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BFH-Urteil vom 23.2.2010 (VII R 48/07) BStBl. 2010 II S.
Feststellungsbescheid über eine bestandskräftige Steuerfestsetzung im
Insolvenzverfahren
Liegt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bestandskräftige
Steuerfestsetzung und damit ein Schuldtitel i.S. des § 179 Abs. 2 InsO vor,
ist das FA im Falle des Bestreitens der Forderung durch den
Insolvenzverwalter berechtigt, das Bestehen der angemeldeten Forderung durch
Bescheid festzustellen, wenn der Insolvenzverwalter seinen Widerspruch auf
die von ihm behauptete Unwirksamkeit der Forderungsanmeldung stützt
(Abgrenzung zum Senatsurteil vom 23. Februar 2005 VII R 63/03, BFHE 209, 23,
BStBl II 2005, 591) .
InsO § 179 Abs. 2, § 185; AO § 251 Abs. 3,
§ 29, § 26.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 27.
August 2007 16 K 470/06 (EFG 2008, 186)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der
X-GmbH (GmbH). Die GmbH gehörte der in D ansässigen Unternehmensgruppe D an.
Hieraus ergab sich die Zuständigkeit des Finanzamts J, bei dem am 20.
Dezember 2005 die nach § 168 der Abgabenordnung (AO) nicht
zustimmungspflichtige Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 der GmbH einging. Mit
Beschluss vom 1. März 2006 eröffnete das zuständige Amtsgericht (AG) das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH und bestellte den Kläger zum
Insolvenzverwalter. Der Kläger wie auch der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA -) gingen davon aus, dass sich die Geschäftsleitung der
GmbH seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Kläger befand und sich
hieraus die örtliche Zuständigkeit des FA ergab.
2
Aufgrund der mit dem
Beschluss über die Verfahrenseröffnung ergangenen Aufforderung des AG,
Insolvenzforderungen bis zum 18. April 2006 anzumelden, meldete das
Finanzamt J am 13. April 2006 beim Kläger neben weiteren Steuerforderungen
Umsatzsteuer 2004 in Höhe von ca. 2.200 EUR zur Insolvenztabelle an.
3
Der Kläger bestritt die
angemeldete Forderung. Mit Schreiben vom 28. Juni 2006 wies das FA den
Kläger darauf hin, dass er zwar Widerspruch erhoben habe, die Umsatzsteuer
2004 jedoch bestandskräftig festgesetzt worden sei. Darauf erwiderte der
Kläger, dass ihm eine Forderungsanmeldung des FA nicht vorliege. Falls das
FA die Abgabenforderungen beanspruche, möge es eine Forderungsanmeldung
einreichen und das Finanzamt J veranlassen, seine Forderung zurückzunehmen.
Daraufhin reichte das FA am 6. Juli 2006 beim Kläger eine Aufstellung der
Forderungen gegen die GmbH ein.
4
Da der Kläger seinen
Widerspruch nicht zurücknahm, erließ das FA am 28. August 2006 einen
Feststellungsbescheid. Danach wurde - neben weiteren Steuerforderungen - das
Bestehen der Umsatzsteuer 2004 und der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer
2004 in der angemeldeten Höhe gemäß § 251 Abs. 3 AO als Insolvenzforderung
festgestellt. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
5
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage, die sich nach einer Verfahrenstrennung gemäß § 73 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) nur noch gegen die Feststellung der Umsatzsteuer
2004 und der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2004 richtete, hinsichtlich
der Feststellung der Umsatzsteuer 2004 statt. Die Frage der örtlichen
Zuständigkeit hielt es für unbeachtlich, da die beiden Finanzämter nicht
unterschiedliche, sondern dieselbe Forderung geltend gemacht hätten. Das FA
sei aber nicht befugt gewesen, wegen der bereits bestandskräftig
festgesetzten Umsatzsteuer 2004 einen weiteren Feststellungsbescheid zu
erlassen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008,
186 veröffentlicht.
6
Mit seiner Revision rügt das
FA die Verletzung materiellen Rechts. Das Urteil des FG verstoße gegen § 251
Abs. 3 AO. Von einer Titulierung im insolvenzrechtlichen Sinn sei
auszugehen, wenn vor Insolvenzeröffnung ein Bescheid bekannt gegeben oder
eine Steueranmeldung abgegeben worden sei. Bestreite der Insolvenzverwalter
eine titulierte Abgabenforderung, obliege es nach § 179 Abs. 2 der
Insolvenzordnung (InsO) dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen. Sei
die Abgabenforderung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bestandskräftig festgesetzt worden, wirke die Bestandskraft auch gegen den
Widersprechenden. Es bleibe dem FA aber unbenommen, die Feststellung der
Forderung nach § 251 Abs. 3 AO zu betreiben. Nehme der Insolvenzverwalter
seinen Widerspruch trotz Aufforderung nicht zurück, sei es geboten, einen
Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO zu erlassen. Bei einem Bestreiten
titulierter, bestandskräftiger Forderungen sei im Feststellungsbescheid
lediglich festzustellen, dass die angemeldete Forderung bestandskräftig
festgesetzt sei und Wiedereinsetzungsgründe und Korrekturvoraussetzungen
nicht vorlägen. So sei das FA verfahren.
