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BFH-Beschluss vom 7.4.2010 (I R 77/08) BStBl. 2010 II S. 739
Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs auf die Beurteilung von
Rechtsfragen
Dem
Großen Senat wird gemäß § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfrage zur
Entscheidung vorgelegt:
Ist
das FA im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzrechtliche Rechtsfragen an
die Auffassung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz
zu Grunde liegt, wenn diese Rechtsauffassung aus der Sicht eines
ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war?
EStG § 5 Abs. 1 Satz 1.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 20. Mai 2008
6 K 3224/05 K, F (EFG 2008, 1607)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob für
Betriebsvermögensminderungen aus der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen
ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) anzusetzen ist.
2
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Gegenstand die
Konstruktion, die Herstellung und der Betrieb eines privaten, mobilen
Zellularfunknetzes ist. Im Streitjahr (1996) bot sie ihren Kunden den
verbilligten Erwerb eines Mobiltelefons für den Fall an, dass diese einen
Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer Laufzeit von
mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden Vertrag
entsprechend verlängerten. Die Preisermäßigung für das Mobiltelefon war von
dem Hersteller und dem Gerätetyp sowie von der Höhe der monatlichen
Grundgebühren im Rahmen des abgeschlossenen MFD-Vertrags abhängig. Sie
betrug für die im Streitjahr verbilligt abgegebenen Mobiltelefone
durchschnittlich ... DM.
3
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war der Auffassung, zwischen den
MFD-Verträgen und den Kaufverträgen über die Mobiltelefone bestehe eine
wirtschaftlich enge Verknüpfung i.S. von Vertragsbündelungen. Die durch die
verbilligte Abgabe entstandene Betriebsvermögensminderung sei daher gemäß §
5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG, hier und im
Folgenden i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 - KStG 1996
-) im Rahmen eines aktiven RAP periodengerecht über die Laufzeit des
MFD-Vertrags abzugrenzen. Für das Streitjahr setzte das FA in
Änderungsbescheiden betreffend Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und
Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1996 einen in der von der Klägerin
eingereichten Bilanz nicht ausgewiesenen aktiven RAP im Betrag von ... DM an
und legte der Steuerfestsetzung einen entsprechend höheren Bilanzgewinn zu
Grunde.
4
Die deswegen erhobene Klage
hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf als unbegründet abgewiesen. Sein
Urteil vom 20. Mai 2008 6 K 3224/05 K,F ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2008, 1607 abgedruckt.
5
Gegen das FG-Urteil richtet
sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts
rügt. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen für die Bildung des
aktiven RAP lägen nicht vor. Sie meint überdies, das FA sei an die in der
eingereichten Bilanz zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, wonach der RAP
nicht zu bilden sei, gebunden, weil das Unterlassen der Aktivierung
angesichts der ungeklärten Rechtslage der kaufmännischen Sorgfalt nicht
widersprochen habe.
6
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2005 dahingehend zu ändern, dass das
Einkommen nach § 47 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996 von ... DM um ... DM auf ... DM
und das zu versteuernde Einkommen von ... DM um ... DM auf ... DM verringert
und die körperschaftsteuerliche Tarifbelastung von ... DM um ... DM auf ...
DM, die festgesetzte Körperschaftsteuer von ... DM um ... DM auf ... DM
sowie der Solidaritätszuschlag von ... DM um ... DM auf ... DM herabgesetzt
werden.
7
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Anrufung des Großen Senats erfolgt zur
Klärung der im Leitsatz bezeichneten Frage, weil diese im Streitfall
entscheidungserheblich ist und zugleich grundsätzliche Bedeutung i.S. von §
11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat.
9
1. Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefrage
10
a) Der Senat teilt die Auffassung von FA
und FG, wonach die Voraussetzungen für die Bildung eines aktiven RAP nach §
5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Streitfall gegeben waren.
11
aa) Die Betriebsvermögensminderungen
infolge der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen durch die Klägerin führen
zu einer "Ausgabe" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Eine solche setzt
nach ständiger Rechtsprechung des vorlegenden Senats nicht notwendig einen
Zahlungsvorgang voraus, sondern kann auch in der Buchung einer
Verbindlichkeit bestehen (Senatsurteile vom 31. Mai 1967 I 208/63, BFHE 89,
191, BStBl III 1967, 607; vom 29. November 2006 I R 46/05, BFHE 216, 159,
BStBl II 2009, 955, m.w.N.). Ob auch Vermögensminderungen durch geldwerte
Sachleistungen zu einer Ausgabe i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
führen, ist im Schrifttum umstritten. Während der Begriff der Ausgaben nach
einer Auffassung nur die genannten Geldvermögensminderungen erfasst
(Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6.
Aufl., HGB § 250 Rz 22; Ellrott/Krämer in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 7.
Aufl., § 250 HGB Rz 18; Hayn in Beck'sches Handbuch der Rechnungslegung, B
218 Rz 17; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz,
Körperschaftsteuergesetz, § 5 EStG Rz 1924; Crezelius in Kirchhof,
Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 5 Rz 93; Döllerer, Betriebs-Berater - BB
- 1968, 637, 639; Heinhold/ Coenenberg, Der Betrieb - DB - 2005, 2033, 2036;
Marten/ Köhler/Schlereth, DB 2003, 2713, 2714; Pottgießer/Velte, Steuern und
Bilanzen - StuB - 2006, 131, 133; Coenenberg, Die bilanzielle Behandlung von
Handy-Subventionen bei Mobilfunkunternehmen, S. 117 ff., 120; enger
Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 28. Aufl., § 5 Rz 247: nur
Bar- und Buchgeldzahlungen), liegt nach der Gegenauffassung eine Ausgabe
bereits bei einer betrieblich veranlassten Minderung im Vermögensbestand vor
(Schreiber in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz 670; Kupsch in Bonner Handbuch der
Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 22; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz
247; Tiedchen, Handbuch des Jahresabschlusses [in Einzeldarstellungen], Abt.
II/11 [2006], Rz 71; Trützschler in Küting/Weber, Handbuch der
Rechnungslegung, Einzelabschluss, 5. Aufl., § 250 HGB Rz 34; Bauer in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz F 79; vgl.
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 20. Juni 2005,
BStBl I 2005, 801 Tz. 5). Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.
