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BFH-Urteil vom 4.2.2010 (II R 25/08) BStBl. 2010 II S. 663
Kein Erlass der Erbschaftsteuer wegen insolvenzbedingter Veräußerung des
begünstigt erworbenen Betriebsvermögens
Der
Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG a.F. infolge einer
insolvenzbedingten Veräußerung des Betriebsvermögens ist kein sachlicher
Grund für einen Erlass gemäß § 227 AO.
AO §
227; ErbStG a.F. § 13a Abs. 5.
Vorinstanz: FG Münster vom 28. Februar 2008
3 K 3877/07 Erb (EFG 2008, 1049)
Sachverhalt
I.
1.
Die Kläger und
Revisionskläger (Kläger) wurden neben ihrer Schwester je zu einem Drittel
Erben ihres am 6. August 1996 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörten
u.a. alle Anteile an einer GmbH & Co. KG mit einem Wert von ca. 3 Mio. DM.
Über das Vermögen der Gesellschaft wurde am 1. März 2001 das
Insolvenzverfahren eröffnet. Im Mai 2001 verkaufte der Insolvenzverwalter
das Betriebsvermögen an einen Investor.
2
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte zuletzt mit bestandskräftig
gewordenen Bescheiden vom 2. September 2004 gegen den Kläger zu 1.
Erbschaftsteuer in Höhe von 109.585 EUR sowie gegen den Kläger zu 2. in Höhe
von 108.979 EUR fest und versagte die Vergünstigungen des § 13a des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der vor dem
Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 geltenden Fassung (ErbStG), weil das
Betriebsvermögen innerhalb der fünfjährigen Behaltensfrist des § 13a Abs. 5
Nr. 1 ErbStG veräußert worden sei.
3
Die Kläger beantragten am 9.
Oktober 2006, die auf den Erwerb des Betriebsvermögens entfallende und
bereits bezahlte Erbschaftsteuer in Höhe von 64.559,07 EUR bzw. 64.112,75
EUR aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Das FA
lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 8. November 2006 ab.
4
Die Einsprüche blieben ohne
Erfolg. Zur Begründung führte das FA aus, dass ein Ausnahmefall der
sachlichen Unbilligkeit nicht vorliege. Die Vergünstigungen des § 13a ErbStG
entfielen unabhängig davon, aus welchen Gründen das Betriebsvermögen
veräußert worden sei (unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 16. Februar 2005 II R 39/03, BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571).
Deshalb stelle die insolvenzbedingte Veräußerung keinen Billigkeitsgrund
dar. Der Einsatz privater Gelder zur Rettung des Unternehmens sei eine
unternehmerische Entscheidung gewesen, für die der Staat nicht das Risiko
trage. Das geringfügige Unterschreiten der fünfjährigen Behaltensfrist sei
ebenfalls kein Erlassgrund; die starre Anwendung der Frist auch auf
Insolvenzfälle sei nicht unbillig, sondern solle die Gesetzesanwendung
erleichtern. Eine persönliche Unbilligkeit sei ebenfalls nicht gegeben.
Durch die Steuerzahlung sei die Existenz der Kläger nicht gefährdet. Sie
hätten weiteres Vermögen geerbt und verfügten über eigene Einkünfte.
5
Das Finanzgericht (FG) wies
die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1049
veröffentlichtem Urteil ab, weil das FA einen Erlass der Erbschaftsteuer
ermessensfehlerfrei abgelehnt habe.
6
Mit der Revision rügen die
Kläger fehlerhafte Anwendung des § 227 der Abgabenordnung (AO). Der Wegfall
der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG wegen insolvenzbedingter
Veräußerung des Betriebsvermögens führe zu einer dem Zweck der
Steuerermäßigung widersprechenden Besteuerung. Dies sei jedenfalls im
Erlassverfahren zu berücksichtigen, da hier dem vom Gesetzgeber verfolgten
Zweck ein stärkeres Gewicht zukomme als im Steuerfestsetzungsverfahren.
7
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung und die Ablehnungsbescheide vom 8. November
2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12. September 2007
aufzuheben sowie das FA zu verpflichten, dem Kläger zu 1. die
Erbschaftsteuer in Höhe von 64.559,07 EUR und dem Kläger zu 2. in Höhe von
64.112,75 EUR zu erlassen.
8
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG war
zu Recht der Auffassung, dass das FA einen Billigkeitserlass der
Erbschaftsteuer ermessensfehlerfrei abgelehnt hat. Der Wegfall der
Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG infolge einer insolvenzbedingten
Veräußerung des Betriebsvermögens stellt keinen sachlichen Grund für einen
Erlass nach § 227 AO dar. Persönliche Billigkeitsgründe sind ebenfalls nicht
gegeben.
10
Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren
Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Beim Erlass handelt
es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des
Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss
des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober
1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Entscheidung darf
gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob das FA die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder es von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht
hat.
