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BFH-Urteil vom 30.7.2008 (V R 66/06) BStBl. 2010 II S. 507
Die
Beherbergung und Verköstigung von Jugendlichen für ca. eine Woche in einem
Urlaubsaufenthalt mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung erfüllt die in
§ 4 Nr. 23 UStG 1993 und 1999 vorausgesetzte "Aufnahme zu Erziehungs-,
Ausbildungs- und Fortbildungszwecken" nicht.
UStG 1993/1999 § 4 Nr. 23; Richtlinie
77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h; Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom
9. September 2005 5 K 70/02 (EFG 2005, 1975)
Sachverhalt
I.
Streitig ist die
Steuerpflicht der von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)
ausgeführten Umsätze.
Die Klägerin betrieb im
Streitjahr (1999) einen Ferienbauernhof. Nach dem Prospekt der Klägerin
richtete sich das Angebot des Ferienbauernhofs an Betreuer und Betreuerinnen
von Schulen, Kindergärten und anderen Kindergruppen, an alleinreisende
Kinder sowie an Kinder, die mit ihren Eltern verreisen. Als Aktivitäten
nennt der Prospekt u.a. Pflege der Tiere, Reiten, Herstellen naturnaher
Produkte und vollwertiger Lebensmittel, Ausflüge, Leben wie ein Indianer,
Kennenlernen des Gartens, Gruppen- und Ballspiele usw. Bei Gruppenfahrten
unterstützte die Klägerin die Betreuer bei der Planung und Durchführung der
Freizeit, indem sie Programmpunkte wie Tierpflege, Backen, Longieren,
Tonarbeiten etc. anbot, die von ihr und ihren Mitarbeitern
eigenverantwortlich durchgeführt wurden. Nach Wunsch übernahm die Klägerin
laut Prospekt die gesamte Betreuung. Die Klägerin bot in ihrem Hausprospekt
Vollbetreuung für alleinreisende Kinder und geschlossene Gruppen an sowie
Mithilfe bei der Betreuung von geschlossenen Gruppen.
Der Anteil der beherbergten
alleinreisenden Kinder betrug 39 % und der von Schulklassen 61 %. Das Alter
der Kinder lag zwischen 8 und 15 Jahren. Die Aufenthaltsdauer betrug bei
alleinreisenden Kindern durchschnittlich eine Woche, im Einzelfall
allerdings auch bis zu drei Wochen, bei Gruppen im Durchschnitt fünf Tage.
Für das Streitjahr (1999)
erklärte die Klägerin steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 23 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 und dem wortlautgleichen § 4 Nr. 23 UStG 1999 (im
Folgenden UStG). In der Folge reichte sie eine berichtigte
Umsatzsteuererklärung für 1999 ein, in welcher sie erneut die Anwendung der
Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 23 UStG ab 1. Januar 1999 geltend
machte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stimmte der
Erklärung zu.
Später vertrat das FA die
Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4
Nr. 23 UStG nicht vorlägen, und setzte mit Änderungsbescheid vom 11. Mai
2001 Umsatzsteuer in Höhe von 8.921 DM fest.
Nach vergeblichem
Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in
"Entscheidungen der Finanzgerichte" 2005, 1975 veröffentlichten Urteil
statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Umsätze der
Klägerin seien nach § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei. Sie habe
Betreuungsleistungen, die als "Erziehung" i.S. des § 4 Nr. 23 UStG zu
qualifizieren seien, erbracht.
Soweit die Klägerin
alleinreisende Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren bei sich aufgenommen
habe, sei offenkundig, dass sie die erforderlichen Betreuungsmaßnahmen
entweder persönlich, durch ihren Ehemann oder ihre Mitarbeiter durchgeführt
habe, da diese Kinder nicht von anderen Personen begleitet worden seien, die
die Betreuung hätten übernehmen können.
Eine eigenständige Betreuung
liege darüber hinaus auch bei den Gruppenfahrten vor. Ausweislich ihres
Hausprospektes habe die Klägerin bzw. deren Mitarbeiter bei diesen Fahrten
Programmpunkte wie Tierpflege, Backen, Longieren, Tonarbeiten usw.
eigenverantwortlich durchgeführt. Außerdem seien die Kinder auch in die
Zubereitung der eigenen Mahlzeiten eingebunden worden.
Mit diesen
Betreuungsleistungen habe die Klägerin Erziehungsaufgaben übernommen, da sie
den Kindern naturkundliches Wissen vermittelt und den Tagesablauf sinnvoll
gestaltet habe.
