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BFH-Urteil vom 21.10.2009 (I R 114/08) BStBl.
2010
II S. 774
Schlussurteil "Columbus Container Services": § 20 Abs. 2 und 3 i.V.m. §§ 7
ff. AStG a.F. verstößt gegen Gemeinschaftsrecht
1.
Die sog. Umschaltklauseln des § 20 Abs. 2 und 3 AStG i.d.F. des
Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.Dezember 1993
setzen die fiktive Steuerpflicht der Betriebsstätteneinkünfte nach Maßgabe
der §§ 7 ff. AStG voraus. Eine solche ist nicht gegeben, soweit eine
Besteuerung nach §§ 7 ff. AStG gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgten
Grundfreiheiten verstößt.
2.
Die §§ 7 ff. AStG i.d.F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und
Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.Dezember 1993 verstoßen gegen die in Art.
43 EG garantierte Niederlassungsfreiheit (Anschluss an die Urteile des EuGH
vom 6.
Dezember 2007 C-298/05 "Columbus Container Services", Slg. 2007, I-10451,
und vom 12. September 2006 C-196/04 "Cadbury Schweppes", Slg. 2006, I-7995).
AStG i.d.F. des StMBG §§ 7 ff., § 20; AStG
i.d.F. des JStG 2008 § 8 Abs. 2, § 20 Abs. 2; EG Art. 43, Art. 48;
DBA-Belgien Art. 7 Abs. 1, Art. 22 Abs. 2, Art. 23 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 Satz
1.
Vorinstanz: FG Münster vom 11. November
2008 15 K 1114/99F,EW (EFG 2009, 309)
Sachverhalt
I.
1
Es handelt sich um jenes
Klageverfahren, das dem Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG)
Münster an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 5.
Juli 2005 15 K 1114/99F,EW (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005,
1512) sowie dem anschließenden Urteil des EuGH vom 6. Dezember 2007 C-298/05
"Columbus Container Services" (Slg. 2007, I-10451) zugrunde lag:
2
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kommanditgesellschaft ("Commanditaire
Vennotschap") belgischen Rechts (BVBA & Co CV) mit Sitz in Belgien. Sie
wurde im Streitjahr 1996 von der belgischen Steuerverwaltung als ein
Koordinationszentrum im Sinne der Königlichen Verordnung Nr. 187 behandelt.
3
Gesellschafter der Klägerin
waren im Streitjahr acht in Deutschland ansässige Angehörige derselben
Familie mit einem Anteil von jeweils 10 v.H. und eine deutsche
Personengesellschaft, deren Anteile ebenfalls Mitgliedern dieser Familie
gehörten, mit 20 v.H. In der Gesellschafterversammlung wurden alle
Anteilsinhaber durch dieselbe Person vertreten.
4
Die Klägerin gehört zu einer
Unternehmensgruppe. Ihr Gesellschaftszweck war im Streitjahr die
Koordinierung der Aktivitäten dieser Gruppe, u.a. die Zentralisierung der
finanziellen Transaktionen und der Buchführung, die Finanzierung der
Liquidität der Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen, die
elektronische Datenverarbeitung sowie Werbe- und Marketingaktivitäten. Ihre
wirtschaftliche Tätigkeit bestand im Wesentlichen in der Verwaltung von
Kapitalanlagen i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2 des Gesetzes über die Besteuerung
bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) i.d.F. des
Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21.
Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) - AStG a.F. -. Durch
diese Verwaltungstätigkeit erzielte sie im Streitjahr Einkünfte aus
Gewerbebetrieb sowie sonstige Einkünfte.
5
Die belgische
Steuerverwaltung besteuerte den von der Klägerin tatsächlich erzielten
Gewinn im Streitjahr zu dem für Koordinationszentren geltenden Steuersatz,
der sich konkret auf weniger als 30 v.H. belief.
