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BFH-Urteil vom 9.11.2006 (IV R 21/05) BStBl. 2010 II S. 230

Legt eine Personen-Obergesellschaft ihr Wirtschaftsjahr abweichend von den Wirtschaftsjahren der Untergesellschaften fest, so liegt hierin jedenfalls dann kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, wenn dadurch die Entstehung eines Rumpfwirtschaftsjahres vermieden wird.

EStG § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; EStDV 1990 § 8b; AO 1977 § 42 Abs. 1 Satz 1;HGB § 240 Abs. 2 Satz 2, § 242 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Münster vom 26. Januar 2005 1 K 24/02 F (EFG 2005, 1060)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Holding GmbH & Co. KG, die im Januar des Streitjahres (1992) gegründet wurde. Gegenstand ihres Unternehmens ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrages vom 22. Januar 1992 der Erwerb, die Veräußerung und die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Unternehmen. Darüber hinaus unterhielt die Klägerin lediglich Bankkonten.

Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft oblag gemäß § 6 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages allein der Komplementär-GmbH.

Die Kommanditisten der Klägerin verpflichteten sich gemäß § 4 des Gesellschaftsvertrages, ihre Gesellschaftsanteile an der L-KG und der P-KG mit Wirkung vom Beginn des 1. Februar 1992 auf die Klägerin zu übertragen. Aufgrund der erfolgten Abtretung hält die Klägerin seit dem 1. Februar 1992 die Kapitalanteile an der L-KG und der P-KG.

Die Klägerin wurde am 19. Mai 1992 ins Handelsregister eingetragen.

Die Wirtschaftsjahre der L-KG und der P-KG entsprechen dem Kalenderjahr. Dagegen bestimmt § 5 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin für diese ein Geschäftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar des Folgejahres.

Der Jahresabschluss der Klägerin zum 31. Januar 1993 wurde am 31. Oktober 1993 aufgestellt.

Mit Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung für 1993 erklärte die Klägerin einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.052.296 DM. Aufgrund geringfügiger Abweichungen der Einkünfte in den Untergesellschaften stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Gewinn aus Gewerbebetrieb für 1993 mit 4.101.536 DM fest.

Nach Durchführung einer Betriebsprüfung, die auch das Streitjahr betraf, vertrat der Betriebsprüfer die Ansicht, dass die Wahl des vom Kalenderjahr und damit von den Wirtschaftsjahren der Untergesellschaften abweichenden Wirtschaftsjahres durch die Klägerin einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle.

Dem folgte das FA und stellte mit Bescheid vom 18. Dezember 1998, den es bereits mit Bescheid vom 21. Dezember 1998 nach § 129 AO 1977 berichtigte, für 1992 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 4.227.231 DM fest.

Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Dezember 2001 stellte das FA zwar den Gewinn nunmehr mit 4.150.676 DM fest; im Übrigen war der Einspruch jedoch erfolglos. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1060 veröffentlichten Gründen statt.

Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Münster vom 26. Januar 2005  1 K 24/02 F aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Klägerin gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (EStG) ihr Wirtschaftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar des Folgejahres wählen durfte.

1. Gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG ist die Einkommensteuer eine Jahressteuer. Die tarifliche Einkommensteuer i.S. des § 32a Abs. 1 Satz 1 EStG bemisst sich dabei nach dem zu versteuernden Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG). Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat (§ 25 Abs. 1 EStG). Bestandteile des Einkommens sind dabei auch die einzelnen Einkünfte aus den sieben Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG). Diese Einkünfte müssen ebenfalls für einen bestimmten Zeitraum ermittelt werden, der grundsätzlich dem Kalenderjahr entspricht.

Eine Ausnahme hiervon sieht § 4a EStG für Land- und Forstwirte und Gewerbetreibende vor, die ihren steuerlichen Gewinn nach einem von dem Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln können. Nach § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG ist das Wirtschaftsjahr bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, der Zeitraum, für den sie regelmäßig Abschlüsse machen.

2. a) Gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG durfte die Klägerin, die zumindest wegen ihrer gewerblichen Prägung i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG Gewerbetreibende und seit dem 19. Mai 1992 auch ins Handelsregister eingetragen ist, den Zeitraum, für den sie regelmäßig Abschlüsse macht, als Wirtschaftsjahr bestimmen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 2003 VIII R 89/02, BFH/NV 2004, 936, und vom 16. Februar 1989 IV R 307/84, BFH/NV 1990, 632, unter 2. der Gründe; K.-H. Bauer in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 4a EStG Anm. 4 und 47).

b) Dabei umfasst der Zeitraum, für den die Klägerin regelmäßig Abschlüsse i.S. des § 242 Abs. 3 des Handelsgesetzbuches (HGB) macht, grundsätzlich zwölf Monate (§ 240 Abs. 2 Satz 2 HGB, § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG). Das handelsrechtlich gewählte Geschäftsjahr gilt bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG wegen § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für das (steuerrechtliche) Wirtschaftsjahr (HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG Anm. 12). Die Wahl des handels- und steuerrechtlichen Wirtschaftsjahres übte die Klägerin in Übereinstimmung mit der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung mit der Erstellung des ersten regelmäßigen Jahresabschlusses am 31. Oktober 1993 aus (vgl. zu Letzterem BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 632, unter 2. der Gründe).

