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BFH-Urteil vom 7.10.2009
(II R 23/08) BStBl. 2010 II S. 219
Die für die
Buchführungspflicht maßgebliche Umsatzgrenze i.S. des § 141 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO ist unter Einbeziehung der nicht umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze
zu ermitteln.
AO § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1.
Vorinstanz: FG
Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2007 8 K 8132/07
Sachverhalt
I.
Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist ein eingetragener Verein, der mit der Ausrichtung von
Veranstaltungen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Den Gewinn ermittelte
er durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes i.V.m. § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes
(EStG).
Im Jahr 2004 tätigte er
umsatzsteuerpflichtige Umsätze in Höhe von 2.787,57 € und - aufgrund von
Veranstaltungen im Ausland - nicht umsatzsteuerbare Umsätze in Höhe von
563.611,45 €.
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) teilte dem Kläger im Rahmen der
Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid für 2004 vom 5. Juli 2006 mit,
dass er nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) verpflichtet
sei, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse
zu machen. Die Verpflichtung ergebe sich aufgrund der Höhe der Umsätze. Das
FA forderte den Kläger auf, erstmals für das Kalenderjahr 2005 eine Bilanz
auf den 31. Dezember 2005 einzureichen.
Der Einspruch hatte nur
insoweit Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2007
die Mitteilung dahin änderte, dass die Verpflichtung zur Buchführung erst ab
dem 1. Januar 2007 zu erfüllen war.
Das Finanzgericht (FG) wies
die Klage ab. Der Kläger habe die für die Buchführungspflicht nach § 141
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31. Dezember 2006) maßgebliche Umsatzgrenze von
350.000 € im Kalenderjahr überschritten. Dabei seien die nicht
umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze zu berücksichtigen gewesen. Denn sie seien
ertragsteuerrechtlich anzusetzen. Sinn und Zweck der Regelungen der
§§ 140 ff. AO sei die Auferlegung von Pflichten, um den Steuerpflichtigen in
die Lage zu versetzen, seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nachkommen
zu können. Das Urteil ist veröffentlicht in Steuern und Bilanzen 2009, 74.
Mit der Revision rügt der
Kläger die Verletzung von § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und Art. 20 Abs. 3
des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2007 und die
Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht vom 5. Juli 2006
ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet
und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO
-). Das FG hat zu Recht die Buchführungspflicht des Klägers bejaht. Bei der
Prüfung der Frage, ob die für die Buchführungspflicht maßgebliche
Umsatzgrenze überschritten wurde, waren die nicht umsatzsteuerbaren
Auslandsumsätze einzubeziehen.
1. Ein gewerblicher
Unternehmer, der nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen
Betrieb Umsätze einschließlich der steuerfreien Umsätze, ausgenommen die
Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), von mehr als
350.000 € im Kalenderjahr gehabt hat, ist auch dann verpflichtet, für diesen
Betrieb Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen
Abschlüsse zu machen, wenn sich eine Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO
ergibt (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.d.F. des Art. 6 des Gesetzes vom
31. Juli 2003, BGBl I 2003, 1550, BStBl I 2003, 400, vgl. Art. 97 § 19
Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung –-EGAO -). Die
Verpflichtung ist vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf
die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den
Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat (§ 141 Abs. 2 Satz 1 AO).
Die Umsatzgrenze des § 141
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wurde für Kalenderjahre, die nach dem 31. Dezember
2006 beginnen (vgl. Art. 97 § 19 Abs. 6 Satz 1 EGAO), auf 500.000 € erhöht.