6
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte die Einkünfte der als
Kapitalanlagegesellschaft i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG a.F. behandelten
Klägerin auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 AStG a.F. gesondert und
einheitlich fest. Er qualifizierte dabei die sonstigen Einkünfte der
Klägerin als steuerfrei, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegend. Die
Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezog das FA - unter Anrechnung der darauf in
Belgien erhobenen Steuer - in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein.
Zugleich stellte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1.
Januar 1996 fest und bezog dabei das Vermögen der Klägerin nach Maßgabe von
§ 20 Abs. 3 AStG a.F. ein.
7
Auf die dagegen erhobene
Klage richtete das FG Münster durch seinen Beschluss in EFG 2005, 1512 gemäß
Art. 234 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(EGV) i.d.F. des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die
Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften
(EG), sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr.C-340, 1) an den EuGH die folgende
Rechtsfrage:
8
"Widerspricht es den
Bestimmungen in Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, und in Art. 73b bis 73d EGV,
jetzt Art. 56 bis 58 EG, wenn die Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG
(a.F.) die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter in der ausländischen
Betriebsstätte eines im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen, die als
Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären, falls die Betriebsstätte eine
ausländische Gesellschaft wäre, entgegen dem Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem
Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der
Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. (April) 1967 (DBA-Belgien) nicht
durch Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung, sondern
durch Anrechnung der auf die Einkünfte erhobenen ausländischen Ertragsteuer
von der Doppelbesteuerung befreien?"
9
Durch Urteil in Slg. 2007,
I-10451 entschied der EuGH auf dieses Ersuchen:
10
"Die Art. 43 EG und 56 EG
sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats
nicht entgegenstehen, wonach die Einkünfte einer im Inland ansässigen Person
aus Kapitalanlagen in einer Niederlassung mit Sitz in einem anderen
Mitgliedstaat ungeachtet eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem
Mitgliedstaat des Sitzes dieser Niederlassung nicht von der inländischen
Einkommensteuer freigestellt sind, sondern unter Anrechnung der im anderen
Mitgliedstaat erhobenen Steuer der inländischen Besteuerung unterliegen."
11
Die daraufhin fortgeführte
Klage wurde vom FG Münster als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 11.
November 2008 15 K 1114/99F,EW, EFG 2009, 309).
12
Ihre Revision stützt die
Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts.
13
Sie beantragt sinngemäß, das
FG-Urteil sowie den Bescheid über die Einheitswertfeststellung auf den 1.
Januar 1996 aufzuheben und den Bescheid über die einheitliche und gesonderte
Gewinnfeststellung für 1996 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus der
belgischen Betriebsstätte von...DM (...DM Einkünfte aus Gewerbebetrieb
und...DM sonstige Einkünfte) lediglich dem Progressionsvorbehalt unterworfen
werden, hilfsweise, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG) auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der
Frage einzuholen, ob § 20 AStG a.F. aufgrund der Verletzung von Art. 20 Abs.
3 GG bzw. Art. 25 GG verfassungswidrig ist.
14
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
15
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und zu anderweitigen Steuerfeststellungen. Das
FG hat die Einkünfte und das Vermögen der Klägerin zu Unrecht im Inland als
steuerpflichtig angesehen.
16
1. Bei der Klägerin handelt es sich aus
deutscher Sicht um eine Personengesellschaft mit Einkünften aus
Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 Nr.
1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Die an ihr beteiligten, im Inland
ansässigen und deswegen hier mit ihren (gesamten) Einkünften (sog.
Welteinkommensprinzip) unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen (vgl. § 1
Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG) Gesellschafter, denen durch die
Gesellschaft in Belgien jeweils eine Betriebsstätte vermittelt wird
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteile vom 17. Oktober 2007 I R
5/06, BFHE 219, 518, BStBl II 2009, 356; vom 13. Februar 2008 I R 63/06,
BFHE 220, 415, BStBl II 2009, 414, jeweils m.w.N.), erzielen mit ihren
Gewinnanteilen infolgedessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Um doppelte
Besteuerungen in Deutschland als Wohnsitzstaat und in Belgien als
Betriebsstättenstaat zu vermeiden, haben sich beide Staaten jedoch
abkommensrechtlich und völkerrechtlich verbindlich darauf verständigt, das
Besteuerungsrecht für die in Belgien erwirtschafteten und den Anteilseignern
zuzurechnenden Gewinne gemäß Art. 7 Abs. 1 DBA-Belgien Belgien zuzuweisen.
