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BFH-Urteil vom 8.7.2009 (VIII
R 5/07) BStBl. 2010 II S. 583
1. Ermittlungen der
Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts stellen keine Ermittlungen der
mit "der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden"
i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO dar und führen daher nicht zur Ablaufhemmung
nach dieser Vorschrift.
2. Wurde die Einleitung des
Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der
Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem
Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dann ist der Ablauf der Festsetzungsfrist
gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt,
wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich
eingeleitet und die Einleitung dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wurde.
3. Der zeitlich auf ein Jahr
begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer
Selbstanzeige gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch
Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten
Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden.
AO § 153, § 169 Abs. 2
Satz 2, § 171 Abs. 3, § 171 Abs. 5 Satz 1, § 171 Abs. 5 Satz 2, § 171
Abs. 9, § 208 Abs. 3, § 371 Abs. 1, § 404.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom
14. Dezember 2006 15 K 4744/05 E (EFG 2007, 735)
Sachverhalt
I.
Die Beteiligten streiten
darüber, ob für das Streitjahr 1992 Festsetzungsverjährung eingetreten und
der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) damit am Erlass
eines geänderten Einkommensteuerbescheids gehindert ist.
Die Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) gaben ihre Einkommensteuererklärung 1992 am
13. September 1993 beim FA ab.
Der Kläger war als
Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der X-Firma nichtselbständig
beschäftigt. Im Rahmen der Errichtung einer Y-Fabrik im Z-Staat erhielt er
im Streitjahr 1992 von Mittelsmännern eine Zahlung von ca. 1 Mio. DM. Das
Geld transferierte er auf ein ausländisches Bankkonto einer ihm
zuzurechnenden Liechtensteinischen Stiftung. In seiner
Einkommensteuererklärung blieben der Empfang der Zahlung und der Zufluss von
Kapitalerträgen auf dem Auslandskonto unerwähnt. Vergleichbare Zahlungen und
Zinszuflüsse erhielt der Kläger auch in anderen Jahren.
Am 5. November 2003
offenbarte er sich gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer
Selbstanzeige. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung im Finanzamt für
Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A-Stadt (im Folgenden: Strafsachen-FA)
in Anwesenheit des Vorstehers, einer Mitarbeiterin der Strafsachen- und
Bußgeldstelle (StraBuSt) und der Bevollmächtigten der Kläger statt. Mit
Schreiben vom 12. November 2003 leitete das Strafsachen-FA gegenüber den
Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der
Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte es "zur
steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen und Unterlagen ab dem
Veranlagungsjahr 1992 bis 2001" an. Am 30. Januar 2004 nahm die
Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf.
Das FA wertete die
Selbstanzeige in dem streitigen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom
9. Juni 2005 aus.
Während der hiergegen
eingelegte Einspruch erfolglos blieb, gab das FG mit dem in Entscheidungen
der Finanzgerichte (EFG) 2007, 735 veröffentlichten Urteil der Klage statt.
Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung
(AO) sei am 31. Dezember 2003 abgelaufen. Eine Hemmung der Verjährung sei
bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.
Mit seiner Revision vertritt
das FA die Auffassung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist im Streitfall
gemäß § 171 Abs. 5 AO im Zusammenwirken mit § 171 Abs. 9 AO gehemmt gewesen
sei. Das Finanzgericht (FG) habe beide Gesetzesbestimmungen verletzt.
Das Strafsachen-FA habe im
November 2003 ausdrücklich Unterlagen bezüglich der Einnahmen ab dem Jahr
1992 angefordert. Hierbei habe es sich um eine Ermittlungsmaßnahme der
Fahndungsbehörden gehandelt, wodurch eine Hemmung der Verjährung gemäß § 171
Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst worden sei. Ferner habe das FG festgestellt, dass
die Ermittlungen der Steuerfahndung am 30. Januar 2004 begonnen hatten.
Der Hemmungstatbestand des
§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO sei im Streitfall ebenfalls einschlägig. Zwar habe
die Einleitungsverfügung zutreffend lediglich die strafrechtlich noch nicht
verjährten Jahre ab 1999 erfasst. Dies bedeute jedoch nicht, dass in
steuerlicher Hinsicht lediglich Konsequenzen für diese Jahre gezogen werden
dürften.