12
Aufgabe der Rechnungsabgrenzungsposten ist
es, im Falle gegenseitiger Verträge, bei denen Leistung und Gegenleistung
zeitlich auseinander fallen, die Vorleistung des einen Teils in das Jahr zu
verlegen, in dem die nach dem Vertrag geschuldete Gegenleistung des anderen
Teils erbracht wird (Senatsurteil in BFHE 89, 191, BStBl III 1967, 607;
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. September 1987 IV R 49/86, BFHE
151, 386, BStBl II 1988, 327). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG bezweckt damit
die periodengerechte Erfolgsermittlung (Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 5
Rz 89; Bauer in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 3, m.w.N.;
Hoffmann in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rz
799). Negative Auswirkungen auf den Gewinn ergeben sich sowohl durch die
Verminderung des Geldvermögens als auch durch Vermögensminderungen infolge
geldwerter Sachleistungen (Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 670).
Nach dem Zweck des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die Bildung eines
aktiven RAP daher nicht auf Geldvermögensminderungen beschränkt; der Begriff
der Ausgaben umfasst vielmehr auch wirtschaftlich gleichwertige
Vermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen.
13
Der Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1
EStG steht dieser Auslegung nicht entgegen. Der in dieser Vorschrift
enthaltene Begriff der Ausgaben ist nicht entsprechend der
betriebswirtschaftlichen Terminologie auf Geldvermögensminderungen durch
Geldzahlungen sowie Verbindlichkeitszugänge und Forderungsabgänge begrenzt
(a.M. Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 5 EStG Rz 1924;
Pottgießer/Velte, StuB 2006, 131, 133). Eine solche Begrenzung folgt auch
nicht daraus, dass § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG die handelsrechtliche
Regelung der aktiven RAP in § 250 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB)
übernommen hat (vgl. hierzu Hayn, a.a.O., B 218 Rz 17; Tiedchen, a.a.O., Rz
33). Aus dem systematischen Zusammenhang des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
ergibt sich vielmehr, dass als Ausgaben im Sinne dieser Vorschrift auch
Betriebsvermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen in Betracht
kommen. Der Begriff der Ausgaben wird neben § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
auch in der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG zum Zeitpunkt des Abflusses
verwendet. Nach dieser Vorschrift sind Ausgaben für das Kalenderjahr
abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG
erfasst nicht nur Geldvermögensminderungen, sondern auch Sachleistungen
(Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 5 EStG Rz 1924; Seiler in
Kirchhof, a.a.O., § 11 Rz 8; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff,
a.a.O., § 11 Rz C 25).
14
bb) Die durch die verbilligte Überlassung
der Mobiltelefone vor dem Abschlussstichtag erfolgte Ausgabe war Aufwand der
Klägerin für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag. "Aufwand für eine
bestimmte Zeit" ist in dem Sinne zu verstehen, dass einer Vorleistung eine
noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht
(Senatsurteil vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802;
BFH-Urteile vom 6. April 1993 VIII R 86/91, BFHE 171, 221, BStBl II 1993,
709; vom 19. Juni 1997 IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808,
jeweils m.w.N.). Die Zuordnung des Aufwands erfolgt hierbei nicht nach der
betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung, sondern nach Maßgabe der zugrunde
liegenden Schuldverhältnisse (Senatsurteil vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE
119, 261, BStBl II 1976, 622; BFH-Urteil vom 12. August 1982 IV R 184/79,
BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696; Trützschler in Küting/Weber, a.a.O., §
250 HGB Rz 38; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 810;
Döllerer, BB 1968, 637, 640). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG betrifft zwar
typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags i.S. der
§§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB); die Vorschrift ist aber nicht
auf synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt (Senatsurteil
vom 24. Juli 1996 I R 94/95, BFHE 181, 64, BStBl II 1997, 122, m.w.N.;
Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 680; Federmann in
Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 5 EStG Rz 1927; anderer Ansicht Bauer in
Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 89).
15
Bei der Bestimmung der zeitraumbezogenen
Gegenleistung ist nicht allein auf die zivilrechtliche Beurteilung der
Schuldverhältnisse abzustellen; entscheidend ist vielmehr der
wirtschaftliche Gehalt der damit zusammenhängenden Leistungsvorgänge
(BFH-Urteile vom 19. Januar 1978 IV R 153/72, BFHE 124, 320, BStBl II 1978,
262; in BFHE 151, 386, BStBl II 1988, 327). Das Fehlen eines
zivilrechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses ist daher unbeachtlich, wenn
bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine gegenseitige Abhängigkeit
zwischen der Vorleistung und der im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses zu
erbringenden Leistung besteht (Senatsurteile in BFHE 181, 64, BStBl II 1997,
122; in BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; Kupsch in Bonner Handbuch der
Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 28; anderer Ansicht Bauer in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 89; Hoffmann in
Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 814).
16
Nach diesen Maßstäben ist die verbilligte
Überlassung der Mobiltelefone als Vorleistung für die von den einzelnen
Kunden im Rahmen der MFD-Verträge zu erbringenden - zeitraumbezogenen -
Gegenleistungen anzusehen. Zwar sind der Kaufvertrag über das Mobiltelefon
und der MFD-Vertrag zivilrechtlich selbständige Rechtsgeschäfte (vgl.
Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1998 I ZR 187/97, BGHZ
139, 368; I ZR 7/97, DB 1998, 2464). Die synallagmatischen Verpflichtungen
aus dem Kaufvertrag sind mit der Übergabe und Übereignung des Mobiltelefons
durch die Klägerin bzw. mit dessen Abnahme und der Zahlung des Kaufpreises
durch den Kunden erfüllt (§ 433 BGB). Im Rahmen der für die
Rechnungsabgrenzung maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist
jedoch zu berücksichtigen, dass nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2
FGO bindenden Feststellungen des FG der verbilligte Erwerb eines
Mobiltelefons vom Abschluss eines MFD-Vertrags mit einer Laufzeit von
mindestens 24 Monaten oder der entsprechenden Verlängerung eines bestehenden
MFD-Vertrags abhängig war. Aufgrund dieser Verknüpfung beider
Rechtsgeschäfte steht die durch die verbilligte Überlassung der
Mobiltelefone eingetretene Vermögensminderung in unmittelbarem
wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem jeweiligen MFD-Vertrag.
