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BFH-Urteil vom 6.10.2009
(I R 36/07) BStBl. 2010 II S. 232
Hat ein Getränkehändler
einerseits an seinen Lieferanten Pfandgelder für die an ihn gelieferten
Kästen und Flaschen gezahlt und andererseits von seinen Kunden Pfandgelder
in gleicher Höhe vereinnahmt, so gleichen sich diese Vorgänge in der Regel
bilanziell aus. Der Händler ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände
berechtigt, in seiner Bilanz insoweit ein Verlustgeschäft auszuweisen.
AO § 39, § 162 Abs. 1 Satz 1;
EStG 1997 § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4b, § 6; HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4, § 266
Abs. 2 A. III. Nr. 6, § 266; Abs. 2 B. II. Nr. 4.
Vorinstanz: FG
Rheinland-Pfalz vom 17. Mai 2006 1 K 2003/03 (EFG 2007, 19)
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betrieb in den Streitjahren 1998
bis 2000 u.a. einen Groß- und Einzelhandel mit Getränken. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, die Klägerin
habe für den Anspruch gegen die Getränkehersteller auf Rückerstattung der an
sie entrichteten Pfandgelder eine Forderung auszuweisen. Die Höhe der
Forderung richte sich nach der Rückstellung, die die Klägerin für die an
ihre Kunden zurückzuzahlenden Pfandgelder gebildet habe. Gegen die
dementsprechend ergangenen Steuerbescheide für die Streitjahre erhob die
Klägerin Klage, der das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz mit in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 19 veröffentlichtem Urteil vom
17. Mai 2006 1 K 2003/03 stattgab.
Mit seiner vom Senat
zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es
beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Das dem Verfahren
beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich dem FA in der
Sache angeschlossen, jedoch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das
FG hat zu Unrecht angenommen, der Gewinn der Klägerin sei in Höhe der vom FA
aktivierten Forderung für an die Getränkehersteller gezahlte Pfandgelder zu
kürzen.
1. Ausgangspunkt und
Grundlage der steuerrechtlichen Beurteilung ist die einschlägige
Zivilrechtslage:
a) Werden Getränke in
Flaschen und Gebinden geliefert, die keine Individualisierungsmerkmale
aufweisen und von unbestimmt vielen Herstellern verwendet werden (sog.
Einheitsleergut), erstreckt sich nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH) der Eigentumsübergang nicht nur auf den Inhalt,
sondern auch auf die Flaschen und die Kästen selbst (BGH-Urteil vom 9. Juli
2007 II ZR 233/05, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2007, 2913,
m.w.N.). Dies gilt gleichermaßen auf allen Vertriebsstufen und selbst dann,
wenn der Hersteller/Vertreiber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
den Eigentumserwerb an der Flasche ausdrücklich ausgeschlossen hat. Eine
solche Vereinbarung wäre auf ein unmögliches und unzulässiges Verhalten
gerichtet und deshalb unbeachtlich. Denn durch die Vermengung von Flaschen
verschiedener Hersteller kommt es zwangsläufig zu einem Eigentumsverlust des
einzelnen Herstellers (§ 948 Abs. 1, § 947 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs - BGB -). Mit der Rückgabe von Flaschen gleicher Art und Güte
würde in dessen Eigentumsrechte eingegriffen (BGH-Urteil in NJW 2007, 2913).
b) Anders verhält es sich
hingegen, wenn die Mehrwegflaschen dauerhaft so gekennzeichnet sind, dass
sie sich von Flaschen anderer Hersteller und Vertreiber unterscheiden und
eindeutig als Eigentum eines bestimmten Herstellers erkennbar sind. Bei
derartigen Individualflaschen verbleibt das Eigentum an den Flaschen beim
Hersteller/Vertreiber und wird auch auf den nachfolgenden Handelsstufen
nicht an den Erwerber des Flascheninhalts übertragen (BGH-Urteil in NJW
2007, 2913).
c) Zivilrechtlich noch nicht
entschieden ist die Frage, ob das Eigentum an Flaschen und Gebinden beim
Hersteller und Lieferanten bleibt oder auf den Getränkehändler übergeht,
wenn die Flasche zwar nicht einem bestimmten Hersteller, aber einer
geschlossenen Herstellergruppe zugeordnet werden kann (z.B. sog.
Brunneneinheitsflasche, BGH-Urteil in NJW 2007, 2913, m.w.N.).
2. Welche dieser
Leergutformen die Klägerin auf dieser zivilrechtlichen Basis in den
Streitjahren in welchen Umfängen gehandelt hat und ob bei der Lieferung sog.
