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BFH-Urteil vom 22.9.2009 (VIII R 79/06) BStBl. 2010 II S. 404
IT-Projektleiter als freier Beruf
Ein
Autodidakt, der über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die in Breite und
Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprechen, kann als Leiter von
IT-Projekten einen ingenieurähnlichen und damit freien Beruf ausüben.
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2.
Vorinstanz: FG München vom 18. Oktober 2006
9 K 763/03 (EFG 2007, 421)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob der Kläger
und Revisionskläger (Kläger) freiberuflich oder gewerblich tätig war.
2
Der Kläger absolvierte nach
der mittleren Reife eine Ausbildung an der höheren Handelsschule mit dem
Wahlpflichtbereich Datenverarbeitung (DV) und legte dort im Jahr 1981
erfolgreich die Prüfung zum staatlich geprüften Wirtschaftsassistenten DV
ab. Anschließend war er in angestellter Position bis 1986 zunächst als
Organisations- und dann als Systemprogrammierer tätig.
3
Ab 1986 war der Kläger
selbständig auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung (EDV)
berufstätig. Er nahm, wie schon bisher, an einschlägigen Lehrgängen und
Seminaren teil.
4
Während der Streitjahre 1998
und 1999 war der Kläger zunächst für die Firma A, eine Tochtergesellschaft
des B Technologiekonzerns, als Subunternehmer tätig. Grundlage der
Zusammenarbeit waren eine Rahmenvereinbarung und Einzelprojektverträge.
Danach hatte der Kläger für das Projekt C Media Server eine Systemberatung
zu erbringen. Diese Aufgabe umfasste u.a. die fachliche Leitung des
Projekts, die Auswahl und Einweisung neuer Projektmitarbeiter, die
Überprüfung der Leistungen und Sicherstellung des wöchentlichen Reportings,
das Erstellen von Projektplänen und die Leitung von Besprechungen sowie die
Mitarbeit bei der Definition und der vertraglichen Vereinbarung der
Folgephasen. Bei dem C-Projekt waren fünf Lieferanten von DV-Komponenten zu
koordinieren, um Kataloge (später auch einen WEB-Auftritt) bestehend aus
Textvorgaben des Einkaufs und Bildern des Werbebereichs zu erstellen. Als
Subunternehmer der Firma A war der Kläger des Weiteren als
Gesamtprojektleiter für die D-Bank tätig. Hier ging es darum, etwa 6.000
neue Personalcomputer und Notebooks zu tauschen und diese Hardwareeinheiten
über Verteilungsskripte mit Software auszustatten. Eine weitere
Subunternehmertätigkeit entfaltete der Kläger schließlich für die Firma E.
Seine Aufgabe bestand darin, die Projektleitung eines aus E und dem
E-Kunden, der Firma F Business Services, gebildeten Teams zur genauen
Ausarbeitung eines Service-Level-Agreements zu übernehmen. Dieses Projekt
diente der Entwicklung eines SAN (Storage Area Network).
5
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stufte die Tätigkeiten des Klägers
als gewerblich ein. Das Finanzgericht (FG) schloss sich mit seinem in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 421, veröffentlichten Urteil dieser
Qualifikation im Ergebnis an. Es sah die Tätigkeit des Klägers als Leiter
komplexer Datenverarbeitungsprojekte nicht als ingenieurähnlich an. Die
Tätigkeit als Projektmanager stelle einen eigenständigen, von § 18 Abs. 1
Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfassten Beruf dar.
6
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe den
Bereich der als ingenieurähnlich anerkannten Systemtechnik eigens definiert
und der vom Gericht bestellte Sachverständige habe bestätigt, dass seine
Tätigkeit in diesen Bereich falle. Gerade Tätigkeiten als IT-Projektleiter
seien als besonders hochwertige Ingenieurleistungen einzuordnen.
7
Der Kläger beantragt, die
Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1998 und 1999 vom 17. Dezember
2001, die Einspruchsentscheidung vom 21. Januar 2003 und das Urteil des FG
München vom 18. Oktober 2006 9 K 763/03 aufzuheben.
8
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es schließt sich den Ausführungen
im angegriffenen Urteil an.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet. Der Senat
entscheidet gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
in der Sache und gibt der Anfechtungsklage statt. Die angefochtenen
Gewerbesteuermessbescheide sind rechtwidrig. Der Kläger unterhielt in den
Streitjahren keinen Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 EStG), sondern er war
freiberuflich tätig.
10
1. Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. von
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übt auch aus, wer einem dem Ingenieurberuf
ähnlichen Beruf nachgeht. Der ähnliche Beruf muss dem Beruf des Ingenieurs
sowohl hinsichtlich der erforderlichen Berufsausbildung als auch
hinsichtlich der tatsächlich entfalteten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen
(ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 9. Februar 2006
IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
11
a) Nach den von den Beteiligten nicht
angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG
verfügte der Kläger als Autodidakt über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in
Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprachen. Er erfüllte
damit die in der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an eine
vergleichbare Berufsausbildung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. Dezember 2008
VIII R 27/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 898).
