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BGH-Beschluss vom 30.04.2009 (1 StR 90/09) BStBl. 2010 II S. 835
Zum
Zusammenwirken von Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im
steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Zu strafrechtlichen Folgen bei
vorwerfbarer Verfahrensverzögerung.
AO § 386 Abs. 4 ; StGB § 258a.
Vorinstanz: LG Saarbrücken vom 25.
September 2008 2 (8) KLs – 44/04 – 33 Js 651/04
Entscheidungsgründe
Die Revision des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. September 2008 wird als
unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des
Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Das Landgericht hat den Angeklagten am 25.
September 2008 wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu der
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den
Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte insgesamt 2.439.888, - DM
an Einkommen- und Gewerbesteuer hinterzogen, betreffend die
Veranlagungszeiträume 1997 und 1998.
Die Strafkammer hat eine konventionswidrige
Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens von zwei Jahren festgestellt und
deshalb bestimmt, dass acht Monate der erkannten Strafe als verbüßt gelten.
Soweit der Angeklagte eine höhere Kompensation begehrt, genügt der Vortrag
in der Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 12. März 2009
zutreffend dargelegt hat.
Der der Revisionsgegenerklärung der
Staatsanwaltschaft vom 15. Januar 2009 zu entnehmende Ablauf des
Ermittlungsverfahrens gibt jedoch Anlass zu dem Hinweis, dass es in Fällen
dieser Größenordnung schon während des Ermittlungsverfahrens einer
frühzeitigen Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden und der
Staatsanwaltschaft bedarf.
Hieran fehlte es im vorliegenden Fall:
Am 27. August 1999 leitete die
Steuerfahndungsstelle das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen
Verdachts der Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerhinterziehung für die
Veranlagungszeiträume 1994 bis 1998 ein. Die Bekanntgabe an den Angeklagten
erfolgte am 14. Januar 2000. Am 15. Februar 2002 stellte die Steuerfahndung
den Prüfbericht fertig. Mit Schreiben vom 9. Juli 2002 wurde die Sache der
Bußgeld- und Strafsachenstelle für die Finanzämter des Saarlands zugeleitet.
Nach Steuerneuberechnungen und sonstigen (weitgehend vom Angeklagten bzw.
seiner Verteidigung veranlassten und in der Gegenerklärung der
Staatsanwaltschaft im Einzelnen dargestellten) Verfahrensvorgängen wurden
die Akten am 18. März 2004 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken zum Zwecke der
Anklageerhebung vorgelegt, die am 6. Mai 2004 - erstmals - Anklage zum
Landgericht Saarbrücken erhob.
Bis zum 18. März 2004 „war die
Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen nicht eingebunden“ und - soweit
ersichtlich - über die Existenz des Ermittlungsverfahrens auch nicht
informiert. Im Bericht der Steuerfahndung vom 15. Februar 2002 findet sich
vielmehr folgende Bemerkung (unter Punkt 23):
„Bemühungen des Prüfers, den Fall im
Ermittlungsverfahren wegen seiner Bedeutung und Größenordnung an die
Staatsanwaltschaft (Haftbefehl) abzugeben, sind bisher gescheitert.“
Eine Praxis, wie sie im vorliegenden Fall
zu Tage tritt, entspricht - unabhängig davon, ob ein Haftbefehlsantrag
geboten erscheint - nicht der Intention der gesetzlichen Regelungen über das
Zusammenwirken zwischen Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im
steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Zwar hat die Finanzbehörde bei Verdacht
einer Steuerstraftat (und Begleitdelikten gemäß § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO) im
Grundsatz eine eigenständige Ermittlungskompetenz (§ 386 Abs. 1 Satz 1, Abs.
2, § 399 Abs. 1 AO; vgl. auch Erb in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 160
Rdn. 11). Zudem bestimmt § 400 AO: „Bieten die Ermittlungen genügenden
Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde
beim Richter den Erlass eines Strafbefehls, wenn die Strafsache zur
Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der
Fall, so legt die Finanzbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft vor.“
Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Finanzbehörde in allen Fällen
die Sache bis zur Anklagereife (bzw. Einstellungsreife) ohne Beteiligung der
Staatsanwaltschaft selbständig ausermittelt.