Dass Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. h der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) nur Einrichtungen des öffentlichen
Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit
sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen begünstige, stehe der Gewährung
der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG nicht entgegen. Selbst wenn § 4
Nr. 23 UStG nicht gemeinschaftsrechtskonform sei, gehe das für die Klägerin
günstigere nationale Recht vor, das Einrichtungen und "Personen" begünstige
und nicht ausdrücklich eine "Anerkennung" voraussetze.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 23 UStG). Im Wesentlichen trägt es
vor, wenn eine nationale Regelung eine Auslegung erlaube, müssten dabei die
gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beachtet werden, die sich aus der
Richtlinie 77/388/EWG und den hierzu ergangenen Entscheidungen des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ergäben. Der Bundesfinanzhof
(BFH) habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich auf das Erfordernis einer
engen Auslegung von Befreiungsvorschriften hingewiesen, wenn dies unter
Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts erforderlich sei (Urteil vom
15. Juli 2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862). Dabei könne
eine richtlinienkonforme Auslegung auch zu einem für den Steuerpflichtigen
im Einzelfall ungünstigeren Ergebnis als bei bloßer Betrachtung der
nationalen Rechtsnorm führen. Danach reiche es im Hinblick auf § 4 Nr. 23
UStG nicht aus, dass der Unternehmer ähnliche Ziele verfolge wie die
öffentliche Einrichtung. Vielmehr sei auch für Unternehmer des § 4 Nr. 23
UStG erforderlich, dass sie als eine vergleichbare Einrichtung anerkannt
sind. Dieser Rechtsauffassung habe sich für die Auslegung des
Befreiungstatbestandes des § 4 Nr. 23 UStG auch der Bundesgerichtshof im
Urteil vom 6. Juli 2006 IX ZR 88/02 (BFH/NV Beilage 2007, 123,
Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 217) betreffend die Frage der Steuerbefreiung
der Umsätze eines Reiterhofes angeschlossen.
Die Klägerin sei keine im
Sinne der Richtlinie 77/388/EWG anerkannte Einrichtung. Auch verbiete es der
Grundsatz der steuerlichen Neutralität, gleichartige und deshalb miteinander
in Wettbewerb stehende Leistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer
unterschiedlich zu behandeln. So habe der BFH bereits im Urteil vom
28. September 2000 V R 26/99 (BFHE 192, 360, BStBl II 2001, 691)
entschieden, dass der Betrieb einer Gastwirtschaft und Fremdenpension, die
hauptsächlich mit Schulklassen sowie Kinder- und Jugendgruppen belegt
gewesen sei, keine Einrichtung auf dem Gebiet der Kinder- und
Jugendbetreuung oder der Kinder- und Jugenderziehung i.S. von Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. h oder i der Richtlinie 77/388/EWG sei.
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Die Vorschrift des § 4
Nr. 23 UStG beschränke nach ihrem Wortlaut den Anwendungsbereich - im
Gegensatz zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h und i der Richtlinie 77/388/EWG
- nicht auf Einrichtungen mit sozialem Charakter bzw. Einrichtungen mit
einer vergleichbaren Zielsetzung wie Einrichtungen des öffentlichen Rechts.
Im Übrigen betriebe sie, die Klägerin, auch unter Berücksichtigung des
Abschn. 117 Abs. 2 Sätze 2 bis 8 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 2005
eine Einrichtung mit sozialem Charakter bzw. mit einer vergleichbaren
Zielsetzung, die einer Einrichtung des öffentlichen Rechts gleichzustellen
sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache
an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entgegen der Auffassung des FG sind die
Umsätze der Klägerin nicht gemäß § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei.
1. Nach § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG ist die
Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen
durch Personen und Einrichtungen steuerfrei, wenn sie überwiegend
Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für
Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die
Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder
Pflege tätigen Personen ausgeführt werden. Jugendliche im Sinne dieser
Vorschrift sind alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 4
Nr. 23 Satz 2 UStG).