Nach der Übergangsregelung in Art. 97 § 19 Abs. 6 Satz 2 EGAO ergeht eine
Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht nicht, wenn die
Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO a.F. für Kalenderjahre, die
vor dem 1. Januar 2007 liegen, erfüllt sind, jedoch im Kalenderjahr 2006
nicht die des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO n.F. Dies soll sicherstellen,
dass diejenigen Steuerpflichtigen keine Mitteilung über den Beginn der
Buchführungspflicht erhalten, für die ab dem Zeitpunkt der Verkündung der
Neuregelung nach bisherigem Recht eine Buchführungspflicht besteht, jedoch
nicht mehr nach der Neuregelung (vgl. Gesetzentwurf vom 9. Mai 2006,
Einzelbegründung zu Art. 7, BTDrucks 16/1407, S. 11). Die Übergangsregelung
betrifft daher nur Steuerpflichtige mit maßgeblichen Umsätzen von mehr als
350.000 €, aber nicht mehr als 500.000 €.
Der Kläger fällt nicht unter
diese Übergangsregelung. Denn er hat im Kalenderjahr 2004 –-unter
Einbeziehung der Umsätze aus den im Ausland durchgeführten Veranstaltungen -
Umsätze von mehr als 500.000 € getätigt.
2. Bei der Ermittlung der für
die Buchführungspflicht maßgeblichen Umsätze i.S. von § 141 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO sind auch die nicht umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze zu
berücksichtigen.
a) Der in der Vorschrift
verwendete Begriff "Umsätze" schließt, wie sich aus der Bezugnahme auf § 4
Nr. 8 bis 10 UStG zu den nicht einzubeziehenden steuerfreien Umsätzen
ergibt, an die Regelungen des UStG an (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 4. Mai 1999 VIII B 111/98, BFH/NV 1999, 1444). Im UStG ist der
Begriff des "Umsatzes" nicht allgemein definiert. § 1 Abs. 1 UStG bestimmt
lediglich die im Einzelnen aufgezählten steuerbaren Umsätze als Gegenstand
der Besteuerung. Sind bei einem Umsatz einzelne Tatbestandsmerkmale des § 1
Abs. 1 UStG nicht erfüllt, so handelt es sich um einen nicht steuerbaren
Umsatz, also um einen Umsatz, der nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Daneben
enthält § 1 Abs. 1a UStG mit der Regelung zu Umsätzen im Rahmen einer
Geschäftsveräußerung einen Tatbestand nicht steuerbarer Umsätze (vgl.
Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 1 Rz 91). Für den
Anwendungsbereich des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist deshalb im Wege der
Auslegung zu bestimmen, welche Umsätze für die Ermittlung der Umsatzgrenze
maßgebend sind. Da § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO insoweit weder auf § 1
Abs. 1 UStG verweist noch eine ausdrückliche Einschränkung auf steuerbare
oder steuerpflichtige Umsätze enthält, lässt der Wortlaut des § 141 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO die Auslegung zu, dass Umsätze im Sinne dieser Vorschrift
auch nicht steuerbare Auslandsumsätze sind, d.h. Umsätze mit einem Liefer-
oder Leistungsort im Ausland.
b) Dieser Auslegung steht
nicht entgegen, dass die steuerfreien Umsätze mit Ausnahme der Umsätze nach
§ 4 Nr. 8 bis 10 UStG gesondert in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO genannt
wurden. Denn dies beruht offensichtlich auf der Übernahme des Wortlauts zur
Vorgängervorschrift des § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der
Reichsabgabenordnung. Danach waren Unternehmer und Unternehmen, die nach den
bei der letzten Veranlagung getroffenen Feststellungen einen Gesamtumsatz
(einschließlich des steuerfreien Umsatzes) von mehr als 250.000 DM gehabt
haben, verpflichtet, Bücher zu führen. An diese Formulierung wurde in dem
Ende 1969 erschienenen Bericht des Arbeitskreises für die Reform der
Reichsabgabenordnung und ihrer Nebengesetze angeknüpft, obwohl noch keine
Einschränkung bei den steuerfreien Umsätzen vorgesehen war (vgl.
Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Reform der
Reichsabgabenordnung, Heft 13, S. 91, 92). Im Gesetzentwurf vom 19. März
1971 wurde die Formulierung "Umsätze einschließlich der steuerfreien
Umsätze" beibehalten; gleichzeitig wurden jedoch erstmals bestimmte
steuerfreie Umsätze ausgenommen (BTDrucks VI/1982, S. 31).
c) Für die Einbeziehung der
nicht umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze spricht auch der Gesetzeszweck des
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Sinn und Zweck der Buchführungspflicht gemäß
§ 141 Abs. 1 AO ist die richtige Gewinnermittlung für die
Einkommensbesteuerung (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1988 IV R 136/85,
BFHE 154, 442, BStBl II 1989, 7, zur Buchführungspflicht für Land- und
Forstwirte). Der Gewinn eines gewerblichen Unternehmers ist, wenn für den
einzelnen Betrieb bestimmte Umsatzgrenzen überschritten werden, durch
Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln (vgl. § 141
Abs. 1 Satz 1 AO). Hierfür bedarf es einer Buchführung, in der alle
Geschäftsvorfälle laufend und systematisch erfasst und das Betriebsvermögen
sowie seine Entwicklung dokumentiert werden.
Im Rahmen der
Gewinnermittlung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind auch solche
Umsätze als Betriebseinnahmen zu berücksichtigen, die nicht umsatzsteuerbar
sind, weil der Ort der Lieferung oder der Leistung im Ausland liegt. Deshalb
ist es gerechtfertigt, bei der Prüfung der Frage, ob die Umsatzgrenzen des
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO überschritten wurden, von den gesamten Umsätzen
auszugehen, die sich ertragsteuerrechtlich auswirken. Dazu gehören auch
nicht der Umsatzsteuer unterliegende Auslandsumsätze (vgl. Märtens in
Beermann/Gosch, AO § 141 Rz 21; Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 141 Rz 4;
Cöster in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 141 Rz 14;
Leingärtner/Kanzler, Besteuerung der Landwirte, Kap. 21 Rz 67; Drüen in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 141 AO Rz 14; Kuhfus
in Kühn/v. Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 141 Rz 5; Ritzrow, Steuerlexikon,
§§ 140 bis 148 AO; Bichel, Steuerliche Betriebsprüfung 1980, 138; a.A.
Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 141 AO Rz 15).
Dem steht nicht entgegen,
dass das Überschreiten bestimmter Gewinngrenzen gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 AO ebenfalls eine Buchführungspflicht zur Folge hat und in diesem
Zusammenhang eine ertragsteuerrechtliche Bezugsgröße maßgebend ist. Der
Gesetzgeber hat die Buchführungspflicht alternativ an die Verwirklichung
verschiedener Tatbestände geknüpft, wobei in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
auf die Höhe der Umsätze und in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AO auf die Höhe
des Gewinns aus Gewerbebetrieb abgestellt wird.
Eine Beschränkung der Umsätze
i.S. des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auf umsatzsteuerbare Umsätze ist auch
nicht aus umsatzsteuerrechtlichen Gründen geboten. Denn für Zwecke der
Umsatzsteuer sind bereits umfassende Aufzeichnungspflichten normiert (vgl.
§ 22 UStG, §§ 63 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung).
d) Damit weicht der
erkennende Senat nicht von der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1999, 1444 ab.
Denn aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass der VIII. Senat des BFH den
in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verwendeten Begriff "Umsätze" im Sinne des
umsatzsteuerrechtlichen Sprachgebrauchs ausgelegt hat. Zu diesen Umsätzen
zählen auch nicht umsatzsteuerbare Auslandsumsätze.
3. Aus den vorgenannten
Gründen verletzt die Verwaltungsregelung im Anwendungserlass zur AO zu § 141
Rz 3, nach der in den maßgebenden Umsatz (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) auch
die nicht steuerbaren Auslandsumsätze einzubeziehen sind, nicht Art. 20
Abs. 3 GG.
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