In Deutschland sind diese Gewinne nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
DBA-Belgien von der Steuer befreit. Gleichermaßen verhält es sich nach Art.
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 2 DBA-Belgien mit jenem
beweglichen Vermögen, das Betriebsvermögen der in Belgien belegenen
Betriebsstätten der unbeschränkt vermögensteuerpflichtigen Gesellschafter
(vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes) darstellt.
17
2. Allerdings bestimmt § 20 Abs. 1 i.V.m.
Abs. 2 AStG a.F., dass abweichend von dieser Abkommenslage die
Doppelbesteuerung von Einkünften mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 10
Abs. 6 Satz 2 AStG a.F., die in der ausländischen Betriebsstätte eines
unbeschränkt Steuerpflichtigen anfallen, nicht durch Freistellung, sondern
durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern zu
vermeiden ist. Voraussetzung dafür ist, dass die betreffenden Einkünfte als
Zwischeneinkünfte nach §§ 7 bis 18 AStG a.F. steuerpflichtig wären, falls
die Betriebsstätte eine ausländische Gesellschaft wäre. Gleiches gilt für
diese Fälle des § 20 Abs. 2 AStG a.F. im Hinblick auf das Vermögen, das
Einkünften mit Kapitalanlagecharakter i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG a.F.
mit Ausnahme der Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 10 Abs.
Satz 3 AStG a.F. zugrunde liegt; auch insoweit ist die Doppelbesteuerung
nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf dieses Vermögen
erhobenen ausländischen Steuern zu vermeiden (§ 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AStG
a.F.).
18
3. Voraussetzung für den Wechsel der
Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Freistellung zur
Anrechnung ist nach der beschriebenen Regelungslage also eine fiktive
Steuerpflicht jener Einkünfte nach Maßgabe der §§ 7 ff. AStG a.F. Danach
gilt Folgendes:
19
a) Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an
einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) beteiligt, die weder Geschäftsleitung noch
Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1
KStG von der Körperschaftsteuer ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft),
i.S. von § 7 Abs. 2 AStG a.F. zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die
Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem
von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende
Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt (§ 7 Abs. 1 AStG a.F.).
Zu mehr als der Hälfte beteiligt sind unbeschränkt Steuerpflichtige i.S. von
§ 7 Abs. 1 AStG a.F. an einer ausländischen Gesellschaft, wenn ihnen allein
am Ende des Wirtschaftsjahrs der Gesellschaft, in dem sie die Einkünfte nach
§ 7 Abs. 1 AStG a.F. bezogen hat (maßgebendes Wirtschaftsjahr), mehr als 50
v.H. der Anteile oder Stimmrechte an der ausländischen Gesellschaft
zuzurechnen sind (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F.). Eine ausländische
Gesellschaft ist i.S. von § 7 Abs. 1 AStG a.F. Zwischengesellschaft für
Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung (durch eine Ertragsteuerbelastung
von weniger als 30 v.H., § 8 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F.) unterliegen und nicht
aus jenen Einkünften stammen, die in § 8 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 AStG a.F.
aufgelistet sind (§ 8 Abs. 1 erster Halbsatz AStG a.F.). Die hiernach
steuerpflichtigen Einkünfte sind bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen mit
dem Betrag, der sich nach Abzug der Steuern ergibt, die zu Lasten der
ausländischen Gesellschaft von diesen Einkünften sowie von dem diesen
Einkünften zugrunde liegenden Vermögen erhoben worden sind, anzusetzen
(Hinzurechnungsbetrag, § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F.). Der
Hinzurechnungsbetrag gehört zu den Einkünften i.S. des § 20 Abs. 1 Ziff. 1
EStG und gilt unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahrs der
ausländischen Gesellschaft als zugeflossen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F.).
