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BFH-Urteil vom 22.9.2009 (VIII R 31/07) BStBl. 2010 II S. 467
Freiberufliche Tätigkeit eines IT-Ingenieurs
Ein
als Systemadministrator tätiger Diplom-Ingenieur für technische Informatik
kann einen freien Beruf ausüben.
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2.
Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom
21. August 2007 6 K 1791/05 (EFG 2007, 1884)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) legte an der Berufsakademie S in der
Studienrichtung Technische Informatik die Abschlussprüfung erfolgreich ab.
Er ist danach berechtigt, die Bezeichnung Diplom-Ingenieur (Berufsakademie -
BA -) zu führen. Nach der Berufsausbildung war er auf dem Gebiet der
elektronischen Datenverarbeitung (EDV) zunächst im Angestelltenverhältnis
und später, so auch im Streitjahr 2003, selbständig berufstätig.
2
Die Tätigkeit des Klägers
bestand im Einzelnen darin, Rechnernetzwerke durch Installation und
Konfiguration von Windows-Software einzurichten, zu betreuen, Störungen im
Netzwerk zu beheben und die eingesetzte Software im Einzelfall zu
modifizieren. Außerdem hatte er das System gegen unbefugten Zugriff zu
sichern. Die Überwachung der Server erfolgte mittels vom Kläger selbst
entwickelter Hilfs- und Dienstprogramme (Skripte). Als Systemadministrator
oblag ihm die Anwendung der vorhandenen Hard- und Software.
3
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) und das Finanzgericht (FG)
beurteilten seine Tätigkeit als Gewerbebetrieb. Zur Begründung führte das FG
in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1884 veröffentlichten
Urteil an, der Kläger sei zwar Ingenieur, aber nicht als solcher tätig
gewesen. Er habe nicht System- oder Anwendersoftware durch eine klassische
ingenieurmäßige Vorgehensweise auf der Grundlage natur- und
technikwissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt, sondern eine Tätigkeit
als Netzwerk- und Systemadministrator ausgeübt. Administrative Arbeiten
dieser Art würden im Regelfall nicht von Ingenieuren durchgeführt.
4
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG).
5
Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene FG-Urteil und den Bescheid für 2003 über den
Gewerbesteuermessbetrag in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
6
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es schließt sich im Wesentlichen
der Argumentation der Vorinstanz an.
7
Die Beteiligten haben
übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist begründet. Der Senat
entscheidet gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
in der Sache und gibt der Anfechtungsklage statt.
9
Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid
ist rechtswidrig. Der Kläger unterhält keinen Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1
EStG), sondern erzielt als Ingenieur Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.
von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
10
1. Ingenieur im Sinne dieser Vorschrift
ist, wer über die erforderliche Berufsqualifikation verfügt und eine
Ingenieurtätigkeit auch tatsächlich ausübt.
11
a) Über die persönliche Qualifikation als
Ingenieur verfügt derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbildes des
Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Länder aufgrund seiner Ausbildung
an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule oder eines
Betriebsführerlehrganges an einer Bergschule befugt ist, die
Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270; vom 18. April 2007
XI R 29/06, BFHE 218, 65, BStBl II 2007, 781). Dem steht das Studium an
einer staatlichen Berufsakademie gleich, wenn sein Abschluss - wie hier -
zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur berechtigt (vgl. § 1 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a des Sächsischen Ingenieurgesetzes vom 23. Februar 1993,
Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1993, 236).
12
b) Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet
sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf
typischen Aufgaben geprägt wird. Welche Aufgaben für den Beruf des
Ingenieurs i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG typisch sind, bestimmt sich nach
der Verkehrsanschauung und unterliegt insoweit umfassender
revisionsrechtlicher Nachprüfung. Hingegen ist die Feststellung, ob die vom
Steuerpflichtigen tatsächlich ausgeübte Tätigkeit in diesem Sinne
ingenieurtypisch geprägt ist, Aufgabe des FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), an
dessen tatsächliche Feststellungen der BFH grundsätzlich gebunden ist (§ 118
Abs. 2 FGO).
13
aa) Zu den Aufgaben des Ingenieurs gehört
es, auf der Grundlage naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse
und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu
planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (BFH-Urteil vom
5. Juni 2003 IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, m.w.N.). Typisch
für den Beruf des Ingenieurs sind aber auch überwachende, kontrollierende
und rein beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung
gerichtet sind (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270). Kernbereiche des
Ingenieurberufs sind im Einzelnen: Forschung und Lehre, Entwicklung,
Konstruktion, Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und
Instandhaltung, Vertrieb, Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische
Verwaltung und Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung,
Sicherheit, Patent- und Normenwesen (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juni 1985
VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom 7. September 1989
IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359; Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., Stichwort
"Ingenieur"; www.wikipedia.de, Stichwort "Ingenieur", Abschn. Berufsbild).
14
bb) Auf dem Gebiet der EDV und der
Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die
Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software (vgl. dazu BFH-Urteile
vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337; vom
7. November 1991 IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324; vom 4. Mai
2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; vom 18. April 2007
XI R 57/05, BFH/NV 2007, 1854). Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch
die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse
des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung
industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von
Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an
spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die
Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und
Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und
Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von
Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme (zum
Ganzen: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter
www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe "Ingenieur -
Elektrotechnik/technische Informatik" und "Ingenieurinformatik").
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2. Nach diesen Grundsätzen war der Kläger
im Streitjahr als Ingenieur tätig.
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a) Als Absolvent der BA S verfügt der
Kläger über einen qualifizierten Studienabschluss und ist berechtigt, die
Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur (BA) zu führen.
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b) Der Kläger hat eine freiberufliche
Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt. Diese war davon geprägt, dass er für
den freien Beruf des Informatik-Ingenieurs typische Aufgaben wahrgenommen
hat. Er war unstreitig nicht fachfremd, sondern im Bereich der EDV
berufstätig. Nach den bindenden Feststellungen des FG hat er als
Systemadministrator Rechnernetze mit mehreren tausend Nutzern überwacht,
optimiert, betreut und verwaltet. Er war zudem für die Fehleranalyse und
-beseitigung verantwortlich. Derartige Tätigkeiten werden vom Berufsbild des
Informatik-Ingenieurs erfasst.
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