Schließlich führe § 171
Abs. 9 AO im kumulativen Zusammenwirken mit den Regelungen in Abs. 5 der
Vorschrift zur Hemmung. Die Selbstanzeige der Kläger aus dem November 2003
habe zunächst die einjährige Hemmung gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst. Im
Laufe der Jahresfrist seien dann - jedenfalls durch die Aufnahme der
Ermittlungen durch die Steuerfahndung im Januar 2004 - die Voraussetzungen
der Hemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO herbeigeführt worden. Innerhalb des
§ 171 AO gebe es keine Hemmungstatbestände höheren oder minderen Ranges.
§ 171 Abs. 9 AO stelle insbesondere keine abschließende Spezialregelung für
den Fall der Selbstanzeige dar.
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht
begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Eintritt der
Festsetzungsverjährung dem Erlass des angegriffenen
Einkommensteueränderungsbescheids entgegenstand.
1. Die Änderung einer
Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist
abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die hier in
Rede stehende Einkommensteuer regulär vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, greift die zehnjährige
Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein.
Beginnen die mit der
Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf
der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der
Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab,
bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide
unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die
Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171
Abs. 5 Satz 1 und 2 AO).
Voraussetzung für die
verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass
Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich
vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen
erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für
Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine
Ablaufhemmung eintreten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. März
1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186, und vom 13. Februar 2003 X R 62/00,
BFH/NV 2003, 740). Die Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der
Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar sind. Die zeitliche
Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an
Fahndungsmaßnahmen wird durch den Eintritt der Verwirkung gezogen
(BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002,
586).
Erstattet der
Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 371
AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach
Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).
2. Danach war im Streitfall
die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses des
Einkommensteueränderungsbescheids am 9. Juni 2005 bereits abgelaufen.
a) Die
Einkommensteuererklärung 1992 wurde im Jahr 1993 abgegeben. Damit fiel der
Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf das
Jahresende 1993. Nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen
tatsächlichen Feststellungen des FG hatten die Kläger eine
Einkommensteuerhinterziehung begangen. Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
zehnjährige Festsetzungsfrist endete damit regulär am 31. Dezember 2003.
b) Der Ablauf dieser Frist
wurde im Streitfall allein durch den Eingang der Selbstanzeige vom
5. November 2003 gemäß § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines Jahres gehemmt.
Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids im Juni 2005 war die
Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen.
c) Andere Hemmungstatbestände
sind nicht verwirklicht worden.
aa) Die Einleitung des
Steuerstrafverfahrens hat den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171
Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt.
Das Strafsachen-FA hat im
Streitfall die Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der
Einkommensteuerhinterziehung in vier rechtlich selbstständigen Fällen - 1999
bis 2002 - bekannt gegeben. Diese Maßnahme beeinflusste nur den Fristenlauf
für die Steueransprüche der betreffenden Jahre, nicht aber für den
streitgegenständlichen Steueranspruch 1992. Wegen des Verdachts der
Steuerstraftat "Einkommensteuerhinterziehung 1992" wurde kein
Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Einleitung bekannt gegeben. Bereits
deshalb ist die Vorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO tatbestandlich nicht
gegeben. Denn so wie sich die Steuerfahndungsprüfung i.S. des § 171 Abs. 5
Satz 1 AO gegenständlich auf einen bestimmten Steueranspruch beziehen muss,
um die Frist zur Festsetzung dieses Anspruchs offen zu halten (BFH-Urteil in
BFH/NV 1999, 1186), so greift auch der Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO
nur in Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch ein, der durch eine im
Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat verletzt worden sein soll
(vgl. BFH-Urteil vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961; Frotscher
in Schwarz, AO, § 171 Rz 65a). Verjährungsrechtlich will das Gesetz damit
sicherstellen, dass die im Zuge des eingeleiteten Steuerstrafverfahrens
gewonnenen Erkenntnisse bei der Festsetzung des betroffenen Steueranspruchs
Berücksichtigung finden (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 5/06,
BFHE 222, 1, BStBl II 2008, 844, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Erkenntnisgewinn in diesem Sinne verspricht aber
nicht irgendein Steuerstrafverfahren, sondern nur ein solches, das gerade
wegen der vermeintlichen Verletzung eines bestimmten Steueranspruchs
eingeleitet wurde.
bb) Bis zum 31. Dezember 2003
hat die Steuerfahndung nicht mit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen
i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO begonnen. Denn nach den von der Revision
nicht angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG
ist im Jahr 2003 allein die StraBuSt des Strafsachen-FA tätig geworden. Die
von ihr ergriffenen Maßnahmen - die Anforderung von Unterlagen und vor allem
die Informationsgewinnung durch Befragung des Vertreters der Kläger
anlässlich des Gesprächs an Amtsstelle - stellen zwar entgegen der
Auffassung des FG gewichtige Ermittlungshandlungen dar, doch stellt § 171
Abs. 5 Satz 1 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf - dem
Steuerpflichtigen erkennbare - Ermittlungen der mit der Steuerfahndung
betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden ab. Daran fehlt es
vorliegend.
