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BGH-Urteil vom 30.4.2009 (1 StR 342/08) BStBl. 2010 II S. 323
1.
In Fällen fingierter Ketten- oder Karussellgeschäfte, die auf Hinterziehung
von Steuern angelegt sind, ist bei der Strafzumessung der aus dem
Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden als verschuldete Auswirkung der
Tat zu Grunde zu legen, soweit den einzelnen Beteiligten die Struktur und
die Funktionsweise des Gesamtsystems bekannt sind (im Anschluss an BGHSt 47,
343).
2.
Werden durch ein komplexes und aufwändiges Täuschungssystem, das die
systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum
bezweckt, in beträchtlichem Umfang Steuern verkürzt, kann sich die
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung als
notwendig erweisen.
AO § 370 Abs. 1 und Abs. 4; StGB § 46 Abs.
2 StGB, § 56 Abs. 3.
Vorinstanz: LG Gießen vom 23. November 2007
2 KLs 703 Js 18468/2
Sachverhalt
1. Auf die Revision des
Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 23. November 2007
aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in
zwei Fällen wegen Untreue verurteilt wurde; das Verfahren wird insoweit
eingestellt;
b) im
Gesamtstrafenausspruch.
2. Die weitergehende
Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Auf die Revision der
Staatsanwaltschaft wird das Urteil in den Fällen, in denen der Angeklagte
wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, im Ausspruch über die jeweilige
Einzelstrafe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
4. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
Steuerhinterziehung in zehn Fällen sowie wegen Untreue in zwei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung
es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten, mit der er
die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur
Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte
wegen Untreue in zwei Fällen verurteilt wurde. Der Wegfall der insoweit
verhängten Einzelstrafen führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Im
Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne von § 349 Abs.
2 StPO.
2
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit
ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom
Generalbundesanwalt vertreten wird, gegen den Rechtsfolgenausspruch; das
Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
3
Nach den Urteilsfeststellungen war der
Angeklagte seit 1985 Geschäftsführer der J. (nachfolgend J. GmbH). Deren
Geschäftsgegenstand war der An- und Verkauf von Nutzfahrzeugen, insbesondere
von Betonmischern.
4
1. Die Verurteilung wegen Hinterziehung von
Umsatzsteuer in zehn Fällen beruht auf folgenden Feststellungen:
5
In einer Vielzahl von Fällen verlangten die
Halter der Gebrauchtfahrzeuge, die die J. GmbH ankaufen wollte, dass nicht
der vollständige Kaufpreis in der Rechnung ausgewiesen wurde. Sie wollten
auf diese Weise die Zahlung der auf den nicht in die Rechnung aufgenommenen
Teil des Kaufpreises entfallenden Steuer vermeiden. Um diesem Ansinnen der
Halter der Fahrzeuge zu entsprechen, wurde unter Anleitung des Angeklagten
J. und unter Mitwirkung früherer Mitangeklagter ein System von Scheinfirmen
sowie Scheingeschäften entwickelt und in der Folge auch umgesetzt. Dieses
ermöglichte einerseits den Haltern, geringere Kaufpreise als die tatsächlich
gezahlten zu fakturieren. Auf der anderen Seite konnte die J. GmbH durch das
nachstehend näher dargelegte System Rechnungen erlangen, die ihr
ermöglichten, Vorsteuer aus Beträgen geltend zu machen, die noch über dem
tatsächlich gezahlten Kaufpreis lagen.
6
Im Einzelnen ging der Angeklagte gemeinsam
mit den Mitangeklagten wie folgt vor:
7
Der ursprüngliche Halter des jeweiligen
Gebrauchtfahrzeugs, der dieses verkaufen wollte, erstellte für Firmen, die
zum Schein als unmittelbarer Käufer des Gebrauchtfahrzeugs auftraten
(Erstankäufer), eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis über einen Teil des
tatsächlichen Kaufpreises. Der verbleibende Rest des Kaufpreises wurde bar
gezahlt, ohne dass dieser Teilbetrag versteuert wurde.
