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BFH-Urteil vom 9.2.2010 (VIII R 43/06) BStBl. 2010 II S. 818
Zahlungen der Eltern an ihr Kind im Gegenzug für dessen Pflichtteilsverzicht
sind nicht einkommensteuerbar
Verzichtet ein Kind gegenüber seinen Eltern auf künftige
Pflichtteilsansprüche und erhält es dafür im Gegenzug von den Eltern
wiederkehrende Zahlungen, so liegt darin kein entgeltlicher
Leistungsaustausch und keine Kapitalüberlassung des Kindes an die Eltern, so
dass in den wiederkehrenden Zahlungen auch kein einkommensteuerbarer
Zinsanteil enthalten ist.
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 22.
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 4. April 2006 I
370/2004 (EFG 2007, 410)
Sachverhalt
I.
1
Im Streit ist, ob die 1972
geborene Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) im Streitjahr (1996) in
Höhe eines Zinsanteils aus von ihren Eltern auf Lebenszeit zugesagten
monatlichen Zahlungen Einkünfte erzielt hat.
2
Mit notariellem Vertrag vom
4. Februar 1994 verzichtete die Klägerin auf ihren Pflichtteil und etwaige
Pflichtteilsergänzungsansprüche beim Tod ihrer (1937 und 1945 geborenen)
Eltern. Das gesetzliche Erbrecht blieb unberührt. Im Gegenzug erhielt sie
eine Einmalzahlung von 1 Mio. DM, außerdem die Zusage einer ab dem 1. Januar
1994 auf Lebenszeit der Klägerin zu erbringenden monatlichen Zahlung in Höhe
des Grundgehalts eines bayerischen Beamten der Besoldungsgruppe A 13 in der
Endstufe. Vereinbart war, dass die monatliche Leistung bei Änderungen der
Leistungsfähigkeit der Zahlungsverpflichteten oder der Bedürftigkeit der
gesundheitlich beeinträchtigten Klägerin entsprechend § 323 der
Zivilprozessordnung anzupassen sei. Auf die Einmalzahlung und den mit über 1
Mio. DM ermittelten Kapitalwert der lebenslangen monatlichen Zahlung wurde
Schenkungsteuer festgesetzt.
3
Außerdem unterwarf der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die monatlichen
Zahlungen mit einem Ertragsanteil von 65 % der Einkommensbesteuerung und
stützte sich dabei zunächst auf § 22 Nr. 1 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG), im Rahmen der Einspruchsentscheidung sodann
auf § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Dabei setzte das FA den Zinsanteil der Zahlungen
in entsprechender Anwendung des § 22 EStG wiederum mit 65 % an.
4
Das Finanzgericht (FG)
erkannte auf eine nicht steuerbare Unterhaltsrente und gab der Klage deshalb
statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 410
veröffentlicht.
5
Hiergegen richtet sich die
Revision. Das FA vertritt die Auffassung, bei den monatlichen Zahlungen
handele es sich um die zeitlich gestreckte Auszahlung einer Gegenleistung
für den Pflichtteilsverzicht in Form lebenslang wiederkehrender Leistungen,
die nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtige Zinsanteile enthielten. §
22 Nr. 1 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung komme nicht
zur Anwendung, da es sich bei der Zusage der wiederkehrenden Leistungen
nicht um eine einseitig begründete Rechtspflicht handele. Auch sei von einer
Einbeziehung der Interessen und Ansprüche der Klägerin bei Vertragsschluss
auszugehen und nicht von reinen Versorgungsleistungen.
6
Das FA beantragt, unter
Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist unbegründet und deshalb
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
9
Im Ergebnis zu Recht hat das FG erkannt,
dass die aufgrund der notariellen Vereinbarung vom 4. Februar 1994 an die
Klägerin geleisteten monatlichen Zahlungen weder ganz noch mit einem Zins-
oder Ertragsanteil der Einkommensbesteuerung unterliegen.