Auf den Hinzurechnungsbetrag sind die Bestimmungen der Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht anzuwenden, soweit im
Hinzurechnungsbetrag im Rahmen bestimmter Voraussetzungen und Höchstbeträge
Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2
AStG a.F. enthalten sind (§ 10 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 AStG a.F.).
20
b) Es ist im Streitfall nicht kontrovers,
dass die Klägerin die Voraussetzungen dieser Regelungslagen erfüllt: Ihre
Gesellschafter waren im Streitjahr im Inland wohnhafte und deswegen
unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen und zusammen - jeweils
allein oder im Verbund über eine Personengesellschaft - zu mehr als der
Hälfte an der Klägerin beteiligt. Die Klägerin ging sog. passiven
Tätigkeiten mit Kapitalanlagecharakter i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 1 AStG a.F.
nach, welche nicht unter den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG a.F. fielen. Sie
wurde in Belgien überdies niedrig i.S. von § 8 Abs. 2 und 3 AStG a.F.
besteuert. Schließlich wurde sie sowohl nach belgischem als auch nach dem
insoweit maßgeblichen deutschen Steuerrecht als (transparente)
Personengesellschaft behandelt, was bedingt, dass sie ihren Gesellschaftern
Betriebsstätten i.S. von Art. 5 DBA-Belgien, § 12 der Abgabenordnung (AO)
vermittelte. Konsequenz dieses Sachverhalts ist, dass die Einkünfte der
Klägerin aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) in Deutschland
entsprechende Hinzurechnungsbeträge auslösen, die unter Anrechnung der
darauf entfallenden belgischen Ertragssteuern in die deutsche Besteuerung
und damit in den für das Streitjahr nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO
gesondert und einheitlich festzustellenden Gewinn der Klägerin ebenso wie in
den nach § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO festzustellenden Einheitswert auf den 1.
Januar 1996 einzubeziehen sind. Die zwischen Deutschland und Belgien nach
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 DBA-Belgien
vereinbarte Freistellung der (Betriebsstätten-)Einkünfte ist wegen der
gegenläufigen gesetzlichen Anordnung in § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. nicht zu
gewähren. Darüber besteht im Grundsatz kein Zweifel und unter den
Beteiligten auch kein Streit.
21
4. Die Klägerin meint allerdings, es
verstoße gegen Gemeinschaftsrecht, dass ihr die abkommensrechtliche
Freistellung versagt werde. Dem ist im Ergebnis beizupflichten.
22
a) Die Hinzurechnung von Einkunftsteilen
ausländischer Zwischengesellschaften nach Maßgabe von §§ 7 ff. AStG a.F.
bezweckt die Abschöpfung sog. passiver Einkünfte im niedrig besteuernden
Ausland und dient als solche einer typisierten Missbrauchsabwehr. § 20 Abs.
2 und 3 AStG a.F. zielt darauf ab, die Rechtswirkungen dieser
Missbrauchsabwehr für jene Fälle zu sichern, dass im niedrig besteuernden
Ausland Betriebsstätten statt Kapitalgesellschaften zwischengeschaltet
werden. § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. stellt so gesehen also seinerseits eine
Missbrauchsvermeidungsnorm dar; die Vorschrift soll verhindern, dass die
(primäre) Missbrauchsabwehr durch §§ 7 ff. AStG a.F. bei ansonsten
gleichgelagerten Gegebenheiten "umgangen" wird (dazu Wassermeyer/Schönfeld
in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 20 AStG Rz 31, Rz 151.7).
