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BFH-Urteil vom 13.4.2010 (IX R 43/09) BStBl. 2010 II S. 815
Gleichzeitige Festsetzung von Steuer und Verspätungszuschlag im Regelfall
§
152 Abs. 3 AO erlaubt der Finanzbehörde nur in begründeten Ausnahmefällen,
von einer Festsetzung des Verspätungszuschlags mit der Steuer abzusehen.
AO § 152 Abs. 3.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 24.
Februar 2009 12 K 249/08
Sachverhalt
I.
1
Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) forderte die Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger), die als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt werden, am 18. Juli 2006 auf, ihre Einkommensteuererklärung für
das Streitjahr (2005) bis zum 30. November 2006 einzureichen. Nachdem die
Einkommensteuererklärung zunächst nicht beim FA eingegangen war, erinnerte
dieses am 8. Dezember 2006 an deren Abgabe und drohte ferner am 31. Januar
2007 für den Fall der Nichtabgabe bis zum 22. Februar 2007 die Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen an.
2
Aufgrund der alsdann am 6.
März 2007 beim FA eingereichten Einkommensteuererklärung setzte dieses die
Einkommensteuer für das Streitjahr im Einkommensteuerbescheid vom 30. April
2007 auf 68.710 EUR fest. Dies führte zu einer Nachzahlung von
Einkommensteuer in Höhe von 14.535 EUR. Einen Verspätungszuschlag setzte das
FA zunächst nicht fest.
3
Mit geändertem
Einkommensteuerbescheid von 28. Juni 2007 wurde die Einkommensteuer für das
Streitjahr auf 67.598 EUR herabgesetzt. Auch dieser Bescheid enthielt keine
Festsetzung eines Verspätungszuschlags. Erst mit Bescheid vom 2. Mai 2008
setzte das FA einen Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer des Streitjahres
von 800 EUR fest. Zu diesem Zeitpunkt war auch die bis zum 31. Dezember 2007
abzugebende Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 bereits eingereicht
(nämlich am 10. Januar 2008). Aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das
Jahr 2006 vom 9. Mai 2008 kam es zu einer Erstattung von Einkommensteuer.
4
Der gegen die Festsetzung
des Verspätungszuschlags gerichtete Einspruch der Kläger blieb erfolglos.
Auch ihre Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. Es
bejahte die Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Die
Kläger hätten die Einkommensteuererklärung unstreitig verspätet abgegeben.
Dieses Versäumnis sei auch nicht entschuldbar. Das FA habe auch
ermessensgerecht gehandelt. Es habe das Erklärungsverhalten des Vorjahres
(2004: Einkommensteuererklärung verspätetet abgegeben) ebenso zutreffend in
seine Überlegungen einbezogen wie den Umstand, dass die Kläger auch die
Erklärung für das Jahr 2006 verspätet abgegeben hätten. Der Rechtmäßigkeit
stehe auch nicht entgegen, dass das FA den Verspätungszuschlag entgegen dem
Verbindungsgebot des § 152 Abs. 3 AO festgesetzt habe. Diese bloße
Ordnungsvorschrift sei nicht verletzt, wenn die Festsetzung des
Verspätungszuschlags binnen Jahresfrist nachgeholt werde. Diese Frist stelle
aber keine absolute zeitliche Grenze dar. Deshalb halte es das FG für
unbedeutend, wenn - wie vorliegend - die Jahresfrist um zwei Tage
überschritten werde.
5
Hiergegen richtet sich die
Revision der Kläger, die sie auf die Verletzung von § 152 Abs. 3 AO stützen.
Verspätungszuschläge könnten nicht für Vorjahre erhoben werden, obwohl die
Steuererklärung des Folgejahres bereits eingereicht und abschließend
bearbeitet worden sei.
6
Die Kläger beantragen, die
angefochtene Entscheidung und die Festsetzung des Verspätungszuschlags vom
2. Mai 2008 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2008 aufzuheben.
7
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist begründet; sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage gemäß § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
9
1. Das FG hat unzutreffend die Festsetzung
des Verspätungszuschlags gebilligt. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags
zur Einkommensteuer 2005 ist rechtswidrig, weil sie - ohne einen Grund
anzuführen - von der Regel des § 152 Abs. 3 AO abgewichen ist (§ 102 FGO, §
5 AO).
10
a) Nach § 152 Abs. 3 AO ist der
Verspätungszuschlag regelmäßig mit der Steuer festzusetzen, was der Fall
ist, wenn der Verspätungszuschlag in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang
mit dem Steuerbescheid festgesetzt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter I. 3.).
