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BFH-Urteil vom 22.10.2009
(VI R 7/09) BStBl. 2010 II S. 280
Behinderungsbedingte
Umbaumaßnahmen als außergewöhnliche Belastungen
Aufwendungen für den
behindertengerechten Umbau eines Hauses können als außergewöhnliche
Belastungen abziehbar sein, wenn sie so stark unter dem Gebot der sich aus
der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit stehen, dass die etwaige Erlangung
eines Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände des Einzelfalles in den
Hintergrund tritt.
EStG § 33.
Vorinstanz: Hessisches FG vom
24. Mai 2007 9 K 1043/03
Sachverhalt
I.
Die Kläger und
Revisionskläger zu 1. bis 3. (Kläger) sind die Erben des verstorbenen A, der
mit der Klägerin zu 1. im Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt wurde. A erlitt im Jahre 1999 einen schweren Schlaganfall, der
längere Rehabilitations- und Kurmaßnahmen zur Folge hatte und zum Ausweis
eines Grads der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G (gehbehindert), aG
(außergewöhnlich gehbehindert), H (hilflos) und RF
(Rundfunkgebührenbefreiung) führte.
Um A trotz seiner
gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin ein Leben in seiner gewohnten
Umgebung zu ermöglichen und ihm den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu
ersparen, nahmen die Ehegatten im Streitjahr verschiedene Umbaumaßnahmen an
ihrem Einfamilienhaus in B vor. Dabei handelte es sich um den Bau einer
Rollstuhlrampe, die Einrichtung eines behindertengerechten Bades in einem
Teil der bisherigen Küche, die Errichtung einer neuen Küche im verbliebenen
Teil des früheren Küchenraumes sowie im Hauswirtschaftsraum und Umwandlung
des Arbeitszimmers in einen Schlafraum.
Die von der Krankenkasse
nicht bezuschussten Umbaukosten machten A und die Klägerin zu 1. in Höhe von
139.715,34 DM in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als
außergewöhnliche Belastung geltend.
Dies lehnte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit dem Einkommensteuerbescheid für
das Streitjahr ab, gewährte jedoch den Behinderten-Pauschbetrag in Höhe von
7.200 DM und den Pflege-Pauschbetrag von 1.800 DM.
Einspruch und Klage hatten
keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stützte sein klageabweisendes Urteil
auf die sog. Gegenwertlehre und führte im Wesentlichen aus, der Bau der
Rollstuhlrampe habe ebenso wie die Errichtung des behindertengerechten Bades
den Wert des Grundstücks erhöht, weil die entsprechenden Einrichtungen auch
von jedem anderen Bewohner des Gebäudes genutzt werden könnten. Die
Umgestaltung der Küche sei lediglich eine Folge der Vergrößerung des Bades
gewesen und daher wie diese Maßnahme zu beurteilen. Dies müsse auch für die
das Arbeitszimmer betreffenden Umbaumaßnahmen gelten, wenn diese durch den
behindertengerechten Umbau des Bades ausgelöst worden seien. Alle
Umbaumaßnahmen seien A und der Klägerin zu 1. auch nicht zwangsläufig
erwachsen, denn sie hätten auch eine behindertengerechte Mietwohnung
beziehen können.
Mit ihrer dagegen
gerichteten Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und
tragen vor: Die Rampe repräsentiere keinen Gegenwert, sie sei vielmehr eine
den Vorgarten verunstaltende wertmindernde Baumaßnahme, die für
nichtbehinderte Besucher des Hauses nur einen Umweg bedeute. Auch die
rollstuhlgerechten Türverbreiterungen vermittelten keinen Gegenwert, sie
seien vielmehr nachteilig, weil sie zu einer Verringerung des nutzbaren
Wohnraums geführt hätten. Schließlich sei es erforderlich geworden, das
Schlafzimmer im Erdgeschoss einzurichten.
Die Kläger beantragen, das
Urteil des FG vom 24. Mai 2007 9 K 1043/03 und die Einspruchsentscheidung
vom 17. Februar 2003 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2000 vom
18. Mai 2007 dahingehend zu ändern, dass weitere 139.716 DM als
außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden.