8
Der Erstankäufer stellte einem
Zwischenhändler eine Scheinrechnung mit Umsatzsteuerausweis aus, wobei der
dort angeführte Nettobetrag über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich - als
Rechnungsbetrag zuzüglich Schwarzgeldbetrag - an den letzten Halter des
Fahrzeuges gezahlt worden war. Der Zwischenhändler erstellte seinerseits für
die J. GmbH eine Rechnung, in der er einen nochmals höheren Nettopreis sowie
die darauf anfallende Umsatzsteuer auswies. Die J. GmbH veräußerte die
Fahrzeuge sodann, nachdem sie teilweise durch das Unternehmen instand
gesetzt worden waren, im Inland oder - weit überwiegend - in das Ausland.
Die Lieferungen ins Ausland waren umsatzsteuerfrei.
9
Einzelne Geschäfte wichen insoweit von dem
dargestellten Grundmuster ab, als der ursprüngliche Halter des Fahrzeuges
eine Rechnung an ein in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaft ansässiges Scheinunternehmen ausstellte, in der entsprechend §
4 Nr. 1 Buchst. a UStG keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Parallel dazu
wurde eine Lieferkette in Deutschland fingiert, nach der das identische
Fahrzeug von einer Scheinfirma an einen Zwischenhändler und von diesem an
die J. GmbH verkauft wurde. In anderen Fällen trat ein ansonsten als
Zwischenhändler fungierendes Unternehmen unmittelbar als Käufer gegenüber
dem ursprünglichen Halter der Fahrzeuge auf. In weiteren Fällen wurden die
Teile des Kaufpreises, die von dem ursprünglichen Halter nicht versteuert
wurden, durch Scheinrechnungen über den - tatsächlich nicht erfolgten -
Verkauf von Ersatzteilen verschleiert.
10
Allen Geschäften war gemeinsam, dass
tatsächlich der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs mit
Geldern bezahlt wurde, die die J. GmbH dem Zwischenhändler zur Verfügung
gestellt hatte, der diese an die Verkäufer weiterleitete. Die Fahrzeuge
wurden jeweils direkt an die J. GmbH geliefert. Die Entscheidung über den
Ankauf eines Fahrzeuges und den zu zahlenden Preis traf in allen Fällen
jeweils der Angeklagte J., der für die J. GmbH handelte.
11
Die J. GmbH versteuerte die aus ihren
Lieferungen resultierenden Umsätze im Inland. Umsätze aus
Auslandslieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden als
solche deklariert. Die sich aus den Rechnungen der Zwischenhändler ergebende
Vorsteuer wurde nach § 15 UStG abgezogen. Auch die als Zwischenhändler
auftretenden Unternehmen erklärten die Umsätze, die in ihren Rechnungen an
die J. GmbH ausgewiesen wurden, und führten die ausgewiesene Umsatzsteuer
ab. Von der daraus resultierenden Zahllast wurde die Vorsteuer abgezogen,
die sich aus den Rechnungen ergab, die den Zwischenhändlern von den als
Erstankäufer auftretenden Scheinfirmen ausgestellt worden waren.
Demgegenüber erklärten die Erstankäufer die in den Rechnungen an die
Zwischenhändler ausgewiesenen Umsätze nicht und führten die dort
ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich auf knapp 570.000, - Euro belief, auch
nicht ab.
12
Der Angeklagte J. machte in den
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1997 bis 2001 und in den
Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Juli und
Oktober 2002 für die J. GmbH die Vorsteuer aus den Rechnungen der
Zwischenhändler geltend. Diese belief sich auf etwas mehr als 665.000, -
Euro.
13
Nach Auffassung des Landgerichts wurde
insoweit durch die Abgabe falscher Umsatzsteuererklärungen Umsatzsteuer in
einer Gesamthöhe von 433.900, - Euro hinterzogen, die bei der Strafzumessung
zu Grunde zu legen sei. Bei diesem Betrag handelt es sich um die jeweilige
Umsatzsteuer, die auf den Anteil des Kaufpreises entfiel, der unversteuert
an den ursprünglichen Halter des jeweiligen Fahrzeugs gezahlt wurde. Diesen
berechnete die Strafkammer, indem sie den Nettobetrag der Ausgangsrechnung
des ursprünglichen Halters an die Erstankäufer von dem Nettobetrag der
Rechnung, die dieser den Zwischenhändlern ausstellte, subtrahierte.