17
Die verbilligte Überlassung der
Mobiltelefone ist wirtschaftlich nicht nur eine Vorleistung für den
Abschluss bzw. die Verlängerung des MFD-Vertrags; sie bezieht sich vielmehr
auf den Zeitraum der Durchführung des auf eine Mindestlaufzeit von 24
Monaten abgeschlossenen MFD-Vertrags. Denn im Gegensatz zu Abschlussgebühren
und Provisionszahlungen, die für den Vertragsabschluss bzw. für dessen
Vermittlung geleistet werden (Senatsurteil vom 11. Februar 1998 I R 23/96,
BFHE 185, 388, BStBl II 1998, 381; BFH-Urteil vom 4. März 1976 IV R 78/72,
BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380), wird die verbilligte Überlassung der
Mobiltelefone durch Gegenleistungen finanziert, die im Rahmen des
MFD-Vertrags zu erbringen sind (BGH-Urteile in BGHZ 139, 368, unter II.1.c;
in DB 1998, 2464, unter II.2.a; Coenenberg, a.a.O., S. 109). Zu diesen
Gegenleistungen gehören die Zahlung der monatlichen Grundgebühren sowie der
Gesprächsgebühren durch die Kunden (BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 801 Tz.
4). Der Bildung eines aktiven RAP steht hierbei nicht entgegen, dass die
wirtschaftliche Gegenleistung der verbilligten Überlassung der Mobiltelefone
nicht in einer Sach- oder Dienstleistung, sondern in einer Zahlungspflicht
besteht (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 IV R 26/06, BFHE 225, 144, BStBl
II 2009, 781, unter II.2.b; a.M. Coenenberg, a.a.O., S. 123 f.).
18
Die Bildung des aktiven RAP wird nicht
dadurch ausgeschlossen, dass bei vorzeitiger Beendigung des MFD-Vertrags
keine Verpflichtung des Kunden zur Rückgabe des Mobiltelefons besteht. Eine
Ausgabe ist als Vorleistung im Rahmen eines schwebenden Geschäfts anzusehen,
wenn für den Fall, dass der Vertrag nach dem Stichtag aufgelöst wird, eine
Verpflichtung zur Rückzahlung besteht (BFH-Urteile in BFHE 136, 280, BStBl
II 1982, 696; in BFHE 171, 221, BStBl II 1993, 709). Fehlt es an einer
solchen Rückzahlungspflicht, so liegt eine Vorleistung jedenfalls dann vor,
wenn das Dauerschuldverhältnis auf mehrere Jahre zu festen Bedingungen
abgeschlossen ist und nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden kann und
wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Vertragsparteien dieser
Möglichkeit mehr als rein theoretische Bedeutung beigemessen haben
(BFH-Urteil in BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696; vgl. auch Senatsurteil in
BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; weitergehend Kupsch in Bonner Handbuch
der Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 30; Meyer-Scharenberg, Deutsches
Steuerrecht - DStR - 1991, 754, 755: Rückzahlungspflicht für aktiven RAP
unbeachtlich; anderer Ansicht Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., §
5 Rz F 89; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 811). Im
Streitfall hatten die einzelnen MFD-Verträge eine Mindestlaufzeit von 24
Monaten; das FG hat nicht festgestellt, dass die Möglichkeit der vorzeitigen
Beendigung dieser Verträge aus wichtigem Grund für die Klägerin und ihre
Kunden von praktischer Bedeutung war.
19
b) Wäre auf der Grundlage der dargestellten
objektiven Rechtslage über die streitbefangene bilanzrechtliche Frage zu
entscheiden, hätte das FG die Klage mithin zu Recht abgewiesen; die Revision
wäre als unbegründet zurückzuweisen.
20
c) Jedoch hängt die Entscheidung der
Rechtssache auch noch von der Beantwortung der Vorlagefrage ab.
Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung ist nämlich die vom
Steuerpflichtigen beim FA eingereichte (Steuer-)Bilanz. Von dieser darf (und
muss) das FA nur abweichen, wenn und soweit sie den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung - GoB - (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder den
zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben des Einkommensteuergesetzes nicht
entspricht und deshalb fehlerhaft ist (vgl. Senatsurteil vom 5. Juni 2007 I
R 47/06, BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818; Senatsbeschluss vom 7. August
2008 I B 161/07, BFH/NV 2008, 2053). Diese Erfordernisse für eine Abweichung
von der eingereichten Bilanz durch das FA entsprechen nach Auffassung des
vorlegenden Senats den Voraussetzungen, an die § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG die
Zulässigkeit einer nachträglichen Änderung der Bilanz durch den
Steuerpflichtigen (Bilanzberichtigung) knüpft.
21
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist
ein Bilanzansatz nur dann im eben beschriebenen Sinne fehlerhaft, wenn der
Steuerpflichtige den objektiv gegebenen Rechtsverstoß nach den
Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung - bezogen auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden
Verhältnisse - erkennen konnte. Dieser sog. subjektive Fehlerbegriff (der
zum Teil auch als "normativ-subjektiver" Fehlerbegriff bezeichnet wird, z.B.
Wied in Blümich, a.a.O., § 4 EStG Rz 983) gilt nach bisheriger
Rechtsprechung nicht nur für Tatsachenkenntnisse, sondern auch für die
Beurteilung der rechtlichen Verhältnisse (z.B. BFH-Urteile vom 14. August
1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88; vom 12. November 1992 IV R
59/91, BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392; vom 5. April 2006 I R 46/04, BFHE
213, 326, BStBl II 2006, 688; vom 23. Januar 2008 I R 40/07, BFHE 220, 361,
BStBl II 2008, 669). Für die Fälle, in denen die Rechtslage zum Zeitpunkt
der Bilanzaufstellung ungeklärt ist, weil noch keine Rechtsprechung zu der
in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, hat der Senat deshalb
entschieden, dass dann jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende
Bilanzierung als "richtig" anzusehen ist (Senatsurteile in BFHE 213, 326,
BStBl II 2006, 688; in BFHE 218, 221, BStBl II 2008, 818; vom 17. Juli 2008
I R 85/07, BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924). An den in diesem Sinne zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung subjektiv "richtigen" Bilanzansatz ist das
FA gebunden, auch wenn die Rechtsfrage nach diesem Zeitpunkt - gleichviel ob
zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen - durch eine
höchstrichterliche Entscheidung im gegenteiligen Sinne entschieden worden
ist (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2008, 818).
