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BFH-Urteil vom 17.3.2010 (II R 46/08) BStBl. 2010 II S. 554
Maßgebende Steuerklassen bei ehemaligem Adoptionsverhältnis
Die
Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 gelten nicht, wenn die Verwandtschaft
eines Adoptivkindes zum Erblasser bereits vor dem Erbfall durch Aufhebung
des Annahmeverhältnisses erloschen ist.
ErbStG § 15 Abs. 1a, § 16 Abs. 1 Nr. 2; BGB
1755 Abs. 1.
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom
4. Juli 2008 3 K 114/06 (EFG 2008, 1647)
Sachverhalt
I.
1
Der 1938 geborene Kläger und
Revisionskläger (Kläger) wurde durch notariell beurkundeten Adoptionsvertrag
vom 31. Oktober 1950 von seinem Onkel und dessen Ehefrau CB an Kindes statt
angenommen. Der Kindesannahmevertrag wurde mit notariell beurkundetem und
vormundschaftsgerichtlich genehmigtem Vertrag vom 18. September 1959 wieder
aufgehoben.
2
In einem 1995 errichteten
gemeinschaftlichen Testament setzten sich die Eheleute gegenseitig zum Erben
ein und bestimmten, dass der Kläger Erbe des zuletzt Versterbenden werden
sollte. CB, die ihren Ehemann überlebt hatte, verstarb am 16. Februar 2004.
3
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom 4. Juli
2005 gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von 43.171 EUR fest, wobei
davon ausgegangen wurde, dass der Kläger zur Steuerklasse III gehört.
4
Der Einspruch, mit dem der
Kläger als ehemaliger Adoptivsohn die Zuordnung zur Steuerklasse I,
hilfsweise zur Steuerklasse II begehrte, hatte nur hinsichtlich des
Hilfsantrags Erfolg. Die Erbschaftsteuer wurde im geänderten Bescheid vom
23. August 2005 auf 31.042 EUR herabgesetzt.
5
Die Klage wurde abgewiesen.
Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) in dem in Entscheidungen der
Finanzgerichte 2008, 1647 veröffentlichten Urteil aus, der Kläger sei zum
Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr Adoptivsohn der Erblasserin und damit kein
Kind i.S. von § 15 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
in der für den Streitfall maßgebenden Fassung (ErbStG) gewesen. § 15 Abs. 1a
ErbStG gelte nicht für ehemalige Adoptionsverhältnisse.
6
Mit der Revision rügt der
Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 15 Abs. 1a ErbStG. Nach dem Wortlaut
und dem Sinnzusammenhang des Gesetzes sei die Vorschrift dahin zu verstehen,
dass ein ehemaliges Adoptivkind die Steuerklasse I beanspruchen könne,
obwohl nach Aufhebung der Adoption zivilrechtlich eine Verwandtschaft zu den
Adoptiveltern nicht mehr bestehe.
7
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 23. August
2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006 dahin zu
ändern, dass ein Freibetrag von 205.000 EUR berücksichtigt und die
Erbschaftsteuer auf 0 EUR festgesetzt wird.
8
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die
Entscheidung des FG, dem Kläger als ehemaligem Adoptivkind nicht den für
Kinder maßgeblichen Freibetrag zu gewähren, ist rechtmäßig. § 15 Abs. 1a
ErbStG gilt nicht für ein Adoptivkind, dessen Verwandtschaft zum Erblasser
bereits vor dem Erbfall durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses erloschen
ist.
10
1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bleibt in
den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb der Kinder im Sinne der
Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 205.000 EUR steuerfrei. Zu dieser
Steuerklasse gehören die Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
Die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 gelten auch dann, wenn die
Verwandtschaft durch Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich erloschen ist (§
15 Abs. 1a ErbStG).
11
2. § 15 Abs. 1a ErbStG begünstigt Erwerber
in den Fällen, in denen die Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich zum
Erlöschen der Verwandtschaft geführt hat, die Annahme als Kind also den
Erlöschensgrund darstellt. Dafür spricht neben dem Wortlaut vor allem die
Entstehungsgeschichte der Regelung.
12
a) § 15 Abs. 1a ErbStG wurde durch das
Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und
anderer Gesetze vom 18. August 1980 (BGBl I 1980, 1537) eingefügt. Nach der
Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung war die Änderung eine Folge
des neuen Adoptionsrechts (BTDrucks 8/3688, S. 23).
13
Im Adoptionsgesetz (AdG) vom 2. Juli 1976
(BGBl I 1976, 1749) wurden die §§ 1741 bis 1772 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) mit Wirkung ab 1. Januar 1977 völlig neu gefasst. Bis zu dieser
Neuregelung erlangte ein Kind durch die Annahme an Kindes statt zwar die
rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (§ 1757 Abs. 1
BGB in der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung - BGB a.F. -), wobei
sich die Wirkungen der Annahme nicht auf die Verwandten des Annehmenden
erstreckten (§ 1763 Satz 1 BGB a.F.); als Adoptivkind gehörte es nach § 15
Abs. 1 I Nr. 2 Buchst. b ErbStG a.F. zur Steuerklasse I. Nach § 1764 BGB
a.F. blieben aber die Rechte und Pflichten, die sich aus dem
Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kinde und seinen Verwandten ergaben,
durch eine Annahme an Kindes statt grundsätzlich unberührt. Das
Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen leiblichen Eltern und den
bisherigen Verwandten blieb weiterhin bestehen und war demzufolge auch
erbschaftsteuerrechtlich nach § 15 Abs. 1 ErbStG für die Steuerklasse zu
berücksichtigen.