Demgegenüber sah die Strafkammer die Umsatzsteuer, die in den Rechnungen der
Erstankäufer an die Zwischenhändler und in den Rechnungen der
Zwischenhändler an die J. GmbH ausgewiesen wurde, nicht als
strafzumessungsrelevanten Hinterziehungsschaden an. Bei einer Verurteilung
wegen Vergehen nach § 370 AO sei im Rahmen der Strafzumessung "nach Sinn und
Zweck der Vorschrift nur auf die Verkürzung solcher Steuersummen
abzustellen, die bei ordnungsgemäßem Verhalten von vornherein an den Fiskus
abzuführen gewesen wären".
14
2. Daneben verurteilte das Landgericht den
Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen zum Nachteil der J. GmbH. Nach den
diesbezüglichen Feststellungen entnahm der Angeklagte in den Jahren 2000 und
2001 unter Verletzung der ihn treffenden Pflichten als Geschäftsführer aus
dem Vermögen der Gesellschaft ohne rechtfertigenden Grund insgesamt knapp
175.000, - Euro, um das Geld für eigene Zwecke zu verwenden. Diese Entnahmen
verschleierte er durch Scheinrechungen, die er in die Buchhaltung der J.
GmbH einstellte. Die in den Scheinrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer
machte der Angeklagte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre
2000 bzw. 2001 als Vorsteuer geltend. Alleinige Gesellschafterin zur Tatzeit
war die Ehefrau des Angeklagten.
II.
15
Die Revision des Angeklagten führt zu der
aus dem Tenor ersichtlichen Teilaufhebung und -einstellung und zur Aufhebung
des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
16
1. Soweit der Angeklagte wegen Untreue zum
Nachteil der J. GmbH verurteilt wurde, ist die Verurteilung aufzuheben und
das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Es besteht ein von Amts
wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis, da der nach § 266 Abs. 2
StGB i.V.m. § 247 StGB für die Strafverfolgung erforderliche Strafantrag der
Verletzten fehlt.
17
a) Nach den Feststellungen war allein die
Ehefrau des Angeklagten Gesellschafterin der J. GmbH. Als Verletzte der
Untreuetaten zum Nachteil der J. GmbH ist daher allein die Ehefrau des
Angeklagten anzusehen (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 86). Dass sie den
erforderlichen Strafantrag gestellt hat, ist weder festgestellt, noch
anderweitig ersichtlich. Auch für eine Ausnahme von dem
Strafantragserfordernis, die dann in Betracht kommt, wenn durch die
Untreuehandlung eine konkrete Existenzgefährdung der Gesellschaft verursacht
worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 79, 80), ergeben sich keine
Anhaltspunkte.
18
b) Der Senat schließt aus, dass noch ein
wirksamer Strafantrag gestellt werden könnte. Dies gilt um so mehr, als die
Antragsfrist nach § 77b Abs. 1 StGB, deren Lauf mit Kenntniserlangung der
Antragsberechtigten von Tat und Täter beginnt (§ 77b Abs. 2 StGB), mit hoher
Wahrscheinlichkeit verstrichen ist. Diesbezügliche, sich angesichts der
konkreten Situation aufdrängende Zweifel würden zu Gunsten des Angeklagten
wirken (vgl. BGHSt 22, 90, 93).
19
c) Der Wegfall der Verurteilung wegen
Untreue führt vorliegend nicht zur Aufhebung der diesbezüglichen
Feststellungen (vgl. Schoreit in KK StPO 6. Aufl. § 260 Rdn. 46), da die zu
den Untreuetaten getroffenen Feststellungen auch für die Verurteilung wegen
Steuerhinterziehung hinsichtlich der Abgabe unrichtiger
Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 und 2001 von Bedeutung
sind.
20
2. Wegen des Wegfalls der wegen Untreue
verhängten Einzelstrafen kann der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand
haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auf eine
niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
21
3. Im Übrigen bleiben die Verfahrensrügen
und die Sachrüge aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
dargelegten Gründen, die auch durch die Gegenerklärung des Angeklagten nicht
entkräftet werden, ohne Erfolg.
22
Ergänzend dazu bemerkt der Senat lediglich
Folgendes:
23
a) Soweit der Angeklagte rügt, dass die
Berufsrichter und die Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren
eingeführten Urkunden keine Kenntnis erlangt haben, deckt er keinen
durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Urteil könnte auf dem geltend
gemachten Verfahrensfehler auch nicht beruhen. Denn der Angeklagte hat die
einzelnen Lieferungen, deren Daten durch die verlesenen Urkunden eingeführt
wurden, nicht bestritten (UA S. 110). Ist aber der Inhalt eines ansonsten
zuverlässigen Schriftstücks in der Hauptverhandlung nicht bestritten worden,
kann das Urteil im Allgemeinen nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück
nicht verlesen wurde (vgl. Senat StV 2007 - 569, 570 m.w.N.). Anhaltspunkte
dafür, dass vorliegend etwas anderes gelten könnte, sind nicht gegeben.
