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BFH-Urteil vom 22.7.2008 (VIII R 101/02) BStBl. 2010 II S. 265
Steuerfreiheit von Lehrvergütungen einer französischen Universität
Zahlungen einer französischen Universität für einen von einem deutschen
Steuerpflichtigen versehenen Lehrauftrag sind im Inland gemäß § 3 Nr. 26
EStG steuerfrei (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 18. Dezember 2007
Rs. C-281/06 "Jundt", BFH/NV 2008, Beilage 2, 93).
EStG § 3 Nr. 26; EG Art. 49.
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg,
Außensenate Freiburg, vom 12. Januar 1999 14 K 151/96 (EFG 2002, 1307)
Sachverhalt
I.
1
Die Kläger und
Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen
zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger wohnt und arbeitet in seinem
Hauptberuf als Rechtsanwalt in Deutschland. Er nahm im Streitjahr 1991 einen
16 Stunden umfassenden Lehrauftrag an der Universität Straßburg wahr, für
den er im Streitjahr 5.760 Französische Francs - FF - (brutto) erhielt. Die
Universität zahlte dem Kläger im Jahre 1991 nach Abzug französischer
Sozialabgaben 4.814,79 FF aus.
2
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf im
Einkommensteuerbescheid 1991 die Bruttozahlungen in Höhe von 1.612 DM
(5.760 FF x 0,28) der Einkommensteuer.
3
Mit dem Einspruch machten
die Kläger geltend, dass für die von der Universität Straßburg erhaltenen
Zahlungen der Freibetrag des § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
gewährt werden müsse. Die Beschränkung dieser Vorschrift auf Vergütungen von
inländischen Körperschaften des öffentlichen Rechts verstoße gegen den
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft a.F. (EGV). Die
einbehaltenen französischen Zwangsabzüge dürften nicht angesetzt werden, da
sie dem Kläger nicht zugeflossen seien und er davon niemals irgendeinen
wirtschaftlichen Vorteil haben werde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2002, 1307 veröffentlicht.
4
Mit der vom Bundesfinanzhof
(BFH) zugelassenen Revision machen die Kläger vor allem geltend: § 3 Nr. 26
EStG diskriminiere Tätigkeiten bei Körperschaften des öffentlichen Rechts im
EU-Ausland. Außerdem habe das FA die gemäß § 53 EStG in der für das
Streitjahr geltenden Fassung erhöhten Kinderfreibeträge nicht
berücksichtigt.
5
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die festgesetzte
Einkommensteuer unter Berücksichtigung verfassungsmäßiger Kinderfreibeträge
und nach Maßgabe eines um 824,20 € - hilfsweise um 135,25 € - verringerten
Gesamtbetrags der Einkünfte herabzusetzen.
6
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Der für dieses Revisionsverfahren
seinerzeit zuständige XI. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 1. März 2006
XI R 43/02 (BFHE 212, 489, BStBl II 2006, 685) dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
8
1. Ist Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft n.F. - EG -)
dahingehend auszulegen, dass von seinem Schutzbereich auch die
nebenberufliche Tätigkeit als Lehrer im Dienst oder Auftrag einer
juristischen Person des öffentlichen Rechts (Universität) erfasst wird,
wobei für diese Tätigkeit als quasi ehrenamtliche Tätigkeit nur eine
Aufwandsentschädigung geleistet wird?
9
2. Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:
Ist die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass
Entschädigungen nur steuerbegünstigt sind, wenn sie von inländischen
juristischen Personen des öffentlichen Rechts gezahlt werden (hier: § 3
Nr. 26 EStG) dadurch gerechtfertigt, dass die nationalstaatliche
Steuerbegünstigung nur durch eine Tätigkeit zugunsten einer inländischen
juristischen Person des öffentlichen Rechts legitimiert ist?
10
3. Für den Fall, dass Frage 2 verneint
wird: Ist Art. 126 EGV (jetzt Art. 149 EG) dahin auszulegen, dass eine
steuerrechtliche Regelung, mit deren Hilfe das Bildungssystem ergänzend
gestaltet wird (wie hier § 3 Nr. 26 EStG), im Hinblick auf die insoweit
fortbestehende Verantwortung der Mitgliedstaaten zulässig ist?
III.
11
Der EuGH - 3. Kammer - hat mit Urteil vom
18. Dezember 2007 Rs. C-281/06 (BFH/NV 2008, Beilage 2, 93) entschieden:
12
1. Eine Lehrtätigkeit, die ein in einem
Mitgliedstaat Steuerpflichtiger im Dienst einer juristischen Person des
öffentlichen Rechts, hier einer Universität, ausübt, die sich in einem
anderen Mitgliedstaat befindet, fällt auch dann in den Anwendungsbereich von
Art. 49 EG, wenn die Tätigkeit nebenberuflich und quasi ehrenamtlich
ausgeübt wird.
13
2. Die Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass nach einer nationalen
Regelung nur das Entgelt, das im Inland ansässige Universitäten, die
juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, als Gegenleistung für
eine nebenberufliche Lehrtätigkeit zahlen, von der Einkommensteuer befreit
ist, während diese Befreiung versagt wird, wenn ein solches Entgelt von
einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Universität gezahlt wird,
ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
14
3. Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten
selbst für die Gestaltung ihres Bildungssystems zuständig sind, ist nicht
geeignet, eine nationale Regelung, nach der eine Steuerbefreiung denjenigen
Steuerpflichtigen vorbehalten ist, die im Dienst oder Auftrag inländischer
öffentlicher Universitäten tätig sind, mit dem Gemeinschaftsrecht in
Einklang zu bringen.
15
Hinsichtlich der Begründung wird auf das
genannte Urteil des EuGH Bezug genommen.
IV.
16
Die Revision der Kläger ist begründet.
Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das
angefochtene Urteil des FG aufzuheben und der Klage teilweise stattzugeben.
FA und FG haben zu Unrecht den von der Universität Straßburg an den Kläger
geleisteten Betrag von umgerechnet 1.612 DM (824,20 €) nicht gemäß § 3
Nr. 26 EStG steuerfrei gelassen. Hingegen sind die für die drei Kinder der
Kläger berücksichtigten Kinderfreibeträge verfassungsgemäß.
17
1. Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind u.a.
Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter,
Ausbilder, Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit im
Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen
Rechts steuerfrei. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift gilt
diese Steuerbefreiung für den von der Universität Straßburg an den Kläger
gezahlten Betrag nicht, weil der Kläger seinen Lehrauftrag nicht im Auftrag
einer inländischen, sondern einer ausländischen juristischen Person des
öffentlichen Rechts versehen hat.
18
Aufgrund des Urteils des EuGH in
BFH/NV 2008, Beilage 2, 93 ist indes geklärt, dass der Ausschluss der
Steuerbefreiung für Aufwandsentschädigungen, die von ausländischen
öffentlichen Körperschaften gezahlt werden, eine nicht zu rechtfertigende
Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) bedeutet und der
Kläger dadurch im Vergleich zu denjenigen Steuerpflichtigen diskriminiert
wird, die vergleichbare Dienstleistungen im Inland erbringen.
19
Aufgrund des Anwendungsvorrangs
gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) ist nach der bisherigen
Rechtsprechung des BFH der Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG in normerhaltender
Weise zu reduzieren, die einschlägige Regelung aber als solche weiter
anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 20. September 2006 I R 113/03, BFH/NV 2007,
220 - zum Abzug von Steuerberatungskosten eines niederländischen
Steuerpflichtigen, kritisch dazu Gosch, Deutsches Steuerrecht 2007, 1895,
1996 -; vom 20. Dezember 2006 I R 94/02, BFHE 216, 269, unter III.2. der
Gründe; vom 13. Juni 2006 I R 78/04, BFHE 215, 82; vom 24. April 2007
I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95, unter IV.5.b der Gründe). Mithin
ist das Merkmal "inländisch" in § 3 Nr. 26 EStG bei der Rechtsanwendung
nicht zu beachten.
20
Dies widerspricht auch nicht dem Willen des
Gesetzgebers, denn der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2009
erstreckt den Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG rückwirkend auf solche
Tätigkeiten, die für in EU-Mitgliedstaaten belegene juristische Personen des
öffentlichen Rechts erbracht worden sind (Nacke, Der Betrieb 2008, 1396,
1397).
21
Da im Streitfall die übrigen Merkmale der
Vorschrift erfüllt sind, ist der von der Universität Straßburg an den Kläger
gezahlte Betrag steuerfrei.
22
2. Da der Hauptantrag der Kläger in Bezug
auf die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG in vollem Umfang Erfolg hat,
ist über den Hilfsantrag, der die in Frankreich einbehaltenen und
abgeführten Sozialabgaben betrifft, nicht mehr zu entscheiden.
23
3. Zu Unrecht begehren die Kläger jedoch
aus verfassungsrechtlichen Gründen den Ansatz höherer Kinderfreibeträge.
24
Nach der durch das Gesetz zur
Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4)
eingeführten Vorschrift des § 53 EStG ist für das Streitjahr als
Existenzminimum für jedes Kind ein Betrag von 5.388 DM steuerfrei zu
belassen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in verfassungskonformer Weise umgesetzt
(s. Beschlüsse des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, 2 BvR 1220/93
und 2 BvR 1852, 1853/97, BVerfGE 99, 246, 268, 273, BStBl II 1999, 174, 193,
194; BFH-Urteil vom 22. Februar 2001 VI R 115/96, BFH/NV 2001, 1110;
BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 2002 VI B 165/99, BFH/NV 2002, 781; vom
9. September 2003 VI B 114, 115/02, BFH/NV 2004, 180).
25
Zu Unrecht schließen die Kläger aus dieser
Vorschrift, dass für ihre Kinder jeweils ein Kinderfreibetrag von 5.388 DM
berücksichtigt werden müsse. Vielmehr ist gemäß Satz 3 der Vorschrift für
die Prüfung, ob die gebotene Steuerfreistellung des Existenzminimums bereits
erfolgt ist, das dem Steuerpflichtigen zustehende Kindergeld mit dem auf das
bisherige zu versteuernde Einkommen anzuwendenden Grenzsteuersatz in einen
Freibetrag umzurechnen. Nur dann, wenn die Summe aus den bisher abgezogenen
Kinderfreibeträgen (im Streitfall jeweils 3.024 DM) und dem in Freibeträge
umgerechneten Kindergeld das steuerfrei zu lassende Kindesexistenzminimum
(im Streitfall jeweils 5.388 DM) nicht erreicht, ist in Höhe der Differenz
ein weiterer Abzug vom Einkommen vorzunehmen (§ 53 Satz 6 EStG). Danach wäre
für das Streitjahr ein weiterer Abzug vom Einkommen nur vorzunehmen, wenn
das zu versteuernde Einkommen der Kläger den Betrag von 182.952 DM erreicht
hätte (zur Berechnung vgl. Anlage 2, Buchst. f des Schreibens des
Bundesministeriums der Finanzen vom 14. März 2000 IV C 4 -S 2282 a- 35/00,
BStBl I 2000, 413, 418). Das ist jedoch nicht der Fall.
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4. Da die Vorentscheidung auf einer
abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Die Einkommensteuer ist nach Maßgabe eines um die Zahlung der
Universität Straßburg (1.612 DM) verringerten Einkommens herabzusetzen. Im
Übrigen ist die Klage abzuweisen.
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