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BFH-Urteil vom 23.9.2009
(VII R 44/08) BStBl. 2010 II S. 334
Als Einfuhrabgabe unterliegt
die Einfuhrumsatzsteuer den sinngemäß geltenden Vorschriften für Zölle,
weshalb ein sich bei der Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer ergebender
Unterschiedsbetrag nicht nach § 233a AO zu verzinsen ist.
AO § 233a; UStG § 21 Abs. 2;
ZK Art. 232 Abs. 1 Buchst. b, Art. 241.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom
1. Oktober 2008 4 K 3994/07 Z (ZfZ 2009, Beilage 1, 8)
Sachverhalt
I.
Mit Bescheiden vom August
2001 nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) die
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Gesamtschuldner für
Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Anspruch. Auf den zugleich
mit ihrem Einspruch gestellten Antrag setzte das HZA die Vollziehung der
Bescheide gegen Sicherheitsleistung aus. Im Dezember 2001 entrichtete der
Kläger die Einfuhrabgaben. Die Klägerin machte die entrichtete
Einfuhrumsatzsteuer im Folgemonat als Vorsteuer geltend.
Die Kläger erhoben im
Oktober 2007 Untätigkeitsklage. Im Dezember 2007 hob das HZA die
angefochtenen Bescheide auf und erstattete die Einfuhrabgaben. Daraufhin
erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt; die Kläger beantragten jedoch, das HZA zu verpflichten, auf
die erstattete Einfuhrumsatzsteuer Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung
(AO) festzusetzen.
Das Finanzgericht (FG)
stellte das Verfahren ein, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt erklärt worden war, und verpflichtete das HZA im Übrigen aus den in
der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) 2009, Beilage 1, 8
veröffentlichten Gründen Zinsen nach § 233a AO festzusetzen.
Mit seiner Revision macht
das HZA geltend, dass die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 108 Abs. 1 des
Grundgesetzes und nach § 21 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eine
durch die Bundesfinanzbehörden verwaltete Verbrauchsteuer sei, für die
deshalb eine Verzinsung nach § 233a AO nicht in Betracht komme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des HZA ist
begründet. Sie führt, soweit das HZA verpflichtet worden ist, Zinsen auf die
erstattete Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 233a AO festzusetzen, zur Änderung
der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
§ 233a AO regelt die sog.
"Vollverzinsung" oder auch "Verzinsung vor Fälligkeit" von Steuerforderungen
im Bereich bestimmter, in Abs. 1 der Vorschrift aufgezählter Steuerarten -
zu denen auch die Umsatzsteuer gehört -, bei denen der zeitliche Abstand
zwischen Entstehung und Fälligkeit der Steuer oftmals groß ist, und erfasst
daher nicht Steuerarten, bei denen die Festsetzung typischerweise zeitnah
nach Steuerentstehung erfolgt, wie dies z.B. bei Zöllen und Verbrauchsteuern
der Fall ist (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 233a AO
Rz 1, 5, 17; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 233a Rz 1, 6, 8; Schwarz in
Schwarz, AO, § 233a Rz 1).
Die Einfuhrumsatzsteuer ist -
wie das FG zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 1 Nr. 4 UStG eine Form der in
§ 233a Abs. 1 AO mit aufgeführten Umsatzsteuer. Sie weist aber im Vergleich
zur sog. inneren Umsatzsteuer Besonderheiten auf, die zeigen, dass die
Vorschrift des § 233a AO über die Verzinsung vor Fälligkeit für die
Einfuhrumsatzsteuer nicht passt.