22
d) Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung hat
die Klägerin durch das Unterlassen der Bildung des aktiven RAP in der Bilanz
zum 31. Dezember des Streitjahres eine zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Entscheidung getroffen. Aus dem
vom FG in Bezug genommenen Prüfungsbericht ergibt sich, dass die Bilanz der
Klägerin für das Streitjahr vor Beginn der Außenprüfung am 3. April 2000
aufgestellt worden sein muss. Bis dahin existierte weder Rechtsprechung noch
Literatur zur spezifischen Frage der Bildung eines aktiven RAP bei
verbilligter Überlassung von Mobiltelefonen. Die in diesem Zusammenhang
relevante Frage, ob auch Vermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen
zu einer "Ausgabe" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG führen können, war
auch damals im Schrifttum umstritten, ohne dass sich ein verfestigter
Meinungsstand in eine bestimmte Richtung herausgebildet hatte. Demnach kann
das Unterlassen der Aktivierung des RAP durch die Klägerin nicht als Verstoß
gegen die kaufmännische Sorgfalt angesehen werden; die Bilanz war im
beschriebenen Sinne subjektiv nicht fehlerhaft. Auf der Grundlage der
bisherigen BFH-Rechtsprechung, nach der die Vorlagefrage zu bejahen ist,
wären Revision und Klage mithin begründet.
23
2. Grundsätzliche Bedeutung der
Vorlagefrage
24
Der sonach entscheidungserheblichen Frage
nach der Bindungswirkung der bei ungeklärter Rechtslage vom Bilanzierenden
bei Aufstellung der Bilanz befolgten Rechtsauffassung misst der vorlegende
Senat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 11 Abs. 4 FGO bei. Der sog.
subjektive Fehlerbegriff, von dessen unveränderter Beibehaltung nach
Auffassung des vorlegenden Senats sowohl die in der Vorlagefrage
angesprochene Bindungswirkung für die Finanzverwaltung als auch die - im
Streitfall nicht unmittelbar relevante - Möglichkeit des Bilanzierenden zur
Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG abhängen, ist eine der
zentralen und umstrittenen Grundfragen des Bilanzsteuerrechts, mit der sich
alle Ertragsteuersenate des BFH im Rahmen bilanzrechtlicher Streitfälle zu
befassen haben. Die Vorlagefrage betrifft alle bilanzierenden Unternehmen;
ihrer Beantwortung kommt angesichts der zunehmenden gesetzlichen
Neuregelungen auch im Bilanzsteuerrecht und der damit verbundenen steigenden
Zahl ungeklärter Rechtsfragen in diesem Bereich eine wesentliche Bedeutung
zu. Vor diesem Hintergrund hält es der vorlegende Senat für geboten, dass
eine Bestätigung, Änderung oder Fortbildung der bisherigen Rechtsprechung
vom Großen Senat als senatsübergreifendem Spruchkörper getragen wird.
III.
25
Der vorlegende Senat tritt dafür ein, den
subjektiven Fehlerbegriff abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nicht
auf die Beurteilung bilanzrechtlicher Rechtsfragen zu erstrecken. Diese
sollte die Finanzverwaltung vielmehr allein auf der Grundlage des objektiv
geltenden Rechts beurteilen müssen, auch wenn sie zum Zeitpunkt der
Aufstellung der Bilanz noch nicht geklärt waren. Danach wäre das FA bei der
ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung ungeklärte Rechtsfragen nicht an die Auffassung gebunden,
die der vom Steuerpflichtigen eingereichten Bilanz zu Grunde liegt; die
Vorlagefrage wäre zu verneinen.
26
1. Bisherige höchstrichterliche
Rechtsprechung
27
Der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs
(RFH) und des Obersten Finanzgerichtshofs (OFH) lässt sich - soweit
ersichtlich - bei der Auslegung des Fehlerbegriffs keine subjektive
Komponente entnehmen (vgl. RFH-Urteile vom 7. Oktober 1932 I A 53/31, RStBl
1932, 1075; vom 25. Oktober 1933 I A 44/32, RStBl 1934, 410; OFH-Urteil vom
13. Juni 1950 IV 37/50 U, BStBl I 1951, 179). Im RFH-Urteil vom 23. Mai 1935
I A 110/33 (RStBl 1935, 1467) heißt es, die steuerlichen Vorschriften
strebten objektiv richtige Bilanzansätze an.
28
Auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten
des Bilanzierenden stellt erstmals das Senatsurteil vom 11. Oktober 1960 I
56/60 U (BFHE 72, 8, BStBl III 1961, 3) ab. Es kommt zu dem Ergebnis, dass
der Steuerpflichtige aufgrund einer erst nach Aufstellung der Bilanz
erlangten Tatsachenkenntnis über die fehlende Bonität einer aktivierten
Forderung die Bilanz nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG berichtigen dürfe.
Zur Begründung heißt es in dem Urteil, dass selbst bei objektiv gegebener
Überschuldung der Forderungsschuldnerin zum Bilanzstichtag eine
Bilanzberichtigung nicht in Betracht komme, weil eine unrichtige
Bilanzierung und damit eine Pflicht, die Bilanz zu berichtigen, nicht
vorliege. Handelsrecht und Steuerrecht könnten von dem Kaufmann nicht mehr
verlangen, als dass er seine bis zur Aufstellung der Bilanz erlangte
Kenntnis von dem am Bilanzstichtag vorliegenden Sachverhalt pflichtgemäß und
gewissenhaft bei der Aufstellung der Bilanz verwerte. Kenne er bei der
Aufstellung der Bilanz Tatsachen nicht, die seine Forderungen als nicht
vollwertig erscheinen ließen, so könne er nicht verpflichtet werden, die von
ihm nach bestem Wissen aufgestellte Bilanz, wenn er später diese Kenntnis
erlange, zu berichtigen.
