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BFH-Urteil vom 31.3.2010 (II R 22/09) BStBl. 2010 II S. 806
Kein Anfall von Schenkungsteuer bei zinsloser Stundung eines nicht geltend
gemachten Pflichtteilsanspruchs
Die
zinslose Stundung eines nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs stellt
keine der Schenkungsteuer unterliegende freigebige Zuwendung dar.
ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1,
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 10 Abs. 5 Nr. 2, § 13 Abs. 1 Nr. 11; BGB §
2303, § 2317 Abs. 1.
Vorinstanz: FG Münster vom 8. Dezember 2008
3 K 2849/06 Erb (EFG 2009, 1042)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), die von ihren Eltern durch gemeinschaftliches
Testament gemäß § 2269 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als
Schlusserbin eingesetzt worden war, stundete im Hinblick darauf durch
notariell beurkundeten Vertrag vom 1. Februar 1987 den ihr nach dem Tod des
zuerst versterbenden Elternteils zustehenden Pflichtteilsanspruch dem
überlebenden Elternteil gegenüber bis zu dessen Tod.
2
Nachdem zunächst der Vater
(V) und dann die Mutter (M) verstorben waren, sah der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in der zinslosen Stundung des der
Klägerin nach dem Tod des V zustehenden Pflichtteilsanspruchs eine
freigebige Zuwendung der Klägerin an M und setzte dafür durch Bescheid vom
7. Juli 2005 gegenüber der Klägerin Schenkungsteuer fest. Der Einspruch
hatte nur insoweit Erfolg, als das FA aufgrund einer geänderten Berechnung
des Werts des Erwerbs durch Bescheid vom 18. Mai 2006 die Schenkungsteuer
auf 22.990 EUR (44.965 DM) herabsetzte.
3
Das Finanzgericht (FG) wies
die Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1042
veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die zinslose Stundung des
Pflichtteilsanspruchs stelle eine freigebige Zuwendung der Klägerin an M
gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
(ErbStG) dar. Gegenstand der Zuwendung sei die unentgeltliche Gewährung des
Rechts gewesen, das in Form des Pflichtteilsanspruchs überlassene Kapital zu
nutzen.
4
Mit der Revision wendet sich
die Klägerin gegen diese Auffassung des FG. Da der Verzicht auf die
Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs steuerfrei sei, könne in der
zinslosen Stundung des Anspruchs keine der Schenkungsteuer unterliegende
freigebige Zuwendung gesehen werden.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 und die
ergangenen Schenkungsteuerbescheide aufzuheben.
6
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und der
angefochtenen Schenkungsteuerbescheide (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Ansicht des FG liegt in der
zinslosen Stundung des Pflichtteilsanspruchs keine freigebige Zuwendung der
Klägerin an M i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
8
1. Der Schenkungsteuer unterliegt als
Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige
Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden
bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; vgl. auch § 516 Abs. 1 BGB).
Erforderlich hierfür ist eine Vermögensverschiebung, d.h. eine
Vermögensminderung auf der Seite des Schenkers und eine Vermögensmehrung auf
der Seite des Beschenkten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. März
1985 II R 19/84, BFHE 143, 291, BStBl II 1985, 382; vom 7. November 2007 II
R 28/06, BFHE 218, 414, BStBl II 2008, 258, und vom 9. Juli 2009 II R 47/07,
BFHE 226, 399, BStBl II 2010, 74).
9
2. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen
kann nicht damit begründet werden, dass die Klägerin auf einen ihr kraft
Gesetzes zustehenden Zinsanspruch verzichtet habe. Ein gesetzlicher Anspruch
auf Verzinsung des Pflichtteilsanspruchs besteht nämlich nur bei Verzug (§
288 BGB) und Rechtshängigkeit (§ 291 BGB; vgl. Beschluss des Bayerischen
Obersten Landesgerichts vom 22. Dezember 1980 BReg 1 Z 116/80, Monatsschrift
für Deutsches Recht 1981, 404, m.w.N.) sowie bei einer Stundung nach § 2331a
BGB (§ 2331a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. § 1382 Abs. 2 und 4 BGB).
10
3. Eine freigebige Zuwendung liegt auch
nicht darin, dass die Klägerin beim Abschluss des Vertrags vom 1. Februar
1987 nicht die Vereinbarung einer Verzinsung des gestundeten
Pflichtteilsanspruchs gefordert hat.
11
a) Macht der Pflichtteilsberechtigte das
vorübergehende Nichtgeltendmachen des Pflichtteilsanspruchs nicht von einer
Verzinsung abhängig, liegt keine freigebige Zuwendung vor. Dies ergibt sich
aus der Behandlung des nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs durch
das ErbStG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen
u.a. der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§
2303 ff. BGB). Die Erbschaftsteuer dafür entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs. Dem
bloßen Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt
erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Dieses zeitliche
Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines
Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten geschehen und soll
ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen
Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt (BFH-Urteile vom 7. Oktober
1998 II R 52/96, BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23, und vom 19. Juli 2006 II R
1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718). Damit korrespondierend kann der
Erbe gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des
gesamten Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus geltend
gemachten Pflichtteilen abziehen. Das bloße Bestehen von
Pflichtteilsverbindlichkeiten ist auch insoweit ohne steuerrechtliche
Bedeutung (BFH-Urteile in BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23, und in BFHE 213,
122, BStBl II 2006, 718). Der Verzicht auf die Geltendmachung des
Pflichtteilsanspruchs bleibt nach § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG steuerfrei.
