt-) Jahresarbeitslohn (einschließlich
des jetzt zu besteuernden sonstigen Bezuges) entsprechenden Jahreslohnsteuer
andererseits entspricht (s. allgemein auch R 39b.6 Abs. 2 der
Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 2008). Diese Vergleichsberechnung ist
erforderlich, da in dem Monat des Zuflusses von sonstigen Bezügen die
Grundlage der Berechnung der Lohnsteuer - dass der im Lohnzahlungszeitraum
zugeflossene Arbeitslohn in gleicher Höhe auch in den übrigen gleichlangen
Lohnzahlungszeiträumen desselben Kalenderjahres zufließen wird (§ 38a Abs. 3
Satz 1 EStG 2002) - nicht zutrifft (s. z.B. Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8.
Aufl., § 39b Rz 11). Gegen diese Berechnungsmethode wird in der Situation
der beschränkten Steuerpflicht eingewendet, dass der voraussichtliche
Jahresarbeitslohn auf der Grundlage einer Prognoseentscheidung zu treffen
sei, die infolge der Abgeltungswirkung der Lohnsteuer bei einer späteren
Änderung der Verhältnisse nicht mehr im Wege einer Veranlagung ausgeglichen
werden könne (s. insbesondere Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 39d Rz D 3; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 39d EStG Rz 9).
Dieser Einwand ist indes nicht durchschlagend, wenn - wie im Streitfall - in
der retrospektiven Haftungssituation bei der Bemessung des
"Jahresarbeitslohns" nur der tatsächlich erzielte laufende Arbeitslohn
eingerechnet wird (s. insoweit auch R 39b.6 Abs. 3 Satz 6 LStR 2008).
d) Jahresarbeitslohn im Sinne dieser
Vergleichsberechnung ist der Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer (bei diesem
Arbeitgeber) im Kalenderjahr bezieht (§ 38a Abs. 1 Satz 1 EStG 2002; s. auch
Blümich/Thürmer, § 38a EStG Rz 23 f.; Eisgruber in Kirchhof, a.a.O., § 38a
Rz 2). Eine weiter gehende Differenzierung nach der Art der im
Bezugszeitraum bestehenden Steuerpflicht - bei einem Wechsel der Art der
persönlichen Steuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres - lässt sich dem
Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
aa) § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG 2002 sieht für
den Fall, dass im Laufe eines Kalenderjahrs sowohl die Voraussetzungen
unbeschränkter als auch beschränkter Steuerpflicht erfüllt sind, vor, dass
die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen
Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen
sind (Änderung der früheren - eine Aufteilung befürwortenden - Rechtslage
durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250,
BStBl I 1995, 438 - ab Veranlagungszeitraum 1996 - mit einer geänderten
Gesetzesformulierung durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20. Dezember
1996, BGBl I 1996, 2049, BStBl I 1996, 1523). Damit wird insbesondere die
Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002 bei einem
Quellensteuerabzug für die der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden
Einkünfte ausgeschlossen (BTDrucks 13/5952, S. 44), ebenso der Umstand, dass
der sich auf ein Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum beziehende
Grundfreibetrag der Einkommensteuertabelle (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG
2002) ungekürzt auf eine unterjährige Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht
Anwendung findet.
bb) Diese Orientierung an
Kalenderjahreswerten (Jahreslohnsteuertabelle) ist ein Grundprinzip der
Lohnsteuerbemessung (s. § 38a Abs. 3 Satz 1 EStG 2002), dem seit der
Einführung des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG (seit 1996) auch im Bereich der
veranlagten Einkommensteuer entsprochen wird. Es gilt der Grundsatz, dass
die Jahreslohnsteuer des Arbeitnehmers mit einer veranlagten Einkommensteuer
dieses Steuerpflichtigen, wenn er ausschließlich Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielt, übereinstimmen soll (§ 38a Abs. 2 EStG
2002). Mit Blick darauf fehlt die Berechtigung für eine Einschränkung des
kalenderjahresbezogenen Wortlauts. Daher ist bei der Ermittlung des
Jahresarbeitslohns zur Berechnung der auf den sonstigen Bezug entfallenden
Lohnsteuer der bisher erzielte Arbeitslohn auch insoweit einzubeziehen, als
er auf einen Zeitraum entfällt, der vor einem Wechsel der Art der
Steuerpflicht liegt (so auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. September
2005 11 K 396/04, juris; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., §
39b Rz D 4; Hartz/Meeßen/ Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Sonstige Bezüge" Rz
29; a.A. Stache in Bordewin/Brandt, EStG, § 39b Rz 173, bzw. in
Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuerrecht, § 39b EStG Rz 229). Ein
solches Ergebnis folgt auch für die Umkehrsituation - den Wechsel von der
beschränkten zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht - aus dem insoweit
nicht eingeschränkten Wortlaut des dann unmittelbar anzuwendenden § 39b Abs.
3 EStG 2002. In die Ermittlung des Jahresarbeitslohns zur Berechnung der
Lohnsteuer auf einen im Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht
zugeflossenen sonstigen Bezug ist ein auf den vorherigen Zeitraum
beschränkter Steuerpflicht entfallender Arbeitslohn einzubeziehen.
cc) Aus dem Senatsurteil vom 17. Dezember
2003 I R 75/03 (BFHE 204, 481, BStBl II 2005, 96) folgt nichts anderes:
Indem § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 die "ausländischen Einkünfte" auch bei
einem Wechsel der Art der Steuerpflicht im Veranlagungszeitraum dem
Progressionsvorbehalt unterwirft, sind zur Ermittlung dieser Einkünfte (§ 2
Abs. 2 EStG 2002) Werbungskosten unabhängig von der Ermittlung der
inländischen Einkünfte (und einem etwa dort berücksichtigten
kalenderjahresbezogenen Arbeitnehmer-Pauschbetrag des § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG
2002) anzusetzen, mögen die Einkünfte auch der Sache nach zur selben
Einkunftsart gehören. Eine solche im Gesetzeswortlaut angewiesene Trennung
der Einkünfteermittlung ergibt sich für den Begriff des Jahresarbeitslohns
in § 39b Abs. 3 EStG 2002 nicht. 3.
Der Senat teilt die von der Klägerin
- unter Hinweis
auf eine im Vergleich zur (reinen) Einkommensteuerveranlagung des
Arbeitnehmers höhere Lohnsteuerbelastung bei der Nettolohnvereinbarung
vorgebrachten
-
verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Das Lohnsteuerverfahren muss als
Massenverfahren möglichst praktikabel ausgestaltet sein; dies gilt im
besonderen Maße für die im Gesetz nicht klar geregelte und als Ausnahmefall
zum Regelfall der Bruttolohnvereinbarung (s. insoweit Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 8. November 1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl II
1986, 186) anzusehende und darüber hinaus vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer
ausdrücklich zu treffende Nettolohnvereinbarung (s. insoweit R 39b.9 LStR
2008). Außerdem begründet der Umstand der Übernahme von Lohnabzugsbeträgen
durch den Arbeitgeber weder die Möglichkeit, als Vergleichspaar im Rahmen
der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes auf den Arbeitgeber bei
einer Bruttolohnvereinbarung zu verweisen (dieser trägt die Lohnsteuer
nicht) noch auf den vertraglichen Nachteil des Arbeitnehmers (als Schuldner
der Lohnsteuer).
|