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BFH-Urteil vom 18.6.2009 (VI R 14/07) BStBl. 2010 II S. 816
1.
§ 12 Nr. 5 EStG bestimmt in typisierender Weise, dass bei einer erstmaligen
Berufsausbildung ein hinreichend veranlasster Zusammenhang mit einer
bestimmten Erwerbstätigkeit fehlt. Die Vorschrift enthält jedoch kein
Abzugsverbot für erwerbsbedingte Aufwendungen.
2.
In verfassungskonformer Auslegung steht § 12 Nr. 5 EStG einem Abzug von
Aufwendungen als Werbungskosten für ein Erststudium nach abgeschlossener
Berufsausbildung nicht entgegen.
EStG § 9 Abs.1 Satz 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7, §
12 Nr. 5; FGO § 127.
Vorinstanz: FG Niedersachsen vom 7.November
2006 8K353/06
Sachverhalt
I.
Die Kläger und
Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt werden.
Der Kläger ist als Lehrer
tätig. Die 1967 geborene Klägerin besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als
Buchhändlerin. Nach Abschluss der Ausbildung begann sie zunächst ein
Sonderschulpädagogik-Studium, welches sie allerdings aufgrund einer
Schwangerschaft nicht beendete. Im Jahr 2002 begann die Klägerin ein Studium
zur Grund-, Haupt- und Realschullehrerin.
Bis einschließlich 2004
berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -)
die im Zusammenhang mit dem Studium geltend gemachten Kosten der Klägerin,
für 2002 nach Durchführung eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens, als
Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger
Arbeit.
Auch für das Streitjahr
(2005) machte die Klägerin den Abzug der Aufwendungen für das Studium
geltend, und zwar in Höhe von 6.424 €. Das FA sah diese Ausgaben nunmehr als
Berufsausbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ sie nur in Höhe von 4.000 € zum
Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies
die Klage unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Das Urteil ist in Deutsches
Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2007, 951 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen vornehmlich die
Verfassungswidrigkeit des § 12 Nr. 5 EStG geltend.
Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Veranlagung 2005,
zuletzt geändert durch Bescheid vom 27. April 2009, dahingehend zu ändern,
dass die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 6.214 €
insgesamt als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der
Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Am 27. April 2009 hat das FA
den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geändert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Aufhebung des Urteils
aus verfahrensrechtlichen Gründen gemäß § 127 FGO bedarf es nicht (vgl. dazu
etwa Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. März 2007 VI R 29/05,
BFH/NV 2007, 1076).
Die Aufwendungen der Klägerin für das
Studium sind als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz1
EStG bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
Sie sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
1. Die frühere Rechtsprechung des BFH
unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer
Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben
begrenzt abziehbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf. Als
Fortbildungskosten erkannte der BFH nur Ausgaben an, die ein
Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu
bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden.
Dagegen nahm der BFH
Berufsausbildungskosten bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel
dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf
notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer
Berufs- oder einer Erwerbstätigkeit zu einer anderen überzugehen, die also
einen Berufswechsel vorbereiten sollen. Derartige Aufwendungen stünden noch
nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden
Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwüchsen grundsätzlich jedem
Steuerpflichtigen; sie gehörten daher zu den Kosten der Lebensführung und
seien deshalb nach § 12 Nr. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.
Zu den Berufsausbildungskosten gehörten
stets die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium an einer
Hochschule (Universität oder Fachhochschule), weil es dem Steuerpflichtigen
eine andere (höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche
Stellung eröffne (BFH-Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201,
156, BStBl II 2003, 403, m.w.N.).
Der Senat hat, beginnend mit der
Entscheidung in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, diese Rechtsprechung
aufgegeben und von der strikten Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung
Abstand genommen. Nach der geänderten Rechtsprechung können auch
Aufwendungen für ein erstmaliges Hochschulstudium Werbungskosten i.S. von §
9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein. Ob das Studium eine Basis für andere Berufsfelder
schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich (vgl. etwa
BFH-Urteile vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003,
407; vom 22. Juli 2003 VI R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889; vom
4.November 2003 VIR96/01, BFHE 203, 500, BStBl II 2004, 891; vom 20.Juli
2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764). Maßgeblich ist das
Veranlassungsprinzip. Dieses Prinzip ist auch im Streitfall anzuwenden.
2. Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1
Nr. 7 EStG steht dem ebenso wenig entgegen wie das Abzugsverbot in § 12 Nr.
5 EStG.
a) Nach dem Einleitungssatz des § 10 Abs. 1
i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für
seine eigene Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder
Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind". Danach hat der Werbungskosten-
bzw. Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Aufwendungen für die
eigene Berufsausbildung als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG
keine Sperrwirkung für erwerbsbedingte Aufwendungen entfalten kann (vgl. im
Einzelnen BFH-Urteile vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II
2004, 884; in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II
2003, 407; vom 13. Februar 2003 IV R 44/01, BFHE 201, 495, BStBl II 2003,
698).
b) Nach Auffassung des Senats steht aber
auch § 12 Nr. 1 EStG einem Abzug von Bildungsaufwendungen im Allgemeinen und
Kosten für ein Studium im Besonderen nicht entgegen (s. etwa BFH-Urteil in
BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403). Die aus beruflichen Gründen entstandenen
Kosten sind nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung,
welche die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des
Steuerpflichtigen mit sich bringt (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Das die
Aufwendungen auslösende, maßgebliche Moment entstammt in diesen Fällen der
beruflichen und nicht der privaten Sphäre (s. etwa BFH-Urteile in BFHE 201,
156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884; zur
Veranlassung von Bildung s. Pfab, Die Behandlung von Bildungsaufwendungen im
deutschen Einkommensteuerrecht, Frankfurt/Main, 2008, 191 ff., 205 ff.).
c) Die durch das Gesetz zur Änderung der
Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753,
BStBl I 2005, 343) rückwirkend in Kraft getretene (s. Art. 6 Abs. 2 des
Gesetzes) Bestimmung des § 12 Nr. 5 EStG hindert die Abziehbarkeit von
beruflich veranlassten Kosten für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht,
wenn diesem - wie im Streitfall - eine abgeschlossene Berufsausbildung
vorausgegangen ist.