24
b) Auch im Hinblick auf die Rüge, ein
Beweisantrag, der am 19. Juni 2007 gestellt wurde, sei rechtsfehlerhaft
abgelehnt worden, kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf
dem behaupteten Rechtsfehler beruhen könnte.
25
Zutreffend weist die Revision zwar darauf
hin, dass die Strafkammer in dem Ablehnungsbeschluss lediglich die zur
Begründung des Beweisantrags angeführte Schlussfolgerung des Antragstellers
als bereits erwiesen erachtete, nicht aber die eigentliche Beweisbehauptung.
In der Sache erweisen sich aber die unter Beweis gestellten Tatsachen aus
Sicht des Landgerichts als in tatsächlicher Hinsicht bedeutungslos. Denn im
Hinblick auf das Beweisziel kam den Beweistatsachen keine Bedeutung zu. Die
Strafkammer erachtete die Tatsachen, auf die nach Feststellung der unter
Beweis gestellten (Indiz-)Tatsachen geschlossen werden sollte, bereits
anderweitig als erwiesen an. Dies war angesichts der Begründung des
Beschlusses für den Angeklagten und seine Verteidiger auch erkennbar. Ein
Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Ablehnung kann deshalb
ausgeschlossen werden.
26
c) Der Sachrüge ist der Erfolg auch
unabhängig davon zu versagen, ob es sich bei den Zwischenhändlern um
Unternehmer handelte und ob diese tatsächlich eine Lieferung an die J. GmbH
i.S.v. § 3 UStG erbrachten. Denn nach den Feststellungen wusste der
Angeklagte J. um seine Einbindung in eine auf Hinterziehung von Umsatzsteuer
ausgerichtete Lieferkette. Nach der Rechtsprechung des Senats zu
missbräuchlichen Umsatzgeschäften bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im
Sinne von § 6a UStG sind aber auf Grund des im Gemeinschaftsrecht
verankerten Verbots missbräuchlicher Praktiken für alle Beteiligten eines
oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die Hinterziehung von Steuern
gerichtet sind, die Steuervorteile, die für die einzelnen Geschäfte
grundsätzlich vorgesehen sind, zu versagen (BGH DStR 2009, 577 ff.). Dies
gilt auch für rein inländische Umsatzgeschäfte (vgl. auch EuGH, Urt. vom 6.
Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel Rdn. 56 f.).
III.
27
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat
Erfolg.
28
1. Sie beantragt zwar, "das Urteil im
angefochtenen Umfang aufzuheben". Aus dem Inhalt der Revisionsbegründung
lässt sich indes entnehmen, dass sich die Beschwerdeführerin allein gegen
den Gesamtstrafenausspruch, die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten
Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung und die Einzelstrafen, die für die zehn
Fälle der Steuerhinterziehung verhängt wurden, wendet.
29
2. Die Beschränkung der Revision auf den
Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der
Strafzumessung ist möglich, ohne dass die den Schuldspruch tragenden
Feststellungen hiervon berührt würden (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664
m.w.N.). Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen bilden eine
ausreichende Grundlage für die Nachprüfung der Strafzumessung (BGHSt 33,
59); sowohl das steuerrechtlich erhebliche Verhalten des Angeklagten als
auch die Höhe der verkürzten Steuern hat das Landgericht dargelegt.
30
3. Einer Aufhebung und Einstellung des
Verfahrens, soweit der Angeklagte in zwei Fällen wegen Untreue verurteilt
wurde, auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft bedarf es nicht, da -
unabhängig davon, dass dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten
wirkt (§ 301 StPO) - das Urteil insoweit bereits auf die Revision des
Angeklagten aufzuheben und das Verfahren einzustellen war (vgl. auch Senat,
Urt. vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02 m.w.N.).
31
4. Zu Recht beanstandet die
Beschwerdeführerin, dass das Landgericht der Strafzumessung einen zu
geringen Schuldumfang zu Grunde gelegt hat.
