| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Urteil vom 26.11.2009 (III R 87/07) BStBl. 2010 II S. 429
Zeitlicher Regelungsumfang eines Kindergeld-Aufhebungsbescheids
Ein
Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld mit Wirkung vom 1. Januar
eines früheren Jahres unter Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben wird,
weil die Einkünfte und Bezüge des Kindes in diesem Jahr den Grenzbetrag nach
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten hätten, ist aus Empfängersicht dahin
auszulegen, dass nur für dieses Jahr eine Verwaltungsentscheidung getroffen
werden soll, nicht aber für den nachfolgenden Zeitraum bis zur Bekanntgabe
des Aufhebungsbescheids.
AO § 119
Abs. 1; BGB §§ 133, 157; EStG § 70 Abs. 4.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 6. September 2007 14 K 2130/06 Kg
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt für seinen Sohn C, der im
August 1999 nach Leistung des Zivildienstes eine Ausbildung zum Bankkaufmann
begann, ab August 1999 Kindergeld.
2
Im November 2001 teilte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse)
dem Kläger mit, die Kindergeldzahlungen seien ab Januar 2000 eingestellt
worden, weil die Einkünfte von C nach der vorgelegten
Ausbildungsbescheinigung den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Der Kläger wurde
gebeten, zur abschließenden Prüfung die Einkünfte von C nachzuweisen.
3
Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen kam die Familienkasse zu dem
Ergebnis, dass die Einkünfte und Bezüge von C im Jahr 1999 den anteiligen
Grenzbetrag nicht überstiegen, aber im Jahr 2000 über dem Jahresgrenzbetrag
von 13.500 DM lagen. Mit Bescheid vom 1. August 2002 hob die Familienkasse
die Festsetzung von Kindergeld "mit Wirkung vom 01.01.2000 gemäß § 70 Abs. 4
EStG" auf. Sie wies darauf hin, dass eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben
oder zu ändern sei, wenn nachträglich bekannt werde, dass die Einkünfte und
Bezüge eines Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) über- oder unterschritten hätten. Sie war der
Ansicht, die Einkünfte und Bezüge von C hätten sich im Jahr 2000 auf mehr
als 13.500 DM belaufen. Der Kläger legte gegen den Bescheid, der mit einer
Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, keinen Einspruch ein.
4
Mit Schreiben vom 13. Juli 2005 und vom 15. August 2005 beantragte der
Kläger die Zahlung von Kindergeld für das Jahr 2001. Er verwies auf den
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02
(BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260), nach dem die
Sozialversicherungsbeiträge eines nichtselbständig beschäftigten Kindes
nicht in dessen Einkünfte und Bezüge einbezogen werden dürfen.
5
Die Familienkasse lehnte durch Bescheid vom 2. September 2005 den Antrag ab.
Sie führte aus, die Bestandskraft des Bescheids vom 1. August 2002 erstrecke
sich bis zum Monat seiner Bekanntgabe. Der Einspruch des Klägers hatte
keinen Erfolg.
6
Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt. Es
verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für den Zeitraum 1. Januar 2001
bis 31. Dezember 2001 festzusetzen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen
aus, der Aufhebungsbescheid vom 1. August 2002 entfalte keine
Bindungswirkung für das Jahr 2001. Die Familienkasse habe die Aufhebung der
Festsetzung ausschließlich damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge
von C im Jahr 2000 den Grenzbetrag überstiegen hätten. Der Kläger habe daher
den Bescheid dahin verstehen können, dass die Familienkasse die
Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2000 geprüft habe und die
Festsetzung nur für dieses Jahr habe aufheben wollen. Die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld seien
im Jahr 2001 erfüllt.
7
Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, die
Rechtsauffassung des FG stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH), der mehrfach bestätigt habe, dass die
Bindungswirkung eines Aufhebungsbescheids mit dem Monat der Bekanntgabe
ende.
8
Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
10
Die
Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
(negative) Bindungswirkung des Aufhebungsbescheids vom 1. August 2002 das
Jahr 2001 nicht erfasst.