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, dem
Abzug außergewöhnlicher Belastungen stehe der Gegenwert der Umbaumaßnahmen
und die fehlende Zwangsläufigkeit der Aufwendungen entgegen. Durch die
Baumaßnahmen am Bad hätten A und die Klägerin zu 1. einen Gegenwert
erhalten, weil im Streitfall keine neuen Ausstattungsgegenstände eines
vorhandenen Badezimmers durch eine behindertengerechte Einrichtung ersetzt,
sondern etwas völlig Neues geschaffen worden sei. Auch der Umstand, dass das
Bad objektiv von nichtbehinderten Personen genutzt werden könne, begründe
einen Gegenwert. Die Rollstuhlrampe verkörpere ebenfalls einen Gegenwert,
weil sich nicht ausschließen lasse, dass ein künftiger Erwerber bereit sei,
für den behindertengerechten Zugang zum Haus einen höheren Preis für das
gesamte Anwesen zu zahlen. Die Rollstuhlrampe schränke auch nicht den Zugang
für nichtbehinderte Besucher des Hauses ein. Im Übrigen lasse die fehlende
Abgrenzbarkeit krankheitsbedingter von nicht krankheitsbedingten
Gestaltungsentscheidungen bei den vorliegenden Baumaßnahmen die
Zwangsläufigkeit der Aufwendungen entfallen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist
begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die
Aufwendungen für die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen zu Unrecht vom
Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.
1. Erwachsen einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche
Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang
ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
a) Die Beteiligten gehen zu
Recht davon aus, dass es sich bei den ausschließlich behinderungsbedingten
Umbaukosten um außergewöhnliche Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG
handelt, denn es sind größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und
Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Diese
Aufwendungen sind auch nicht durch den A gewährten Behinderten- und
Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 1 bis 3 EStG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass
"zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung des
Pauschbetrags erfasst werden (Senatsurteil vom 17. Dezember 1965
VI 297/65 U, BFHE 84, 574, BStBl III 1966, 208, und BFH-Urteil vom
11. Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, m.w.N.).
Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG, der nur
die durch die Pflege einer Person veranlassten Aufwendungen erfasst.
b) Entgegen der Auffassung
der Vorinstanz sind die reinen Umbaukosten im Streitfall aber auch
zwangsläufig erwachsen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge
Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein
Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen. Nach
Auffassung des erkennenden Senats gilt dies insbesondere auch für die
streitbefangenen Umbaukosten, die nicht anders zu behandeln sind, als die
Aufwendungen für den Treppenlift eines Querschnittsgelähmten (BFH-Urteil vom
30. Oktober 2008 III R 97/06, BFH/NV 2009, 728). Durch den für die Klägerin
zu 1. und A nicht vorhersehbaren Schlaganfall und die dadurch eingetretene
schwerwiegende Behinderung war eine Zwangslage entstanden, die die
behinderungsgerechten Umbaumaßnahmen unausweichlich machte. Dass FA und FG
den Steuerpflichtigen in dieser Situation auf die möglicherweise langwierige
Suche nach einer geeigneten Mietwohnung verweisen, erscheint dem Senat eher
fernliegend. Eine tatsächliche Zwangslage ist dadurch gekennzeichnet, dass
sie schnelle Reaktion erfordert. Unter diesen Umständen aber hatten die
Ehegatten keine die Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen
ausschließende Entscheidungsfreiheit. Insofern unterscheidet sich der
Streitfall auch von dem Urteil des BFH, das die Vorinstanz herangezogen hat
und das den Bau eines behindertengerechten Einfamilienhauses betraf
(BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997,
491). Der erkennende Senat folgt nicht der Rechtsprechung des III. Senats
des BFH, der seine zum behindertengerechten Neubau eines Hauses ergangene
Entscheidung auch auf den Fall des Umbaus eines vom Steuerpflichtigen und
seiner Familie schon vor der Erkrankung genutzten Hauses angewendet hat
(BFH-Urteil vom 6. Februar 1997 III R 72/96, BFHE 182, 551, BStBl II 1997,
607, und BFH-Beschluss vom 15. April 2004 III B 84/03, BFH/NV 2004, 1252).