Einheitsleerguts trotz des zivilrechtlichen Eigentumsübergangs die Flaschen
steuerrechtlich wirtschaftliches Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 der
Abgabenordnung - AO -) der Getränkehersteller bleiben (BMF-Schreiben vom
11. Juli 1995, BStBl I 1995, 363; Oberfinanzdirektion Hannover, Verfügung
vom 26. September 2001, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2002, 452;
Jakob/Kobor, DStR 2004, 1598; a.A. Küspert, Finanz-Rundschau - FR - 2008,
710; Köhler, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 2003, 168, 169 f.),
also die Lieferung von Einheitsleergut nicht anders zu behandeln ist als die
Lieferung des Individualleerguts, kann im Streitfall offenbleiben. Denn
gleichviel, welcher Auffassung man folgt, ist die Revision begründet.
a) Wäre der zivilrechtliche
Übergang des Eigentums am Leergut auch steuerrechtlich nachzuvollziehen,
wäre das Pfandgeld der Kaufpreis für das Leergut. Ebenso stellten die
Pfandgelder, die an die Kunden bei Rückgabe der Flaschen gezahlt werden,
Anschaffungskosten für die erworbenen Flaschen und Kästen dar.
Spiegelbildlich hierzu wären die beim Weiterverkauf der Ware vereinnahmten
Beträge für das Leergut gewinnwirksam als Veräußerungserlöse zu erfassen.
Das FA hätte danach zwar zu
Unrecht die an die Getränkehersteller entrichteten Pfandgelder aktiviert, so
dass diese Forderungen zu den streitigen Bilanzstichtagen gewinnmindernd
auszubuchen wären. Zugleich wären aber die in der Bilanz enthaltenen
Rückstellungen für die künftige Inanspruchnahme aus Pfandgeldern der Kunden,
die dieselbe Höhe ausweisen wie die Forderungen an die Getränkehersteller,
gewinnerhöhend aufzulösen. Denn insoweit handelte es sich um künftig zu
entrichtende Anschaffungskosten für das Leergut, die steuerrechtlich nicht
zurückgestellt werden dürfen (§ 5 Abs. 4b des Einkommensteuergesetzes - EStG
1997 - i.d.F. seit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März
1999, BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304; vgl. Köhler, StBp 2001, 153). § 5
Abs. 4b Satz 1 EStG 1997 galt zwar für das Streitjahr noch nicht; jedoch hat
die Regelung lediglich deklaratorischen Charakter. Auch in der Zeit zuvor
durften Rückstellungen für künftige aktivierungspflichtige Anschaffungs-
oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes nicht gebildet werden. Denn
die Anschaffung oder Herstellung führt lediglich zu einer
Vermögensumschichtung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember
2001 VIII R 27/00, BFHE 197, 483, BStBl II 2002, 733; vom 19. August 1998
XI R 8/96, BFHE 186, 417, BStBl II 1999, 18; Loose in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1885, m.w.N.). Darüber hinaus wären, da
es sich bei dem Leergut - jedenfalls auf der Ebene der Getränkehändler - um
Umlaufvermögen handelt, für das § 6 Abs. 2 EStG 1997 nicht gilt, die bei der
Klägerin vorhandenen Flaschen und Kästen mit deren Anschaffungskosten zu
aktivieren (gl.A. Köhler, StBp 2003, 168, 212; Kirnberger, Der
Ertragsteuerberater - EStB - 2004, 303; Küspert, FR 2008, 710).
b) Die Revision hat jedoch
auch dann Erfolg, wenn man annimmt, das wirtschaftliche Eigentum bleibe,
gleichviel, ob es sich um sog. Einheits-, Brunnen- oder Individualleergut
handelt, bei den Getränkeherstellern. Denn in diesem Fall hätte das FA zu
Recht die an die Getränkelieferanten gezahlten Pfandgelder als Forderung
erfasst.
aa) Die Aktivierung einer
Forderung richtet sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den
handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1
Satz 1 EStG 1997). Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz des
Handelsgesetzbuchs (HGB) sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am
Abschlussstichtag realisiert sind. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn eine
Forderung entweder rechtlich bereits entstanden ist oder die für die
Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen
Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen
Entstehung der Forderung fest rechnen kann (Senatsurteil vom 8. November
2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349, m.w.N.). Nicht
erforderlich ist hingegen, dass die Forderung am Bilanzstichtag fällig ist
(BFH-Urteile vom 12. Mai 1993 XI R 1/93, BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786;
vom 17. Februar 1998 VIII R 28/95, BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505).
bb) Der Anspruch auf
Rückerstattung des Pfandgeldes ist eine unbedingte Forderung, die nur noch
nicht fällig ist, solange das Leergut, für das es geleistet wurde, nicht an
den Getränkehersteller zurückgegeben wurde.
aaa) Erwirbt weder der Kunde
noch der Getränkehändler Eigentum an Flaschen und Kästen, handelt es sich
bei der Lieferung des Leerguts weder um ein Sachdarlehen noch um einen Kauf,
da beides einen Eigentumsübergang voraussetzt, sondern um eine leiheähnliche
Gebrauchsüberlassung (BGH-Urteil in NJW 2007, 2913; Kollhosser/Bork,
Betriebs-Berater - BB - 1987, 909, 911 f.). Leiheähnlich ist die Überlassung
des Leergutes deshalb, weil der Getränkehändler nicht verpflichtet ist, das
nämliche Leergut, das er von den Herstellern erhalten hat, zurückzugeben,
sondern nur die entsprechende Anzahl von Flaschen und Kästen. Das gezahlte
Pfand ist auch kein Nutzungsentgelt, da es bei Rückgabe der Gebinde
erstattet wird. Es ist damit keine Gegenleistung für die Lieferung des
Leerguts, sondern sichert den Rückgabeanspruch des Getränkeherstellers gegen
den Händler (BGH-Urteil in NJW 2007, 2913 sowie weitere Nachweise bei Weber,
NJW 2008, 949; Küspert, FR 2008, 710; Kirnberger, EStB 2004, 303; Köhler,
StBp 2004, 121, 159, 163).
