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BFH-Urteil vom 28.4.2010 (III R 66/09) BStBl. 2010 II S. 831
Zuordnung der mechanischen Bearbeitung von Betonbruch, Naturgestein und
Ziegelbruch zum zulagebegünstigten verarbeitenden Gewerbe oder zum nicht
begünstigten Bergbau
1.
Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich im
Investitionszulagenrecht nach der vom Statistischen Bundesamt
herausgegebenen, zum Zeitpunkt der Investition jeweils geltenden
Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ). Nach der WZ 2003 hängt die
Zuordnung eines - Bauschutt und Abbruchmaterial recycelnden - Betriebes zum
verarbeitenden Gewerbe oder zum Bergbau von der Weiterverwendung des sog.
Outputs als Endprodukt oder als Sekundärrohstoff für die weitere
industrielle Weiterverarbeitung ab.
2.
Die Zuordnung eines Betriebes zu einem Wirtschaftszweig der Klassifikation
durch das Statistische Landes- oder Bundesamt haben die Finanzbehörden und
auch das FG in aller Regel zu übernehmen. Sie können jedoch überprüfen, ob
der Zuordnung ein zutreffender Sachverhalt zugrunde liegt und ob die
Zuordnung nach den richtigen Kriterien getroffen wurde (hier nach der
Verwendung der hergestellten Produkte).
InvZulG 1999 § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs.
2 Satz 1 Nr. 1.
Vorinstanz: Thüringer FG vom 23. Juli 2009
2 K 461/07 (EFG 2009, 1968)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Streitjahr 2004 einen Radlader zum
Preis von 139.000 EUR, für den sie im Februar 2005 beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine Investitionszulage nach § 2 des
Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999 beantragte. In ihrem Antrag gab
die Klägerin an, sie unterhalte einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes
i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999.
2
Die Tätigkeit der Klägerin
besteht überwiegend in der mechanischen Bearbeitung von Betonbruch,
Naturgestein und Ziegelbruch durch Brechen, Sieben und Konditionieren
mittels eines sogenannten Backenbrechers. Die Klägerin führt diese Arbeiten
als Lohnunternehmerin auf den Baustellen ihrer Auftraggeber aus; die
Auftraggeber bestimmen die Korngröße des zu zerkleinernden Materials. In
Abhängigkeit von der Körnung können die so entstandenen Kiese oder Sande
u.a. entweder als untere Tragschicht im Straßenbau oder als Zuschlagstoff
für Betonfertigteile, Rohre, Kanalbauteile, Pflastersteine usw. verwendet
werden. Da die Klägerin kein Eigentum an den hergestellten Produkten
erwirbt, konnte sie nicht belegen, zu welchen Anteilen diese z.B. als
Ersatzschotter im Straßenbau oder als Zuschlagstoff bei der Herstellung von
Betonfertigteilen eingesetzt werden. Ihre Umsätze entfielen im Streitjahr zu
76,8 % auf Brecherleistungen - einschließlich des in geringen Mengen
erforderlichen Sortierens und Entsorgens des beim Abriss und Brechen
anfallenden Papiers, Kunststoffs und Glases - und zu 23,2 % auf
Abbrucharbeiten.
3
Der Betrieb der Klägerin war
in den Jahren zuvor - entsprechend der damals gültigen Klassifikation der
Wirtschaftszweige 1993 (WZ 1993) - als Recycling von sonstigen
Altmaterialien und Reststoffen und damit als ein nach dem InvZulG 1999
begünstigtes verarbeitendes Gewerbe eingestuft worden. Nach der für das
Streitjahr maßgeblichen Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003)
hängt die Zuordnung der Recyclingbetriebe vom Schwerpunkt der jeweiligen
wirtschaftlichen Tätigkeiten und der Verwendung der Produkte ab.
4
Auf Anfrage der Klägerin
ordnete das Thüringer Landesamt für Statistik (Landesamt) den Betrieb im
April 2005 aufgrund der von der Klägerin angegebenen Tätigkeit wiederum dem
verarbeitenden Gewerbe (Abschnitt D, Unterklasse 37.20.5 Recycling von
sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) zu. Die Klägerin hatte ihre
Tätigkeit wie folgt beschrieben: "Bearbeiten (Brechen und Sieben) von
Betonbruch, Mauerwerk, Naturgesteine, Asphalt mittels Brecher- und
Siebanlagen zu Mineralgemischen verschiedenster Körnungen für die
unterschiedlichsten Einsatzbereiche (Tiefbau, Straßenbau, Kanal- und
Wasserbau etc.). Herstellen verschiedener Bodengemische und Substrate.
