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BFH-Urteil vom 20.5.2010 (III R 4/10) BStBl. 2010 II S. 827
Verlängerung des Zeitraums für den Bezug von Kindergeld wegen Zivildienstes
Ein
Kind, das sich in Berufsausbildung befindet und Zivildienst geleistet hat,
wird über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus berücksichtigt. Der
Verlängerungszeitraum entspricht auch dann der Dienstzeit (im Streitfall 10
Monate), wenn im ersten Monat des Dienstes noch Kindergeld bezogen wurde,
weil der Dienst nicht am Monatsersten begann.
EStG § 32 Abs. 4 und Abs. 5, § 62, § 63
Abs. 1.
Vorinstanz: FG des Saarlandes vom 23. Juli
2009 2 K 1222/09
Sachverhalt
I.
1
Der Sohn der Klägerin und
Revisionsbeklagten (Klägerin) vollendete im November 2008 sein 25.
Lebensjahr. Nach dem Abitur im Sommer 2003 hatte er vom 4. August 2003 bis
zum 31. Mai 2004 Zivildienst geleistet und zum Wintersemester 2004 mit dem
Medizinstudium begonnen, das im September 2009 noch nicht abgeschlossen war.
2
Die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes ab
September 2009 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf, weil
im Jahr 2003 Kindergeld bis einschließlich August 2003 - dem Monat des
Dienstantritts - gezahlt worden war; damit sei ein Monat des Zivildienstes
bereits abgegolten. Als Verlängerungstatbestand gemäß § 32 Abs. 5 EStG
berücksichtigte die Familienkasse mithin nur die neun Monate des Dienstes
ohne Kindergeldbezug und nicht die zehn Monate, die der Dienst gedauert
hatte. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
3
Das Finanzgericht (FG) gab
der auf Gewährung von Kindergeld für September 2009 gerichteten Klage -
gegen die Regelung in der Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 63.5 Abs. 3 (BStBl I 2009, 1029, 1086)
- unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 27. August 2008 III R 88/07 (BFH/NV
2009, 132) statt.
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Die Familienkasse trägt zur
Begründung ihrer Revision vor, das im BStBl II nicht veröffentlichte
Senatsurteil in BFH/NV 2009, 132 betreffe eine Verlängerung wegen des
Grundwehrdienstes und nicht - wie im Streitfall - des Zivildienstes. Es
berücksichtige auch nicht, dass Zivildienstleistende staatliche Leistungen
bezögen und die kindergeldberechtigten Eltern daher auch im Monat des
Dienstantritts nicht mit Unterhaltsansprüchen belastet seien. Die doppelte
Berücksichtigung eines Monats würde zu einer Ungleichbehandlung mit den
Kindern führen, die ihren Dienst bereits am Monatsersten anträten oder
keinen Dienst leisteten.
5
Die Familienkasse beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Die Revision ist unbegründet und deshalb
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Senat
hält an seiner Auffassung fest (Senatsurteil in BFH/NV 2009, 132), dass der
Verlängerungszeitraum nach § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG auch dann der Dienstzeit
entspricht, wenn der Dienst nicht am Monatsersten angetreten wurde und daher
im ersten Monat des Dienstes noch Kindergeld bezogen wurde. Der Klägerin
steht daher für September 2009 noch Kindergeld zu.
8
1. Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird für ein Kind, das sich in
Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung
des 25. Lebensjahres gewährt. Über diese Altersgrenze hinaus wird ein Kind
gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn
es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der
Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird dann um einen der Dauer
des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum hinausgeschoben. Eine
Beschränkung dieser Verlängerung auf Dienstmonate, in denen kein Kindergeld
gewährt wurde, ist dem Gesetzeswortlaut ebenso wenig zu entnehmen wie eine
der "Doppelberücksichtigung" von Dienstmonaten entgegenstehende, in Monaten
bemessene, maximale Bezugsdauer.
9
2. Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 5 Satz 1
Nr. 1 EStG besteht der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf
Kindergeld im Monat September 2009, da ihr Sohn im November 2008 sein 25.