12
Mit diesen Regelungen, nach denen dem nicht
geltend gemachten Pflichtteilsanspruch keine erbschaftsteuer- und
schenkungsteuerrechtliche Bedeutung zukommt, wäre es nicht vereinbar, wenn
man in dem Umstand, dass der Berechtigte das vorübergehende
Nichtgeltendmachen des Anspruchs nicht von einer Verzinsung abhängig macht,
eine freigebige, der Schenkungsteuer unterliegende Zuwendung des
Berechtigten an den Verpflichteten sehen würde (Dressler, Neue Juristische
Wochenschrift - NJW - 1997, 2848, 2851). Die Rechtsprechung des BFH, nach
der die unentgeltliche Überlassung einer Kapitalsumme auf Zeit, durch die
sich der Darlehensgeber einer Einnahmemöglichkeit begibt, die
verkehrsüblicherweise regelmäßig genutzt wird, der Schenkungsteuer
unterliegt, wobei Gegenstand der Schenkung die dem Zuwendungsempfänger
(Darlehensnehmer) gewährte Nutzungsmöglichkeit ist (BFH-Urteile vom 12. Juli
1979 II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631; vom 30. März 1994 II R
105/93, BFH/NV 1995, 70; vom 7. Oktober 1998 II R 64/96, BFHE 187, 53, BStBl
II 1999, 25; vom 4. Dezember 2002 II R 75/00, BFHE 200, 406, BStBl II 2003,
273, und vom 29. Juni 2005 II R 52/03, BFHE 210, 459, BStBl II 2005, 800),
betrifft einen anderen Sachverhalt und lässt sich daher nicht auf den Fall
übertragen, dass das vorläufige Nichtgeltendmachen des Pflichtteils nicht
von einer Verzinsung abhängig gemacht wird (Ebeling, NJW 1998, 358). Der
Rechtsgedanke, dass die Entscheidung über die Geltendmachung des
Pflichtteils wegen der familiären Verbundenheit zwischen dem Erblasser und
dem Pflichtteilsberechtigten allein diesem vorbehalten bleiben soll, liegt
auch § 852 Abs. 1 der Zivilprozessordnung zugrunde (Urteile des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Juli 1993 IX ZR 116/92, BGHZ 123, 183, und
vom 6. Mai 1997 IX ZR 147/96, NJW 1997, 2384). Nach dieser Vorschrift ist
der Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag
anerkannt oder rechtshängig geworden ist (zur Auslegung dieser Vorschrift
vgl. BGH-Urteile in BGHZ 123, 183, und in NJW 1997, 2384; BGH-Beschluss vom
26. Februar 2009 VII ZB 30/08, NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2009,
997).
13
b) Eine freigebige Zuwendung der Klägerin
an M liegt danach nicht deswegen vor, weil die Klägerin die Stundung des
Pflichtteilsanspruchs nicht von einer Verzinsung abhängig gemacht hat. Die
Klägerin hat den ihr nach dem Tod des V zustehenden Pflichtteilsanspruch
gegen M nicht geltend gemacht.
14
Die "Geltendmachung" des
Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des
Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die
Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden, die Höhe
des Anspruchs aber nicht beziffern (BFH-Urteil in BFHE 213, 122, BStBl II
2006, 718).
15
In der Stundungsvereinbarung durch Vertrag
vom 1. Februar 1987 kann ein solches ernstliches Erfüllungsverlangen nicht
gesehen werden. Da die Stundung bis zum Tod des überlebenden Elternteils
vereinbart wurde, stellte der Pflichtteil für M keine wirtschaftliche
Belastung dar (BFH-Urteil vom 27. Juni 2007 II R 30/05, BFHE 217, 190, BStBl
II 2007, 651). Ob die Stundung eines Pflichtteilsanspruchs nach dessen
Entstehen die Geltendmachung voraussetzt oder nicht, kann danach auf sich
beruhen (vgl. zu dieser Problematik Wälzholz in Viskorf/ Knobel/Schuck,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 3.
Aufl., § 3 ErbStG Rz 144, m.w.N.; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3
Rz 228).
16
Keine Rolle spielt, dass das Unterlassen
der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber M nicht auf einer
einseitigen Entscheidung der Klägerin, sondern auf einem Vertrag mit den
Eltern beruhte. Entscheidend ist allein, dass (noch) nicht geltend gemachten
Pflichtteilsansprüchen keine erbschaftsteuer- und schenkungsteuerrechtliche
Bedeutung zukommt.
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Welche schenkungsteuerrechtlichen Folgen
sich ergeben, wenn ein bereits geltend gemachter Pflichtteilsanspruch
unverzinslich gestundet wird, bedarf im vorliegenden Fall keiner
Entscheidung (vgl. dazu einerseits Moench, Deutsches Steuerrecht 1987, 139,
143; Moench in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz 121a; Meincke,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 7 Rz 50,
§ 9 Rz 33; andererseits Gebel, a.a.O., § 3 Rz 229).
18
4. Da das FG von einer anderen Ansicht
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Die ergangenen Schenkungsteuerbescheide und die
Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und waren daher ebenfalls
aufzuheben.
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