Zu diesem Zweck bestimmt § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. unilateral eine
Abweichung von der abkommensrechtlich (hier auch mit Belgien) vereinbarten
Freistellung der betreffenden Kapitaleinkünfte; an die Stelle der
Freistellung tritt die Einbeziehung der Einkunftsteile unter Anrechnung der
ausländischen Steuern.
23
Der EuGH hat mit Urteil in Slg. 2007,
I-10451 entschieden, dass diese sog. Umschaltung ("Switch over") von der
einen in die andere Methode zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung aus
gemeinschaftsrechtlicher Sicht keine Bedenken aufwirft. Letztlich zielten
sowohl die Freistellungs- als auch die Anrechnungsmethode gleichermaßen
darauf ab, eine Doppelbesteuerung der in Rede stehenden Einkünfte zu
verhindern. Es liege keine Ungleichbehandlung des gebietsfremden gegenüber
dem gebietsansässigen Marktteilnehmer vor, weil gerade aufgrund der
Umschaltklausel im Inland beide gleichbehandelt werden.
24
b) In Reaktion auf dieses Urteil des EuGH
wird in weiten Teilen des Schrifttums jedoch vertreten, dass dadurch die
gemeinschaftsrechtliche Problematik nicht erschöpft sei (vgl. z.B.
Haun/Käshammer/Reiser, GmbH-Rundschau - GmbHR - 2007, 184, 188;
Rainer/Müller, Internationales Steuerrecht - IStR - 2007, 151;
Köhler/Eicker, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2007, 331, 334;
Kaminski/Strunk/Haase, IStR 2007, 726; Lieber, IStR 2009, 35; Prokopf in
Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 20 AStG Rz99; Vogt in Blümich, EStG,
KStG, GewStG, § 20 AStG Rz 26f.; Thömmes, Internationale Wirtschaftsbriefe -
IWB -, Fach 11A, 1169, 1171; Hammerschmitt/Rehfeld, IWB, Fach 3, Gruppe1,
2293, 2303; Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den
Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2008, S.465ff.; Köhler/Haun, Die
Unternehmensbesteuerung 2008, 73, 86; Wassermeyer/Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 20 AStG Rz 151.5ff., letztere auch
unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF -
vom 8. Januar 2007, BStBl I 2007, 99; anders Brombach-Krüger,
Betriebs-Berater - BB - 2009, 924; im Ergebnis unklar Goebel/
Jacobs/Schmidt, Deutsche Steuer-Zeitung 2009, 185, 186; Kraft, AStG, § 20 Rz
75 a.E.). Der EuGH habe lediglich jene Vorlagefrage beantwortet, welche ihm
zur Vorabentscheidung gestellt worden sei. Er habe jedoch nicht darüber
befunden, ob die Hinzurechnung der Auslandseinkünfte nach §§ 7 ff. AStG a.F.
als solche europäisches Primärrecht verletze. Das aber sei, wie sich aus dem
(dem EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-10451 vorangegangenen) Urteil des EuGH vom
12. September 2006 C-196/04 "Cadbury Schweppes" (Slg. 2006, I-7995) ergebe,
der Fall. Denn danach sei im Lichte der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48
EG) von der Anwendung einer Norm, die der "Bekämpfung missbräuchlicher
Praktiken" dient, abzusehen, "wenn es sich auf der Grundlage objektiver und
von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweist, dass die genannte
beherrschte Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven
steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat angesiedelt ist und
dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht" (EuGH, daselbst, Rz
75; s. auch Rz 51 ff.). Die hiernach bei typisierten
Missbrauchsvermeidungsvorschriften erforderliche Möglichkeit eines
Gegenbeweises ("Motivtest") im Einzelfall fehle bei §§ 7 ff. AStG a.F., was
wiederum auf § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. durchschlage, weil genau jene
Situation, die die Hinzurechnung auslöse, Grund für den dort angeordneten
Wechsel in der Methode der Doppelbesteuerungsvermeidung sei. Die -
unterstellte - Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der §§ 7 ff. AStG a.F. wirke
sich sonach mittelbar auf die Umschaltklausel aus.