Entgegen der Ansicht der
Revision können die Ermittlungen der StraBuSt nicht der Steuerfahndung
zugerechnet werden, auch wenn der Landesverordnungsgeber StraBuSt und
Steuerfahndung in einem eigenständigen Strafsachen-FA organisatorisch
verselbstständigt hat (vgl. Seipl in Beermann/Gosch, AO § 404 Rz 7, zur
Organisationsstruktur). Der Bundesgesetzgeber hat in der hier allein
maßgeblichen Verjährungsvorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO die
ausdrückliche Entscheidung getroffen, dass nur Ermittlungen der
Steuerfahndungsdienststellen, nicht aber anderer Untergliederungen einer
Finanzbehörde, wie z.B. der StraBuSt, der Betriebsprüfungsstelle, der
Vollstreckungsstelle, oder Ermittlungen des Finanzamts schlechthin eine
Hemmung auslösen können. Die danach zwingend erforderliche Abgrenzung darf
durch eine wie auch immer geartete Zurechnung nicht unterlaufen werden, es
sei denn der Bundesgesetzgeber ordnete die Durchbrechung der in § 171 Abs. 5
Satz 1 AO gesetzten Regel selbst an. In der AO findet sich aber keine Norm,
wonach Ermittlungen anderer Dienststellen der Landesfinanzbehörden der
Steuerfahndung als eigene verjährungshemmende Ermittlungen zuzurechnen sind.
Vielmehr trennt die AO, wie sich aus den Regelungen in §§ 208 Abs. 3 und 404
AO ergibt, Aufgaben und Befugnisse der mit der Steuerfahndung betrauten
Dienststellen der Landesfinanzbehörden streng von den Aufgaben und
Befugnissen sonstiger Dienststellen oder des Finanzamts als solchem.
cc) Die im November 2003
erstattete Selbstanzeige stellt nach herrschender Meinung, der sich der
Senat anschließt, keinen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO dar und führt daher
nicht zu einer Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift (Kruse in Tipke/ Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 12; Pahlke/Koenig/Cöster,
Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz 27; Urteil des FG Bremen vom 7. September
2006 1 K 69/06, EFG 2006, 1883; im Ergebnis gleicher Auffassung auch Ruban
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 17; Balmes in: Kühn/ v.Wedelstädt,
19. Aufl., AO, § 171 Rz 21, jeweils zur Berichtigungserklärung nach § 153
AO). Der Gesetzgeber hat den Fall des Eingangs einer Selbstanzeige oder
einer Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO in der Sonderregelung des § 171
Abs. 9 AO erfasst. Dieser Norm käme keine Bedeutung mehr zu, wenn man jede
Selbstanzeige als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO beurteilen würde.
dd) Die im Januar 2004 und
damit innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnenen Ermittlungen
der Steuerfahndung haben keine weitere zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung
gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst. Vielmehr richtet sich der zeitliche
Umfang der Hemmung allein nach der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO. Der
dort vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch Steuerfahndungsermittlungen,
die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden,
nicht mehr erweitert werden.
Der Senat schließt sich damit
der in der Literatur einhellig vertretenen Auffassung an (Ruban in HHSp,
§ 171 AO Rz 100; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 84; Balmes in:
Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 171 Rz 91; Pahlke/Koenig/Cöster, a.a.O., § 171
Rz 139; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 93).
(1) Der Wortlaut des § 171
Abs. 5 Satz 1 AO ist allerdings nicht eindeutig. Mit der Formulierung "vor
Ablauf der Festsetzungsfrist" könnte die reguläre ungehemmte Frist (so
Pahlke/ Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 62 und 109; Hartmann in
Beermann/Gosch, AO § 171 Rz 33 und 57) oder auch die bereits anderweitig -
hier: gemäß § 171 Abs. 9 AO - gehemmte Frist gemeint sein.