11
a) Ein Erlass kommt aus sachlichen Gründen
in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber
infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart
zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 23. März 1998 II
R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und II R 26/96, BFH/NV 1998,
1098). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der
Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 227 AO stellt
keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme
darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung
allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein
Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift
gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im
Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne
des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in BFHE 185, 270, BStBl
II 1998, 396, und in BFH/NV 1998, 1098).
12
Gesichtspunkte, die bereits im
Steuerfestsetzungsverfahren vorzubringen waren oder noch sind, können im
Billigkeitsverfahren regelmäßig nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom
13. Mai 1998 II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376).
13
b) Das FA hat ermessensfehlerfrei
angenommen, dass die Erbschaftsteuer nicht deshalb wegen sachlicher
Unbilligkeit zu erlassen ist, weil das begünstigte Betriebsvermögen im
Rahmen eines Insolvenzverfahrens veräußert wurde. Ein Gesetzesüberhang liegt
insoweit nicht vor.
14
Nach § 13a ErbStG werden u.a. beim Erwerb
eines Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einer
Gesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes
ein Freibetrag und ein verminderter Wertansatz gewährt. Diese
Vergünstigungen fallen jedoch gemäß § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG mit Wirkung
für die Vergangenheit weg, soweit das begünstigte Betriebsvermögen innerhalb
von fünf Jahren nach dem Erwerb veräußert wird ("Nachversteuerung"); als
Veräußerung gilt nach § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ErbStG auch die
Aufgabe des Gewerbebetriebs. Durch den rückwirkenden Wegfall der
Vergünstigungen wird im Ergebnis die im Zeitpunkt des Erwerbs tatsächlich
vorhandene Bereicherung besteuert.
15
Der Senat hat bereits entschieden, dass der
Wegfall der Vergünstigungen selbst dann mit dem Gesetzeszweck im Einklang
steht, wenn das Betriebsvermögen krisen- oder insolvenzbedingt veräußert
wird (zu § 13 Abs. 2a Satz 3 ErbStG in der in den Jahren 1994 und 1995
geltenden Fassung: BFH-Urteil in BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571; zu § 13a
Abs. 5 Nr. 4 ErbStG: BFH-Urteil vom 21. März 2007 II R 19/06, BFH/NV 2007,
1321), wobei die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter dem
Insolvenzschuldner zugerechnet wird (vgl. zum Konkursverwalter:
BFH-Beschluss vom 7. Juli 2004 II B 32/04, BFHE 206, 370, BStBl II 2004,
747, unter II.2.). Hierauf hat das FA im Rahmen seiner Ermessensentscheidung
zu Recht Bezug genommen und aus den Überlegungen des Senats den richtigen
Schluss gezogen, dass damit auch der für einen Billigkeitserlass
erforderliche Gesetzesüberhang über die Wertungen des Gesetzgebers nicht
besteht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner
Typisierungsbefugnis die Vergünstigungen bei jeder Betriebsveräußerung und
Betriebsaufgabe versagt und die Umstände des jeweiligen Einzelfalls, die
dazu geführt haben, bewusst nicht berücksichtigt.
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c) Ein atypischer Einzelfall kann entgegen
der Ansicht der Kläger auch nicht darin gesehen werden, dass sie durch die
Unternehmensinsolvenz in erheblichem Umfang Privatvermögen verloren haben.
Das FA hat seiner Entscheidung zutreffend die Erwägung zugrunde gelegt, dass
der Einsatz privater Gelder zur Rettung des Unternehmens eine
unternehmerische Entscheidung im Verantwortungsbereich der Kläger gewesen
ist. Eine Unternehmensinsolvenz ist häufig mit einem Verlust von
Privatvermögen - insbesondere durch Bürgschaften oder Darlehen - verbunden.
Dieser Umstand rechtfertigt regelmäßig keinen Erlass aus sachlichen Gründen.
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d) Das geringfügige Unterschreiten der
Fünf-Jahres-Frist begründet in Übereinstimmung mit dem FA ebenfalls keinen
Billigkeitserlass. Der Gesetzgeber hat in § 13a ErbStG den Erwerb von
Betriebsvermögen nur für den Fall begünstigt, dass das begünstigte Vermögen
zumindest fünf Jahre beim Erwerber verbleibt. Mit dieser eindeutigen
gesetzlichen Behaltensfrist hat er klar zu erkennen gegeben, dass bei einer
Veräußerung oder Aufgabe des Betriebsvermögens vor Ablauf der Frist
grundsätzlich auch aus Billigkeitsgründen die Vergünstigungen nicht zu
gewähren sind (vgl. zur Ablehnung von Billigkeitsmaßnahmen bei Versäumen von
Antragsfristen: BFH-Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl
II 1994, 833).
18
e) Die Entscheidung des FA erweist sich
auch als richtig, soweit es einen Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit
abgelehnt hat. Zu den Erwägungen äußern sich die Kläger in der
Revisionsbegründung nicht mehr. Ermessensfehler des FA sind nicht
ersichtlich.
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