10
1. Wiederkehrende Zahlungen als
Gegenleistung für den Verzicht eines zur gesetzlichen Erbfolge Berufenen auf
seinen potentiellen künftigen Erb- und/oder Pflichtteil sind beim Empfänger
grundsätzlich nicht als wiederkehrende Bezüge i.S. von § 22 Nr. 1 EStG
steuerbar. Die Steuerbarkeit folgt insbesondere nicht aus der Zahlungsweise
in Form einer Rente. Allein der Umstand, dass eine Leistung nicht in einem
Betrag, sondern in wiederkehrenden Zahlungen zu erbringen ist, kann deren
Steuerbarkeit nicht begründen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.
Oktober 1999 X R 132/95, BFHE 190, 178, BStBl II 2000, 82; vgl. auch
Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 10 Rz 65 unter "Gegenleistung"). Der
erkennende Senat folgt dieser Auffassung, seine anders lautende frühere
Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 7. April 1992 VIII R 59/89, BFHE 167, 515,
BStBl II 1992, 809) ist insoweit überholt.
11
2. Die an die Klägerin geleisteten
Zahlungen enthalten keinen Ertrag aus Kapitalforderungen i.S. von § 20 Abs.
1 Nr. 7 EStG.
12
a) Regelmäßig wiederkehrende Zahlungen aus
einem zivilrechtlichen Rechtsverhältnis können Kapitalerträge enthalten. Zu
den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören u.a. nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG
(auch in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung) "Erträge aus sonstigen
Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder
ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt
oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem
ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und
der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage".
13
aa) Kapitalforderung in diesem Sinne ist
jede auf Geldleistung gerichtete Forderung ohne Rücksicht auf die Dauer der
Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs (BFH-Urteil vom 20.
Juni 1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., §
20 Rz 121). Erforderlich ist aber in jedem Fall die Überlassung von privatem
Geldvermögen an Dritte (BFH-Urteile vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE
151, 512, BStBl II 1988, 252, unter III.2.; vom 9. März 1982 VIII R 160/81,
BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540; Beschluss des Großen Senats des BFH vom
29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; vgl.
Blümich/Stuhrmann, § 20 EStG Rz 294a; vgl. auch Schmidt/Weber-Grellet,
a.a.O., § 20 Rz 123). Dabei kann die Kapitalüberlassung in unterschiedlicher
Art und Weise erfolgen, etwa durch Hingabe als (endfälliges oder in Raten zu
tilgendes) Darlehen (auch in Gestalt von Anleihen, vgl. die Fallgruppen bei
Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 123), durch Novation eines
bestehenden Zahlungsanspruchs in ein Darlehen oder durch zeitliche Streckung
eines Zahlungsanspruchs mittels Verrentung.
14
bb) Verzichtet ein Kind gegenüber seinen
Eltern auf künftige Pflichtteilsansprüche und erhält es dafür im Gegenzug
von den Eltern wiederkehrende Zahlungen, so liegt darin kein entgeltlicher
Leistungsaustausch und keine Kapitalüberlassung des Kindes an die Eltern, so
dass in den wiederkehrenden Zahlungen auch kein nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG
zu erfassender Zinsanteil enthalten ist.
15
(1) Der vor Eintritt des Erbfalls erklärte
Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht ist ein erbrechtlicher Vertrag
(BFH-Urteil in BFHE 190, 178, BStBl II 2000, 82, m.w.N.), der der
Regulierung der Vermögensnachfolge und ihrer Modalitäten im Todesfall des
potentiellen Erblassers dienen soll. Erhält das pflichtteilsberechtigte Kind
für den Verzicht auf seinen künftigen Anspruch von seinen Eltern als den
potentiellen Erblassern eine Abfindung, so handelt es sich nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) schon bürgerlich-rechtlich um
einen unentgeltlichen Vorgang (vgl. BGH-Urteile vom 8. Juli 1985 II ZR
150/84, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1986, 127, unter II.2.; vom
28. Februar 1991 IX ZR 74/90, BGHZ 113, 393; vom 3. Dezember 2008 IV ZR
58/07, NJW 2009, 1143, unter II.3.b). Dem entspricht die im BFH-Urteil in
BFHE 167, 515, BStBl II 1992, 809 ausführlich begründete Auffassung des
Senats, dass es sich bei einem vor dem Erbfall erklärten Erb- oder
Pflichtteilsverzicht auch steuerrechtlich um einen unentgeltlichen Vorgang
handelt (offen gelassen im BFH-Urteil in BFHE 190, 178, BStBl II 2000, 82),
der ggf. der Besteuerung nach dem Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
unterliegt, nicht aber der Einkommensteuer. Die Auffassung des FA, wonach
bei Abfindungen im Falle von Erb- oder Pflichtteilsverzichten regelmäßig von
einer entgeltlichen Leistung auszugehen sei, kann sich nicht (mehr) auf die
von ihm angeführte Rechtsprechung stützen (vgl. BFH-Urteile vom 10. April
1953 IV 384/52 U, BFHE 57, 400, BStBl III 1953, 157; vom 4. Februar 1975
VIII R 71/70, BFHE 114, 539, BStBl II 1975, 529).