Die Zwangsläufigkeit der
Umbaumaßnahmen wird im Streitfall schließlich auch nicht durch
steuerrechtlich irrelevante private Motive in Frage gestellt, die bei der
Umgestaltung des Familienwohnheims mitgewirkt haben könnten. Die durch die
eingetretene Behinderung des A veranlassten Umbauten standen so stark unter
dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass eine
nicht auf der Behinderung beruhende Motivation des A und der Klägerin zu 1.
ohne weiteres auszuschließen ist.
c) Im Streitfall wird der
Abzug der zwangsläufigen Aufwendungen aber auch nicht durch einen Gegenwert
gehindert. Dabei kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob er der im
Schrifttum geäußerten Fundamentalkritik an der sog. Gegenwertlehre folgen
könnte (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 37, m.w.N.; s.
auch Arndt, in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 33 Rz B 34 ff.).
Unter den Umständen des
Streitfalls kann es auch nicht darauf ankommen, dass die
behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen weder zu einem realen Gegenwert geführt
noch einen marktgängigen Vorteil begründet haben. Zu Unrecht hat das FG
allerdings angenommen, dass es nicht auf eine von einem Sachverständigen
feststellbare Werterhöhung ankommt. Der Senat vermag der im Beschluss des
BFH in BFH/NV 2004, 1252 (m.w.N.) vertretenen Auffassung nicht zu folgen,
wonach der Beweis, ob der Steuerpflichtige einen Gegenwert für seine
behinderungsbedingten Aufwendungen erhält oder ob es sich dabei um
verlorenen Aufwand handelt, grundsätzlich nicht durch ein
Sachverständigengutachten geführt werden kann. Denn Häuser und Grundstücke
werden auch zu anderen Zwecken von Sachverständigen begutachtet, die
Werterhöhungen und Wertminderungen ohne weiteres festzustellen in der Lage
sind. Ein Gegenwert, der allein auf der möglichen Nutzung der Umbauten durch
nichtbehinderte Familienangehörige beruhen soll, ist indessen kein realer
Gegenwert und mithin ungeeignet, ein Abzugsverbot für zwangsläufig
erwachsene und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen
mindernde Aufwendungen zu begründen.
Im Streitfall jedenfalls
stehen die behinderungsbedingten Aufwendungen so stark unter dem Gebot der
sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines
etwaigen Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund
tritt (Senatsurteil vom 27. November 1959 VI 62/59, Steuerrechtsprechung in
Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 109). Aus diesem
Grunde bedarf es auch keiner Feststellungen zu der von den Klägern
aufgeworfenen Frage, ob die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen den Wert
des Grundstücks gemindert haben.
d) Sind die durch die
Behinderung veranlassten reinen Umbaukosten danach als außergewöhnliche
Belastungen anzuerkennen, so folgt daraus nach dem Gesetzeswortlaut der
Sofortabzug der Aufwendungen. Der Auffassung der Finanzverwaltung (z.B.
Oberfinanzdirektion Frankfurt, Verfügung vom 13. November 2008
S 2284 A-46-St 216; Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom
23. Oktober 2009 S 2284.1.1-2/2 St32/St33), wonach die Aufwendungen für die
behindertengerechte Umrüstung eines PKW auf die Nutzungsdauer des Fahrzeugs
zu verteilen sind, ein Sofortabzug aber ausgeschlossen wird, vermag der
Senat nicht zu folgen. § 33 EStG enthält weder eine Verweisung auf die
Vorschriften über die Absetzungen für Abnutzung noch eine Gesetzeslücke, die
eine analoge Anwendung des § 7 EStG nahe legen würde (a.A. Kanzler,
Finanz-Rundschau - FR - 1993, 691, 696, und FR 2002, 1139, 1140). Der Senat
hält es jedoch für denkbar, dem Steuerpflichtigen im Wege der abweichenden
Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung)
ein Wahlrecht auf Verteilung der Aufwendungen einzuräumen, wenn - anders als
im Streitfall - ein zu geringer Gesamtbetrag der Einkünfte dem vollen Abzug
der Aufwendungen entgegensteht.
2. Die Vorentscheidung beruht
auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann
jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von seinem
Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, in
welchem Umfang einzelne Aufwendungen nicht durch die eingetretene
Behinderung des A veranlasst waren. Das FG hat insoweit zwar festgestellt,
dass Heizungsarbeiten durchgeführt, mehrere Fenster ausgetauscht und
verschiedene Elektroinstallationen am Haus der Ehegatten ausgeführt worden
sind, die entsprechenden, in Rechnung gestellten Beträge aber nicht
beziffert.
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