29
Mit dem Urteil in BFHE 117, 44, BStBl II
1976, 88 hat der IV. Senat des BFH die Maßgeblichkeit der subjektiven
Erkenntnismöglichkeiten des Bilanzierenden bei Aufstellung der Bilanz über
die Beurteilung von Tatsachen hinaus auch auf Rechtsfragen ausgedehnt. Eine
Bilanz ist danach nicht falsch und berichtigungsbedürftig, wenn sich nach
ihrer Aufstellung herausstellt, dass bestimmte tatsächliche oder rechtliche
Verhältnisse am Bilanzstichtag objektiv anders waren als bei der Aufstellung
der Bilanz angenommen wurde. Vielmehr ist eine Bilanz bereits dann richtig,
wenn sie den im Zeitpunkt ihrer Aufstellung bestehenden
Erkenntnismöglichkeiten über die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden
Verhältnisse entspricht, d.h. wenn sie subjektiv richtig ist. In dem Urteil
in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392 hat der IV. Senat diese Grundsätze auf
den Fall einer Rechtsprechungsänderung angewendet, in welchem es um die
Aktivierbarkeit von Kanalbaubeiträgen als nachträgliche Anschaffungskosten
auf ein Grundstück ging. Danach liegt ein zur Bilanzänderung berechtigender
Fehler nicht vor, wenn der Steuerpflichtige bei der Bilanzaufstellung nach
der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung verfahren ist, diese
Rechtsprechung danach aber durch ein neueres Urteil aufgegeben worden ist.
30
An die Einbeziehung der Beurteilung von
Rechtsfragen in den subjektiven Fehlerbegriff hat der vorlegende Senat in
jüngerer Zeit in einer Reihe von Entscheidungen angeknüpft, in denen die
Steuerpflichtigen im Wege von Bilanzberichtigungen nach § 4 Abs. 2 Satz 1
EStG nachträglich gewinnmindernde Rückstellungen für drohende
Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gebildet hatten, deren
Berechtigung zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung umstritten und
höchstrichterlich noch nicht geklärt war, die aber später vom BFH anerkannt
worden waren (Senatsurteile in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, und in
BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818: Rückstellungen für künftige
Beihilfeansprüche; Senatsurteile in BFHE 220, 361, BStBl II 2008, 669; in
BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924; vom 16. Dezember 2008 I R 54/08, BFH/NV
2009, 746: Rückstellungen für künftige Kosten der Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen). Der Senat hat in diesen Fällen die ursprünglichen
Bilanzen nicht als fehlerhaft i.S. von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG angesehen,
weil das Unterlassen der Rückstellungsbildung aufgrund der ungeklärten
Rechtslage zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung eine vertretbare Entscheidung
gewesen sei; wenn eine bestimmte Bilanzierungsfrage nicht durch die
Rechtsprechung abschließend geklärt sei, sei jede der kaufmännischen
Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als in diesem Sinne "richtig" anzusehen.
In einem solchen Fall sei der objektiv gegebene Bilanzierungsfehler bei
derjenigen Veranlagung zu korrigieren, der die erste nach dem Offenbarwerden
des Fehlers aufgestellte Bilanz zugrunde liegt (Senatsurteil in BFHE 218,
221, BStBl II 2007, 818).
31
In dem Urteil in BFHE 218, 221, BStBl II
2007, 818 hat der Senat überdies betont, dass in diesen Fällen auch die
Finanzverwaltung im Rahmen der Steuerfestsetzung an die vom
Steuerpflichtigen zulässigerweise gebildeten Bilanzansätze gebunden sei. Das
FA dürfe von diesen Bilanzansätzen zwar abweichen, wenn sie den GoB nicht
entsprächen; das sei aber auch in diesem Zusammenhang nach dem Maßstab des
Verhaltens eines ordentlichen Kaufmanns zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
zu beurteilen, nach denen im dortigen Streitfall ein Verstoß gegen
Buchführungsgrundsätze nicht vorgelegen habe.
32
2. Auffassung der Finanzverwaltung
33
Die Finanzverwaltung praktiziert den
subjektiven Fehlerbegriff im Bereich der Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2
Satz 1 EStG grundsätzlich so, wie er vom BFH entwickelt wurde (R 4.4 Abs. 1
Sätze 1 bis 5 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs - EStH - 2009; vgl.
auch BMF-Schreiben vom 11. März 2008, BStBl I 2008, 496 - zur
bilanzsteuerrechtlichen Berücksichtigung von Altersteilzeitvereinbarungen
nach dem Altersteilzeitgesetz -; Verfügungen der Oberfinanzdirektionen
Düsseldorf [und Münster] vom 10. Mai 2005, DB 2005, 1083, und München/
Nürnberg vom 1. April 2005, Finanz-Rundschau 2005, 560 - zur Bildung von
Rückstellungen für Beihilfeverpflichtungen -). In den Fällen, in denen der
Steuerpflichtige entsprechend der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
bestehenden Verwaltungsauffassung bilanziert hat, lässt R 4.4 Abs. 1 Satz 6
EStH 2009 eine Bilanzberichtigung zu, wenn der Steuerpflichtige sich zwar
bei der Bilanzierung an die damalige Verwaltungsauffassung gehalten hat,
jedoch seine gegenteilige Rechtsauffassung durch Zusätze oder Vermerke bei
der Bilanzaufstellung dokumentiert hat. Diese - wohl als Billigkeitsmaßnahme
zu charakterisierende - Möglichkeit zur Bilanzberichtigung setzt allerdings
nicht nur voraus, dass die gegenteilige Rechtsauffassung des
Steuerpflichtigen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt
wird, sondern auch, dass sich aufgrund dieser Rechtsprechung die
Verwaltungsmeinung geändert hat. Eine darauf gestützte Bilanzberichtigung
kommt also nur in Betracht, wenn das BFH-Urteil im Bundessteuerblatt
veröffentlicht und nicht mit einem "Nichtanwendungserlass" des BMF belegt
ist.
34
Keine dezidierte Stellungnahme der
Finanzverwaltung findet sich zu der Frage, inwiefern diese sich selbst an
eine der Bilanz zu Grunde liegende Rechtsauffassung zu einer ungeklärten
Rechtsfrage gebunden sieht, die sich zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung im
Bereich des subjektiv "Richtigen" befand und deren Fehlerhaftigkeit sich
erst nachträglich erwiesen hat. Im Streitfall hat das FA in der
Revisionserwiderung die - nach Auffassung des Senats unzutreffende - Ansicht
vertreten, das Unterlassen der Bildung des aktiven RAP durch die Klägerin
sei zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung nicht vertretbar und damit auch
subjektiv falsch gewesen.