32
a) Bei der Zumessung einer Strafe wegen
Steuerhinterziehung hat das in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannte Kriterium
der "verschuldeten Auswirkungen der Tat" im Rahmen der erforderlichen
Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. "Auswirkungen der Tat" sind insbesondere
die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370
AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs,
d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens jeder einzelnen
Steuerart. Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender
Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH NJW 2009,
528, 531 m.w.N.).
33
Vorliegend wurde zur Ermöglichung der
Hinterziehung der Steuern, die der ursprüngliche Halter der
Gebrauchtfahrzeuge hätte entrichten müssen, eine Kette von Scheingeschäften
gebildet, durch die weitere Steuern hinterzogen wurden. Die
Sachverhaltsvarianten, die das Landgericht festgestellt hat, sind
betrügerischen Karussellgeschäften vergleichbar, die auf die Erschleichung
von ungerechtfertigten Steuervorteilen gerichtet sind. Hier wie dort gilt
aber hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat folgendes:
34
Aufgrund der Ausgestaltung des
Gesamtsystems besteht in Fällen solcher fingierter Ketten- oder
Karussellgeschäfte typischerweise die Situation, dass für einzelne Glieder
der Kette die umsatzsteuerlichen Auswirkungen neutral erscheinen können.
Werden nämlich von einzelnen Kettengliedern sämtliche Umsatzsteuern bezahlt
und stehen den von diesem Kettenglied gezogenen Vorsteuern vom
Scheinrechnungsaussteller gezahlte Umsatzsteuern gegenüber, dann scheint die
umsatzsteuerliche Bilanz an sich ausgeglichen. Nach den Feststellungen
bestand eine ebensolche Situation bei der J. GmbH. Diese machte zwar zu
Unrecht die in den Rechnungen der Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer
als Vorsteuer geltend. Die Zwischenhändler führten aber die Umsatzsteuer,
die in den Rechnungen ausgewiesen waren, die der J. GmbH ausgestellt wurden,
an das jeweils zuständige Finanzamt ab.
35
Dieser Umstand berührt aber den
Schuldspruch nicht. Denn ein Vorsteuerabzug scheidet aus, da den Rechnungen
der Zwischenhändler keine tatsächlich durchgeführten Lieferungen zu Grunde
lagen. Nur wenn solche tatsächlich gegeben gewesen wären, wäre der
Rechnungsadressat zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen (BGH NJW 2002, 1963,
1965).
36
Der Umstand, dass die umsatzsteuerliche
Bilanz der J. GmbH auf Grund der Entrichtung der Umsatzsteuer durch die
Zwischenhändler als neutral erscheint, hätte aber Auswirkungen auf die
Bestimmung des Schuldumfangs.
37
b) Eine solche auf das einzelne
Scheinrechnungsverhältnis beschränkte Betrachtung würde dem
Gesamtunrechtsgehalt des Hinterziehungssystems aber nicht gerecht. Dieser
wird nämlich nicht durch das einzelne Rechnungsverhältnis geprägt, sondern
durch das System als Ganzes. Es ist anerkannt, dass jedenfalls, soweit - wie
hier - den einzelnen Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise des
Gesamtsystems bekannt sind, dies auch bei der Feststellung der für die
Strafzumessung bestimmenden verschuldeten Auswirkungen der Tat Gewicht
erlangen kann. Maßgeblich ist deshalb der vom Vorsatz umfasste, aus dem
Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden, der in dem Überschuss von
gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter Umsatzsteuer besteht (BGH NJW
2002, 3036, 3039).
38
Es ist daher rechtsfehlerhaft, dass das
Landgericht allein die Umsatzsteuer, die durch die ursprünglichen Halter
hinterzogen wurde, der Strafzumessung zu Grunde gelegt hat. Denn hierdurch
wird der aus dem Gesamthinterziehungssystem erwachsene Schaden nicht
vollständig erfasst.