11
1. Zwar
erstreckt sich die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch
den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder auf Null Euro (DM)
festgesetzt oder durch den eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe
(z.B. BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II
2002, 88, und VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89; Senatsurteil
vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530).
Allerdings ist es der Familienkasse unbenommen, in einem Ablehnungs- oder
Aufhebungsbescheid eine hiervon abweichende zeitliche Regelung zu treffen.
12
2. Das
FG hat den Inhalt des Bescheids vom 1. August 2002 zu Recht dahin ausgelegt,
dass aus der Sicht des Klägers nur für das Jahr 2000 eine
Verwaltungsentscheidung ergehen sollte.
13
a) Nach
§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung muss ein Verwaltungsakt inhaltlich
hinreichend bestimmt sein. Einem Verwaltungsakt muss der Regelungsinhalt
eindeutig zu entnehmen sein (BFH-Urteil vom 22. August 2007 II R 44/05, BFHE
218, 494, BStBl II 2009, 754). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im
Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der §§ 133,
157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ermitteln. Entscheidend sind der
erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive
Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Betroffene nach den ihm bekannten
Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl.
BFH-Urteile vom 18. Februar 1997 VII R 96/95, BFHE 182, 282, BStBl II 1997,
339; vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96; vom
9. April 2008 II R 31/06, BFH/NV 2008, 1435). Bei der Auslegung ist nicht
allein auf den Tenor des Bescheids abzustellen, sondern auch auf den
materiellen Regelungsgehalt einschließlich der für den Bescheid gegebenen
Begründung (BFH-Urteil in BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754, m.w.N.). Die
Auslegung des Inhalts von Verwaltungsakten durch das FG ist im
Revisionsverfahren in vollem Umfang nachprüfbar (Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 25, m.w.N.).
14
b) Der
Kläger konnte den Bescheid vom 1. August 2002 dahin verstehen, dass nur für
das Jahr 2000 eine (ablehnende) Regelung getroffen werden sollte. Zwar ist
darin nur der 1. Januar 2000 als Zeitpunkt genannt, ab dem die
Kindergeldfestsetzung aufgehoben werden sollte. Eine ausdrückliche zeitliche
Begrenzung der Verwaltungsentscheidung fehlt. Jedoch geht aus dem gesamten
Inhalt des Bescheids hervor, dass die Familienkasse nur das Jahr 2000
beurteilen wollte. Zum einen wurde die Aufhebung damit begründet, dass die
Einkünfte und Bezüge von C im Jahr 2000 die maßgebliche Jahresgrenze
überschritten hätten. Zum anderen ergibt sich aus dem Hinweis auf § 70
Abs. 4 EStG, dass nur eine auf das Jahr 2000 bezogene Betrachtung angestellt
werden sollte, auch wenn die zitierte Vorschrift im Streitfall nicht
einschlägig war, weil die Familienkasse bereits ab Januar 2000 kein
Kindergeld mehr gezahlt hatte.
15
Die
durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I
2001, 2074, BStBl I 2001, 533) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 eingeführte
Vorschrift ermöglicht die Korrektur von Kindergeldbescheiden in den Fällen,
in denen sich nachträglich herausstellt, dass die Prognose über die zu
erwartenden Einkünfte und Bezüge des Kindes unzutreffend war (Senatsurteil
vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714;
Blümich/Treiber, § 70 EStG Rz 32; Helmke in Helmke/Bauer,
Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 70
Rz 18.1; Pust in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar,
§ 70 EStG Rz 242). Ein Bescheid, durch den eine Kindergeldfestsetzung nach
§ 70 Abs. 4 EStG aufgehoben wird, betrifft einen Prognosezeitraum und nicht
darüber hinaus den Zeitraum bis zum Monat der Bekanntgabe. Der Kläger konnte
den Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG und dessen wörtliche Wiedergabe dahin
verstehen, dass nur die Festsetzung für den Zeitraum, in dem die Einkünfte
und Bezüge den Grenzbetrag überschritten (2000), aufgehoben werden sollte.
Für die Zeit danach gab die Familienkasse keine Änderungsvorschrift an. Der
Kläger hatte somit allen Anlass zu der Annahme, der Aufhebungsbescheid
betreffe nur das Jahr 2000.
|