§ 4 Nr. 23 UStG setzt eine "Aufnahme bei
sich" für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke voraus. Die
Steuerbefreiung beruht im Wesentlichen auf der Neufassung des § 4 Nr. 13
UStG durch das Zweite Umsatzsteueränderungsgesetz vom 30. Juli 1952 (BGBl I
1952, 393). Sie sollte die bereits bestehende Umsatzsteuerbegünstigung
dahingehend erweitern, dass diese auch Schullandheimen und anderen mit
Schul- und Erziehungsmaßnahmen in Zusammenhang stehenden Einrichtungen und
damit umfassend Einrichtungen im Bereich der Jugenderziehung und -ausbildung
zugute kommen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 1989 V R 127/84, BFHE 157, 464,
BStBl II 1989, 912; Eckhardt/ Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 23 Rz 1;
Knopp, Deutsche-Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1952, 310). § 4 Nr. 23 UStG
schreibt zwar eine bestimmte Aufnahmedauer nicht vor. Es genügt deshalb,
wenn die Aufnahme solange andauert, dass der im Gesetz vorausgesetzte
Erziehungszweck erreicht werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 19. Dezember 1963
V 102/61 U, BFHE 78, 280, BStBl III 1964, 110; Handzik in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 Nr. 23 UStG Rz 13; Schuhmann in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 23 Rz 15; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG
§ 4 Nr. 23 Rz 11; Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 23
Rz 27).
Der Senat hat daher im Urteil in BFHE 78,
280, BStBl III 1964, 110 eine fünfstündige Aufnahme von Schülern an allen
Schultagen in der Arbeits- und Freizeit als ausreichend beurteilt.
Abzugrenzen ist die Aufnahme zu Erziehungs-, Ausbildungs- oder
Fortbildungszwecken jedoch von Leistungen der Beherbergung und Verköstigung
während eines kurzfristigen Urlaubsaufenthalts mit Freizeitangebot und
Freizeitgestaltung. Hierbei kann dahinstehen, ob entsprechend Abschn. 117
Abs. 2 Satz 4 UStR 1996 (nunmehr Abschn. 117 Abs. 4 Satz 4 UStR 2008) bei
Kindergärten, Kindertagesstätten und Kinderheimen eine Aufnahmedauer von
mindestens einem Monat für die Annahme eines Erziehungszwecks ausreichen.
Der Senat braucht hierüber nicht zu entscheiden. Die Beherbergung und
Verköstigung von Jugendlichen für ca. eine Woche in einem Urlaubsaufenthalt
mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung erfüllt die im Gesetz
vorausgesetzte "Aufnahme zu Erziehungs-, Ausbildungs- und
Fortbildungszwecken" - entgegen der Auffassung des FG - jedenfalls nicht.
Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben.
2. Der Senat kann in der Sache nicht
abschließend entscheiden. Denn im Streitfall kommt in Betracht, dass sich
die Klägerin unmittelbar auf die gemeinschaftsrechtliche Steuerbefreiung des
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Für
eine abschließende Entscheidung hierüber fehlen entsprechende Feststellungen
des FG.
a) Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der
Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten die eng mit der Kinder-
und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von
Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem
betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter
anerkannten Einrichtungen von der Mehrwertsteuer. Diese Befreiung setzt,
wenn die befreiten Leistungen nicht von einer Einrichtung des öffentlichen
Rechts erbracht werden, die Anerkennung durch den betreffenden Mitgliedstaat
voraus.
b) Auf diese Befreiung, die nicht
hinreichend in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, kann sich der
Steuerpflichtige berufen (ausführlich BFH-Urteile vom 18. August 2005
V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, und vom 8. November 2007
V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, m.w.N.).
c) Leistungen der Kinder- und
Jugendbetreuung - wie hier die Leistungen der Klägerin - sind jedoch nur
steuerfrei, wenn sie von "Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen
(privaten) Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als
Einrichtung mit im wesentlichen sozialen Charakter anerkannt worden sind",
erbracht werden (BFH-Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, m.w.N.).
Das FG hat - ausgehend von seinem Standpunkt zu Recht - keine Feststellungen
dazu getroffen, ob die Klägerin eine gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h
der Richtlinie 77/388/EWG anerkannte Einrichtung ist. Diese sind daher unter
Berücksichtigung der Rechtsprechungsgrundsätze hierzu (z.B. BFH-Urteile in
BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143; in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634,
m.w.N.) nachzuholen.
d) Falls das FG zu dem Ergebnis gelangt,
dass eine Steuerbefreiung gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der
Richtlinie 77/388/EWG in Betracht kommt, wird es des Weiteren zu prüfen
haben, ob der Steuerfreiheit Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie
77/388/EWG entgegensteht (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 3. April 2008
V R 74/07, BFH/NV 2008, 1631).
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