12
b) Der Kläger war in den Streitjahren auch
wie ein Ingenieur tätig. Die für seinen Beruf prägenden Tätigkeiten waren
mit für den Beruf eines Informatik-Ingenieurs typischen Tätigkeiten im
Wesentlichen vergleichbar. Welche Aufgaben für den Beruf des Ingenieurs i.S.
von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG typisch sind, bestimmt sich nach der
Verkehrsanschauung und unterliegt insoweit umfassender revisionsrechtlicher
Nachprüfung. Hingegen ist die Feststellung, ob die vom Steuerpflichtigen
tatsächlich entfaltete Tätigkeit in diesem Sinne ingenieurtypisch geprägt
ist, Aufgabe des FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), an dessen tatsächliche
Feststellungen der BFH grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO).
13
aa) Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet
sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf
typischen Aufgaben geprägt wird. Zu den Aufgaben eines Ingenieurs gehört es,
auf der Grundlage naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse und
unter Berücksichtung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu
konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (BFH-Urteil vom 5. Juni 2003
IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, m.w.N.). Typisch für den
Beruf des Ingenieurs sind aber auch überwachende, kontrollierende und rein
beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung gerichtet
sind (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270). Kernbereiche des
Ingenieurberufs sind danach Forschung und Lehre, Entwicklung, Konstruktion,
Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung, Vertrieb,
Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische Verwaltung und
Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung, Sicherheit, Patent- und
Normenwesen (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62,
BStBl II 1985, 584; vom 7. September 1989 IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359;
Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., Stichwort "Ingenieur"; www.wikipedia.de,
Stichwort "Ingenieur", Abschn. Berufsbild).
14
bb) Auf dem Gebiet der EDV und der
Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die
Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software. Die Tätigkeit eines
Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre
Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung,
Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung
und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener
Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen
sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa
Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in
der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit
von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme
(zum Ganzen: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar
unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe "Ingenieur -
Elektrotechnik/technische Informatik" und "Ingenieurinformatik").
15
cc) Für die tatsächliche Ausübung eines
ähnlichen Berufs gilt nichts anderes. Der Senat braucht im Streitfall nicht
zu entscheiden, ob eine vergleichbare Tätigkeit auch vorliegt, wenn die
Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht derjenigen
eines Ingenieurs entspricht und welche Anforderungen in diesem Fall an die
erforderliche Ähnlichkeit zu stellen sind.
16
2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen. Der Senat entscheidet in der Sache selbst, weil die
tatsächlichen Feststellungen des FG das Ergebnis tragen, dass der Kläger in
den Streitjahren einen ingenieurähnlichen Beruf ausgeübt hat.
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a) Der Kläger war auf einem typischen
Betätigungsfeld von Informatik-Ingenieuren, nämlich der IT-Projektleitung
berufstätig. Bei den vom Kläger betreuten Projekten handelte es sich um hoch
komplexe Datenverarbeitungsprojekte. Dabei ging es in erster Linie um die
technische Realisierung der Vorhaben. Der Kläger hatte die technische
Oberleitung der Arbeiten und die Verantwortung für die technische
Realisierung. Dem FG-Urteil ist zu entnehmen, dass diese Aufgabe nur einer
Person anvertraut werden konnte, die über besonders fundierte Fachkenntnisse
und ein entsprechendes Fachwissen im Bereich der EDV verfügte. Der Kläger
ist damit wie ein projektleitender Ingenieur tätig geworden (zu diesem
Berufsbild vgl. die Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit,
abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Beruf "Projektingenieur").
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b) Dass die vom Kläger geleiteten Projekte
wegen ihres Umfangs und aufgrund ihrer Schwierigkeit von einem Team
bearbeitet wurden, ist unschädlich. Freiberufliche Leistungen können
grundsätzlich im Wege der Teamarbeit erbracht werden (vgl. BFH-Urteil vom
28. Oktober 2008 VIII R 69/06, BFHE 223, 206, BStBl II 2009, 642, m.w.N.).
Die Anerkennung freiberuflicher Teamarbeit setzt voraus, dass der -
eigenverantwortlich und leitend i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG
tätige - Projektverantwortliche neben Fachkenntnissen über weitere
Fähigkeiten verfügt, die nicht auf fachlichem oder technischem Gebiet
liegen. Dass von einem IT-Projektleiter oder einem Projektingenieur
zusätzlich Managementleistungen und soziale wie kommunikative Fähigkeiten
verlangt werden, macht ihn nicht zum Gewerbetreibenden.
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