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BFH-Urteil vom 3.12.2009 (VI R 58/07) BStBl. 2010 II S. 531
Keine Angaben zu außergewöhnlichen Belastungen; grobes Verschulden des
steuerlichen Beraters
1.
Einem Steuerberater kann ein grobes Verschulden am nachträglichen
Bekanntwerden von Zahnbehandlungskosten zur Last fallen, wenn er es
unterlässt, seinen Mandanten nach solchen Aufwendungen zu fragen.
2.
Die Verpflichtung nachzufragen entfällt auch nicht dadurch, dass ein Dritter
Angaben und Unterlagen für den Steuerpflichtigen beibringt.
AO § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; EStG § 33;
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1.
Vorinstanz: FG München vom
29. November 2006 1 K 1078/05 (EFG 2007, 645)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Änderung von
Einkommensteuerbescheiden verlangen kann, weil Aufwendungen nachträglich
bekanntgeworden sind.
2
Die Klägerin ist von Beruf
Diplom-X und wurde für die Streitjahre 1998 bis 2000 beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) bestandskräftig zur Einkommensteuer
veranlagt.
3
Mit Schreiben vom 3. Januar
2003 beantragte die Klägerin die Änderung der genannten Steuerfestsetzungen
nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie teilte dem FA
mit, dass ihr in den Streitjahren hohe außergewöhnliche Belastungen
erwachsen seien. Dabei handele es sich um Aufwendungen für medizinisch
notwendige Zahnerhaltungsmaßnahmen infolge einer Kiefererkrankung in Höhe
von 19.324,63 DM im Jahr 1998, 37.537,12 DM im Jahr 1999 und 11.213,21 DM im
Jahr 2000.
4
Das FA lehnte eine Änderung
der Bescheide mit der Begründung ab, die Klägerin bzw. ihren steuerlichen
Berater treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der
neuen Tatsache.
5
Das Finanzgericht (FG) wies
die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2007, 645 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
6
Mit der Revision rügt die
Klägerin die unrichtige Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Sie
macht insbesondere geltend, dass die wesentlichen steuerlich relevanten
Angaben und Unterlagen von der Firma Y bzw. Z zusammengestellt und an den
steuerlichen Berater übermittelt worden seien. Das FG habe diesen Vortrag,
insbesondere einen entsprechenden Beweisantrag in der mündlichen
Verhandlung, nicht gewürdigt. Damit liege ein Verfahrensmangel vor.
7
Die Klägerin beantragt, das
Urteil des FG München vom 29. November 2006 aufzuheben und die
Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1998 auf 71.609 DM, für den
Veranlagungszeitraum 1999 auf 120.666 DM und für den Veranlagungszeitraum
2000 auf 68.479 DM festzusetzen.
8
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision der Klägerin ist unbegründet
und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG
hat zu Recht entschieden, dass die bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO zugunsten der Klägerin geändert werden können, weil sie ein grobes
Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen nachträglich bekannt geworden
sind.
10
1. Das FG hat den entscheidungserheblichen
Sachverhalt vollständig aufgeklärt und damit nicht gegen § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO verstoßen.
11
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2
FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den
entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur
Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel
aufzuklären. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG
grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will (vgl.
auch Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 2005
I B 249/04, BFH/NV 2006, 780). Auf eine beantragte Beweiserhebung kann es im
Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende
Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten
des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, das Beweismittel
unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist (ständige
Rechtsprechung, z.B. Senatsentscheidungen vom 13. November 2007 VI B 100/07,
BFH/NV 2008, 219; vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom
16. November 2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; jeweils m.w.N.).
12
b) Nach diesem Rechtsmaßstab musste der in
der mündlichen Verhandlung vor dem FG angebotene Zeugenbeweis zu der Frage,
ob und inwieweit die Klägerin durch die Firma Y bzw. Z in den Streitjahren
wirtschaftlich betreut und für sie die Buchhaltung geführt wurde, nicht
erhoben werden. Hierauf kam es im Streitfall nicht an. Das FG konnte daher
auch auf die Erhebung dieses Beweises verzichten. Die Klägerin selbst hat
vorgetragen, dass das FG in der mündlichen Verhandlung bedeutet habe, den
vorgetragenen Sachverhalt bzw. die diesbezügliche Bestätigung durch den
Zeugen als zutreffend zu unterstellen. Damit musste sich auch der Klägerin
aufdrängen, dass unter den besonderen Umständen des Streitfalles eine
Auseinandersetzung mit der Frage eines zurechenbaren Verschuldens von
Hilfspersonen nicht entscheidungserheblich war. Das Urteil des FG geht
demzufolge auch erkennbar von der Grundannahme aus, dass ein Steuerberater
verpflichtet ist, den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung
maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Es ist daher nicht zu beanstanden,
wenn das FG allein auf das Verschulden des steuerlichen Beraters abgestellt
hat und - ohne dies ausdrücklich in den Entscheidungsgründen auszuführen -
ein etwaiges Verschulden von Hilfspersonen für die zu treffende Entscheidung
als unerheblich angesehen hat.