14
Dagegen erlöschen nach Inkrafttreten der
Neuregelungen im AdG bei der Annahme Minderjähriger gemäß § 1755 Abs. 1 Satz
1 BGB das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den
bisherigen Verwandten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten.
Um zu verhindern, dass sich das Erlöschen des bürgerlich-rechtlichen
Verwandtschaftsverhältnisses in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht
nachteilig auswirkt, bestimmt § 15 Abs. 1a ErbStG, dass die Steuerklassen I
und II Nr. 1 bis 3 auch hier gelten (vgl. Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG, Rz 30,
30.1; Längle in Fischer/Jüptner/Pahlke, ErbStG, 1. Aufl., § 15 Rz 45, 46;
Knobel in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Bewertungsgesetz, 3. Aufl., § 15 ErbStG Rz 39; Meincke, Erbschaftsteuer-
und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 15 Rz 17, 18; Jülicher
in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 15 Rz 49; Götz/ Ohletz in Wilms/Jochum,
ErbStG, § 15 Rz 82; Tiedtke/Wälzholz in Tiedtke, ErbStG, 2009, § 15 Rz 16;
Högl in Gürsching/ Stenger, BewG und ErbStG, § 15 ErbStG Rz 34). Bereits vor
dem Inkrafttreten des § 15 Abs. 1a ErbStG war aufgrund von
Verwaltungsanweisungen entsprechend verfahren worden (vgl. Niedersächsisches
Finanzministerium, Erlass vom 13. Dezember 1979 - S 3820 - 10 R - 34, Der
Betrieb 1980, 139).
15
Auch der Bundesfinanzhof geht im Urteil vom
14. Mai 1986 II R 37/84 (BFHE 146, 471, BStBl II 1986, 613) davon aus, dass
die Neuregelung des § 15 Abs. 1a ErbStG Sachverhalte betrifft, in denen die
bürgerlich-rechtliche Verwandtschaft mit den leiblichen Eltern erloschen
ist.
16
b) § 15 Abs. 1 und Abs. 1a ErbStG haben zur
Folge, dass bei der Adoption Minderjähriger die Steuerklassen I und II Nr. 1
bis 3 sowohl bei Erwerben im bisherigen Verwandtschaftskreis als auch bei
Erwerben in dem durch die Annahme als Kind neu begründeten
Verwandtschaftskreis Anwendung finden, also eine Doppelbegünstigung
eintritt. Dies lässt sich nach dem Gesetzeszweck damit rechtfertigen, dass
erbschaftsteuerrechtlich das durch die Annahme als Kind erloschene
Verhältnis zu den leiblichen Verwandten dem kraft Gesetzes entstandenen
Verwandtschaftsverhältnis zu dem Annehmenden und dessen Verwandten für die
Zuordnung des Erwerbers zu einer Steuerklasse gleichzustellen ist.
17
c) Ein ehemaliges Adoptionsverhältnis fällt
entgegen der Auffassung des Klägers nicht in den Anwendungsbereich des § 15
Abs. 1a ErbStG (vgl. Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG, Rz 30.1; Längle, a.a.O., §
15 Rz 47).
18
Zwar wäre es nach dem Wortlaut der
Vorschrift möglich, sie dahin zu verstehen, dass die Steuerklassen I und II
Nr. 1 bis 3 auch dann gelten sollen, wenn eine Verwandtschaft, die durch
Annahme als Kind begründet worden ist, bürgerlich-rechtlich erloschen ist.
Das Tatbestandsmerkmal "Annahme als Kind" würde in diesem Fall nicht - wie
bei dem durch die Annahme als Kind bedingten Erlöschen des
Verwandtschaftsverhältnisses zur leiblichen Verwandtschaft - den Grund für
das Erlöschen der Verwandtschaft bezeichnen, sondern den Grund für das
Entstehen der Verwandtschaft. Dies würde aber dazu führen, das
Tatbestandsmerkmal "Annahme als Kind" innerhalb der Vorschrift in
unterschiedlicher Weise zu verstehen, was dem gesetzgeberischen Willen nicht
entspricht. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift als Folge des neuen
Adoptionsrechts geschaffen und damit dessen nachteilige Auswirkungen auf die
Steuerklassen im Erbschaftsteuerrecht ändern wollen. Für eine in diesem
Zusammenhang beabsichtigte Begünstigung ehemaliger Adoptionsverhältnisse
sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.
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Die Anwendung der Steuerklassen I und II
Nr. 1 bis 3 auf einen Erwerber, dessen Verwandtschaftsverhältnis zum
Erblasser durch eine Annahme als Kind begründet und noch vor Eintritt des
Erbfalls durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses wieder erloschen ist, ist
auch nicht aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht zwingend geboten. Es gibt
keinen sachlichen Grund dafür, die durch Aufhebung der Adoption erloschenen
Verwandtschaftsverhältnisse hinsichtlich der Steuerklasse ebenso zu
behandeln wie Verwandtschaftsbeziehungen zu den leiblichen Verwandten, die
seit der Neuregelung des Adoptionsrechts gemäß § 1755 Abs. 1 BGB durch die
Annahme als Kind erlöschen. Allein ein möglicherweise weiter bestehendes
persönliches Verhältnis des ehemaligen Adoptivkindes zu seinen früheren
Adoptiveltern reicht hierfür nicht aus.
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