35
3. Sonstige Stellungnahmen zum subjektiven
Fehlerbegriff
36
a) Für die Handelsbilanz wird der
subjektive Fehlerbegriff als Ausprägung der GoB im Schrifttum grundsätzlich
anerkannt (vgl. Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer - IDW -
vom 12. April 2007, Tz. 14, Fachnachrichten IDW 2007, 265, 267;
Adler/Düring/Schmaltz, a.a.O., AktG § 172 Rz 43; Ellrott/ Schubert in
Beck'scher Bilanz-Kommentar, a.a.O., § 253 HGB Rz 805; Welf Müller in
Westermann u.a., Festschrift Quack, 1991, S. 359, 367; Schön in Canaris
u.a., 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. II, S. 153, 155 f.;
Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335). Unterschiedliche Auffassungen bestehen zu
der Frage, ob die Erkenntnismöglichkeiten des gewissenhaften und
pflichtgemäß handelnden Kaufmanns zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung oder
zum Zeitpunkt der Feststellung der Bilanz maßgeblich sein sollen (zum
Diskussionsstand Küting/Kaiser, Die Wirtschaftsprüfung 2000, 577). Im
Hinblick auf die Beurteilung von Rechtsfragen wird diskutiert, ob auch für
diejenigen Rechtsfragen, die sich auf die Bilanzierung selbst beziehen, der
subjektive Maßstab gelten soll oder nur für solche, deren Beantwortung
lediglich für die Erfassung des für die Bilanzierung maßgeblichen
Sachverhalts erforderlich ist (in letzterem Sinne Schulze-Osterloh, BB 2007,
2335, 2336).
37
b) Für die Steuerbilanz ist die Literatur
der BFH-Rechtsprechung zum subjektiven Fehlerbegriff teilweise gefolgt (vgl.
Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 434 ff.; Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 4 Rz 235
f.; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 531 ff.; Wied in
Blümich, a.a.O., § 4 EStG Rz 983; Strahl in Korn, Einkommensteuergesetz, § 4
Rz 421; Heinicke in Schmidt, a.a.O., § 4 Rz 681; Ellrott/Schubert in
Beck'scher Bilanz-Kommentar, a.a.O., § 253 HGB Rz 805).
38
Andere lehnen die Rechtsprechung
grundsätzlich ab (Günther, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1963,
63; Sauer, StBp 1977, 173, 175; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
a.a.O., § 4 Rz C 106 ff.; Stapperfend in Herrmann/Heuer/ Raupach, a.a.O., §
4 Rz 411; Kühnen in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 4 Rz 1040, 1046; Meurer in
Lademann, Einkommensteuergesetz, § 4 EStG Rz 815; Tetzlaff/Schallock, StBp
2007, 148, 150; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 17 Rz 37;
Flume, DB 1981, 2505, 2507; vgl. auch Knobbe-Keuk, Bilanz- und
Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 3 V a.E.). Sie entnehmen dem Wortlaut
des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ausschließlich objektive Merkmale und sehen die
Funktion der Steuerbilanz als Mittel zur Gewinnermittlung und damit zur
gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung nur auf der Grundlage von
objektiv richtigen Ansätzen als gewährleistet an.
39
Ein Teil des Schrifttums zieht die
Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs zumindest auf die Beurteilung
ungeklärter Rechtsfragen in Zweifel (vgl. Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304,
306 ff.; Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2504 ff.; Prinz/Schulz, DStR 2007, 776,
778 f.; Vliegen, Die Steuerberatung 2007, 111, 115 f.; i.E. auch Strahl in
Korn, a.a.O., § 4 Rz 421.2; a.A. - der bisherigen Rechtsprechung zustimmend
- Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 437 f.; Hoffmann, Der GmbH-Steuer-Berater 2008,
58, 59). Schulze-Osterloh (BB 2007, 2335, 2336) differenziert noch weiter
und nimmt entsprechend der von ihm zur Handelsbilanz vertretenen Auffassung
nur die Beurteilung jener Rechtsfragen vom subjektiven Maßstab aus, die sich
auf die Bilanzierung beziehen - insbesondere die Grundsätze ordnungsmäßiger
Buchführung -, nicht aber solche, deren Beantwortung lediglich für die
Erfassung des für die Bilanzierung maßgeblichen Sachverhalts erforderlich
ist.
40
c) Mit einer aus dem subjektiven
Fehlerbegriff ggf. zu entnehmenden Bindung auch der Finanzverwaltung an die
der Bilanzierung zugrunde liegende Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen
befasst sich die Literatur nicht eingehend. Teilweise wird der
Rechtsprechung - nämlich dem Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007,
818 - eine solche Bindung entnommen (Rödder/ Hageböke, Die
Unternehmensbesteuerung - Ubg - 2008, 401, 406; vgl. auch
Tetzlaff/Schallock, StBp 2007, 148, 151); teilweise wird sie als "zu
weitgehend" (Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2506) bzw. unter Hinweis auf die
Gesetzesbindung der Finanzverwaltung nach § 85 der Abgabenordnung - AO -
(Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335, 2336) abgelehnt (vgl. auch Buciek in
Blümich, a.a.O., § 5 Rz 219, und in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung
2008, 1224 sowie Kühnen in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 4 Rz 1040, die
unterschiedliche Fehlerbegriffe im Rahmen von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
einerseits und im Rahmen von § 5 Abs. 1 EStG andererseits in Erwägung
ziehen).
41
4. Stellungnahme des vorlegenden Senats
42
Der Senat hält es für vorzugswürdig, den
subjektiven Fehlerbegriff nicht auf die Beurteilung bilanzrechtlicher
Rechtsfragen zu erstrecken.
43
a) Vorausgeschickt sei, dass der Senat sich
weiterhin dafür ausspricht, die Bindungswirkung der vom Steuerpflichtigen
erstellten Bilanz für die Finanzverwaltung nach den gleichen Maßstäben zu
beurteilen, wie sie für die "Richtigkeit" der Bilanz im Rahmen des § 4 Abs.
2 Satz 1 EStG gelten. Das FA sollte an die vom Steuerpflichtigen im Rahmen
der GoB zulässigerweise gebildeten Bilanzansätze gebunden bleiben
(Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818). Würde man es anders
sehen und z.B. eine Bindung des FA nur an die objektiv richtigen
Bilanzansätze bejahen, während für § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG weiterhin
uneingeschränkt der subjektive Fehlerbegriff beibehalten würde, wäre § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG weitgehend sinnentleert. Denn das FA müsste auch
unabhängig von der Vornahme einer Bilanzberichtigung durch den
Steuerpflichtigen stets die objektiv "richtigen" Ansätze zugrunde legen und
- zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen - von der Bilanz
abweichen, auch soweit diese zum Aufstellungszeitpunkt subjektiv richtig
gewesen sein mögen und vom Steuerpflichtigen selbst deshalb nicht mehr
geändert werden könnten. Ein Gleichlauf zwischen der Bindungswirkung der
Bilanz für den Steuerpflichtigen einerseits und für die Finanzverwaltung
andererseits wäre demgegenüber systemgerecht und ist deshalb vorzugswürdig.