13
Da im Streitfall von einem eigenen
Verschulden des steuerlichen Beraters auszugehen ist, widerspricht die
Entscheidung des Senats auch nicht den Aussagen des III. und IV. Senats des
BFH zum groben Verschulden von Hilfspersonen (BFH-Urteile vom 3. Februar
1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 17. November 2005
III R 44/04, BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412). Selbst wenn man im
Streitfall von einem Verschulden weiterer Hilfspersonen ausgehen würde, wäre
dieses Verschulden nach Auffassung des Senats dem steuerlichen Berater als
eigenes Verschulden zuzurechnen. Auch in diesem Fall ergäbe sich kein
Widerspruch zur genannten Rechtsprechung des III. und IV. Senats des BFH, da
im Unterschied zum Streitfall die Dienstleistungen der Hilfspersonen in
jenen Fällen dem Steuerpflichtigen gegenüber unmittelbar erbracht worden
waren. Im Ergebnis konnte das FG daher ein etwaiges Verschulden weiterer
Hilfspersonen unberücksichtigt lassen.
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2. Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind
Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder
Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer
führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass
die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
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a) Als grobes Verschulden hat der
Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe
Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn
der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und
Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht
entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006
VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866, m.w.N.). Grob fahrlässiges Handeln liegt
insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur
unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt
(BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II
1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994,
346; vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl II 2005, 75; in
BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem
Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist
dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden
anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481,
BStBl II 1989, 131; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978;
BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005 VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).
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b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters
bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z.B. BFH-Urteil in
BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, m.w.N.). Die Zurechnung des Verschuldens
des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt
sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit seiner
Angaben in der Steuererklärung (§ 150 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser
Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung
der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt.
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c) Ob ein Beteiligter grob fahrlässig
gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen
Feststellungen des FG dürfen - abgesehen von zulässigen und begründeten
Verfahrensrügen - nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der
groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten
richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich
des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen
Erfahrungssätzen entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings
nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür
ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (BFH-Urteile vom
9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; vom
23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441).
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3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den
Streitfall hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Klägerin am
nachträglichen Bekanntwerden der Krankheitskosten ein grobes Verschulden
trifft.
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Wie das FG zutreffend erkannt hat, kann es
im Streitfall offen bleiben, ob sich die Klägerin auf einen die grobe
Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum in ihrer Person
berufen kann. Die Klägerin muss sich aber, wie das FG ebenfalls zutreffend
entschieden hat, das Verschulden ihres steuerlichen Beraters im Streitfall
zurechnen lassen. Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe muss verlangt
werden, dass sie den Inhalt der Merkblätter kennen und die üblichen
Vordrucke beherrschen. Der steuerliche Berater durfte weiter gerade bei
einem steuerlichen Laien, wie der Klägerin, nicht ohne Nachfrage davon
ausgehen, dass aufgrund der bestehenden Krankenversicherung und der hohen
zumutbaren Belastung der Klägerin keine steuerlich relevanten
Krankheitskosten vorlagen. Vielmehr musste er die von ihm beratene
Steuerpflichtige im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen nach
Aufwendungen fragen, die steuerlich zu berücksichtigen waren. Denn ein
Steuerberater hat seinen Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er
grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten. Im Rahmen dieser
Verpflichtung hat er den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung
maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Er darf sich insbesondere nicht - wie
im Streitfall - darauf verlassen, dass die steuerlich relevanten Angaben und
Unterlagen durch Dritte derart aufbereitet werden, dass Nachfragen beim
Steuerpflichtigen selbst entbehrlich werden. Der steuerliche Berater
handelte daher im Streitfall grob fahrlässig.
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