39
aa) Die Feststellungen der Strafkammer sind
bereits deshalb bedenklich, weil sie nicht zweifelsfrei feststellen konnte,
welche Höhe der nicht versteuerte Kaufpreis hatte, der an die ursprünglichen
Halter gezahlt wurde (UA S. 110, 112, 116). Die Strafkammer stellt allein
fest, dass der Nettobetrag, der in den Rechnungen der Erstankäufer
aufgeführt wurde, über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich an den letzten
Halter des Fahrzeuges gezahlt worden war (UA S. 16, 110). Im Ergebnis
beschwert dies den Angeklagten aber nicht, da aufgrund der Feststellungen zu
seinen Lasten anderweitig hinterzogene Steuern in den Blick zu nehmen sind,
die der Höhe nach zweifelsfrei feststehen und den Betrag, den die
Strafkammer der Strafzumessung zu Grunde gelegt hat, übersteigen.
40
bb) Denn jedenfalls die von den als
formelle Erstankäufer eingesetzten Scheinfirmen in den Rechnungen an die
Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich nach den Feststellungen
auf circa 570.000, - Euro belief, wurde hinterzogen. Dies ergibt sich aus
Folgendem:
41
(1) Die als Erstankäufer eingesetzten
Scheinfirmen gaben keine Umsatzsteuervoranmeldungen oder -jahreserklärungen
ab und führten die in den Scheinrechnungen an die Zwischenhändler
ausgewiesene Umsatzsteuer entgegen § 14 Abs. 3 UStG aF (bzw. § 14c Abs. 2
UStG nF) auch nicht ab. Daher haben die Erstankäufer den Tatbestand des §
370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht. Bei der Ausstellung einer Scheinrechnung
mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer ist eine Gefährdung des
Steueraufkommens jedenfalls dann gegeben, wenn diese Rechnung zum
Vorsteuerabzug benutzt werden kann und der Rechnungsaussteller die gesondert
ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt hat (BGH NStZ
2001, 380, 381).
42
(2) Die von den Scheinfirmen ausgestellten
Rechnungen wurden zudem von den Zwischenhändlern dafür genutzt, unberechtigt
Vorsteuern geltend zu machen. Die Steuergefährdung, der der Gesetzgeber mit
Schaffung des § 14 Abs. 3 UStG aF (§ 14c UStG nF) entgegenwirken wollte
(vgl. BGH NJW 2002, 3036, 3037), ist in einen Schaden umgeschlagen. Die
Umsatzsteuer, die die Zwischenhändler aus den Rechnungen abzuführen hatten,
die der J. GmbH ausgestellt worden waren, wurde hierbei verkürzt. Bezieht
man auch die an anderer Stelle hinterzogene Umsatzsteuer in die gebotene
Gesamtbetrachtung mit ein, erweist sich die umsatzsteuerrechtliche Bilanz
der J. GmbH nicht mehr als neutral.
43
(3) Vor diesem Hintergrund ist die
Auffassung des Landgerichts, dass nach § 14 Abs. 3 UStG aF (resp. § 14c Abs.
2 UStG nF) geschuldete Steuern für die Strafzumessung irrelevant seien, da
sie bei steuerehrlichem Verhalten nicht an den Fiskus abzuführen gewesen
wären, rechtlich nicht zutreffend. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass
durch die Rechnungen, in denen Umsatzsteuer ausgewiesen wird, dem
Rechnungsempfänger eine weitere Möglichkeit der Steuerhinterziehung eröffnet
wird. Wenn sich die mit der Scheinrechnung verbundene Gefahr dann aber - wie
hier - realisiert, hat diese verschuldete Auswirkung der Tat für die
Strafzumessung Bedeutung. Es ist zu berücksichtigen, dass die Verkürzung,
die aus den unrichtigen Erklärungen des Zwischenhändlers resultiert, den
schon durch das Unterlassen der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw.
-jahreserklärung durch den Erstankäufer verursachten Steuerschaden fortsetzt
und allenfalls vergrößert. Damit ist das Steueraufkommen zwar nicht in der
Summe der beiden Hinterziehungen, aber im Umfang des jeweils höheren
Hinterziehungsbetrages gefährdet (BGH NStZ 2003, 268).
44
c) Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil
auch zu Gunsten des Angeklagten. Angesichts der Tatsache, dass sowohl der
Schaden der einzelnen Hinterziehungstaten als auch der Gesamtschaden weitaus
höher ist, als von der Strafkammer angenommen, kann der Senat nicht
ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden
Schadensumfangs sowohl auf höhere Einzel- als auch eine höhere
Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
45
Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt,
können die vom Landgericht getroffenen Feststellungen aufrechterhalten
bleiben. Der neue Tatrichter darf aber ergänzende Feststellungen treffen,
die den bisherigen nicht widersprechen.