Auch wenn die Verletzung dieser Vorschrift nicht ohne Weiteres zur
Rechtswidrigkeit der Festsetzung des Verspätungszuschlags führt, markiert
sie ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Nur in Ausnahmefällen soll von der
gleichzeitigen Festsetzung abgewichen werden können. Es handelt sich um eine
Sollvorschrift, die den Ermessensspielraum auf eine Regelanwendung der Norm
einengt(allgemein zu Sollvorschriften: Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler
- HHSp -, § 5 AO Rz 56, m.w.N.). Ihr Zweck liegt darin, den
Steuerpflichtigen möglichst nicht nachträglich durch einen
Verspätungszuschlag zu überraschen. Deshalb braucht die Finanzbehörde
besondere Gründe, wenn sie von einer Verbindung der beiden Bescheide absehen
will (Heuermann in HHSp, § 152 AO Rz 35).
11
b) Wenn es der XI. Senat des BFH in
Ausfüllung und Konkretisierung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses für
unschädlich hält, die Festsetzung des Verspätungszuschlags binnen
Jahresfrist nachzuholen (BFH-Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 41/00, BFHE
196, 408, BStBl II 2002, 124, unter II. 4.; so auch die h.M. im Schrifttum,
vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz
62; Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 152 Rz 13; Kuhfus in Kühn/v.Wedelstädt,
19. Aufl., AO, § 152 Rz 27), so hat die Frage, ob die Festsetzung eines
Verspätungszuschlags ohne Weiteres nachgeholt werden kann, nicht allein eine
zeitliche Dimension. Entscheidend ist vielmehr, ob Gründe vorliegen, eine
vom Regelfall des § 152 Abs. 3 AO abweichende Festsetzung zu rechtfertigen.
Selbst wenn man den vom XI. Senat vorgegebenen Zeitrahmen von einem Jahr in
diesen Zusammenhang stellt und ein Nachholen der
Verspätungszuschlags-Festsetzung innerhalb dieses Zeitraums ohne Weiteres -
und damit ohne den Ausnahmefall besonders zu begründen - für möglich hielte,
bedürfte es besonderer Gründe für den Ausnahmefall, wenn der Zeitrahmen von
einem Jahr überschritten ist. Gründe dafür, den Verspätungszuschlag nicht
mit der Steuer festzusetzen, können z.B. gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt
der Steuerfestsetzung noch ermittelt werden muss, ob die Voraussetzungen des
§ 152 Abs. 1 und des Abs. 2 AO vorliegen, oder welche Umstände und Tatsachen
in die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind.
12
2. Nach diesen Maßstäben ist die
Vorentscheidung aufzuheben. Die "Jahresfrist" war bereits abgelaufen, als
das FA den Verspätungszuschlag, um den es hier geht, festsetzte. Der
Umstand, dass diese Frist nur zwei Tage überschritten wurde, ist entgegen
der Auffassung des FG nicht bedeutungslos. Wenn ein zeitlicher Rahmen als
Konkretisierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses vorgegeben wird, kehrt sich
das Verhältnis nach dessen Ablauf um. Das bedeutet: Die abweichend vom
Regelfall des § 152 Abs. 3 AO durchgeführte Festsetzung des
Verspätungszuschlags kann nicht wiederum mit dem nur kurzfristigen
Überschreiten der Frist begründet werden, sondern allein dadurch, dass
Gründe für den Ausnahmefall ersichtlich sind und vorgebracht werden. Das FG
verengt seine Prüfung des § 152 Abs. 3 AO und seine Argumentation
unzutreffend auf das zeitliche Element der Verwirkung.
13
3. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist
stattzugeben, indem die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufgehoben
wird. Das FA hat keinerlei Gründe dafür angeführt, warum es den
Verspätungszuschlag abweichend vom Normalfall des § 152 Abs. 3 AO erst
festgesetzt hat, als die Veranlagung für das nachfolgende Jahr 2006 bereits
abgeschlossen war (und mit einer Erstattung endete). Das FA hat die
gesetzlichen Grenzen seines Ermessens verkannt. Es kann diesen
Ermessensfehler auch nicht mehr im finanzgerichtlichen Verfahren
nachbessern; denn es handelte sich nicht um eine bloße Ergänzung gemäß § 102
Satz 2 FGO (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205,
14, BStBl II 2004, 579). Die Festsetzung ist damit rechtswidrig und
aufzuheben.
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