Lebensjahr vollendet, zehn Monate Zivildienst geleistet hatte und noch
studierte.
10
3. Eine einschränkende Auslegung des § 32
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist nicht geboten. Der Verlängerungszeitraum ist
nicht zu kürzen, wenn der Zivildienst nicht am Monatsersten angetreten und
deshalb im Monat des Dienstantritts noch Kindergeld bezogen wurde.
11
a) Die Verwaltung ist der Auffassung, die
Berücksichtigung eines Kindes verlängere sich um die in dem jeweiligen
Verpflichtungsgesetz geforderte Dauer des Dienstes (DA-FamEStG 63.5 Abs. 4);
als Verlängerungstatbestand könnten aber nur diejenigen nach Vollendung des
18. Lebensjahres geleisteten Monate des Dienstes berücksichtigt werden, in
denen nicht bereits nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG ein Kindergeldanspruch
bestanden habe (DA-FamEStG 63.5 Abs. 3; R 32.11 der
Einkommensteuer-Richtlinien 2008). Diese Auffassung steht im Widerspruch zum
Wortlaut des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG. Zudem berücksichtigt sie nicht, dass
der durch § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG auszugleichende Nachteil der
kindergeldberechtigten Eltern auch darin liegt, dass sich der
Ausbildungsabschluss des Kindes und die - typisierend zu unterstellende -
Belastung mit Unterhaltsansprüchen um die Dauer des gesamten Dienstes
verzögert und dass dieser Nachteil nicht durch die - im Streitfall sechs
Jahre zurückliegende - Gewährung von Kindergeld im Monat des Dienstantritts
ausgeglichen wird.
12
b) Kindergeld wird somit für in Ausbildung
befindliche Kinder bis zum selben Alter gewährt, unabhängig davon, ob ihr
Dienst am Monatsersten oder erst einige Tage später begonnen hatte. Kinder,
die ihren Dienst nicht am Monatsersten angetreten haben und im ersten
Dienstmonat noch gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b oder Buchst. c
EStG berücksichtigt wurden, werden demnach zwar insgesamt einen Monat mehr
gefördert. Dies ist indessen eine Folge des grob typisierenden
Monatsprinzips, das eine Kürzung nur dann erlaubt, wenn die
Anspruchsvoraussetzungen an keinem Tag des Monats vorliegen.
13
c) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil
vom 14. Oktober 2002 VIII R 68/01 (BFH/NV 2003, 460) entschieden, dass der
nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG verlängerte Zeitraum für den Bezug von
Kindergeld zu begrenzen ist, wenn ein Teil des Verlängerungstatbestandes
sich bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres ausgewirkt hatte; dann
könne nur noch die Differenz zum gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst
als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es zu
einer doppelten Berücksichtigung der bereits "verbrauchten" Monate des
Verlängerungstatbestandes. Eine derartige "doppelte" Berücksichtigung der
Zivildienstzeit als Verlängerungstatbestand tritt aber nicht ein, wenn für
den Monat des Dienstantritts noch Kindergeld gewährt wird.
14
d) Nicht zu entscheiden ist im Streitfall,
ob der Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG zu begrenzen wäre,
wenn ein Kind während der Dienstzeit weiterhin berücksichtigt wird, weil es
gleichzeitig den Dienst leistet und eine Ausbildung betreibt (ebenfalls
offen gelassen in den BFH-Urteilen vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BFHE 199,
210, BStBl II 2002, 807, und in BFH/NV 2009, 132).
15
Vorliegend beruhte die Kindergeldgewährung
im August 2003 nicht darauf, dass der Sohn der Klägerin seine Ausbildung
während des Zivildienstes fortsetzte, sondern darauf, dass er den Dienst
wegen des davorliegenden Wochenendes erst am Montag, den 4. August 2003,
anzutreten hatte und sich deshalb vom 1. bis 3. August 2003 formal noch in
der Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt - Gymnasium - und dem
Zivildienst befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).
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