(2) Dagegen führt die
Auslegung des § 171 Abs. 9 AO nach seinem Wortlaut, der
Entstehungsgeschichte, dem Zweck und der systematischen Funktion zu dem
Ergebnis, dass der Gesetzgeber für die kurz vor Eintritt der Verjährung bei
den Finanzbehörden eingehende Selbstanzeige (§ 371 AO) oder
Berichtigungserklärung (§ 153 AO) eine verjährungsrechtliche Sonderregelung
geschaffen hat, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung mit dem
Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO unterlaufen werden dürfen.
Der Hemmungstatbestand des
§ 171 Abs. 9 AO kommt nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene
Jahresfrist vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch verdrängt
diese Regelung grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren
Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht
wurden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1997 II B 40/96, BFHE 181, 571,
BStBl II 1997, 266; vom 14. März 2005 II B 11/04, BFH/NV 2005, 1340; vom
25. Juli 2007 V B 39/07, BFH/NV 2007, 2071; vom 14. September 2007
VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; zu Ausnahmen vgl. unter II.2.c cc der Gründe
dieses Urteils). Danach besteht der Zweck des § 171 Abs. 9 AO allein darin,
die Finanzbehörde in die Lage zu versetzen, die kürzer als ein Jahr vor
Ablauf der Festsetzungsfrist eingehende Selbstanzeige ohne Zeitdruck prüfen
und eine etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu
können. Um die erforderliche Auswertung der Selbstanzeige oder der
Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO sicherzustellen, gewährt der
Gesetzgeber dem Fiskus bewusst eine Auswertungsfrist von einem Jahr
(BFH-Urteil vom 28. Februar 2008 VI R 62/06, BFHE 220, 238, BStBl II 2008,
595; Lohmeyer in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 171 Rz 52; vgl.
auch Protokoll Nr. 22/11 der Arbeitsgruppe "AO-Reform" des
Finanzausschusses, Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode 1969, 6. Ausschuss).
Eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung hat der Gesetzgeber hingegen gerade
nicht geschaffen. Er ging vielmehr davon aus, dass die Prüfung der
Berichtigungserklärungen innerhalb der Frist des § 171 Abs. 9 AO stattfindet
und danach die Festsetzungsverjährung eintritt. Die Bewältigung der
Auswertungsarbeiten innerhalb eines Jahres ist objektiv auch ohne weiteres
möglich, da eine Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO nur vorliegt, wenn
das Finanzamt durch die Angaben in der Berichtigungserklärung in die Lage
versetzt wird, ohne langwierige große Nachforschungen die zutreffende Steuer
- gegebenenfalls im Schätzungswege - festzusetzen (vgl. Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 5. September 1974 4 StR 369/74, Neue Juristische
Wochenschrift 1974, 2293; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2005 VIII B 324/03,
Steuer-Eildienst 2005, 2149; Klein/Gast-deHaan, a.a.O., § 371 Rz 8).
Mit Rücksicht auf den
vorgenannten Gesetzeszweck des § 171 Abs. 9 AO ist es nicht zulässig, den
Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der ohne vorherigen Eingang der
Selbstanzeige für sich betrachtet keine verjährungshemmende Wirkung
entfalten würde, mit Abs. 9 der Vorschrift in der von der Revision geltend
gemachten Weise zu kombinieren. Denn die erforderliche Überprüfung und
Auswertung der Selbstanzeige fände dann nicht innerhalb der vom Gesetzgeber
eigens hierfür vorgesehenen und als ausreichend erachteten Auswertungsfrist
des § 171 Abs. 9 AO statt, sondern in den - nur vom Rechtsinstitut der
Verwirkung gezogenen - zeitlichen Grenzen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Diese Gesetzesbestimmung
ist zudem nach ihrem eigenen Zweck nicht auf die vorliegend zu beurteilende
Konstellation zugeschnitten. Denn mit der zeitlich unbegrenzten Hemmung
gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO soll die Verwertung der Ergebnisse langwieriger
Ermittlungen der Fahndungsdienste in Fällen unaufgeklärter
Steuerkriminalität verjährungsrechtlich abgesichert werden. Dagegen besteht
die Funktion des § 171 Abs. 9 AO darin, die steuerliche Berücksichtigung von
Informationen zu ermöglichen, die ein "reuiger Steuersünder" in
qualifizierter Form selbst an das Finanzamt geliefert hat, um in den Genuss
der Straffreiheit zu gelangen. Einer zeitlich unbegrenzten Hemmung bedarf es
nach der Einschätzung des Gesetzgebers gerade nicht.
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