Das Pfandgeld geht, sofern es
nicht auf einem vom Vermögen der Getränkehersteller gesonderten, dem
Getränkehändler zuzurechnenden Konto gutgeschrieben wird (vgl. BFH-Urteile
vom 4. November 2004 III R 5/03, BFHE 208, 162, BStBl II 2005, 277; vom
15. Mai 2008 IV R 25/07, BFHE 221, 169, BStBl II 2008, 715), in das Eigentum
des Getränkeherstellers über. Da der Händler bei Rückgabe des Leerguts das
Pfandgeld zurückzuerstatten hat, handelt es sich um ein unverzinsliches
Darlehen, das zugleich mit einer Sicherungsabrede verbunden ist (§ 607
Abs. 1 BGB a.F.; Kollhosser/Bork, BB 1987, 909, 911 f.). Es soll zwar
gegebenenfalls auf eine Vertragsstrafe oder Schadensersatzforderung
angerechnet werden können, wenn das Leergut nicht zurückgegeben wird. Da
aber noch nicht feststeht, ob diese Bedingung eintritt, dient das Pfandgeld
zunächst nicht als vorweggenommene Tilgung einer hypothetischen
Schadensersatzforderung, sondern vorrangig der Sicherung des
Rückgabeanspruchs (Kollhosser/Bork, ebenda). Es handelt sich demnach um eine
Sicherheitsleistung (Kaution), die bei Rückgabe des Leergutes zur Zahlung
fällig wird (Köhler, StBp 2004, 121, 159, 163; Kirnberger, EStB 2004, 303;
Küspert, FR 2008, 710).
bbb) Eine Kaution oder
sonstige Sicherheitsleistung ist bei demjenigen, der die Sicherheit gestellt
hat, zu aktivieren, und zwar entweder - bei Zugehörigkeit zum Anlagevermögen
- als "sonstige Ausleihungen" (§ 266 Abs. 2 A. III. Nr. 6 HGB) oder als
"sonstige Vermögensgegenstände" (§ 266 Abs. 2 B. II. Nr. 4 HGB;
Ellrott/St. Ring in Beck Bil-Komm., 6. Aufl., § 247 HGB Rz 124 a.E.;
Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen,
6. Aufl., HGB § 266 Rz 63 a.E., 90; Marx/Dallmann in Baetge/Kirsch/Thiele,
Bilanzrecht, § 266 HGB Rz 67, 84; Hayn/Jutz/Zündorf in Beck'sches Handbuch
der Rechnungslegung, B 215 Rz 14; Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und
KStG, § 5 EStG Rz 2200 "Kaution").
cc) Die Pfandgelder sind in
der Höhe zu erfassen, in der sie an die Getränkehersteller bezahlt wurden.
Soweit der Händler befürchten muss, vom Hersteller auf Schadensersatz wegen
unvollständiger Rückgabe von Leergut in Anspruch genommen zu werden, ist dem
nicht durch einen Abschlag bei der Forderung gegen den Hersteller Rechnung
zu tragen, sondern durch Bildung einer Rückstellung für ungewisse
Verbindlichkeiten wegen einer Schadensersatzverpflichtung (s. auch Heuer in
Herrmann/Heuer/ Raupach, ebenda; a.A. Kirnberger, EStB 2004, 303, der
zusätzlich zu einer Rückstellung wegen einer Schadensersatzverpflichtung die
Möglichkeit der nicht vollständigen Rückgabe des Leergutes bei der Forderung
mindernd berücksichtigen will; kritisch auch Lüdenbach, Steuern und Bilanzen
2009, 434). Eine derartige Rückstellung kann jedoch erst dann gebildet
werden, wenn die Leistungsbeziehungen gestört sind und eine Inanspruchnahme
aus der Sicherheitsleistung droht. Hiervon ist nach den im Getränkehandel
branchenüblichen Abläufen im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen nur
aufgrund besonderer Umstände auszugehen (BFH-Urteil vom 25. April 2006
VIII R 40/04, BFHE 213, 364, BStBl II 2006, 749). Derartige Anhaltspunkte
sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Daher liegt über die vom
FA bereits berücksichtigten Rückstellungen weiterer Rückstellungsbedarf
nicht vor.
3. Da die Klägerin nach ihren
Angaben keine Aufzeichnungen über die an die Getränkehersteller entrichteten
Pfandgelder geführt hat, durfte das FA die Höhe der Pfandgeldansprüche
schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Schätzung ist revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin zusätzlich
zu den vorhandenen Lagerbeständen zumindest in der Höhe Pfandgelder an die
Getränkelieferanten gezahlt hat, als sie ihrerseits Pfandgelder der Kunden
vereinnahmt hat.
4. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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