16
(2) Sagen die Eltern dem potentiell
pflichtteilsberechtigten Kind als Abfindung für den Pflichtteilsverzicht
wiederkehrende Zahlungen zu, so wird dadurch nicht ein in einer Summe
bezifferter Anspruch des Kindes verrentet. Vielmehr ist der aufgrund des
Pflichtteilsverzichts eingeräumte Anspruch von vornherein in Form
wiederkehrender Zahlungen eingeräumt worden (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober
1994 VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121, unter II.2., zur
Mehrbedarfsrente).
17
Die vom X. Senat des BFH in einem obiter
dictum geäußerte Auffassung, dass "allenfalls" ein in den wiederkehrenden
Leistungen enthaltener Zinsanteil als einkommensteuerrechtlich relevanter
Zuwachs an Leistungsfähigkeit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1975 (jetzt § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG) in Betracht komme (BFH-Urteil in BFHE 190, 178, BStBl II
2000, 82, m.w.N.), setzt die Entgeltlichkeit eines Erb- und
Pflichtteilsverzichts voraus, die - wie oben dargelegt - hier auszuschließen
ist.
18
Anders ist die Rechtslage zu beurteilen,
wenn der Erbfall bereits eingetreten ist und ein Pflichtteilsberechtigter
vom Erben unter Anrechnung auf seinen Pflichtteil wiederkehrende Leistungen
erhält. In einem solchen Fall ist das Merkmal der Überlassung von Kapital
zur Nutzung i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jedenfalls dann erfüllt, wenn
der Bedachte rechtlich befugt ist, den niedrigeren Barwert im Rahmen seines
Pflichtteilsanspruchs geltend zu machen (BFH-Urteil vom 26. November 1992 X
R 187/87, BFHE 170, 98, BStBl II 1993, 298). So liegt der Streitfall jedoch
nicht.
19
b) Nach diesen Maßstäben hat das FG zu
Recht entschieden, dass die wiederkehrenden Bezüge der Klägerin keinen
steuerpflichtigen Zinsanteil nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG enthalten. Es
handelt sich um einen unentgeltlichen erbrechtlichen Vorgang.
20
Die Klägerin hat aufgrund ihres
Pflichtteilsverzichts von ihren Eltern einen von vornherein auf
wiederkehrende Zahlungen gerichteten Anspruch eingeräumt bekommen, der zudem
ersichtlich nach dem dauerhaften Versorgungsbedarf der gesundheitlich
beeinträchtigten Klägerin bemessen worden ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175,
439, BStBl II 1995, 121, unter II.2.).
21
Die Eltern der Klägerin haben durch die mit
ihr getroffene Vereinbarung auch nicht auf andere Weise einen aktiven
Vermögenswert zur Nutzung erhalten, den sie nicht vorher bereits gehabt
hätten. Sie wurden nicht von einer Schuld oder einer anderen Belastung
befreit, deren Begleichung oder Aufhebung einer Kapitalüberlassung
gleichgekommen wäre und folglich nach kaufmännischen Gesichtspunkten eine
angemessene Gegenleistung erfordert hätte.
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3. Zu Recht hat das FG die Steuerbarkeit
des Pflichtteilsverzichts nach § 22 Nr. 3 EStG verneint. Auch bei
unterstellter Entgeltlichkeit des Pflichtteilsverzichts unterläge dieser
dann als veräußerungsähnlicher Vorgang (endgültige Aufgabe einer
Rechtsposition) im privaten Bereich nicht der Einkommensbesteuerung
(ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 18. Mai 2004 IX R 63/02, BFHE 206,
174, BStBl II 2004, 874).
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