7
Der Kläger trägt vor, das FG
habe zu Recht entschieden, dass ein Feststellungsbescheid nicht hätte
ergehen dürfen, da bereits ein Titel existiert habe. Für den
Feststellungsbescheid habe kein Bedarf bestanden. Im Übrigen habe er gegen
den bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheid 2004 keinen Widerspruch erhoben,
da sich der Widerspruch gegen die Anmeldung zur Insolvenztabelle gerichtet
habe. Die Anmeldung der Forderung durch das Finanzamt J sei dem FA nicht
zuzurechnen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision des FA ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils, soweit das FG der Klage stattgegeben
hat, und auch insoweit zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FGO). Das FA war zum Erlass des angefochtenen Feststellungsbescheids
berechtigt.
9
1. Wird über das Vermögen des
Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, gelten für die
Vollstreckbarkeit von Steuerbescheiden gemäß § 251 Abs. 1 AO nicht mehr die
allgemeinen Regeln der AO, vielmehr sind gemäß § 251 Abs. 2 AO die
Vorschriften der InsO zu beachten.
10
a) Nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger
ihre Forderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur nach den
Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Der Insolvenzgläubiger
hat seine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) gemäß § 174 InsO beim
Insolvenzverwalter zur Eintragung in die Tabelle (§ 175 InsO) und zur
Prüfung (§ 176 InsO) mit dem Ziel der Feststellung (§ 178 InsO) anzumelden.
Nach § 178 Abs. 1 InsO gelten Forderungen als festgestellt, wenn weder der
Insolvenzverwalter noch ein Insolvenzgläubiger Widerspruch erhebt. Für die
festgestellten Forderungen wirkt die Eintragung in die Tabelle nach § 178
Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil.
11
b) Wird die angemeldete Forderung gemäß §
178 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Insolvenzverwalter oder von einem anderen
Gläubiger bestritten, hat im Regelfall der Gläubiger gemäß § 179 Abs. 1 InsO
die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben. Liegt für die
Forderung indes ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor,
obliegt es nach § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, den Widerspruch zu
verfolgen. Die Vorschrift entspricht § 146 Abs. 6 der Konkursordnung (KO).
Danach war der Widerspruch gegen eine Forderung, für welche ein mit der
Vollstreckungsklausel versehener Schuldtitel, ein Endurteil oder ein
Vollstreckungsbefehl vorlag, vom Widersprechenden zu verfolgen.
12
Ein im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung
bereits ergangener Steuerbescheid ist ein vollstreckbarer Schuldtitel i.S.
des § 179 Abs. 2 InsO (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. August
1993 VII B 46/91, BFH/NV 1994, 293, zu § 146 KO; ebenso Beermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 424). Steuerbescheide sind titulierte
Forderungen i.S. des § 179 Abs. 2 InsO, da ihre Wirksamkeit und
Durchsetzbarkeit durch die Einlegung von Rechtsmitteln grundsätzlich nicht
gehemmt wird (vgl. § 361 Abs. 1 AO und § 69 Abs. 1 FGO) und sie daher wie
diese vollstreckbar sind (§ 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1, § 254 Abs. 1 AO).
13
c) Die Betreibenspflicht des
Widersprechenden nach § 179 Abs. 2 InsO bedeutet aber nicht, dass der
Gläubiger gehindert ist, seinerseits die Feststellung seiner Forderung zu
verfolgen, wenn der Insolvenzverwalter an seinem Widerspruch festhält. Nach
der zu den entsprechenden Vorschriften des § 146 Abs. 6 KO und des § 11 Abs.
3 Satz 2 der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) ergangenen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGH) bleibt es dem Gläubiger unbenommen, im
Klagewege die Feststellung seiner titulierten Forderung zur Konkurstabelle
durchzusetzen. Der Senat teilt die Auffassung, dass diese Regelungen dem
Gläubiger, der einen Titel erwirkt hat, nur die Verpflichtung abnehmen, ein
Verfahren zu betreiben, ihm aber nicht die Befugnis dazu entziehen (vgl.
BGH-Urteil vom 29. Juni 1998 II ZR 353/97, BGHZ 139, 132; ebenso
MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl., § 179 Rz 43).
14
d) Die Feststellung von Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis erfolgt nicht nach § 180 Abs. 1 InsO im ordentlichen
Verfahren, sondern ist gemäß § 185 Satz 1 InsO vom FA als zuständiger
Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Der Erlass eines Feststellungsbescheids
kommt nach § 185 Satz 1 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO "erforderlichenfalls" in
Betracht. Bei Widerspruch des Insolvenzverwalters gegen einen
bestandskräftigen Steuerbescheid kann einem Feststellungsbescheid mangelnde
Erforderlichkeit nicht entgegengehalten werden. Denn durch die Regelungen in
§ 179 Abs. 2 InsO wird ebenso wenig wie in § 146 Abs. 6 KO und § 11 Abs. 3
Satz 2 GesO ausgesprochen, dass ein Titel automatisch zur Teilnahme an der
Verteilung berechtigt. Dem FA als Vollstreckungsgläubiger muss die
Möglichkeit verbleiben, die durch das Bestreiten verursachte Ungewissheit
über sein Recht zu beenden (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 139, 132).