25
c) Dieser Auffassung schließt sich der
Senat an.
26
aa) Die in §§ 7 ff. AStG a.F.
vorausgesetzte Typisierung eines gestaltungsmissbräuchlichen Verhaltens
widerspricht den Anforderungen der gemeinschaftsrechtlich verbürgten
Niederlassungsfreiheit (Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG), weil sie dem
Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall
vorenthält (s. zu diesem Erfordernis auch Senatsurteil vom 29. Januar 2008 I
R 85/06, BFHE 220, 398, BStBl II 2008, 671, m.w.N.). Diese Möglichkeit wurde
- allerdings unter Ausschluss von Gesellschaften mit Einkünften aus
Kapitalanlagen (vgl. § 7 Abs. 6 AStG a.F./n.F.) und deswegen ggf. nach wie
vor unter unzulänglichen Voraussetzungen (s. z.B. Vogt in Blümich, a.a.O., §
8 AStG Rz 154 ff.; Schnitger, IStR 2007, 729; Thielo/Szentpetery, BB 2008,
1984, 1990; Sedemund, BB 2008, 696, 697f.; Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., Vor §§ 7 bis 14 AStG Rz203ff. und
wiederholend § 8 AStG Rz 409; Haun/Käshammer/Reiser, GmbHR 2007, 184, 187;
Köhler/ Eicker, DStR 2007, 331, 332; Hammerschmitt/Rehfeld, IWB, Fach 3,
Gruppe 1, 2293, 2298ff.) - erst (und erklärtermaßen wegen der andernfalls
bestehenden Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, s. BTDrucks 16/6298, dort S.
91f.) im Anschluss an das EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-7995, durch § 8 Abs. 2
AStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl
I 2008, 3058) - AStG n.F. - für Zwischeneinkünfte geschaffen, welche in
einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem
31. Dezember 2007 begann (§ 21 Abs. 17 Satz 1 AStG n.F.). Um solche
Einkünfte geht es im Streitfall nicht.
27
bb) Folge der aufgrund des
Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) vor nationalem Recht verbindlichen
gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung durch den EuGH ist die Nichtanwendung
der §§ 7 ff. AStG a.F. Allerdings wirkt sich der gemeinschaftsrechtliche
Anwendungsvorrang nicht dergestalt aus, dass von der
Hinzurechnungsbesteuerung gänzlich abzusehen ist. Die
gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in die betroffenen
Normen hineinzulesen (vgl. dazu zuletzt Senatsurteil vom 25. August 2009 I R
88, 89/07, DStR 2009, 2295, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt,
m.w.N.). §§ 7 ff. AStG a.F. sind deshalb gemeinschaftskonform und im
Einklang mit den regelungsimmanenten Wertungen (vgl. dazu M.Lang, Steuer und
Wirtschaft International 2009, 216, 224f.) dahin zu interpretieren, dass dem
Steuerpflichtigen der gemeinschaftsrechtlich gebotene "Motivtest" über seine
tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten im Einzelfall zu gewähren ist.
Dies deckt sich letztlich mit der Vorgehensweise der Finanzverwaltung vor
der Neuschaffung von § 8 Abs. 2 AStG n.F. im BMF-Schreiben in BStBl I 2007,
99 (s. auch Schönfeld in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., Vor §§ 7 bis