Nach § 12 Nr. 5 EStG dürfen Aufwendungen
des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein
Erststudium weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abgezogen werden. Die Vorschrift bestimmt in typisierender Weise,
dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung (und ein Erststudium)
- von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen - noch nicht
mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen
im Zusammenhang stehen.
Nach der zitierten Rechtsprechung des
Senats sind Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen Werbungskosten i.S. von § 9
Abs. 1 Satz 1 EStG, wenn ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang
besteht, d.h. wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit der
späteren beruflichen Tätigkeit gegeben ist. Diese Rechtsprechung soll
grundsätzlich auch nach der durch die Einfügung des § 12 Nr. 5 EStG
beabsichtigten "Neuordnung" der Ausbildungskosten maßgebend sein (BTDrucks
15/3339, 10). Insoweit konsequent sind von der Neuregelung grundsätzlich die
Steuerpflichtigen nicht betroffen, denen im Anschluss an eine erstmalige
Berufsausbildung Kosten für eine weitere Berufsausbildung oder sonstige
Bildungsmaßnahmen entstehen. Es soll dabei bleiben, dass jede berufliche
Umschulung - d.h. auch eine berufliche Neuorientierung - zum Abzug der
hierfür geleisteten Aufwendungen als Werbungskosten führen kann. Auch soweit
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung im
Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden, wird der Werbungskostenabzug
zugelassen. In diesen Fällen geht das Gesetz offenkundig von einem
erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang aus; Aufwendungen für eine
erstmalige Berufsausbildung sind hingegen im Regelfall nicht ausreichend
beruflich veranlasst. Insoweit fehlt es, wie beim Besuch von
allgemeinbildenden Schulen, an der konkreten Berufsbezogenheit (s. dazu
BFH-Urteil vom 22. Juni 2006 VI R 5/04, BFHE 214, 250, BStBl II 2006, 717).
Diese Sicht gibt die typisierende Regelung des § 12 Nr. 5 EStG wieder.
d) Diese Typisierung erfasst auch
Aufwendungen für ein Studium, sofern es sich dabei um eine Erstausbildung
handelt. Nach Auffassung des Senats erstreckt sie sich jedoch nicht auf
Steuerpflichtige, die ein Studium im späteren Berufsleben berufsbegleitend
oder in sonstiger Weise als Zweitausbildung aufnehmen.
Zwar erfasst § 12 Nr. 5 EStG im ersten
Halbsatz dem Wortlaut nach unterschiedslos alle Steuerpflichtigen, die ein
Erststudium absolvieren, unabhängig davon, ob sie zuvor bereits eine
nichtakademische Berufsausbildung durchlaufen haben oder nicht. Dies würde
jedoch in gleichheitswidriger Weise Steuerpflichtige, die nach
abgeschlossener Berufsausbildung erstmalig ein Studium aufnehmen, gegenüber
den Steuerpflichtigen benachteiligen, die eine zweite nichtakademische
Ausbildung, ein Zweitstudium oder ein Erststudium im Rahmen eines
Dienstverhältnisses absolvieren.
Bei der hiernach gebotenen
verfassungskonformen Auslegung der §§ 10 Abs. 1 Nr. 7 und 12 Nr. 5 EStG
erfasst das Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG allenfalls die Fälle des
Erststudiums, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt und nicht im
Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet.
3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze
ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG, dass die
Aufwendungen der Klägerin für das Lehramtsstudium dem Grunde nach beruflich
veranlasst sind. Es besteht ein hinreichend konkreter Zusammenhang dieser
Ausgaben mit späteren Einnahmen aus der angestrebten Tätigkeit als Lehrerin.
Mit dem Studium wollte sie die erforderlichen Fachkenntnisse und Fähigkeiten
für den angestrebten Beruf erwerben. Da das Lehramtsstudium auch konkret und
berufsbezogen auf die spätere Berufstätigkeit vorbereitet, nicht "ins Blaue
hinein" betrieben oder aus anderen privaten Gründen aufgenommen worden ist
(vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 2007 VI R 62/03, BFH/NV 2007, 1291, m.w.N.)
und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist, sind die damit im
Zusammenhang stehenden Aufwendungen dem Grunde nach als vorab entstandene
Werbungskosten abziehbar.
§ 12 Nr. 5 EStG steht einem
Werbungskostenabzug nicht entgegen, weil die Klägerin vor Aufnahme ihres
Studiums bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Buchhändlerin absolviert
hatte. Auf die Frage, ob das im Jahr 2002 aufgenommene Studium im Hinblick
auf das bereits vorher durchgeführte, aber nicht abgeschlossene Studium der
Sonderpädagogik überhaupt die Voraussetzungen eines "Erststudiums" erfüllte,
kommt es nicht an. Ebenso wenig sind die von den Klägern geäußerten
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 Nr. 5 EStG
entscheidungserheblich.
4. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif.
Da das FG - aus seiner Sicht zu Recht - zu den einzelnen von der Klägerin
geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen getroffen hat, war das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
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