Herstellung erfolgt teilweise mit Zertifikat durch Fremdüberwachung der
Materialprüfanstalten."
5
Das FA lehnte die
Festsetzung der Investitionszulage ab und wies den Einspruch als unbegründet
zurück. Die Klägerin unterhalte nach der maßgeblichen WZ 2003 mit dem
Recyceln von Bauschutt und Abbruchmaterial einen Mischbetrieb, der nicht dem
verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden könne. Die Entscheidung des
Landesamtes beruhe auf einer unvollständigen Sachverhaltsdarstellung durch
die Klägerin, sei offensichtlich falsch und daher nicht maßgeblich. Die
Zuordnung zum nicht begünstigten Bergbau (Abschnitt C, Abteilung 14
Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau, Unterklasse 14.21.0
Gewinnung von Kies und Sand) oder zum verarbeitenden Gewerbe richte sich
nach der Weiterverwendung des Outputs. Würden die gebrochenen Materialien
als Endprodukt eingesetzt, z.B. als Füllstoff für die Straßenbauindustrie,
führe dies zur Einstufung in den Bergbau, die Einbringung des Outputs als
Sekundärrohstoff in die direkte industrielle Weiterverarbeitung falle
dagegen unter das verarbeitende Gewerbe. Was die Klägerin erzeuge, habe
nicht zweifelsfrei festgestellt werden können; die Folgen der
Unerweislichkeit wirkten zu ihren Lasten.
6
Das Statistische Bundesamt
(Bundesamt) nahm während des finanzgerichtlichen Verfahrens wie folgt
Stellung: Die Erzeugung von Zuschlagstoffen für die Herstellung von
Betonfertigteilen, Rohren, Kanalbauteilen, Pflastersteinen usw. durch
Brechen, Sieben und Konditionieren sei als Recycling von sonstigen
Altmaterialien und Rohstoffen (Unterklasse 37.20.5) anzusehen. Soweit der
Output aber direkt als Tragschicht im Straßenbau verwendet werde, liege nach
dem Bearbeitungsvorgang ein Enderzeugnis vor, das nicht für den direkten
Einsatz in einem industriellen Verarbeitungsprozess aufbereitet worden sei;
eine Einreihung in die Abteilung 37 der WZ 2003 scheide dann aus. Zur
Abteilung 14 der WZ 2003 - Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger
Bergbau - gehöre auch die Gewinnung von Steinen und Erden unter Verwendung
mineralischen Altmaterials. Für die Herstellung von "Ersatzschotter" würden
dieselben oder ähnliche Maschinen verwendet wie für die Herstellung von
Schotter aus Natursteinen, daher sei es auch sinnvoll, die Tätigkeiten in
gleicher Weise zu klassifizieren. Nach der WZ 2008 werde die Rückgewinnung
sortierter Werkstoffe generell in Unterklasse 38.32.0 und damit nicht mehr
als verarbeitendes Gewerbe erfasst.
7
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage statt (Urteil vom 23. Juli 20092 K 461/07, Entscheidungen der
Finanzgerichte 2009, 1968). Es entschied, die unterlassene Differenzierung
zwischen der Herstellung von Sekundärrohstoffen und der Herstellung von
Endprodukten führe zwar zu einer falschen statistischen Eingruppierung. Die
Einordnung der Klägerin in das verarbeitende Gewerbe durch das Landesamt sei
aber unter Berücksichtigung der in §§ 125, 129 der Abgabenordnung (AO)
enthaltenen Grundgedanken nicht offensichtlich falsch und daher für das
Verfahren über die Investitionszulage zu übernehmen.
8
Das FA begründet seine
Revision mit der Verletzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999. Das FG
verleihe der statistischen Einordnung die Qualität eines
Grundlagenbescheides, wenn es diese nur dann für unmaßgeblich halte, wenn
diese offenbar unrichtig i.S. des § 129 AO oder schwer und offenkundig
fehlerhaft i.S. des § 125 AO sei. Nach der Rechtsprechung des Senats - u.a.
im Urteil vom 23. März 2005 III R 20/00 (BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497)
- hätten die Finanzämter zwar die statistische Einordnung in aller Regel zu
übernehmen, wenn diese nicht offensichtlich falsch sei. Offenkundig falsch
seien aber auch Eingruppierungen, die auf unrichtigen oder unvollständigen
Tätigkeitsbeschreibungen oder einer unzutreffender Ermittlung der
Wertschöpfungsanteile oder der Außerachtlassung der gegenwärtigen
Verkehrsanschauung des Bundesamtes beruhten.