3. Durch die Wahl des Wirtschaftsjahres vom 1. Februar 1992 bis 31. Januar 1993 hat die Klägerin auch kein Steuergesetz i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 umgangen.

a) Eine Umgehung i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die - gemessen an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, unter C.III. der Gründe; BFH-Urteile vom 18. Dezember 1991 XI R 40/89, BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486; vom 26. März 1996 IX R 51/92, BFHE 180, 330, BStBl II 1996, 443, und vom 16. September 2004 IV R 11/03, BFHE 207, 274, BStBl II 2004, 1068, unter 2.a der Gründe, m.w.N.).

b) Dem Steuerpflichtigen ist es dabei grundsätzlich nicht verwehrt, seine rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine möglichst geringe steuerliche Belastung ergibt (BFH-Beschluss in BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteil in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486). Die vom Steuerpflichtigen gewählte Rechtsgestaltung ist der Besteuerung jedoch dann nicht zugrunde zu legen, wenn sie ausschließlich der Steuerminderung dient und bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung des Gesetzes missbilligt wird (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486; vom 20. März 2002 I R 63/99, BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50, unter B.II.1.a der Gründe; vom 8. Mai 2003 IV R 54/01, BFHE 202, 219, BStBl II 2003, 854, und in BFH/NV 2004, 936, m.w.N.).

aa) Bei der Überprüfung, ob die Wahl des Wirtschaftsjahres durch einen im Handelsregister eingetragenen Gewerbetreibenden einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 darstellt, ist zu berücksichtigen, dass das Wirtschaftsjahr i.S. des § 4a EStG im Regelfall zwölf Monate umfasst (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, § 8b Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1990 i.d.F. vom 28. Juli 1992 - EStDV 1990 -, BGBl I 1992, 1418, BStBl I 1992, 498; HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG Anm. 14). Davon sind zwar in § 8b Satz 2 Nr. 1 und 2 EStDV 1990 Ausnahmen zugelassen. Gerade aufgrund des Regel-Ausnahmeverhältnisses lässt sich daraus jedoch nicht ableiten, dass die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Februar 1992 bis 31. Dezember 1992 zu bilden (zur Vermeidung eines Rumpfgeschäftsjahres als maßgeblichen Grund für die Wahl des Wirtschaftsjahres vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 936, unter 2.b der Gründe).

bb) Zudem hat der Gesetzgeber - wie das FG zutreffend ausführt - mit der Regelung des § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG die erstmalige Wahl des Wirtschaftsjahres ausdrücklich in die Disposition des Gewerbetreibenden gestellt. Des Einvernehmens des FA bedarf es nur bei der Umstellung des Wirtschaftsjahres gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG. Zwar war im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Dritten Steuerreformgesetz vom 9. Januar 1974 (vgl. BTDrucks 7/1470, 19) in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vorgesehen, dass eine ins Handelsregister eingetragene Firma als Wirtschaftsjahr einen anderen Zwölfmonatszeitraum als das Kalenderjahr wählen kann, wenn für die Wahl dieses anderen Zeitraums wichtige betriebliche Gründe vorliegen und das FA zustimmt. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Wahl des Wirtschaftsjahres in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG i.d.F. des Einkommensteuerreformgesetzes 1974 vom 5. August 1974 nicht von diesen Voraussetzungen abhängig gemacht und die bis dahin gültige Regelung des § 2 Abs. 5 Nr. 2 EStG 1974, die inhaltlich § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG entspricht, in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG 1975 übernommen (dazu auch HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG Anm. 3; Zimmermann, EFG 2005, 1062).

c) Die Wahl eines abweichenden Wirtschaftsjahres durch eine Personen-Obergesellschaft kann sich danach zwar ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich darstellen, wenn die Gesellschaft ohne branchenspezifische oder sonstige plausible Gründe ihr Wirtschaftsjahr in der Weise festlegt, dass dadurch eine einjährige Steuerpause eintritt; dabei kann nicht eingewandt werden, dass es angesichts einer Neugründung unbenommen bleiben müsse, das Wirtschaftsjahr frei zu wählen (BFH-Urteil in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486).

Im Streitfall hat die Klägerin jedoch einen plausiblen Grund für die Festlegung des Wirtschaftsjahres vom 1. Februar 1992 bis 31. Januar 1993, das damit einen Monat nach den Wirtschaftsjahren der L-KG und P-KG endet. Dabei kann dahinstehen, ob die vom FG angeführten Gründe der speziellen innerbetrieblichen Struktur sowie der komplexe Gründungsablauf der Klägerin in diesem Sinne plausibel sind. Die Wahl des zwölfmonatigen Wirtschaftsjahres durch die Klägerin stellt sich nämlich schon deshalb als plausibel dar, weil dadurch ein Rumpfwirtschaftsjahr verhindert wird (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 936, unter II.2.b der Gründe).

Daher weicht die Entscheidung des Senats auch weder von dem BFH-Urteil in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486 noch von jenem in BFH/NV 2004, 936 ab. Entgegen der Auffassung des FA beginnt das auch für das Steuerrecht maßgebliche handelsrechtliche Geschäftsjahr nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister am 19. Mai 1992. Der Kaufmann bestimmt das Geschäftsjahr vielmehr durch Organisationsakt selbst. Im Streitfall ist dies durch die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung geschehen, die durch die Aufstellung des ersten Jahresabschlusses auf den 31. Januar 1993 bestätigt wurde.