1. Der maßgebende Unterschied
ist allerdings nicht in dem Umstand zu sehen, dass die Einfuhrumsatzsteuer
nach der Definition des § 21 Abs. 1 UStG eine Verbrauchsteuer i.S. der AO
ist (anders FG Bremen, Urteil vom 28. April 1992 II 143/87 K, Entscheidungen
der Finanzgerichte 1992, 503), denn die kurze für Verbrauchsteuern geltende
einjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO), deretwegen
diese Steuern von § 233a AO nicht erfasst werden (vgl. Heuermann in HHSp,
§ 233a AO, Rz 23; Klein/Rüsken, a.a.O., Rz 6; Schwarz in Schwarz, a.a.O.,
Rz 1), gilt nicht für die Einfuhrumsatzsteuer, die nach dem gemäß § 21
Abs. 2 UStG sinngemäß anzuwendenden Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex (ZK) einer
dreijährigen Festsetzungsfrist unterliegt. Auch lässt sich allein aus dem
Umstand, dass in § 233a Abs. 1 AO keine andere Verbrauchsteuer genannt ist,
nicht schließen, dass auch die Umsatzsteuer, soweit sie in Gestalt der
Einfuhrumsatzsteuer als Verbrauchsteuer definiert ist, für eine
Vollverzinsung nicht in Betracht kommen kann.
2. Die Einfuhrumsatzsteuer
ist allerdings insofern eine besondere Art der Umsatzsteuer, als sie im UStG
nur unvollständig, nämlich hinsichtlich des die Leistungspflicht auslösenden
Tatbestands (Einfuhr von Gegenständen, § 1 Nr. 4 UStG), der
Steuerbefreiungen (§ 5 UStG), der Bemessungsgrundlage (§ 11 UStG) und des
Steuersatzes (§ 12 UStG), jedoch im Übrigen durch die nach § 21 Abs. 2 UStG
sinngemäß geltenden Zollvorschriften geregelt ist, womit die
Einfuhrumsatzsteuer in wesentlichen Bereichen, nämlich der Entstehung der
Steuerschuld, der Bestimmung des Steuerschuldners, des Orts der
Steuerschuldentstehung, des Erlöschens und des Erlasses bzw. der Erstattung
der Steuer aus dem sachlichen Regelungsbereich des UStG ausgewiesen und
durch das gemeinschaftsrechtliche Zollrecht bestimmt wird.
a) Diese enge Verknüpfung mit
dem Zollrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass die Einfuhrumsatzsteuer eine
Einfuhrabgabe ist. Sie gehört nach § 1 Abs. 1 Satz 3 des
Zollverwaltungsgesetzes zu den von den Zollbehörden verwalteten
Einfuhrabgaben und unterliegt in dieser Eigenschaft - wie ausgeführt -
weitgehend den für Zölle geltenden Vorschriften des ZK und der
Zollkodex-Durchführungsverordnung. Der Grund, weshalb § 233a AO für Zölle -
abgesehen davon, dass die Vorschrift Zölle ohnehin nicht erwähnt - wegen
ihrer regelmäßig zeitnahen Festsetzung nach der Zollschuldentstehung auch
nicht passte (vgl. Klein/ Rüsken, a.a.O., Rz 8; Schwarz in Schwarz, a.a.O.,
Rz 1), gilt daher gleichermaßen für die Einfuhrumsatzsteuer.
Während nämlich die
Jahresumsatzsteuer am Ende des Kalenderjahres entsteht (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 9. Mai 1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl II 1996,
662) und ggf. erst weitaus später festgesetzt wird, entsteht die
Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 13 Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 201
Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 ZK mit der Annahme der Zollanmeldung für die
Überführung der Ware in den freien Verkehr (vgl. Roger Schwarz in
Plückebaum/Malitzky/Widmann, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 21 Rz 6).
Unmittelbar danach, grundsätzlich spätestens binnen zwei Tagen nach
Überlassung der Waren, ist der Abgabenbetrag gemäß Art. 217, 218 ZK von der
Zollbehörde buchmäßig zu erfassen und nach Art. 221 Abs. 1 ZK sodann dem
Abgabenschuldner mitzuteilen, der den Betrag gemäß Art. 222 Abs. 1 Buchst. a
ZK innerhalb der ihm durch die Zollbehörde gesetzten Frist, die
grundsätzlich zehn Tage ab Mitteilung des geschuldeten Abgabenbetrags nicht
überschreiten darf und auch bei gewährtem Zahlungsaufschub nicht erheblich
länger ist (Art. 227 ZK), zu entrichten hat. Für den Normalfall liegen daher
die Zeitpunkte der Entstehung der Einfuhrabgaben und ihrer Fälligkeit -
anders als bei der sog. inneren Umsatzsteuer - eng beieinander.