15
Das BFH-Urteil vom 23. Februar 2005 VII R
63/03 (BFHE 209, 23, BStBl II 2005, 591), in dem der Senat den Erlass eines
Feststellungsbescheids bei Vorliegen eines Steuerbescheids für rechtswidrig
erklärt hat, steht dem nicht entgegen. In jenem Verfahren hatte der
Insolvenzverwalter nicht der Feststellung einer bestandskräftigen, sondern
der einer angefochtenen Steuerfestsetzung zur Tabelle widersprochen. Nach
Auffassung des Senats war dort für die gesonderte Geltendmachung des
Steueranspruchs als Insolvenzforderung durch Feststellungsbescheid gemäß §
251 Abs. 3 AO neben einem fortzuführenden Rechtsbehelfsverfahren kein Raum,
weil Gegenstand der Einspruchsentscheidung in einer solchen Konstellation
nicht nur die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Bescheids, sondern
auch die rechtmäßige Beanspruchung einer Steuerforderung als
Insolvenzforderung ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 26. November 1987 V R
133/81, BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199). Liegt demgegenüber bei
Verfahrenseröffnung nach §§ 164, 168 AO eine Steuerfestsetzung unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung vor, die zu einem Schuldtitel i.S. des § 179 Abs.
2 InsO führt, ist der Feststellungsstreit bei Steuerforderungen in der Weise
auszutragen, dass das FA das Bestehen der angemeldeten Forderungen durch
Bescheid feststellt (§ 185 Satz 1 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO). Gegenstand
des Feststellungsbescheids ist nicht die Rechtmäßigkeit des die Steuer
festsetzenden Steuerbescheids. Sein Regelungsinhalt geht vielmehr dahin,
dass dem Steuergläubiger eine bestimmte Steuerforderung als Konkurs- bzw.
Insolvenzforderung zusteht (so schon BFH-Urteil in BFHE 151, 345, BStBl II
1988, 199). Im Rahmen dieser Feststellung ist die Begründetheit des vom
Insolvenzverwalter erhobenen Widerspruchs zu prüfen. Anders als im Fall
eines fortzuführenden Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens besteht
hier nicht die Gefahr, dass zwei voneinander unabhängige
Rechtsbehelfsverfahren über dieselben Steuerforderungen betrieben und der
Schuldner zwei parallel zu führenden Verfahren ausgesetzt wird (vgl. auch
Abschn. 60 Abs. 7 der Vollstreckungsanweisung).
16
2. Das Urteil des FG entspricht nicht den
vorstehenden Grundsätzen und verstößt daher gegen § 251 Abs. 3 AO. Ist im
Feststellungsbescheid über die rechtmäßige Beanspruchung einer
Steuerforderung als Insolvenzforderung und über die wirksame Anmeldung zur
Tabelle zu entscheiden, ist der Erlass eines Feststellungsbescheids auch
dann erforderlich, wenn der Bestreitende wie im Streitfall seinen
Widerspruch auf die von ihm behauptete Unwirksamkeit der Forderungsanmeldung
durch das FA stützt.
17
3. Die Sache ist spruchreif, da der Senat
in der Sache selbst entscheiden kann. Das FA hat in dem von ihm erlassenen
Feststellungsbescheid die Wirksamkeit der Forderungsanmeldung zu Recht
bejaht, so dass das Urteil des FG, soweit es diesen Bescheid aufgehoben hat,
seinerseits aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
18
Das ursprünglich für die Besteuerung der
GmbH zuständige Finanzamt J war gemäß § 29 AO auch für die Anmeldung nach §
174 InsO zuständig. Nach § 29 AO ist bei Gefahr im Verzug für
unaufschiebbare Maßnahmen jede Finanzbehörde örtlich zuständig. Dies setzt
voraus, dass die Zuständigkeit entweder nicht sofort eindeutig zu klären ist
oder eine sonst nicht zu bewältigende Notsituation vorliegt (BFH-Urteil vom
13. Dezember 2001 III R 13/00, BFHE 197, 12, BStB1 II 2002, 406). Im
Streitfall bestand eine derartige Notsituation, da das AG mit Beschluss vom
1. März 2006 zur Abgabe der Forderungsanmeldung bis zum 18. April 2006
aufgefordert hatte. Unter diesen Umständen war das Finanzamt J für die
Forderungsanmeldung örtlich zuständig, da bei einer Abgabe an das FA die
naheliegende Gefahr einer verspäteten Forderungsanmeldung bestand.
19 Auf die Frage einer analogen Anwendung des § 127 AO auf Anmeldungen nach § 174 InsO kommt es daher ebenso wenig an wie auf die erst mit Wirkung zum 29. Dezember 2007 eingeführte Zuständigkeitsregelung für Insolvenzfälle nach § 26 Satz 3 AO.
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