44
b) Auch besteht aus Sicht des Senats keine
Notwendigkeit, den subjektiven Fehlerbegriff ganz aufzugeben. Für die
Beurteilung der für die Bilanzierung maßgeblichen tatsächlichen Umstände
kann vielmehr weiterhin auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des
ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns zum Aufstellungszeitpunkt
abgestellt werden. Dieser Sichtweise kommt in gewisser Hinsicht eine
Befriedungsfunktion zu. Sie verhindert einerseits, dass der Steuerpflichtige
seine ursprünglichen Einschätzungen in Bezug auf für die Bilanzierung
erforderliche Prognosen, Schätzungen oder Beurteilungen von hypothetischen
Kausalverläufen nachträglich - je nach Opportunität - revidieren kann.
Andererseits bewahrt sie den Steuerpflichtigen davor, dass die
Finanzverwaltung durch nachträgliche Ermittlungen versucht, die
Tatsachengrundlage der Bilanz zu erschüttern (z.B. in Bezug darauf, ob der
Schuldner einer wegen fehlender Bonität ausgebuchten Forderung am
Bilanzstichtag nicht doch noch über dem Bilanzierenden verborgen gebliebenes
Vermögen verfügt hat). Durch den mit dem Gesetz zur Durchführung der
Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen
Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts
(Bilanzrichtliniengesetz) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355)
normierten Grundsatz, wonach im Jahresabschluss alle "vorhersehbaren"
Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu
berücksichtigen sind, auch wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag
und dem Tag der Aufstellung bekannt geworden sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB),
hat der subjektive Fehlerbegriff überdies zumindest ansatzweise Eingang in
das positive Gesetzesrecht gefunden (Schön in Canaris u.a., a.a.O., S. 153,
155 f.; Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335, 2336). Auch kommen die Gegner des
subjektiven Fehlerbegriffs durch die Einräumung großzügiger
Beurteilungsspielräume und Entscheidungsprärogativen (vgl. Weber-Grellet in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rz C 112; Stapperfend in
Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 4 EStG Rz 411) faktisch ebenfalls zu einer
Einschränkung der Fehlertatbestände, so dass sich in der Praxis vielfach
keine wesentlich unterschiedlichen Ergebnisse ergeben dürften (vgl.
Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304, 306; Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2503).
45
c) In Bezug auf die Beurteilung
bilanzrechtlicher Fragen hält der Senat indes ein Abstellen auf die
Erkenntnismöglichkeiten des Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung aus mehreren Gründen nicht für sachgerecht.
46
aa) Ein subjektiver Maßstab in Bezug auf
Rechtsfragen ist dem Verfahren der steuerlichen Gewinnermittlung prinzipiell
fremd. Hinsichtlich aller anderen Rechtsfragen, die sich außerhalb der
Feststellung des Bilanzgewinns im Rahmen der Gewinnermittlung stellen, ist
allein die tatsächlich bestehende objektive Rechtslage maßgeblich und sind
deshalb weder Steuerpflichtiger noch Finanzverwaltung an eine zum Zeitpunkt
der Bilanzaufstellung vertretbar erscheinende der Steuererklärung zugrunde
liegende Rechtsauffassung gebunden. Das gilt auch für Rechtsfragen, die -
auch wenn sie die Bilanzansätze an sich nicht berühren - mit
Bilanzierungsfragen in Zusammenhang stehen können, wie beispielsweise solche
in Zusammenhang mit der Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben, mit der
Erfassung von Übernahmegewinnen gemäß § 12 Abs. 2 des
Umwandlungssteuergesetzes 1995 (vgl. zu beidem das Senatsurteil in BFHE 220,
361, BStBl II 2008, 669) oder mit verdeckten Gewinnausschüttungen i.S. von §
8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1996. Ein überzeugender Grund dafür, unterschiedliche
Beurteilungsmaßstäbe anzusetzen, je nach dem ob sich ein gewinnrelevanter
Vorgang innerhalb oder außerhalb der Bilanz vollzieht, besteht nicht.
47
bb) Der Sache nach besteht bei Anerkennung
einer subjektiven Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Beantwortung
ungeklärter Bilanzierungsfragen eine wahlrechtsähnliche Situation; der
Steuerpflichtige kann sich für eine von mehreren vertretbaren
Rechtspositionen entscheiden (vgl. Senatsurteil in BFHE 222, 418, BStBl II
2008, 924). Das führt zwangsläufig dazu, dass der Steuerpflichtige bzw.
dessen Berater bemüht sein müssen, bei allen streitigen bzw.
streitrelevanten Bilanzierungsfragen schon bei Aufstellung der Bilanz
jeweils bis an die Grenze des kaufmännisch gerade noch Vertretbaren zu gehen
(vgl. die Empfehlungen von Rödder/Hageböke, Ubg 2008, 401, 405), um sich die
Möglichkeit zu erhalten, von einer künftigen höchstrichterlichen
Entscheidung zu der Bilanzierungsfrage - so sie zugunsten des
Steuerpflichtigen entschieden wird - zu profitieren. Diese Situation erhöht
das Konfliktpotential zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung im
Veranlagungs- und Betriebsprüfungsverfahren und kann auch für den
Steuerpflichtigen von Nachteil sein. Denn diese Vorgehensweise steigert das
Risiko späterer Steuernachforderungen mit - nicht abzugsfähigen -
Nachforderungszinsen gemäß § 233a AO (vgl. Werra/Rieß, DB 2007, 2502); der
bisherigen pragmatischen Praxis, die Steuerbilanz zunächst auf der Grundlage
der Verwaltungsauffassung zu erstellen und eine rechtliche Klärung erst im
Rahmen der Betriebsprüfung bzw. des sich anschließenden
Rechtsbehelfsverfahrens zu suchen (dazu Werra/Rieß, DB 2007, 2502;
Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304, 307; Rödder/ Hageböke, Ubg 2008, 401, 407),
wird auf diese Weise die Grundlage entzogen. Eine solche Entwicklung sollte
die Rechtsprechung nicht fördern.