14 AStG Rz 321f. und wiederholend § 8 AStG Rz 403).
28
Im Streitfall bestehen nach den
tatrichterlichen Feststellungen keine Zweifel daran, dass die Klägerin im
Streitjahr aktiv, ständig und nachhaltig im Rahmen ihres Unternehmenszwecks
am Wirtschaftsleben in Belgien teilgenommen, über entsprechend
qualifiziertes Personal und geeignete Geschäftsräume und damit über genügend
wirtschaftliche "Substanz" verfügt und ihre Einkünfte aus eigener Tätigkeit
erzielt hat. Auf diese Feststellungen, die den Senat binden (§ 118 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist Bezug zu nehmen. Das dagegen
gerichtete Vorbringen des FA gibt ebenso wenig Anlass, diese Feststellungen
und deren Würdigung in Frage zu stellen, wie die erwähnten, insoweit
einschränkenden Erfordernisse nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 99;
diese werden den Vorgaben des EuGH-Urteils in Slg. 2006, I-7995 nicht vollen
Umfangs gerecht. Der besagte "Motivtest" wird von der Klägerin sonach
bestanden; diese ging im Streitjahr im Sinne des EuGH-Urteils in Slg. 2006,
I-7995 (dort Tz. 68) in Belgien einer "wirklichen wirtschaftlichen
Tätigkeit" nach und ist nicht als "eine rein künstliche, jeder
wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung" anzusehen (s. zuletzt auch wieder
EuGH-Urteil vom 17. September 2009 C-182/08 "Glaxo Wellcome", IStR 2009,
691).
29
cc) Infolgedessen verbleibt es dabei, dass
§§ 7 ff. AStG a.F. nicht eingreifen, wenn die von der Klägerin erzielten
Einkünfte statt von einer Personengesellschaft - unter ansonsten gleichen
Verhältnissen - von einer Kapitalgesellschaft erzielt worden wären. Mithin
ist der Tatbestand des § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 3 AStG a.F. im
Streitfall nicht erfüllt. Die Rechtsfolge dieser Vorschrift tritt deshalb
nicht ein, und zwar - entgegen dem nunmehr in § 20 Abs. 2 AStG n.F.
enthaltenen Anwendungsausschluss von § 8 Abs. 2 AStG n.F. (und der dazu
bekundeten Annahme des Gesetzgebers, vgl. BTDrucks 16/6290, S. 94) -
ungeachtet dessen, dass der dort angeordnete Methodenwechsel von der
Freistellung zur Anrechnung als solcher keine gemeinschaftsrechtlich
beachtliche Diskriminierung oder Beschränkung nach sich zieht. Ob sich diese
Konsequenz des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs hätte vermeiden
lassen, wenn der angeordnete Methodenwechsel nicht von einer konkreten
(fiktiven) Steuerpflicht gemäß §§ 7 ff. AStG a.F. - als
"Rechtsgrundverweisung" (s. Rehfeld, a.a.O., S. 473) - abhängig gemacht
worden wäre, sondern - als "Rechtsfolgenverweisung" - von einem abstrakten
Vorliegen der Voraussetzungen jener Vorschriften, kann dahinstehen. Der
Gesetzgeber des Außensteuergesetzes in der hier maßgeblichen (ebenso wie der
jetzigen) Gesetzesfassung ist diesen Weg nicht gegangen.
30
d) Der Senat erachtet die aufgezeigte
Gemeinschaftsrechtslage in Anbetracht des EuGH-Urteils in Slg. 2006, I-7995
als eindeutig. Einer (abermaligen) Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3
EG - mit anderweitiger Fragestellung als jener des FG Münster in seinem
Beschluss in EFG 2005, 1512 - bedurfte es deshalb nicht (vgl. EuGH-Urteil
vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415, und zwar
unbeschadet des EuGH-Urteils in Slg. 2007, I-10451; die darin vom EuGH
gegebene Antwort resultiert ersichtlich allein aus der ihm im Rahmen des
Vorabentscheidungsersuchens gestellten Frage, welche die tatbestandliche
Verknüpfung zwischen § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. einerseits und §§ 7 ff.
AStG a.F. andererseits und die daraus abzuleitenden Konsequenzen nicht
hinreichend verdeutlichte).
31
5. Die von der Vorinstanz vertretene
Rechtsauffassung weicht von derjenigen des erkennenden Senats ab. Ihr Urteil
war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die angefochtenen Bescheide sind
antragsgemäß zu ändern. Die Ermittlung und Berechnung der festzustellenden
Beträge wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen
(§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
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