Dies wäre mit der in § 386 Abs. 4 AO
geregelten Rollenverteilung zwischen Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft
nicht vereinbar. Danach hat nicht nur die Finanzbehörde das Recht, eine
Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abzugeben (§ 386 Abs. 4 Satz
1 AO). Vor allem kann die Staatsanwaltschaft die Steuerstrafsache jederzeit
von sich aus an sich ziehen (Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß §
386 Abs. 4 Satz 2 AO). Dies bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zwar in
den steuerstrafrechtlichen Verfahren, die von den Finanzbehörden gemäß § 386
Abs. 2 AO autonom betrieben werden, abweichend von § 152 Abs. 1 GVG den
ermittelnden Steuerfahndungsbeamten keine Weisungen erteilen kann. Die
Staatsanwaltschaft bleibt aber auch in diesen Fällen (entsprechend dem den
§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO zu entnehmenden
Grundsatz) insoweit „Herrin des Verfahrens“, als sie - wenn z.B. bei
Kontroversen über die Gestaltung eines bei der Finanzbehörde geführten
Verfahrens kein Einvernehmen erzielt werden kann - dieses zur Durchsetzung
ihrer Vorstellungen jederzeit gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO übernehmen kann
(vgl. OLG Stuttgart wistra 1991, 190; Randt in Franzen/Gast/Joecks,
Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 386 AO Rdn. 4; Muhler in
Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. § 15 Rdn. 14).
Die Steuerfahndungsbeamten haben dann den Anordnungen der Staatsanwaltschaft
als deren Ermittlungsgehilfen Folge zu leisten (§ 152 Abs. 1 GVG).
Mit dieser Stellung der Staatsanwaltschaft
in allen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren korrespondiert eine
Unterrichtungspflicht der Finanzbehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft
(vgl. Randt aaO Rdn. 47). Allerdings besteht keine gesetzliche Pflicht,
wonach die Finanzbehörden sämtliche von ihr eingeleiteten
Ermittlungsverfahren dorthin mitzuteilen haben. Dies wäre auch nicht
sinnvoll. Damit die Staatsanwaltschaft ihr Recht und ihre Pflicht zur
Prüfung einer Evokation auch in jedem Einzelfall und in jedem Stadium des
Verfahrens sachgerecht ausüben kann, muss sie aber in den „in Betracht
kommenden Fällen“ frühzeitig eingebunden sein. Die Finanzbehörden haben
daher die Staatsanwaltschaft über alle bei der Steuerfahndung anhängigen
Ermittlungsverfahren, bei denen eine Evokation nicht fern liegt, frühzeitig
zu unterrichten, etwa bei regelmäßig stattfindenden Kontaktgesprächen.
Die Übernahme durch die Staatsanwaltschaft
kann wegen der Bedeutung einer auch kleineren Sache - wegen einer besonderen
öffentlichen Aufmerksamkeit etwa - im Raum stehen, jedenfalls dann, wenn
Zweifel bestehen oder während des Gangs der Ermittlungen entstehen, ob die
Sache zur Erledigung im Strafbefehlsverfahren geeignet ist, insbesondere
wenn - oder sobald - wegen der Größenordnung oder der Bedeutung des Falls
eine Anklage beim Landgericht zu erwarten ist. Die frühzeitige Einbeziehung
der Staatsanwaltschaft ist gerade auch dann angezeigt, wenn sich die
Beweislage - wie im vorliegenden Fall - zu Beginn als schwierig darstellt.
Für diese Sache ist - unabhängig von der
fehlenden Zulässigkeit der entsprechenden Rüge - abschließend anzumerken,
dass die fehlende frühzeitige Unterrichtung der Staatsanwaltschaft hier zu
keiner (weiteren) konventionswidrigen Verfahrensverzögerung (während des
Ermittlungsverfahrens) geführt hat. Dies wurde durch die rasche
Anklageerhebung nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft noch
vermieden. Fehlende frühzeitige Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und
Finanzbehörden kann aber auch ohne konventionswidrige Verzögerung eine
frühzeitige Aburteilung vereiteln. Eine damit verbundene
Verfahrensverlängerung ist jedenfalls strafzumessungsrelevant. Dies gilt
erst recht bei einer konventionswidrigen Verzögerung, wenn diese zu einer
Reduzierung der Strafe führt (BGHSt 52, 124). Zu weiteren Konsequenzen für
Amtsträger siehe BGHR StGB § 258 Abs. 1 Vollendung 1 (Verzögerung), die auch
eine ausreichende Personalausstattung im Blick haben müssen.
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