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BFH-Urteil vom 21.4.2010 (VI R 29/08) BStBl. 2010 II S. 833
Haftung des Arbeitgebers für von einer Angestellten hinterzogenen Lohnsteuer
Der
Haftungsausschluss nach § 42d Abs. 2 i.V.m. § 41c Abs. 4 EStG setzt stets
eine Korrekturberechtigung i.S. des § 41c Abs. 1 EStG voraus. Daran fehlt
es, wenn eine Lohnsteuer-Anmeldung vorsätzlich fehlerhaft abgegeben worden
war und dies dem Arbeitgeber zuzurechnen ist (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG).
EStG § 42d, § 41c.
Vorinstanz: FG Bremen vom 21. Mai 2010 2 K
74/07 (1) (EFG 2008, 1622)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für Lohnsteuerbeträge haftet, die
aufgrund von Steuerhinterziehungen einer Arbeitnehmerin zu niedrig
angemeldet und abgeführt worden waren.
2
Für die Lohnbuchhaltung der
Klägerin, einer GmbH, war in den Jahren 2001 bis 2003 die Personalleiterin
(P) zuständig. In dieser Zeit manipulierte sie ihre eigenen
Gehaltsabrechnungen. Dadurch führte die Klägerin für P insgesamt 43.617,17
EUR zu wenig Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag sowie Lohnkirchensteuer an den
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ab.
3
Bei einer vom FA für die
Jahre 1999 bis 2002 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung wurden die
Manipulationen der P nicht entdeckt.
4
Während einer weiteren
Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 2003 bis 2005 zeigte die Klägerin dem
FA unter Hinweis auf § 41c des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, dass P
nicht mehr Arbeitnehmerin bei ihr sei. Gleichzeitig teilte die Klägerin mit,
dass in den Jahren 2002 und 2003 sowie vermutlich ebenfalls in den Vorjahren
zu wenig Lohnsteuer einbehalten worden sei.
5
Nach Abschluss der
Außenprüfung, die auf die Jahre 1996 bis 2002 erweitert wurde, nahm das FA
die Klägerin gemäß § 42d EStG als Haftungsschuldnerin für die
Lohnsteuerabzugsbeträge in Anspruch.
6
Der Einspruch der Klägerin
blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1622 veröffentlichten Gründen ab.
7
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
8
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG sowie den Haftungsbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung aufzuheben.
9
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet
und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG
hat zu Recht entschieden, dass der von der Klägerin angegriffene
Haftungsbescheid rechtmäßig ist.
11
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG haftet der
Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die - wie im Streitfall unstreitig -
aufgrund fehlender Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung
verkürzt wird. Damit liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines
Haftungsbescheides dem Grunde nach vor.
12
2. Im Streitfall ist die Haftung der
Klägerin auch nicht gemäß § 42d Abs. 2 i.V.m. § 41c Abs. 4 EStG
ausgeschlossen. Danach haftet der Arbeitgeber nicht, wenn er dem FA
gegenüber von seinem Recht zur Änderung des Lohnsteuereinbehalts (§ 41c Abs.
1 EStG) keinen Gebrauch macht (§ 41c Abs. 4 Satz 11. Alternative EStG) oder
hiervon keinen Gebrauch machen kann (§ 41c Abs. 4 Satz 1 2. Alternative
EStG) und dies dem Betriebsstättenfinanzamt unverzüglich anzeigt. Eine
haftungsbefreiende Anzeige nach § 41c Abs. 4 EStG setzt damit stets eine
Korrekturberechtigung nach § 41c Abs. 1 EStG voraus. Die Gesetzesbegründung
zeigt, dass der Steuergesetzgeber mit § 41c Abs. 4 EStG kein allgemeines
Haftungsprivileg für alle die Fälle schaffen wollte, in denen der
Arbeitgeber aus tatsächlichen Gründen (§ 41c Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 3
EStG) keine Lohnsteuerkorrektur mehr vornehmen kann (BTDrucks 7/1470, S.
306; 7/2180, S. 23). Zudem ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum
die Haftung des Arbeitgebers allein deshalb entfallen soll, weil er die
Finanzbehörde über den Haftungstatbestand informiert (Trzaskalik in:
Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 41c Rz E 2).
13
Deshalb hat das FG im Ergebnis zutreffend
der während der Lohnsteuer-Außenprüfung abgegebenen Anzeige der Klägerin
keine haftungsbefreiende Wirkung beigemessen. Der Klägerin fehlte vorliegend
die Korrekturberechtigung nach § 41c Abs. 1 EStG. Nach § 41c Abs. 1 Nr. 2
EStG ist der Arbeitgeber berechtigt, Lohnsteuer nachträglich einzubehalten,
wenn er später erkennt, dass der bisherige Lohnsteuereinbehalt nicht
ordnungsgemäß war.