9
Das FA beantragt, das
FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
11
Die Revision ist begründet. Die
Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen,
weil seine Feststellungen nicht für eine abschließende Entscheidung
ausreichen, ob der Betrieb der Klägerin zum verarbeitenden Gewerbe gehört (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
12
1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG
1999 sind u.a. Wirtschaftsgüter investitionszulagenbegünstigt, die zu einem
Betrieb des verarbeitenden Gewerbes gehören.
13
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass für die Auslegung des Begriffs des verarbeitenden Gewerbes im
Investitionszulagenrecht das vom Bundesamt herausgegebene Verzeichnis der
Wirtschaftszweige - im Streitfall WZ 2003 - maßgeblich ist und die
Einordnung durch das Statistische Landes- oder Bundesamt von den
Finanzämtern in aller Regel bei der Entscheidung über die Gewährung der
Investitionszulage zu übernehmen ist, soweit sie nicht zu einem
offensichtlich falschen Ergebnis führt (ständige Rechtsprechung des Senats,
z.B. Urteile in BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497, betr. Produktion und
Vertrieb von Sand, Kies und Beton; vom 25. Januar 2007 III R 69/06, BFH/NV
2007, 1187, betr. Zerkleinern von Altasphalt und Altbeton,
Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. 1 BvR 857/07).
14
a) Grundsätzlich verbindlich ist danach die
jeweils maßgebliche Klassifikation der Wirtschaftszweige. Tätigkeiten, die
darin nicht unter dem verarbeitenden Gewerbe (Abschnitt D der WZ 2003)
aufgeführt sind, sondern in einem anderen Abschnitt erfasst werden - z.B.
Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden (Abschnitt C der WZ 2003) oder
Baugewerbe (Abschnitt F der WZ 2003) -, könnten nur dann als verarbeitendes
Gewerbe im Sinne des Zulagenrechts angesehen werden, wenn die Eingruppierung
durch die Klassifikation selbst offensichtlich und unzweifelhaft falsch wäre
(z.B. Automobilbau als "Baugewerbe"). Diese Bindung an die Klassifikation
der Wirtschaftszweige rechtfertigt sich dadurch, dass sie auf Expertenwissen
beruht und der Rechtsprechung anderweitige Kriterien für die Auslegung
fehlen.
15
Die Maßgeblichkeit der Klassifikation der
Wirtschaftszweige für die Branchenzuordnung wird im Übrigen nunmehr durch §
3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet.
16
b) Die Bindungswirkung erstreckt sich
aufgrund des Expertenwissens der Statischen Landesämter und des Bundesamtes
grundsätzlich auch auf die "Auslegung" der Klassifikation, d.h. auf die
Zuordnung bestimmter betrieblicher Tätigkeiten zu einem Abschnitt, einer
Abteilung, einer Gruppe, einer Klasse und einer Unterklasse in Grenzfällen.
17
2. Steuerverwaltung und Finanzgerichte
können aber überprüfen, ob die statistische Eingruppierung aufgrund eines
zutreffenden Sachverhaltes ergangen ist, ob der Betrieb richtig abgegrenzt
wurde (vgl. z.B. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 InvZulG 1999, § 3 Abs. 1
Satz 3 InvZulG 2010, jeweils betreffend Betriebe mit Betriebsstätten
innerhalb und außerhalb des Fördergebietes) und ob bei Mischbetrieben
richtig zugeordnet wurde (z.B. Senatsurteil vom 17. April 2008 III R 100/06,
BFH/NV 2008, 1531, betr. Baumarkt, der Erzeugnisse einer unternehmenseigenen
Sägerei vertreibt).
18
a) Dem entspricht das FG-Urteil nicht, das
sich auf die bereits durch die Stellungnahme des Bundesamtes infrage
gestellte Einordnung des Landesamtes stützt. Denn das FG-Urteil lässt zum
einen ausdrücklich die entscheidungserhebliche Frage offen, inwieweit der
Output der Klägerin als Enderzeugnis verwendet wird (Tragschicht im
Straßenbau) oder als Grundstoff für einen weiteren industriellen
Verarbeitungsprozess dient. Zum anderen begründet es auch nicht
nachvollziehbar, warum der Schwerpunkt des Unternehmens - etwa aufgrund
hoher Wertschöpfungsanteile trotz eines nur relativ geringen Umsatzanteils
oder aufgrund anderer Kriterien - nicht im Abbruch lag, d.h. im Baugewerbe
(Abschnitt F der WZ 2003).
19
b) Der Senat kann nicht beurteilen, ob der
Betrieb der Klägerin danach zu Recht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet
wurde, oder ob er als Bergbau oder Baugewerbe einzugruppieren ist. Das FG
wird im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen zu treffen
haben.
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