Dementsprechend schreibt das Gemeinschaftsrecht mit Art. 232 Abs. 1
Buchst. b ZK zwar vor, dass bei nicht fristgerechter Entrichtung der
Einfuhrabgaben Säumniszinsen erhoben werden, kennt aber keine Verzinsung vor
Fälligkeit des Abgabenbetrags.
b) Auch wenn der nationale
Gesetzgeber nicht gehindert sein dürfte, gleichwohl für Einfuhrabgaben die
Verzinsung vor Fälligkeit vorzusehen, so hat er dies jedenfalls weder für
Zölle noch für die für eingeführte Waren zu erhebenden Verbrauchsteuern
getan. Es ist kein Grund erkennbar, bei der Einfuhrabgabe
"Einfuhrumsatzsteuer" anders zu verfahren. Es spricht daher nichts dafür,
§ 233a AO dahin auszulegen, dass mit der in Abs. 1 der Vorschrift genannten
Umsatzsteuer auch die Einfuhrumsatzsteuer gemeint ist. Dementsprechend ist
dem erkennenden Senat aus der Praxis auch kein Fall bekannt, in dem die
Zollverwaltung bei der Nacherhebung von Einfuhrabgaben auf die
nachzuerhebende Einfuhrumsatzsteuer Zinsen gemäß § 233a AO festgesetzt hat.
Vielmehr wird nach Abs. 1 und 2 der Dienstvorschrift zur Änderung von
Steuerbescheiden (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung Z 8220)
bei zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen Einfuhrumsatzsteuer
regelmäßig nicht nacherhoben.
c) Für den Fall, dass
Einfuhrabgaben zu erstatten sind, schließt es das Gemeinschaftsrecht in
Art. 241 Satz 1 ZK sogar grundsätzlich aus, dass auf den Erstattungsbetrag
Zinsen berechnet werden. Auch insoweit eröffnet zwar Art. 241 Satz 2
Anstrich 2 ZK die Möglichkeit abweichender einzelstaatlicher Bestimmungen,
jedoch ist aus den bereits dargelegten Gründen nicht ersichtlich, dass es
sich bei § 233a AO für den Fall zu erstattender Einfuhrumsatzsteuer um eine
solche abweichende Vorschrift handelt (vgl. Gellert in Dorsch, Zollrecht,
Art. 241 ZK Rz 3; Witte/Huchatz, Zollkodex, 5. Aufl., Art. 241 Rz 5;
Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 233a Rz 12). Die Annahme,
der Gesetzgeber habe für zu erstattende Einfuhrumsatzsteuer mit § 233a AO
von seiner nach Art. 241 Satz 2 Anstrich 2 ZK gegebenen Möglichkeit Gebrauch
gemacht, eine Verzinsung vor Fälligkeit vorzuschreiben, hiervon jedoch für
zu erstattende Zölle und bei der Einfuhr erhobene Verbrauchsteuern
abgesehen, ist nicht naheliegend und widerspräche dem Grundsatz der
einheitlichen Erhebung der Einfuhrabgaben.
Mit der durch Art. 10 Abs. 3
Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 145/1)
angeordneten engen Verknüpfung des Einfuhrumsatzsteuerrechts mit dem
Zollrecht (jetzt Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 347/1) und der dementsprechend nach
§ 21 Abs. 2 UStG vorgeschriebenen sinngemäßen Anwendung der Zollvorschriften
auf die Einfuhrumsatzsteuer soll insbesondere sichergestellt werden, dass
die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in
einem Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener
Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden (Senatsurteil vom
6. Mai 2008 VII R 30/07, BFHE 221, 325, ZfZ 2008, 301, m.w.N.). Eine bei der
Einfuhrumsatzsteuer gegenüber Zöllen und anderen Einfuhrabgaben abweichende
Regelung der Verzinsung vor Fälligkeit ist mit diesem Grundsatz nicht zu
vereinbaren.
3. Für eine Verpflichtung des
HZA, Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO festzusetzen, fehlt
das Rechtsschutzbedürfnis, da nicht ersichtlich ist, dass das HZA eine
Zinsfestsetzung nach dieser Vorschrift ablehnt.
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