14
a) Erkennen i.S. des § 41c Abs. 1 Nr. 2
EStG ist nach der bisherigen Senatsrechtsprechung das Erlangen von
Kenntnissen nach Abgabe der fehlerhaften Lohnsteuer-Anmeldungen (Urteil vom
4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687). Diese am
Wortsinn orientierte Auslegung schließt ein Erkennen bei vorsätzlichem
fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt aus (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - in
BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42d
EStG Rz 56; Stache in Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuer-Recht, §
41c Rz 34, 37, 41; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Haftung für
Lohnsteuer", Rz 62; Barein in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht,
Kommentar, § 41c Rz 8). Eine Auslegung dahingehend, dass eine "bessere"
Erkenntnis bei bewusst falschem Lohnsteuereinbehalt später eintreten kann,
überschreitet die Grenzen des Wortlauts (Blümich/Heuermann, § 41c EStG Rz 12
f.; Barein in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O.).
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Ein Arbeitgeber kann sich zudem nicht auf
mangelnde eigene Kenntnis berufen, wenn ein von ihm eingesetzter Mitarbeiter
positive Kenntnis über den fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt hat (BFH-Urteil
in BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687). Dadurch, dass ein Arbeitgeber seine
Pflichten nicht in eigener Person, sondern durch Dritte erfüllt, kann er
sich nicht seiner Verantwortung entziehen. Denn nach § 166 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs ist dem Vertretenen das Wissen des Vertreters
zuzurechnen. Körperschaften müssen sich daher nicht nur das Wissen des
gesetzlichen Vertreters, zum Beispiel des Vorstands, zurechnen lassen,
sondern darüber hinaus auch das Wissen sämtlicher Bevollmächtigter in der
Organisationseinheit nach Maßgabe ihrer Befugnisse (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1. März 1984 IX ZR 34/83, Neue juristische
Wochenschrift 1984, 1953). "Wissensvertreter" ist somit jeder, der nach der
Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr
als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu
erledigen (BGH-Urteil vom 24. Januar 1992 V ZR 262/90, BGHZ 117, 104). Dies
gilt nicht nur für rechtsgeschäftliche Handlungen, sondern unter anderem
auch für die Verpflichtung zur Abgabe von Erklärungen (§ 149 der
Abgabenordnung) gegenüber der Finanzbehörde (vgl. BFH-Beschluss vom 7. März
2007 I B 99/06, BFH/NV 2007, 1801).
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b) Folglich hat die Klägerin den
fehlerhaften Lohnsteuereinbehalt nicht i.S. von § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG
erkannt. Vielmehr hat P, die als Buchhalterin von der Klägerin beauftragt
war, die Lohnabrechnungen durchzuführen und die Lohnsteuer-Anmeldungen an
das FA zu übermitteln, unstreitig den Tatbestand der Steuerhinterziehung
verwirklicht. Die Kenntnis ihrer Wissensvertreterin um die bewusst falschen
Lohnsteuer-Anmeldungen muss sich die Klägerin zurechnen lassen.
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Ein Erkennen der Klägerin i.S. des § 41c
Abs. 1 Nr. 2 EStG im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung war daher
ausgeschlossen.
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3. Auf die vom FG erörterte Frage, ob der
Haftungsausschluss zumindest dann, wenn die Anzeige des Arbeitgebers nicht
aus eigenem Antrieb, sondern erst aufgrund von Hinweisen oder Feststellungen
eines Lohnsteuerprüfers erfolgt, versagt werden müsste, kam es hiernach
nicht mehr an. Aus dem gleichen Grund brauchte der erkennende Senat auch
nicht der Gehörsrüge der Klägerin - in Form des übergangenen Beweisantrages
- nachzugehen. Denn nach der vorstehend vom Senat zugrunde gelegten
Rechtsauffassung kam es auch nicht mehr darauf an, wann und in welcher Tiefe
der Lohnsteuerprüfer Kenntnisse über die Steuerhinterziehung der P erlangt
hatte.
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4. Dass das FA die streitbefangene
Lohnsteuer nebst Annexsteuern - abgesehen von der Frage des
Haftungsausschlusses - durch einen Haftungsbescheid festsetzen durfte, ist
zwischen den Beteiligten zu Recht nicht mehr streitig.
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