46
5. Da bereits der aufgezeigte Rechtsfehler
zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, bedarf es keines Eingehens auf die
weiteren Beanstandungen, die die Beschwerdeführerin gegen den
Rechtsfolgenausspruch erhebt. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat
auf Folgendes hin:
47
a) Nach § 153a Abs. 2 oder § 154 Abs. 2
StPO eingestellte Taten bzw. Tatteile, von deren Ahndung nach § 154a StPO
abgesehen wurde, dürfen lediglich dann strafschärfend berücksichtigt werden,
wenn sie prozessordnungsgemäß festgestellt wurden und der Angeklagte darauf
hingewiesen wurde (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn.
46 f.).
48
b) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit
haben zu prüfen, ob die Taten einen besonders schweren Fall der
Steuerhinterziehung darstellen. Dies bestimmt sich vorliegend, soweit in
diesem Zusammenhang auf die Höhe der hinterzogenen Steuern abgestellt wird,
nach § 370 Abs. 3 AO aF. Insoweit müssten Steuern in "großem Ausmaß" aus
"groben Eigennutz" hinterzogen worden sein.
49
c) Soweit die Höhe der Umsatzsteuer, die
seitens der ursprünglichen Halter hinterzogen wurde, beziffert werden kann,
ist dieser Hinterziehungsbetrag ebenfalls zu Ungunsten des Angeklagten als
verschuldete Auswirkung der Tat mit in die Strafzumessung einzuziehen. Denn
gerade auch, um dem ursprünglichen Halter diese eigenständige Hinterziehung
zu ermöglichen, wurde das Gesamtsystem unter Mitwirkung des Angeklagten
installiert. Der Umstand, dass insoweit für sich genommen eine eigenständige
Beihilfe zur Steuerhinterziehung der ursprünglichen Halter gegeben ist, die
als solche nicht angeklagt wurde, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH NStZ
2003, 268). Wie dargelegt kann insoweit allerdings zur Ermittlung des
Schwarzgeldanteils, auf dessen Grundlage die hinterzogene Umsatzsteuer zu
berechnen wäre, nicht die Differenz zwischen dem Nettobetrag der Rechnungen,
die die Erstankäufer den Zwischenhändlern ausstellten und dem Nettobetrag
der Rechnungen der Halter an die Erstankäufer herangezogen werden. Soweit
der Schwarzgeldanteil am Kaufpreis nicht anderweitig festgestellt werden
kann, wäre insoweit der Schwarzgeldanteil für die einzelnen Geschäfte zu
schätzen.
50
d) Für den Fall, dass die neu zu bemessende
Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigen sollte, wäre auch § 56
Abs. 3 StGB in den Blick zu nehmen.
51
Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach
ausgesprochen, dass bei Steuerhinterziehungen beträchtlichen Umfangs auch
von Gewicht ist, die Rechtstreue der Bevölkerung, auch auf dem Gebiet des
Steuerrechts zu erhalten. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann sich
daher zur Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen, wenn die
Tat Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen
erheblichen Unrechtsgehalt gekennzeichnete Norm nicht ernst nimmt und von
vornherein auf die Strafaussetzung vertraut (BGH NStZ 1985, 459; GA 1979,
59; Urt. vom 28. September 1983 - 3 StR 280/83). Die Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung ist insbesondere dann
geboten, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf
schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine
Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen
der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden
könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 15; BGH
wistra 2000, 96, 97).
52
Besondere Umstände, die die Verhängung
einer unbedingten Freiheitsstrafe gebieten könnten, liegen nach den
bisherigen Feststellungen hier vor. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass
durch Umsatzsteuerhinterziehungen große Steuerausfälle verursacht werden
(vgl. die Nachweise bei Muhler wistra 2009, 1). Zudem hat sich der
Angeklagte an einem komplexen und aufwändigen Täuschungssystem beteiligt,
das die systematische Verschleierung von Sachverhalten über einen längeren
Zeitraum bezweckte (vgl. BGH NJW 2009, 533). Eine solche Vorgehensweise
weist Merkmale einer organisierten Kriminalität (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 StPO) auf. Andererseits liegen die Taten bereits einige Zeit zurück.
Erforderlich ist eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat
und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs.
3 - Verteidigung 5, 6 und 16; NStZ-RR 1998, 7, 8).
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