48
cc) Überdies erscheint die
wahlrechtsähnliche Situation in Bezug auf die Beurteilung von Rechtsfragen
unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit nicht unproblematisch. Denn wenn nicht die objektive
Rechtslage, sondern der vom Steuerpflichtigen konkret gewählte Bilanzansatz
für die Gewinnermittlung maßgeblich ist, kann dies zu einer
unterschiedlichen Besteuerung wirtschaftlich vergleichbarer Sachverhalte nur
aufgrund von bilanztechnischen Entscheidungen der Steuerpflichtigen führen.
49
dd) Ein entscheidender Nachteil der
Erstreckung des subjektiven Fehlerbegriffs auf die Beurteilung
bilanzrechtlicher Zweifelsfragen liegt aus Sicht des Senats darin, dass sie
bei konsequenter Befolgung im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigem und
Finanzverwaltung zu einer Waffenungleichheit zu Lasten der Finanzverwaltung
führt und einer ausgewogenen Rechtsfortbildung im Bilanzsteuerrecht
hinderlich ist.
50
Denn der Steuerpflichtige könnte auf dieser
Grundlage bei ungeklärter Rechtslage durch die Entscheidung für einen (ggf.
gerade noch) vertretbaren Bilanzansatz ein Faktum schaffen, an das die
Finanzverwaltung und die Gerichte in dem betreffenden Steuerverfahren in
einer Weise gebunden wären, dass die materiell-rechtliche Richtigkeit des
Bilanzansatzes nicht mehr entscheidungserheblich wäre. Das FA hätte dann
nämlich in Bezug auf den Bilanzansatz zunächst nur zu prüfen, ob dieser sich
noch im Rahmen des vertretbaren Meinungsspektrums befindet; ist das der
Fall, besteht in dem betreffenden Verfahren kein Anlass mehr, sich überhaupt
noch mit der objektiven materiellen Rechtslage zu befassen. In gleicher
Weise müsste das FG verfahren. Käme dieses zu dem Ergebnis, dass die der
Bilanzierung zugrunde liegende Rechtsauffassung aus der Sicht des
Bilanzstichtags oder des Zeitpunkts der Bilanzaufstellung noch vertretbar
ist, wäre die objektive Rechtslage aus seiner Sicht nicht
entscheidungserheblich. Eine Klärung der materiell-rechtlichen Streitfrage
könnte das FA somit nur dadurch herbeizuführen versuchen, dass es einen auf
seiner eigenen materiellen Rechtsauffassung beruhenden - und damit
fehlerhaften - Steuerbescheid erlässt und darauf hofft, dass das FG oder
ggf. der BFH die Revision trotz Fehlens der dafür erforderlichen
Voraussetzungen zulassen und der BFH sodann per obiter dictum die
bilanzrechtliche Streitfrage klärt. Der Erfolg der Finanzverwaltung bestünde
in diesem Fall aber auch nur darin, dass sie ihre Rechtsauffassung - falls
sie vom BFH bestätigt wird - hinsichtlich der zeitlich nach Ergehen der
abschließenden BFH-Entscheidung aufgestellten Bilanzen zur Geltung bringen
könnte.
51
Auch hätte die Finanzverwaltung keine
Handhabe dafür, eine bisher allseits akzeptierte Bilanzierungspraxis infrage
zu stellen oder eine neue bilanzrechtliche Rechtsfrage aufzuwerfen und
gerichtlich klären zu lassen. Denn in jedem Fall könnte sich der
Steuerpflichtige auf die bisher anerkannte Praxis und die damit gegebene
subjektive Richtigkeit des betreffenden Bilanzansatzes berufen. Der
Finanzverwaltung wäre es mithin verwehrt, neue bilanzrechtliche
Vorstellungen zur gerichtlichen Prüfung zu stellen. Initiativen zur
Fortentwicklung des Bilanzrechts könnten nur von den Steuerpflichtigen
ausgehen.
52
ee) Schließlich ist zu bedenken, dass
Steuerbescheide und Gerichtsurteile, die bilanzrechtliche Fragen anhand der
objektiven Rechtslage beurteilen, regelmäßig auf eine größere Akzeptanz
stoßen würden. Es ist einerseits dem Bilanzierenden, der sich bei der
Bilanzaufstellung z.B. an eine damalige Bilanzierungspraxis oder
Verwaltungsauffassung gehalten hat, nur schwer vermittelbar, dass er -
obwohl die Veranlagung noch "offen" ist - von einer zwischenzeitlich
ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung zugunsten der Steuerpflichtigen
nicht soll profitieren können. Im umgekehrten Fall ist es der Allgemeinheit
gegenüber schwer zu rechtfertigen, trotz grundsätzlicher Änderbarkeit der
Steuerfestsetzung einen Bilanzansatz anzuerkennen, der sich zwischenzeitlich
als rechtlich unzutreffend herausgestellt hat. Ein Gleichlauf zwischen der
Änderbarkeit der Steuerfestsetzung einerseits und der Bilanzansätze
andererseits würde demgegenüber zu in sich konsistenteren und deshalb
überzeugungskräftigeren Ergebnissen führen.
53
d) Bei der Entscheidung über die
Vorlagefrage zu bedenken ist allerdings, dass - jedenfalls nach Auffassung
des vorlegenden Senats - auf der Grundlage der vorstehenden Argumentation
der subjektive Maßstab in Bezug auf die Beurteilung von Rechtsfragen nicht
nur dann nicht zur Anwendung kommen dürfte, wenn es - wie in dem der Vorlage
zugrunde liegenden Sachverhalt - um die Beurteilung von noch ungeklärten
Rechtsfragen geht. Vielmehr könnte nach diesen Erwägungen auch in den Fällen
nicht mehr auf den subjektiven Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung abgestellt werden, in denen die Bilanz auf der Basis einer
bislang von der BFH-Rechtsprechung gebilligten Bilanzierungspraxis bzw.
Verwaltungsauffassung aufgestellt worden ist und der BFH diese
Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ändert (so der
Sachverhalt des BFH-Urteils in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392). Der
vorlegende Senat ist indes der Auffassung, dass diese Konsequenz kein
triftiger Grund ist, von der vorgeschlagenen Aufgabe des subjektiven
Fehlerbegriffs für die Beurteilung bilanzrechtlicher Fragen abzusehen, zumal
die Änderung einer bisher von der Verwaltung angewendeten
höchstrichterlichen Rechtsprechung nach der Vertrauensschutzregel des § 176
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids
nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf.
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